Navigation

zur Suche

Sie sind hier:

16.05.2024

Öffentliche Finanzen

Christian Lindner im Interview mit der Funke Mediengruppe

Der Bundesfinanzminister Christian Lindner im Interview: „Wir haben in unserem Staat kein Einnahmeproblem. Unser Problem betrifft die Ausgaben. Wir haben immer höhere Anforderungen an den Staat.“

  • Datum 16.05.2024

Funke Mediengruppe: Herr Lindner, Sie haben mit Arbeitsminister Heil ein neues Rentenpaket geschnürt. Ist die Rente damit sicher?

Christian Lindner: Damit die Rente langfristig für die Generation der Kinder und Enkel fair und bezahlbar ist, sind weitere Reformen nötig. Ich habe bereits bei der Vorstellung des Rentenpakets II gesagt, dass ein Rentenpaket III kommen muss. Wir erzielen dieses Jahr einen Durchbruch von einer durchaus historischen Bedeutung. Erstmals wird in der gesetzlichen Rentenversicherung eine Kapitaldeckung eingeführt. Wir legen Geld an den internationalen Kapitalmärkten an, um die zukünftige Beitragsentwicklung zu dämpfen. Aber weitere Maßnahmen sind notwendig, um im Interesse der jungen Generation eine Überlastung zu verhindern ...

Funke Mediengruppe: … nämlich?

Christian Lindner: In einem Rentenpaket III wird es unter anderem um Anreize für eine längere Lebensarbeitszeit gehen.

Funke Mediengruppe: Heißt für die Rente mit 63? Aus der FDP-Bundestagsfraktion kam der Vorschlag, sie nur noch Geringverdienern zu ermöglichen.

Christian Lindner: Es gibt viele Ansätze. Experten haben beispielsweise vorgeschlagen, gesundheitliche Probleme zur Voraussetzung zu machen. Jedenfalls müssen 22 Prozent Beiträge in den 2030er Jahren abgewendet werden. Aktuell möchte mich aber auf die jetzt anstehenden Entscheidungen konzentrieren.

Funke Mediengruppe: Und dieses Rentenpaket III kommt wann?

Christian Lindner: Baldmöglichst. Die Vorstellungen von FDP und SPD liegen weit auseinander. Ich vermute, dass wir mit dem Rentenpaket II weitgehend die Grenze dessen sehen, was in dieser Wahlperiode erreichbar ist.

Funke Mediengruppe: Sie haben das Rentenpaket II von der Tagesordnung des Kabinetts genommen. Wollen Sie die Rente mit 63 in Wahrheit doch schon jetzt kippen?

Christian Lindner: Nein, denn das Rentenpaket II regelt nicht alle anstehenden Fragen der Rentenpolitik. Es verbindet die Haltelinie beim Rentenniveau mit der Einführung des Generationenkapitals. Letzteres ist ein großer Erfolg im Interesse der jungen Generation. Die Kabinettsbefassung wurde nur verschoben, weil die Geldforderungen einzelner Ressorts für 2025 geradezu provokant waren. Aber auch die Steuerzahler verdienen Respekt, weil sie alles bezahlen müssen. Deren Interessen verteidige ich.

Funke Mediengruppe: Wann fällt der Beschluss?

Christian Lindner: Inzwischen hat der Kanzler intern und öffentlich bestätigt, dass die Finanzplanung für alle gilt. Das war mir wichtig. Das Kabinett kann das Rentenpaket II im Lauf des Mai beschließen. Die Debatte über die Zukunft der Rente wird damit aber nicht enden.

Funke Mediengruppe: Mit der Union könnten Sie schon jetzt eine Rentenreform durchsetzen, die eher Ihren Vorstellungen entspricht. Ist die FDP in der richtigen Koalition? 

Christian Lindner: Die Union verantwortet doch den Reformstau in der Rente mit. Jedenfalls geht es mir um die Sache, nicht um Koalitionsspielereien.

Funke Mediengruppe: Täuscht der Eindruck, dass die FDP einen Bruch der Ampel provozieren will?

