Der Stabilitätsrat hat am 28. April 2022 unter dem Vorsitz der Ministerin der Finanzen des Landes Rheinland-Pfalz, Doris Ahnen, und des Bundesministers der Finanzen, Christian Lindner, getagt.
Die öffentlichen Haushalte stehen kurz- und mittelfristig vor immensen Herausforderungen: Neben den anhaltenden Auswirkungen der Pandemie ergeben sich aus dem völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine diverse neue Belastungen. Diese sind hinsichtlich ihres Ausmaßes aktuell noch kaum abschätzbar. Hierzu gehören die Notwendigkeit, die Bundeswehr zu stärken, die Sicherung der Energieversorgung und die Abfederung der Folgen steigender Energiepreise bis hin zur Finanzierung der Kosten für Geflüchtete. Die Projektion über die Entwicklung der öffentlichen Haushalte ist daher ebenso wie die Projektion über die weitere Entwicklung der Gesamtwirtschaft mit großen Unsicherheiten behaftet.
In der Gesamtschau ist der Stabilitätsrat der Ansicht, dass für das Jahr 2022 je nach landesspezifischen Gegebenheiten weiterhin eine außergewöhnliche Notsituation bzw. Naturkatastrophe im Sinne von Artikel 109 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes festgestellt werden kann.
Der Stabilitätsrat unterstreicht – bei aller Dringlichkeit, angesichts der aktuellen Krisensituationen staatlich zu handeln – die Notwendigkeit, die Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte zu bewahren.
„Gerade weil wir immer wieder auf aktuelle Krisen adäquat, solidarisch und sozial reagieren müssen, ist eine vorausschauende stabilitätsorientierte Finanzpolitik, die uns das ermöglicht, ein hohes Gut. Dazu gehört auch, die öffentlichen Investitionen in Wissenschaft, Bildung und Klimaschutz in der aktuellen Krisenlage nicht zu vernachlässigen.“
Finanzministerin des Landes Rheinland-Pfalz, Doris Ahnen
„Haushaltspolitische Stabilität bleibt die zentrale Richtschnur unserer Politik. Es ist wichtig und richtig, dass wir Maßnahmen ergreifen, um die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zu bewältigen. Auch die Folgen der Corona-Pandemie schlagen sich nach wie vor im Bundeshaushalt nieder. Gleichzeitig müssen wir aber auch darauf achten, dass unser Staat handlungs- und gestaltungsfähig bleibt. Langfristige Stabilität und die Einhaltung der Schuldenbremse sind eine Verpflichtung, die uns nicht zuletzt das Grundgesetz auferlegt. Wir werden nicht umhinkommen, anstehende Maßnahmen stärker zu priorisieren. Gerade in diesen herausfordernden Zeiten brauchen wir daher einen Stabilitätsrat, der die Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte im Blick behält. Die Stellungnahme des Stabilitätsrats betrachte ich als Bestärkung meines Ziels, die Konsolidierung des Haushalts und die Rückkehr zu nachhaltig stabiler Staatsfinanzierung umgehend anzugehen.“
Bundesminister der Finanzen, Christian Lindner
„Wir blicken weiter in eine ungewisse Zukunft, die uns eine Minderung der Staatseinnahmen und eine weitere Belastung der öffentlichen Haushalte bringen kann. Preissteigerungen werden zu einer starken Herausforderung der unteren und mittleren Einkommen. Deshalb ist gerade jetzt eine solide Finanzpolitik mit Begrenzung der Ausgaben gefragt, die uns für die kommenden Aufgaben vorbereitet; sie ist auch ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der Inflation.“
Finanzminister des Landes Niedersachsen, Reinhold Hilbers
Unter Zugrundelegung der Jahresprojektion zur Gesamtwirtschaft könnte der Staatshaushalt im laufenden Jahr mit einem strukturellen Finanzierungsdefizit von 3 ½ % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) abschließen. Nach Einschätzung des Stabilitätsrates wird sich das Defizit in den Folgejahren abbauen, so dass Deutschland im Jahr 2026 die strukturelle Defizitobergrenze von maximal 0,5 % des BIP wieder einhält.
Der Stabilitätsrat erwartet, dass in den Jahren 2022 bis 2025 die europäische Obergrenze des strukturellen gesamtstaatlichen Finanzierungsdefizits überschritten wird. Dies ist im Jahr 2022 zulässig, weil die Ausweichklausel des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes auch in diesem Jahr aktiviert bleibt.
In den Jahren 2023 bis 2026 wird das strukturelle Defizit des Staatshaushaltes bis zum Erreichen des europäischen mittelfristigen Haushaltsziels schrittweise zurückgeführt. Auf Basis der haushaltspolitischen Leitlinien der Europäischen Kommission für das Jahr 2023 vertritt der Stabilitätsrat die Auffassung, dass die Überschreitung der Obergrenze des strukturellen gesamtstaatlichen Finanzierungsdefizits bis 2025 ebenfalls zulässig ist. Die europäischen Leitlinien umfassen u. a. eine schrittweise Haushaltsanpassung zum Abbau hoher öffentlicher Schulden ab dem Jahr 2023 sowie die Beibehaltung hochwertiger öffentlicher Investitionen. Dieser Richtschnur folgen auch die Haushaltsplanungen von Bund und Ländern.
Der Beirat des Stabilitätsrates teilt die Einschätzung, dass die Finanzprojektion insbesondere angesichts der nicht abschätzbaren weiteren Entwicklung des Kriegs in der Ukraine und seiner Auswirkungen mit sehr hoher Unsicherheit behaftet ist. Vor diesem Hintergrund hält er es für nicht notwendig, Maßnahmen zu ergreifen, um den jährlichen Schuldenabbau zu verstärken.
Der Stabilitätsrat hat sich zudem im Rahmen der Haushaltsüberwachung zur Vermeidung drohender Haushaltsnotlagen mit der Prüfung, ob in Bremen eine Haushaltsnotlage droht, befasst. Auf Vorschlag des eingesetzten Evaluationsausschusses wird die Prüfung nach Vorliegen der Werte der regelmäßigen Haushaltsüberwachung im Herbst fortgesetzt.
Die Beschlüsse und die Beratungsunterlagen werden veröffentlicht unter: www.stabilitaetsrat.de.