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15.07.2001

Stellungnahme: Internationale Kapitaleinkommensbesteuerung

Während der vergangenen Jahrzehnte ist die Weltwirtschaft in den Genuß einer erheblich verstärkten Integration gekommen. Die Vorteile der viel zitierten Globalisierung sind unbestreitbar. Sie bestehen in einer effizienteren Verteilung und Nutzung der Produktionsfaktoren und in damit verbundenen Wohlstandsgewinnen, aber auch darin, daß sich die Konsum- und Erwerbsmöglichkeiten der Bürger wesentlich erhöht haben: Der Kauf ausländischer Produkte oder Finanzanlagen, Urlaub in fernen Ländern, ja sogar die Möglichkeit zur Aufnahme einer Arbeit im Ausland gelten weithin als fast selbstverständliche Freiheiten.

Die Globalisierung hat freilich auch eine Kehrseite, indem sie neue Probleme schafft oder vorhandene Probleme verstärkt. Dies gilt namentlich auf dem Gebiet der Steuerpolitik. Fast alle historisch gewachsenen Steuersysteme wurden für Volkswirtschaften mit vergleichsweise geringer außenwirtschaftlicher Verflechtung entwickelt und können den Herausforderungen der neuen Zeit kaum standhalten. Erscheinungen, die früher als fiskalisch belanglose Ausnahmefälle galten und nur einen kleinen Expertenkreis interessierten - wie ausländische Betriebsstätten, multinationale Konzerne, internationale virtuelle Märkte oder Grenzpendler - gewinnen unverkennbar an Bedeutung, und es ist nicht erstaunlich, daß seit einiger Zeit auch die Medien zu verdeutlichen suchen, was auf dem Gebiet der internationalen Besteuerung eigentlich vorgeht.

Nicht zuletzt das öffentliche Interesse an Problemen der internationalen Besteuerung illustriert den wachsenden Problemdruck. Dieser wird künftig wohl weiter zunehmen. Hierfür spricht zunächst die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung zum 1. Januar 1999. Der Wegfall des Wechselkursrisikos zwischen den Teilnehmerstaaten wird Unternehmen und Privatpersonen zu grenzüberschreitenden Tätigkeiten ermutigen, die über das bisherige Maß hinausgehen. Eine weitere Herausforderung liegt in der stürmischen Entwicklung der elektronischen Medien, die nicht bloß eine Senkung der Kosten grenzüberschreitender Kommunikation bedeutet, sondern in Ansätzen schon zur Herausbildung neuartiger Wirtschaftsformen geführt hat. Für Umsätze auf virtuellen (Internet-) Märkten hat die traditionelle Steuergesetzgebung bisher kaum Rezepte parat. Schließlich wird die Mobilität von Unternehmen und Personen aufgrund der allgemeinen Öffnung der Grenzen auch in naher Zukunft weiter zunehmen.

Der Beirat nimmt diese Beobachtungen zum Anlaß für eine grundsätzliche Erörterung der internationalen Kapitaleinkommensbesteuerung. Das vorliegende Gutachten behandelt damit nur einen Ausschnitt des komplexen Gesamtproblems, nämlich die Besteuerung des Produktionsfaktors Kapital, der als der international mobilste gilt und dessen steuerliche Erfassung die größten Schwierigkeiten bereitet. Unter "Kapitaleinkommen" werden in Anlehnung an den internationalen Sprachgebrauch (capital income) Einkommensbestandteile verstanden, die nicht aus unselbständiger Arbeit (earned income) stammen. Hierzu gehören Zinsen und Dividenden, aber auch Lizenzgebühren, Mieten und Pachten sowie unternehmerische Reingewinne. Reingewinn ist jener Teil des Kapitaleinkommens, der nach Abzug der Kosten für die eigene Arbeitskraft und das eingesetzte Eigenkapital verbleibt [2].

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[1] Die Zuordnung der Kosten für die eigene Arbeitskraft ist in der Literatur nicht eindeutig geregelt; diese Kosten können zum Arbeitseinkommen oder zum Kapitaleinkommen gehören.

[2] Das Gutachten wurde am 12. 12. 1998 beschlossen. Die zu diesem Zeitpunkt in der Diskussion befindlichen Rechtsänderungen ab dem Jahr 1999 wurden nicht im einzelnen berücksichtigt.