Christian Lindner: Warum sprechen wir nicht darüber, was unser Land braucht? Wir haben erstens eine Wachstumsschwäche, die strukturelle Gründe hat. Deshalb arbeiten wir an einer Wirtschaftswende. Wir brauchen zweitens einen Staatshaushalt, der Bildung, Investitionen, Landesverteidigung und Wirtschaftskraft ins Zentrum rückt. Dafür müssen wir nicht die Schuldenbremse aufweichen, sondern von Umverteilung, Subventionen und Zinslast umsteuern. Wir haben den Mut, das auszusprechen, was ein ökonomischer Realismus fordert.

Funke Mediengruppe: Konkret?

Christian Lindner: 2014 war Deutschland Platz sechs in der Wettbewerbsfähigkeit. Dann sind wir über zehn Jahre zurückgefallen auf jetzt Platz 22. Diesen Prozess müssen wir umkehren. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das Wachstumschancengesetz und das Bürokratieabbaugesetz waren Bausteine der Wirtschaftswende. Aber die Lage erfordert mehr, als wir beim Beschluss des Koalitionsvertrags 2021 geplant hatten. Bürokratieabbau, Steuerlast, Energieversorgung und Arbeitsmarktpolitik müssen auf das Ziel Wachstum ausgerichtet werden.

Funke Mediengruppe: An diesem Donnerstag kommt die neue Steuerschätzung. Erleichtert sie einen Haushaltskompromiss?

Christian Lindner: Ich kann die Steuerschätzung nicht vorwegnehmen. Grundsätzlich gilt: Wir haben in unserem Staat kein Einnahmeproblem. Unser Problem betrifft die Ausgaben. Wir haben immer höhere Anforderungen an den Staat.

Funke Mediengruppe: Worauf wollen Sie hinaus?

Christian Lindner: Wir finanzieren international enorm viele Projekte, obwohl die harte Sicherheit unseres Landes und die Ertüchtigung der Bundeswehr Priorität haben müssten. Wir haben einen Sozialstaat, der leider zu wenig Anreize gibt zu arbeiten und eher erleichtert, angebotene Arbeit abzulehnen. Das wissen wir inzwischen sogar von Studien aus dem Umfeld der Bundesagentur für Arbeit. Dies zusammen nimmt uns die Spielräume, noch mehr zu investieren und die Bürgerinnen und Bürger noch mehr bei der Steuer zu entlasten. Hier möchte ich umsteuern.

Funke Mediengruppe: Was bedeutet das für das Bürgergeld?

Christian Lindner: Es geht darum, Menschen aus dem Bürgergeld in Arbeit zu bringen. Es ist eine Gerechtigkeitsfrage, dass Leute, die arbeiten können, es auch tun. Damit können wir den Arbeitskräftemangel bekämpfen und zugleich Milliarden Euro gewinnen. Bei der Vermittlung, der Zumutbarkeit von Jobs oder den Mitwirkungspflichten muss die Arbeitsmarktpolitik fordernder werden. Arbeitskräftemangel und die Subventionierung von Arbeitslosigkeit passen nicht zusammen.

Funke Mediengruppe: Wie wollen Sie eine Bundeswehr finanzieren, die kriegstüchtig werden will? 

Wir können ungeahnte Spielräume eröffnen, wenn wir unseren Sozialstaat treffsicher auf Bedürftige konzentrieren, wenn wir die internationale Politik fokussieren, wenn wir inzwischen ineffektive und unnötige Subventionen reduzieren. Außerdem sollten wir uns nicht immer mehr Zinsen aufhalsen, indem wir unkontrolliert Schulden machen.

Funke Mediengruppe: Eine Lockerung der Schuldenbremse, zumindest für Verteidigung, würde vieles einfacher machen.

Christian Lindner: Mit dem 100-Milliarden-Programm habe ich bewiesen, dass ich unorthodox denken und das Notwendige tun kann. Aber wir müssen den Sicherheitsbegriff erweitern. Auch die finanzielle Resilienz des Staates ist ein Faktor von Sicherheit. Wir können nicht über Jahrzehnte Schulden für die Bundeswehr machen, weil uns die Zinsen erdrücken würden.

