- Datum 03.02.2025
Das Bundesfinanzministerium hat im September 2024 die Festschrift „75 Jahre Finanzen für unsere Demokratie – 75 Jahre Bundesministerium der Finanzen“ herausgegeben. In dieser berichten u. a. in bisher unveröffentlichten Interviews herausragende Zeitzeugen von ihrer Amtszeit. Darunter ist auch das Interview mit Prof. Dr. Horst Köhler zu finden.
Horst Köhler begleitete im Bundesfinanzministerium von 1987 bis 1990 als Abteilungsleiter und von 1990 bis 1993 als Staatssekretär zentrale volkswirtschaftliche und währungspolitische Grundsatzentscheidungen, etwa die Verhandlungen im Zuge der deutschen Wiedervereinigung und zum Maastricht-Vertrag. Im Jahr 2000 wurde er zum Geschäftsführenden Direktor des IWF ernannt, bevor er 2004 das Amt des Bundespräsidenten übernahm.

Überwiegend sehr gute. Ich erlebte dort in einer Zeit großer Herausforderungen von der ganzen Mannschaft immense Fachkompetenz und persönliche Einsatzbereitschaft. Das betraf sowohl den reibungslosen Übergang in der Leitung des Ministeriums 1982 von Manfred Lahnstein (SPD) zu Gerhard Stoltenberg (CDU) als auch die Verhandlungen zur deutschen Wiedervereinigung einschließlich des Abzugs der Sowjettruppen und zum Maastrichter Vertrag, also der Schaffung einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion unter Theo Waigel (CSU).
Ich bin dankbar, dass ich damals mitmachen durfte, weiß aber auch, wie fordernd die damalige Zeit für alle Beteiligten war. Da musste bisweilen fast rund um die Uhr gearbeitet werden – aber alle zogen mit. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums erwiesen sich im besten Sinne als gute Diener des Staates.
Sie haben die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion Deutschlands maßgeblich verhandelt und vorangetrieben. Wie hat sich das angebahnt?
Bundeskanzler Helmut Kohl und Ministerpräsident Hans Modrow hatten sich bei ihrem Treffen am 13. und 14. Februar 1990 in Bonn darauf geeinigt, eine Kommission einzusetzen, um die Machbarkeit einer deutschen Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zu prüfen. Für die Bundesregierung war ich der Vorsitzende dieser Kommission, für die DDR-Regierung war das Finanzminister Walter Romberg. Auf beiden Seiten waren die Notenbankpräsidenten und Vertreter der jeweiligen Wirtschafts- und Finanzministerien beteiligt. Wir übergaben den beiden Regierungen unseren Bericht im März 1990. Er hatte zum Ergebnis, dass beide Seiten eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion für wünschenswert und machbar hielten. Bereits am 23. April 1990 erfolgte das offizielle Angebot der Bundesregierung an die DDR über eine Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion.
Auch mit der Sowjetunion haben Sie ja Verhandlungen geführt. Es gibt ein Bild von Ihnen und tanzenden Menschen am Baikalsee – wie kam das zustande?
Das Foto stammt von einem Aufenthalt am Baikalsee im Juli 1993. Dort wurde ich Zeuge einer Präsentation örtlicher Musik- und Tanztraditionen.
