Abgabenordnung

Die Abgabenordnung enthält allgemeine Vorschriften und grundsätzliche Regelungen zum Steuer- und Abgabenrecht, während die einzelnen Steuergesetze (z.B. das Einkommensteuergesetz) die konkreten Bestimmungen zur Berechnung von Steuern bzw. Abgaben regeln.

Allgemeines

Die Abgabenordnung (AO) ist in neun Teile gegliedert, die im Wesentlichen den zeitlichen Ablauf des Besteuerungsverfahrens wiedergeben.

Die einleitenden Vorschriften erläutern die steuerlichen Grundbegriffe, die für alle Steuern gelten. Hier findet sich deshalb auch die allgemeine Definition des Steuerbegriffs (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AO): „Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein.“ Von besonderer Bedeutung sind die Regelungen über das Steuergeheimnis. Da der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten seine steuerlichen Verhältnisse der Finanzbehörde vollständig zu offenbaren hat, muss die Geheimhaltung seiner Angaben gewährleistet sein. § 30, 31 und 31a AO regeln, wer das Steuergeheimnis wahren muss und unter welchen Voraussetzungen die Offenbarung oder Verwertung geschützter Daten zulässig ist.

Das Steuerschuldrecht definiert die Grundsätze im Verhältnis zwischen Staat und Steuerschuldner. Es wird geregelt, welche Ansprüche sich aus dem Steuerschuldverhältnis ergeben, wie z.B. die Erstattungsansprüche des Steuerpflichtigen, welche Zwecke steuerbegünstigt sind, unter welchen Voraussetzungen jemand für die Steuerschuld eines anderen haftet.

Die allgemeinen Verfahrensgrundsätze heben den Grundsatz der Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung hervor. Es werden die Auskunftspflichten einzelner Personen, die Hinzuziehung von Sachverständigen, die Vorlage von Urkunden und Wertsachen sowie die Befugnis zum Betreten von Grundstücken geregelt. Es wird aber auch geregelt, unter welchen Voraussetzungen Personen zur Auskunftsverweigerung berechtigt sind und in welchen Fällen die Finanzbehörden die Steuerpflichtigen beraten und ihnen Auskunft erteilen sollen und wie die steuerlichen Fristen berechnet und verlängert werden.

Den Kern der AO bilden die Vorschriften über die Durchführung des Besteuerungsverfahrens. Im Interesse der Rechtssicherheit enthalten sie eine genaue Darstellung der jeweiligen Rechte und Pflichten der Finanzbehörde und der Steuerpflichtigen. Insbesondere werden die Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen geregelt, weil die Finanzbehörden bei Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in besonderer Weise auf die Mitwirkung der Steuerpflichtigen angewiesen sind. Deshalb enthält die AO Regelungen über die Steuererklärungs- und Buchführungspflichten. Die Regelungen zu den Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten bestimmen, wer Bücher und Aufzeichnungen zu führen hat, wie sie zu führen sind und wie lange bestimmte Unterlagen aufbewahrt werden müssen. Zudem wird festgelegt, in welcher Form, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Frist eine Steuer festgesetzt werden kann. So bestimmt § 155 Abs. 1 AO, dass Steuern grundsätzlich mittels Steuerbescheid festgesetzt werden. Dieser Steuerbescheid konkretisiert die im Einzelfall entstandene Steuer oder Steuervergütung und ist formelle Grundlage der Verwirklichung dieses Anspruchs. Soweit die Steuerpflichtigen die Steuer in der Steuererklärung selbst zu berechnen haben, tritt diese Steueranmeldung grundsätzlich an die Stelle des ansonsten erforderlichen Steuerbescheids. Das Steueranmeldungsverfahren (§ 167, 168 AO) vermindert den Verwaltungsaufwand aller Beteiligten und ermöglicht zugleich eine schnellere Verwirklichung der Steueransprüche.

Mit den Vorschriften zu Erhebungs- und Vollstreckungsverfahren wird geregelt, wann eine Steuer fällig wird und welche Folgen bei einer verspäteten Zahlung eintreten. Werden fällige Steuern nicht gezahlt, so können sie durch die Finanzbehörde nach den für die Vollstreckung geltenden Bestimmungen zwangsweise beigetrieben werden. Es wird auch festgelegt, unter welchen Voraussetzungen eine Steuer gestundet oder aus Billigkeitsgründen erlassen werden kann. Geregelt wird auch die Verzinsung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 233 ff. AO) und die Erhebung von Säumniszuschlägen bei verspäteter Steuerzahlung (§ 240 AO).

Das Einspruchsverfahren („Außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren“) dient dem Rechtsschutz der Steuerpflichtigen und ermöglicht der Finanzverwaltung, ihre Entscheidungen ohne Einleitung eines finanzgerichtlichen Verfahrens zu überprüfen. Das Einspruchsverfahren ist kostenfrei. Die Regelungen zum gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren enthält die Finanzgerichtsordnung (FGO).