Funke Mediengruppe: Sehen Sie Spielraum für Steuersenkungen im kommenden Jahr?

Christian Lindner: Die Spielräume müssen wir uns erarbeiten. 2021 haben wir mit dem Inflationsausgleichsgesetz dafür gesorgt, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler entlastet wurden. Allein dieses Jahr in Höhe von 15 Milliarden Euro. Bei der Lohn- und Einkommensteuer wird das 2025 und 2026 fortgesetzt werden. Die Gehaltserhöhung darf bei der arbeitenden Mitte nicht zu überproportional höheren Steuern führen. Kalte Progression wäre eine feige und unfaire Steuererhöhung, während auf der anderen Seite Sozialleistungen an die Inflation angepasst werden.

Funke Mediengruppe: Der Koalitionsvertrag sieht eine Reform der Steuerklassen vor. Wie weit sind Sie damit?

Christian Lindner: Zuallererst: Mit der Abschaffung der Steuerklassen III und V ist keine Mehrbelastung in irgendeiner Form verbunden. Es sind viele Musterrechnungen im Umlauf, mit denen Menschen Angst gemacht wird. Niemand wird weniger Netto haben. Das ist der große Unterschied zu der von den linken Parteien oft geforderten Abschaffung des Ehegattensplittings. Denn ohne Splitting würden Paare schlechter gestellt.

Funke Mediengruppe: Und was wird besser?

Christian Lindner: Bei den bisherigen Steuerklassen III und V hat derjenige Ehepartner mit dem geringeren Einkommen überproportional hohe Steuerlasten. Dadurch scheint sich die Ausweitung der Arbeitszeit aus der Teilzeit heraus weniger zu lohnen, weil der besserverdienende Ehepartner eine geringere Steuerlast hat. Bei der Steuerklasse IV mit dem sogenannten Faktorverfahren – die es heute schon freiwillig gibt, aber nun zur Regel werden soll - wird die Steuerlast auf beide Partner proportional verteilt. Das ist fairer. 

Funke Mediengruppe: Wann ist es soweit?

Christian Lindner: Im Jahressteuergesetz 2024 wird die Reform der Steuerklassen geregelt. Wir werden es in wenigen Wochen auf den Weg bringen, und es soll schnellstmöglich in Kraft treten.

Funke Mediengruppe: Schnellstmöglich bedeutet: Zum nächsten Jahreswechsel?

Christian Lindner: Das muss mit den Ländern diskutiert und entschieden werden, die für die Steuerverwaltung zuständig sind. Die Umstellung wird aber etwas Zeit brauchen.

Funke Mediengruppe: Dieses Wahljahr könnte für die FDP betrüblich werden – jetzt bei der Europawahl und im September in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Woran liegt das?

Christian Lindner: Abwarten. Die FDP steht jetzt vor der Europawahl in den Umfragen etwa da, wo sie vor der Europawahl 2019 stand. Mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann haben wir eine profilierte Persönlichkeit als Spitzenkandidatin, die überzeugt.

Funke Mediengruppe: Warum sollte Strack-Zimmermann den Unterschied machen?

Christian Lindner: Marie-Agnes steht für Freiheit und nicht für Bürokratismus wie Ursula von der Leyen. Wer Verbrennerverbot, Sanierungspflichten für Häuser, wirtschaftsfeindliche Regulierungen und Gemeinschaftsschulden ablehnt, kann nicht CDU wählen, sondern muss sein Kreuz bei der FDP machen. Wer andererseits Europa besser machen, aber nicht zerstören will, darf nicht AfD wählen. Denn die spielen mit dem deutschen Austritt. Das würde Deutschland ruinieren, wie der Brexit zeigt.

Funke Mediengruppe: Die AfD steht in den Umfragen immer noch stark da, trotz aller Skandale, Urteile und Demonstrationen. Bedrückt Sie das?

