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05.04.2024

Öffentliche Finanzen

Bundesfinanzminister Christian Lindner im Interview mit der Rheinischen Post

„Wir brauchen ein wettbewerbsfähiges Steuersystem für die Wirtschaft“, so Bundesfinanzminister im Interview.

  • Datum 05.04.2024

Rheinische Post: Herr Lindner, im Bundeshaushalt 2025 klafft ein Loch von 25 Milliarde Euro und Sie kündigen Steuerentlastungen für die Bürger an. Wie passt das zusammen?

Christian Lindner: Die Zahl kann ich nicht bestätigen. Klar ist aber, dass die Lohn- und Einkommensteuer an die Inflation angepasst werden muss. Sonst droht kalte Progression. Die haben wir in den vergangenen zwei Jahren verhindert, das ist auch für kommendes Jahr ein Gebot der Fairness. Wenn Sozialleistungen an die Preisentwicklungen angepasst werden, dann muss das genauso bei der Steuer für die arbeitende Bevölkerung gelten.  

Rheinische Post: Wird durch diese Vermeidung der Mehrbelastung die Lücke im Haushalt noch größer werden?

Christian Lindner: Umgekehrt würde ich sagen, dass die Haushaltsaufstellung nicht durch heimliche Steuererhöhungen erfolgen darf. Ich bedauere, dass SPD und Grüne das Vorgehen von 2022 wieder in Frage stellen. Es gibt bei unseren Koalitionspartnern kein Zögern bei der Erhöhung des Bürgergelds, aber schon der schlichte Inflationsausgleich für Fach- und Führungskräfte sowie den Mittelstand wird bekämpft. Für mich ist das eine Frage der Leistungsgerechtigkeit. Denn auch diejenigen, die den Staat finanzieren, haben es verdient, dass man ihre Belastungsgrenze anerkennt.

Rheinische Post: Und der Kinderfreibetrag wird auch wie angekündigt rückwirkend zum 1. Januar erhöht?

Christian Lindner: Das gibt uns die Verfassung vor. Grundfreibetrag für Erwachsene und Kinderfreibetrag müssen beide rückwirkend erhöht werden. Es gab bereits eine Steuerentlastung zum 1. Januar, aber wegen des Bürgergelds ist ein Nachschlag nötig.

Rheinische Post: Im Bundeshaushalt 2025 beklagen einige Ministerien, dass sie stark sparen müssten, etwa das Entwicklungs-, das Außen- oder Familienministerium. Was haben Sie denen vorgegeben?

Christian Lindner: Das ist keine Neuigkeit, sondern nur der Finanzplan, den das Kabinett letztes Jahr beschlossen hat. Im Vergleich zur Zeit vor Corona wachsen die Ausgaben. Das ist gut in Bezug auf die Investitionen. Aber mich besorgt die Steigerung bei Zinsen und Sozialausgaben. Außerdem ist die wirtschaftliche Entwicklung nicht zufriedenstellend. Allen muss klar sein, dass wir nicht zusätzliche Staatsausgaben erfinden dürfen, sondern eine Wirtschaftswende organisieren müssen.

Rheinische Post: Man muss ja keine neuen Ausgaben erfinden, schon die jetzt vorgesehenen können ja kaum noch finanziert werden, zum Beispiel die Programme zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus.

Christian Lindner: Bei den Programmen der Grünen-Kollegin Lisa Paus ist das Motiv edel, aber Wirksamkeit und Transparenz der Mittelverwendung sollten auch dort fortwährend geprüft werden. Die Bürger interessieren sich für Ergebnisse. Die AfD bekämpfen wir am besten, indem wir die Probleme lösen, die sie groß gemacht haben. Die Grünen sollten zum Beispiel die Blockade der Bezahlkarte für Asylbewerber beenden. Die Bürger müssen erkennen, dass wir nicht mehr die Flüchtlingspolitik von Frau Merkel fortsetzen. Wir beenden die illegale Einwanderung in den Sozialstaat. Ganz generell, jetzt müssen Wirtschaftsförderung Priorität haben und die bessere Treffsicherheit des Sozialstaats. Manches muss dazu in Frage gestellt werden.

