- Datum 02.09.2023
NOZ: Zur Halbzeit ist die Zustimmung für die Ampel-Koalition im Sinkflug. Teilen Sie die Einschätzung von Kanzler Olaf Scholz in Meseberg, dass die Menschen nur noch nicht erkannt haben, was Sie alles Gutes tun?
Christian Lindner: So habe ich Olaf Scholz nicht verstanden. Richtig ist aber, dass wir vieles auf den Weg bringen. Der Energieschock des vergangenen Jahres hat nicht zu Existenzverlusten geführt. Wir bringen mehr Kontrolle in die Einwanderungspolitik. Wir geben der Wirtschaft Impulse.
NOZ: Ist das Schlecht-Übereinander-Reden ursächlich für die Unzufriedenheit mit dieser Regierung?
Christian Lindner: Wir reden nicht schlecht übereinander. Aber wir haben eben teilweise andere Vorstellungen. Die FDP will den einzelnen Menschen stark machen, weil wir auf Freiheit und Eigenverantwortung vertrauen. Unsere Koalitionspartner setzen oft eher auf Gleichheit und Staat. Wenn die einen also jeden Tag Steuererhöhungen, neue Schulden, Umverteilung oder Verbote vorschlagen, werden die anderen daran erinnern, dass sie Steuern senken, die Kernkraft als Reserve erhalten und eher in Bildung investieren wollen. So ist Demokratie.
NOZ: Halten Sie die Kindergrundsicherung wie Ihr Fraktionskollege Frank Scheffler auch für "Sozialklimbim"?
Christian Lindner: Ich habe viel Zeit investiert, die Kindergrundsicherung gut zu verhandeln. Meine Sorge war, dass wir durch hohe Geldzahlungen an Eltern die Arbeitsanreize reduzieren, ohne wirklich etwas für die Kinder zu erreichen. Es gibt ja einen klaren Zusammenhang zwischen Kinderarmut und der Einwanderung seit 2015. Im Ergebnis gibt es keine pauschale Leistungserhöhung, Arbeit lohnt sich weiter, Sachleistungen zum Beispiel für Schulausflüge bleiben erhalten. Aber wir erleichtern den Zugang zu Unterstützung, auf die Menschen ein Recht haben.
NOZ: Der Wirtschaftsrat der CDU sieht im Zehn-Punkte-Plan für die Wirtschaft keinen Befreiungsschlag. Nimmt diese Regierung das Abwandern von energieintensiven Betrieben in Kauf und damit den Verlust Zehntausender Arbeitsplätze?
Christian Lindner: Die Kritik aus CDU-Kreisen können die Menschen gut beurteilen. Viele Probleme hängen ja mit Versäumnissen des letzten Jahrzehnts zusammen. Die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts hängt an vielem. Wir sorgen für Fachkräfte am Arbeitsmarkt, reduzieren die Steuer- und Bürokratielast, beschleunigen die langsamen Genehmigungsverfahren und investieren in digitale Infrastruktur. Bei der Energie müssen wir rasch Kapazitäten aufbauen, damit der Preis sinkt.
NOZ: Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer ist überzeugt, dass es der falsche Weg ist, alte Arbeitsplätze zu subventionieren. Das würde den nötigen Strukturwandel nur aufhalten…Ist das auch Ihre Position?
Christian Lindner: Nein, es ist nicht weise, ganze Branchen und Industrien aufzugeben. Aber die Instrumente müssen stimmen. Milliarden Subventionen für wenige große Konzerne, die der Mittelstand und die Menschen bezahlen müssen, wären eine Wettbewerbsverzerrung. Das Grundproblem würde verschärft, da die subventionierte Nachfrage das Angebot für alle anderen verknappt. Wir beschleunigen also besser den Bau von neuen Kraftwerken und setzen auf Effizienz.
NOZ: Wäre nicht ein Signal in Sachen Strompreis jetzt notwendig? Mit einer Senkung der Stromsteuer könnten Sie anders als beim Industriestrompreis vermeiden, dass nur einzelne große Unternehmen profitieren?
Christian Lindner: Zunächst halte ich fest, dass jetzt diejenigen hohe Strompreise beklagen, die vor kurzem noch gegen unseren Rat drei sichere und saubere Kernkraftwerke vom Netz genommen haben. Ich bin aber offen für Maßnahmen, auch bei der Stromsteuer. Es gibt nur die drei Bedingungen, dass wir bei allem die Schuldenbremse achten, Wettbewerbsverzerrungen vermeiden und keine Fehlanreize setzen, nicht weiter die Effizienz zu verbessern. Kurz gesagt, was wir tun, muss ökonomisch vernünftig sein.
NOZ: Insgesamt gibt es so viel Staatsgeld für Wirtschaft wie nie zuvor. Ist das auf Dauer der richtige Weg?
Christian Lindner: Das kann nur übergangsweise sein. Der Vorwurf, ich als Finanzminister würde zu wenig Investitionen erlauben, trifft aber offensichtlich nicht zu. Die Finanzhilfen konzentrieren sich zu knapp 90 Prozent auf Bereiche, die für Klimaschutz und Energieeffizienz entscheidend sind. Das ist erforderlich, damit unser Land gut durch die Modernisierung kommt. Mir ist wichtig, dass Finanzhilfen befristet sind und es dabei nicht zu einer Vorfestlegung auf bestimmte Technologien kommt, sondern dass es weiter einen marktwirtschaftlichen Wettbewerb um die besten Lösungen gibt.