Eine der russischen Frauen aus der Folkloregruppe forderte mich zum Tanz auf. Ich ging darauf ein und machte mit großem Vergnügen mit. Das war aber die einzige Tanzveranstaltung meiner damaligen Aufenthalte in der Sowjetunion, die ansonsten von jeder Menge Arbeit geprägt waren. In Moskau saß ich 1990 mehrere Male dem damaligen stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats der Sowjetunion Stepan Sitaryan und dem Minister für Auswärtige Wirtschaftsbeziehungen Konstantin Katuschew gegenüber, um den sojwetischen Truppenabzug aus dem Gebiet der DDR zu verhandeln. Hinter den beiden Regierungsvertretern saßen etwa zwei Dutzend hochdekorierte Militärs. In der zweiten Verhandlungsrunde brachte ich auch meine Idee für ein Wohnungsbauprogramm in der Sowjetunion für die abziehenden Soldaten mit ihren Familien ein. Während Sitaryan und Katuschew darauf nicht sofort reagierten, sprach mich in der Verhandlungspause ein ranghoher sowjetischer Offizier an und fragte, ob ich es ernst meine mit dem Wohnungsprogramm. Ich sagte: „Sehr ernst!“ Der Offizier schaute mich etwas ungläubig an, sagte dann aber: „Sie haben ehrliche Augen.“ Und ging weg. Ich glaube, dass das Wohnungsbauprogramm ein Schlüssel für den reibungslosen Abzug der Sowjettruppen war.

Zeigte sich darin auch eine Form des Respekts?
Ja. Für mich bedeutete gerade auch das Wohnungsbauprogramm ein Zeichen des Respekts und der Humanität gegenüber der Roten Armee, die unter großen Verlusten mitgeholfen hatte, Deutschland vom Nationalsozialismus zu befreien. Die gegenseitige Achtung unserer Völker bleibt wichtig, auch wenn wir heute Wladimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilen und dazu beitragen müssen, dass Putin diesen Krieg nicht gewinnen kann. Aber dabei darf der Grundrespekt, die Achtung vor dem russischen Volk, nicht verloren gehen.
Fast zeitgleich zur Wiedervereinigung Deutschlands liefen auch die Verhandlungen zum Maastricht-Vertrag und zur Einleitung der europäischen Währungsunion …
Ja, und das war natürlich mit einer außergewöhnlichen Arbeitsbelastung verbunden. Ich habe sogar darauf bestanden, dass wir in die Verhandlungen zum Maastrichter Vertrag einen eigenen deutschen Vertragsentwurf einbringen. Kommissionspräsident Jacques Delors war darüber not amused. Doch mir war wichtig, dass die gemeinsam angestrebte Wirtschafts- und Währungsunion eine wirkliche Stabilitätsgemeinschaft werden konnte.
Sie haben mit zwei so unterschiedlichen Ministern wie Gerhard Stoltenberg und Theo Waigel zusammengearbeitet. Wie haben die jeweiligen Minister das Haus geprägt?
Beide Minister waren sich ihrer besonderen Verantwortung für Wachstum und Stabilität in Deutschland sehr bewusst. Stoltenberg musste den Weg zurück zu soliden Bundesfinanzen finden. Das ist ihm gelungen. Zugleich hat er damit eine wichtige Voraussetzung für Waigel geschaffen, die Herkulesaufgabe der Finanzierung der deutschen Wiedervereinigung zu meistern.
Theo Waigel hatte durch seine sehr menschliche, lebensfrohe und offene Art großes Geschick, schwierige Spannungsphasen zu überbrücken und Verhärtungen zu vermeiden. Ich erinnere mich an eine Sitzung des Europäischen Rates 1992 unter dem Vorsitz des britischen Schatzkanzlers Norman Lamont, bei der die anderen Teilnehmer, allen voran die Italiener, die Franzosen und die Engländer, auf die Deutsche Bundesbank einredeten – fast einprügelten –, weil sie wollten, dass die Bundesbank die Zinsen senkt. Irgendwann wurde es Bundesbankpräsident Helmut Schlesinger zu viel. Er stand auf und wollte gehen. Da hat Theo Waigel ihn buchstäblich festgehalten. Mit einer guten Portion Humor verstand er es, in der angespannten Situation für Heiterkeit zu sorgen und Schlesinger zum Bleiben zu bewegen. Die Frage, wie man auf Spannungen reagiert, die in ernsthaften politischen Prozessen unweigerlich entstehen, ist nicht unwichtig für politische Ausgänge und Erfolge oder Misserfolge.