Rheinische Post: Muss beim Bürgergeld auch etwas in Frage gestellt werden?

Christian Lindner: Ja, wir sollten aus den Erfahrungen lernen. Das Bürgergeld benötigt ein Update. Es ist kein bedingungsloses Grundeinkommen. Wir müssen alles unternehmen, dass Menschen, die arbeiten können, auch tatsächlich arbeiten. Wir haben viele Stellschrauben – von der Frage der Zumutbarkeit angebotener Arbeit über Sanktionen bis hin zu Arbeitsgelegenheiten wie den Ein-Euro-Jobs. Die sind in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen, obwohl es dem allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl entspricht, dass eine Gegenleistung für Sozialhilfe verlangt wird. Und obwohl Ein-Euro-Job den Alltag strukturieren und eine Brücke in den regulären Arbeitsmarkt bilden.

Rheinische Post: Und bei der Rente?

Christian Lindner: Bei der Rente ist offensichtlich, dass wir die Lebensarbeitszeit verlängern müssen, idealerweise durch einen individuellen Renteneinstieg und finanzielle Anreize für längeres Arbeiten.

Rheinische Post: Warum haben Sie dem Rentenpaket zugestimmt, dass die Finanzierungslast für Beitragszahler erhöht?

Christian Lindner: Weil ich davon ausgehe, dass spätestens in der nächsten Wahlperiode des Bundestages die Reformfragen beantwortet werden, die jetzt noch nicht angegangen werden konnten. Die Beiträge würden sich in den 2030-er Jahren nur erhöhen, wenn wir nicht gegensteuern. Dazu gehören individueller Renteneintritt, Anreize für längeres Arbeiten statt Rente mit 63 und die Stärkung der Kapitaldeckung durch das Generationenkapital.

Rheinische Post: SPD und Grüne sehen den Ausweg aus finanziellen Engpässen in mehr neuen Schulden. Können Sie garantieren, dass es mit Ihnen als Finanzminister eine Reform der Schuldenbremse nicht geben wird?

Christian Lindner: In dieser Wahlperiode des Bundestages wird es keine Änderung des Grundgesetzes geben. Aber bei der nächsten Bundestagswahl wird die Zukunft der Schuldenbremse ein zentrales Thema sein. SPD und Grüne wollen mehr Schulden und höhere Steuern, weil sie Sozialreformen noch ablehnen und deshalb mehr Geld für neue Staatsausgaben brauchen. Die CDU hat keine klare Position. Ich bin dagegen überzeugt, dass uns steigende Staatsverschuldung mit ihrer Zinslast und höhere Steuern langfristig Wohlstand kosten. Investitionen können wir finanzieren, wenn wir die Wirtschaft in Schwung bringen und Menschen in Arbeit.

Rheinische Post: Auch die Wirtschaftsforschungsinstitute raten zur Reform der Schuldenbremse. Werden Sie als Bewahrer der Schuldenbremse nicht langsam einsam?

Christian Lindner: Im Gegenteil, die Forschungsinstitute haben gerade keinen aktuellen Handlungsbedarf ausgemacht. Sie haben behutsame Reformen vorgeschlagen, wenn unsere Schuldenquote unter 60 Prozent liegt. Durch die Pandemie ist sie aber auf 69 Prozent gestiegen. In meiner Amtszeit ist sie schon wieder auf 64 Prozent gesunken, aber erst 2028 sind wir auf dem Vor-Corona-Niveau. Erst dann hält Deutschland auch wieder die europäischen Fiskalregeln ein. Vorher macht diese Debatte keinen Sinn.

Rheinische Post: Wenn nicht die Schuldenbremse reformiert wird, könnte alternativ das Bundeswehr-Sondervermögen mit Krediten aufgestockt werden?