NOZ: Nächste Woche berät der Bundestag über den Haushalt 2024 und die Haushaltsplanung für die kommenden Jahre. Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft zufolge müssten Sie bis 2027 60 Milliarden Euro einsparen, um die Schuldenbremse einzuhalten. Wie wollen Sie das hinkriegen?
Christian Lindner: Die Zahlen des Instituts kann ich so nicht bestätigen. Eines habe ich allerdings bereits mehrfach gesagt: Das Jahrzehnt der Verteilungspolitik ist beendet, es muss ein Jahrzehnt des Erwirtschaftens folgen. In jedem der kommenden Jahre haben wir einen Handlungsbedarf von fünf Milliarden Euro zusätzlicher Einsparungen ausgewiesen. Mehrausgaben kann es also nur geben, wenn es Gegenfinanzierungen gibt.
NOZ: Kindergrundsicherung, höheres Bürgergeld und das Wachstumschancengesetz von Ihnen verursachen jährliche Mehrkosten in Milliardenhöhe. Muss dafür an anderer Stelle der Rotstift angesetzt werden?
Christian Lindner: Dafür haben wir schon eine Vorsorge im Haushaltsentwurf getroffen, die das Meiste abdeckt.
NOZ: Das Umweltbundesamt beziffert die Summe der klimaschädlichen Subventionen auf 65 Milliarden Euro. Im Koalitionsvertrag haben Sie vereinbart, Sie zu streichen. Warum machen Sie das nicht?
Christian Lindner: Die Angaben des Umweltbundesamtes mache ich mir ausdrücklich nicht zu eigen. Darin sind etwa auch die Pendlerpauschalen für die Bürgerinnen und Bürger enthalten, die ich nicht für eine umweltschädliche Subvention halte. Sie wird auch jenen gewährt, die sich zu Fuß oder mit dem Rad auf den Weg zur Arbeit machen. Wenn man das streicht, belastet man schon wieder die arbeitende Mitte dieses Landes. Wir werden umweltschädliche Subventionen an den Stellen streichen, an denen dies nicht zu sozialen Verwerfungen in unserer Gesellschaft führt oder ökonomischen Schaden anrichtet.
NOZ: Welche sind das?
Christian Lindner: Zum Beispiel hat sich die Bundesregierung darauf verständigt, den befristet reduzierten Mehrwertsteuersatz auf Gas schon zum Jahresende auslaufen zu lassen, da sich die Preise stabilisiert haben. Für den Notfall sollen die staatlichen Preisbremsen bestehen bleiben.
NOZ: Das Heizungsgesetz soll nach langer Diskussion nun nächsten Freitag im Bundestag verabschiedet werden. Wird es dazu kommen, oder gibt es Ihrerseits noch Bedenken?
Christian Lindner: Das Heizungsgesetz ist jetzt praxistauglich. Wir haben es grundlegend verändert, indem es mit der kommunalen Wärmeplanung verzahnt wird. Man kann die Menschen nicht zu etwas verpflichten, bevor nicht der Staat alle seine Aufgaben erledigt hat. Es ist außerdem technologieoffen, denn nicht jedes Gebäude ist für eine Wärmepumpe geeignet.
NOZ: Ist es jetzt ein gutes Gesetz, hinter dem Sie auch persönlich stehen können?
Christian Lindner: Ja. Es ist kein Gesetz mehr, vor dem Menschen Angst haben müssten, weil der Staat in ihren Heizungskeller steigt.
NOZ: Die FDP hat in dieser Koalition vieles mitgetragen, was ihr im Grundsatz widerstrebt. Wie oft haben Sie schon gedacht, dass es ein Fehler war, dieser Ampel-Koalition beizutreten?
Christian Lindner: Nein, das teile ich nicht. Wir machen Kompromisse, aber ich sehe eher, was wir erreichen. Es begann schon mit anderer Corona-Politik, die mehr Freiheit gebracht hat. Und nehmen Sie beispielsweise allein diese Woche Meseberg. Erstens Steuergesetz mit 32 Milliarden Euro Entlastung in den kommenden Jahren, zweitens Bürokratieabbaugesetz, drittens zwei weitere Staaten sind sichere Herkunftsländer, in die irreguläre Migranten schneller abgeschoben werden können. Die FDP kann viel mehr von ihrem Programm umsetzen, als es ein Wahlergebnis von 11,5 Prozent hätte erwarten lassen.
NOZ: Nachgeschobene Frage: Die CDU kritisiert, dass mit der Anhebung des Bürgergeldes und der Kindergrundsicherung der Anreiz wegfallen könnte zu arbeiten. Teilen Sie diese Befürchtung?
Christian Lindner: Die Union hat diesen Mechanismen selbst zugestimmt. Die Sorge ist zwar berechtigt, aber weniger als vor einigen Jahren. Denn wir haben Erwerbsanreize verbessert. Dennoch müssen wir die Gesamtwirkung unseres Sozialstaats ansehen. Existenznot muss er verhindern, aber die Inanspruchnahme seiner Leistungen darf kein Dauerzustand sein. Deshalb haben wir verabredet, dass der Lohnabstand und der Arbeitsanreiz wissenschaftlich untersucht werden. Wenn der Arbeitsminister diese Untersuchung bald vorlegt, werden wir schauen, ob sich daraus Konsequenzen ergeben. Jedenfalls muss derjenige, der arbeitet, immer spürbar mehr haben, als diejenigen, die nicht arbeiten.