Schließlich enthält die AO die materiellen Vorschriften über Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten sowie besondere Bestimmungen über das Steuerstraf- und Bußgeldverfahren. Das Bußgeld wird nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz erhoben. Die Finanzbehörde kann in bestimmten Fällen selbst ermitteln. Sie bedient sich dabei der Steuer-(Zoll-)fahndung.

Die Schlussvorschriften nennen die Grundrechte, die durch die Abgabenordnung eingeschränkt werden. Es sind dies die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 des Grundgesetzes), des Briefgeheimnisses sowie des Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes).

Geschichtliche Entwicklung

(Unter Verwendung eines Auszugs aus „Gellert, Lothar: Zollkodex und Abgabenordnung: Analyse über das Verhältnis der Vorschriften der Abgabenordnung zu den Vorschriften des Zollkodexes der Europäischen Gemeinschaft, Mendel Verlag“ mit freundlicher Genehmigung des Autors)

Die Reichsabgabenordnung vom 23. Dezember 1919 wurde in einer Zeit politischer Wirren und in einer bedrückenden finanzpolitischen Situation verabschiedet. Sie wuchs hervor aus einem Bedürfnis, das die Entwicklung des Reichssteuerrechts mit sich brachte. Während das Reich ursprünglich nur Zölle und einige Verbrauchsabgaben erhielt, erweiterte sich aufgrund der ungeheuren finanziellen Verpflichtungen als Folge des verlorenen 1. Weltkrieges die Besteuerung zugunsten des Reichs. Die führte zu einem unhaltbaren Zustand, da die Gesetze häufig eilig entstanden waren, Unregelmäßigkeiten und Lücken aufwiesen und ihre Durchsetzung nicht gesichert war.

Die Reichsabgabenordnung sollte als Mantelgesetz die einzelnen Gesetze entlasten, gemeinsame Vorschriften enthalten, Widersprüche ausgleichen und Lücken beseitigen. Sie war von vornherein auf einen ausgewogenen Interessenausgleich zwischen dem Staat als Steuergläubiger und dem Bürger als Steuerzahler ausgerichtet. Das Reichsschatzamt beschloss daher im Sommer 1918, eine Reichsabgabenordnung einzubringen, die bis Januar 1919 fertig gestellt sein sollte, tatsächlich jedoch erst Ostern 1919 druckfertig hergestellt war.

Die Reichsabgabenordnung ist von einem einzigen Juristen konzipiert worden: Enno Becker. Er war in keine Gesetzgebungskommission eingebunden, sondern schuf ein Gesetzeswerk nur mit einem kleinen Mitarbeiterstab. Dass das Gesetzeswerk auch politisch in kürzester Zeit durch die Fachausschüsse der Nationalversammlung sowie im Staatenausschuss - der damaligen Landesvertretung - durchgebracht wurde, war dem zum Reichsfinanzminister bestellten Matthias Erzberger zu verdanken. Die Reichsabgabenordnung wurde nicht als „Steuergrundgesetz“ verfasst, weil bereits die Weimarer Verfassung vorschrieb, dass alle Bürger ohne Unterschied im Verhältnis ihrer Mittel zu allen öffentlichen Lasten nach Maßgabe der Gesetze beizutragen hatten. Es war daher überflüssig, eine solche Vorschrift zusätzlich in die Reichsabgabenordnung auszunehmen.

Die Reichsabgabenordnung Enno Beckers, die dieser selbst als eine Art Notgesetz bezeichnet hatte, blieb im Wesentlichen bis zur Einführung der Abgabenordnung 1977 für das steuerliche Verfahren maßgebend. Anlass einer Reform war der Wunsch nach Geschlossenheit der AO als Mantelgesetz und Verbesserung der Systematik. Am 20. Februar 1976 stimmte der Bundesrat dem Gesetzesentwurf zu, sodass das Gesetz am 23. März 1976 im Bundesgesetzblatt verkündet werden und zum 1. Januar 1977 in Kraft treten konnte.

Während Enno Becker das Steuerrecht verselbstständigen wollte, strebte die Abgabenordnung 1977 im Interesse der Rechtseinheit eine Angleichung der Vorschriften der Abgabenordnung an das Verwaltungsverfahrensgesetz an. Mit der Reform sollte jedoch auch die Systematik gegenüber der Reichsabgabenordnung verbessert werden. Das Bundesfinanzministerium entschied sich daher für eine Gliederung, die auch den zeitlichen Ablauf des Besteuerunsgverfahrens in etwa widerspiegelte.

Die Abgabenordnung 1977 hat die in sie gesetzten Ziele erfüllt. Insbesondere ist das Ziel, die Abgabenordnung 1977 wieder zu einem Mantelgesetz für das allgemeine Steuerrecht zu machen, weitgehend erreicht worden. Bereits durch das Einführungsgesetz zur Abgabenordnung wurden mehr als ein Dutzend Gesetze und Rechtsverordnungen aufgehoben.

Mit dem Jahressteuergesetz 2007 (JStG 2007) vom 13. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2878) wurde die bis dahin amtliche Abkürzung der Abgabenordnung „AO 1977“ neu gefasst, indem der Jahreszusatz „1977“ entfiel.

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