Christian Lindner: Nein, Schulden sind Schulden. Und steigende Zinsen kosten Geld, das wir nicht für Investitionen, Bildung oder Steuerentlastungen nutzen können. Meine Idee ist eine andere. Wenn wir 2028 die pandemiebedingte Steigerung der Schuldenquote überwunden haben, dann können wir die Tilgung der Corona-Kredite neu ordnen. Das bringt etwa neun Milliarden Euro zusätzlichen Spielraum jährlich, den wir für die Bundeswehr nutzen können. Noch drei Haushalte Disziplin zu halten lohnt sich also.

Rheinische Post: Was ist denn wirklich wichtig, um Deutschland wieder fitzumachen? Wie soll Ihre Wirtschaftswende aussehen?

Christian Lindner: Deutschland ist in den zehn Jahren von 2014 bis heute von Platz sechs der internationalen Wettbewerbsfähigkeit auf Platz 22 abgerutscht. Das hat nichts mit der Ampel oder dem Ukraine-Krieg zu tun. Über zehn Jahre lang wurde die Wirtschaft belastet, reguliert, gefesselt. Und es wurde zu wenig investiert, erneuert und befreit. Genau das muss die Wende sein: Den Fachkräftemangel bekämpfen, auch durch Fachkräfteeinwanderung und mehr Arbeitskräfte aus dem Bürgergeld heraus. Massiver Abbau von Standards und Dokumentationsverpflichtungen für Betriebe. Das Lieferkettengesetz zum Beispiel auf ein handhabbares Maß reduzieren. Den Klimaschutz marktwirtschaftlicher machen. Und wir brauchen ein wettbewerbsfähiges Steuersystem für die Wirtschaft.

Rheinische Post: Wie soll das aussehen?

Christian Lindner: Die Unternehmenssteuern müssen baldmöglichst von rund 30 Prozent effektiver Belastung runter Richtung 25 Prozent. Allerdings hat sich schon beim Wachstumschancengesetz gezeigt, dass auch die CDU-Länder zwar oft nach Entlastung rufen, aber die konkrete Bereitschaft dazu gering ist. Deshalb fällt der Solidaritätszuschlag ins Auge, der fast nur noch von der Wirtschaft gezahlt wird und über den der Bund allein entscheiden könnte.

Rheinische Post: Wie wollen Sie geringere Unternehmenssteuern finanzieren?

Christian Lindner: Mehr Menschen in Arbeit bringen, illegale Einwanderung unterbinden, Subventionen abbauen. Gerade beim Bürgergeld unterliegen Teile der politischen Linken einem Missverständnis. Das Bürgergeld wird von einer Mehrheit der Bevölkerung als ungerecht empfunden. Und zwar nicht, weil es zu niedrig ist, sondern weil es zu wenig Anreize zur Arbeitsaufnahme enthält. Es ist ein Beitrag zum sozialen Frieden, hier Fehlentwicklungen zu korrigieren.

Rheinische Post: Dann sind Sie sehr nah bei der Union, denn die will das Bürgergeld ja auch in Ihre Richtung reformieren.

Christian Lindner: Das höre ich hinter vorgehaltener Hand auch von Führungskräften der Sozialdemokratie. Also let’s do it.

Rheinische Post: Bis wann wollen Sie sich in der Ampel auf das Wirtschaftswende-Konzept einigen?

Christian Lindner: Die Maßnahmen zur Stärkung der Wirtschaft müssen in den Entwurf des Haushalts 2025 eingepasst werden. Für Anfang Juli planen wir diesen Kabinettsbeschluss.

Rheinische Post: Einigt man sich nicht bis Anfang Juli, zerbricht dann die Ampel?

Christian Lindner: Jeder weiß, dass die Regierung einen Haushaltsentwurf und ein Konzept zur Überwindung der Wirtschaftsschwäche benötigt. Deshalb gehe ich von konstruktiven Beratungen aus.