- Datum 17.11.2023
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Bundesverfassungsgericht hat sich erstmals umfassend zu Ausnahmen von der Schuldenbremse, insbesondere auch im Zusammenhang mit der Nutzung von Sondervermögen, befasst. Zuvor gab es unterschiedliche Einschätzungen und Interpretationen. Bis heute wird in den Ländern unterschiedlich mit der Schuldenbremse gearbeitet. Die Praxis unterscheidet sich. Das Bundesverfassungsgericht hat nun neue Klarheit geschaffen, und alle Unterstützerinnen und Unterstützer der Schuldenbremse müssen dies begrüßen.
Die Bundesregierung hat sich stets zur Schuldenbremse bekannt – für manche gar zu sehr. Mit dem zweiten Nachtrag zum Haushalt 2021 bestand die Absicht, nicht genutzte Kreditermächtigungen einzusetzen, um pandemiebedingt ausgefallene Investitionen nachzuholen. Auf dieses Vorgehen hatten sich die die Koalition bildenden Parteien bereits vor der Regierungsbildung verständigt. Auch die Vorgängerregierung hat eine ähnliche Vorgehensweise verschiedentlich eingesetzt – darauf ist hingewiesen worden –, etwa beim Aufbauhilfefonds oder beim Digitalfonds.
Das Gesetz über den zweiten Nachtrag 2021 hat das Bundesverfassungsgericht nun verworfen. Deshalb hat die Bundesregierung sofort die offensichtlichen Konsequenzen gezogen: Erstens. Die 60 Milliarden Euro Nettokreditermächtigungen im Klima- und Transformationsfonds werden gelöscht. Zweitens. Ich habe nach § 41 der Bundeshaushaltsordnung eine Sperre für den KTF entschieden, damit zusätzliche Ausgabebelastungen für die Zukunft ausgeschlossen werden. Und: Wir werden einen neuen Wirtschaftsplan für den Klima- und Transformationsfonds vorlegen, der die Vorgaben aus Karlsruhe berücksichtigt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, beklagt wurde der KTF, geurteilt wurde möglicherweise über die Staatspraxis. Dies kann Auswirkungen auf die Haushaltspolitik in Bund und Ländern generell haben. Deshalb wertet die Bundesregierung das Urteil zur Stunde sorgfältig aus. Es ist zu früh, bereits jetzt eine Debatte über grundlegende Konsequenzen zu führen. Beispielsweise gibt es ja jetzt schon eine Diskussion darüber, ob die Schuldenbremse nicht generell aufgehoben, ob sie nicht generell gelockert werden soll. Nicht nur die Linkspartei sagt das, auch etwa der heutige Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages hat vor der Bundestagswahl, noch als Kanzleramtsminister, einen Gastbeitrag veröffentlicht, wo er die Schuldenbremse, wie wir sie kennen, aufweichen wollte. Die Bundesregierung sieht es anders. Wir wollen die neu gewonnene Rechtsklarheit nicht nutzen, um die Schuldenbremse zu schwächen, sondern um sie zu stärken.
Dann wird über Steuererhöhungen gesprochen: hier von der Linken, aber auch in den Medien. Und auch in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gab es ja ein Liebäugeln mit Steuererhöhungen. Das ist wie die immer gleiche Lösung auf der Suche nach einem Problem. Tatsächlich hat dieser Staat kein Einnahmeproblem. Unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit steht infrage. Ein Höchststeuerland, das seine steuerliche Belastung weiter anhebt, würde nicht nur den wirtschaftlichen Aufschwung gefährden, sondern auch massiv Investitionen verhindern, beispielsweise in neue Technologien, die wir benötigen.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bekennt sich die Bundesregierung zu den Leitplanken ihres Handelns: einerseits zur Einhaltung der Schuldenbremse, bei der wir neue Rechtsklarheit haben, andererseits zum Verzicht auf Steuererhöhungen. Die Themen dieser Sitzungswoche im Deutschen Bundestag – die Stichworte sind „Wachstumschancengesetz“ und „Zukunftsfinanzierungsgesetz“ – belegen das ja auch.
Gleichwohl hat das Urteil Konsequenzen, auch in der längerfristigen Perspektive für den Bundeshaushalt. Es fehlt nicht an der Einsicht, sondern es fehlt an den Taten, und die werden wir jetzt gemeinsam vorbereiten. Es läuft darauf hinaus, dass wir eine Praxis, die in Deutschland seit vielen Jahren besteht, verändern. Es ist ja seit vielen Jahren so, dass die Haushalte immer weiter steigen und dass immer neue Staatsaufgaben und Staatsausgaben beschlossen werden. Und nun kommen wir an einen Wendepunkt: Wir werden mit weniger Geld wirksamere Politik machen müssen als im vergangenen Jahrzehnt.
Wir haben kein Einnahmeproblem, sondern wir haben schon seit vielen Jahren ein Problem damit, Prioritäten zu setzen. Wir haben uns zu klaren Prioritäten bekannt: Wir wollen eine Industrienation bleiben, die aber klimaneutral wirtschaften will. Wir wollen Aufstiegschancen durch Bildung stärken und soziale Sicherheit auch nach Schicksalsschlägen garantieren. Wir wollen eine leistungsfähige Infrastruktur und wollen die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes stärken. All das ist möglich bei den bestehenden Einnahmen, ohne Flucht in neue Schulden oder höhere Steuern, wenn wir die Prioritäten klären. Insofern kann dieses Urteil nur eine Chance sein.