Christian Lindner: Es ist eine Herausforderung, diejenigen Probleme zu lösen, die einen Teil der Bürgerinnen und Bürger zur Wahl der AfD veranlassen. Viele Leute wählen die AfD aus Frust über ungeregelte Migration seit der Ära Merkel. Inzwischen gibt es aber auch dank dieser Regierung einen neuen Realismus in der europäischen Flüchtlingspolitik. In Deutschland haben wir auf meinen Vorschlag zum Beispiel das Asylbewerberleistungsgesetz so verändert, dass die Anziehungskraft unseres Sozialstaats reduziert wird.

Funke Mediengruppe: Worauf wollen Sie hinaus?

Christian Lindner: Man muss sich um die Wählerinnen und Wähler der AfD, die erreichbar sind, bemühen. Und zwar nicht nur mit dem moralischen Zeigefinger, sondern auch mit konkreten Lösungen. Ich empfehle nüchterne, sachliche Härte.

Funke Mediengruppe: Trägt die AfD eine Mitverantwortung für die jüngsten Angriffe auf Politiker?

Christian Lindner: Die AfD ist in den vergangenen Jahren ebenfalls Opfer und Objekt von Gewalt geworden. Es gibt insgesamt eine Verrohung, wo auch die Grenze zur Gewalt überschritten wird. Alle sind gefordert, sich dagegen zu wenden. Wer das heute nicht tut, kann morgen das nächste Opfer sein.

Funke Mediengruppe: Werden Sie selbst auch bedroht?

Christian Lindner: Nicht konkret. Meine Veranstaltungen, etwa an Universitäten, werden aber häufiger gestört. Früher haben linke Protestler wenigstens noch selbst das Mikro in die Hand genommen, ihre Argumente vorgebracht und auf meine reagiert. Das erlebe ich immer seltener. Heute wird nur gelärmt und blockiert, aber der Austausch von Argumenten abgelehnt.

Funke Mediengruppe: Das Oberverwaltungsgericht Münster hat gerade bestätigt, dass der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen darf. Warum zögern Sie, einen Verbotsantrag beim Verfassungsgericht zu stellen?

Christian Lindner: Die Hürden für das Verbot einer Partei sind sehr hoch. Am Ende des Tages sollte nicht durch eine Abweisung eines Verbotsantrags der AfD ein Persilschein ausgestellt werden. Die Auseinandersetzung mit dieser Partei muss nach meiner Überzeugung im demokratischen Wettbewerb erfolgen, damit sich die AfD nicht als Opfer inszenieren kann.

Funke Mediengruppe: Sehen Sie Möglichkeiten, die AfD von der staatlichen Parteienfinanzierung abzuschneiden?

Christian Lindner: Nein.

Funke Mediengruppe: Welches Ziel hat die FDP für die Bundestagswahl?

Christian Lindner: Unverändert: Wir streben das dritte Mal in Folge ein zweistelliges Wahlergebnis an.

Funke Mediengruppe: Sie sind erst 45 Jahre alt, aber gefühlt schon ewig in der Politik. Wie sehen Ihre Pläne für die nächsten Jahre aus?

Christian Lindner: Unverändert habe ich das Gefühl, dass ich gerade erst angefangen habe. Und die Ziele, die mir wichtig sind, werden ja drängender. Selbstverantwortung, Respekt vor Leistung und Eigentum sind doch eher in der Defensive. Unser Bildungssystem ist nicht so, dass alle gute Startchancen haben. Bei der Digitalisierung sind wir nicht führend. Dafür setze ich mich jeden Tag ein und werde nicht müde.

Funke Mediengruppe: Sie wollen also über 2025 hinaus FDP-Chef und Bundesfinanzminister bleiben?

Christian Lindner: Es ist offensichtlich, dass es im nächsten Bundestagswahlkampf um Freiheit, Generationengerechtigkeit, um die Entlastung der Bürger und um einen Staat geht, der den Menschen effektiv das Leben einfacher macht. Oder ob es zurück geht zu Schulden, Steuererhöhungen und mehr Bevormundung. Klar will ich weiter dafür kämpfen und mitarbeiten, dass unser Land freier, faire, digitaler und moderner wird.