Der Pakt wurde 1997 geschlossen, um solide öffentliche Finanzen zu garantieren. Solide Finanzen sind eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Im Maastricht-Vertrag von 1992 wurden die sogenannten Konvergenzkriterien für den Beitritt zur Währungsunion festgelegt, die ein stabiles Preisniveau, stabile langfristige Zinssätze und Wechselkurse, aber auch Obergrenzen für die Gesamt- und Neuverschuldung der Mitgliedstaaten der EU sicherstellen sollten. Für die Finanzpolitik wurden dann die Obergrenze des Schuldenstands mit 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sowie ein maximales Defizit von 3 Prozent des BIP dauerhaft festgeschrieben.
Bisherige Reformen des Stabilitäts- und Wachstumspakts
Bei einer Reform der Vorschriften im Jahr 2005 wurde mit der Vorgabe strukturell ausgeglichener Haushalte das finanzpolitische Grundproblem angegangen, dass in wirtschaftlich „guten Zeiten“ finanzpolitische Fehler begangen werden, die in „schlechteren Zeiten“ unbeherrschbar werden. Aber es gab keine wirksame Sanktionierung der Regeln. Mit der Staatsschuldenkrise einiger Euroländer wurden Schwachstellen der WWU offensichtlich. Um diese zu beheben, haben die Mitgliedstaaten unter anderem den SWP 2011 umfassend reformiert. Das im Dezember 2011 in Kraft getretene neue Regelwerk soll sicherstellen, dass mehr Haushaltsdisziplin nicht nur gefordert, sondern auch tatsächlich durchgesetzt wird. Dazu wurden die Bestimmungen des Pakts an mehreren Stellen grundlegend geändert und deutlich verschärft:
- Um das Entstehen zu hoher Schuldenstandsquoten von vornherein zu vermeiden, sollen die EU-Mitgliedstaaten ihre Neuverschuldung stark reduzieren. Anstatt des bisher starken Fokus auf ein maximales Defizits von 3 Prozent des BIP, wird jetzt – wie bei der deutschen Schuldenbremse – das mittelfristige Ziel eines im Grundsatz strukturell ausgeglichenen Haushalts verstärkt als Zielwert in den Vordergrund gestellt und seine Einhaltung mit wirksamen Sanktionen versehen.
- Es wird erstmals ein Abbaupfad der Schuldenstandsquote auf 60 Prozent des BIP vorgeschrieben. EU-Länder, deren Schuldenstandsquote höher liegt, müssen jährlich ein Zwanzigstel der Differenz zwischen ihrer Schuldenstandsquote und der 60 Prozent-Marke abbauen.
- Für die Länder des Euroraums unterliegt sowohl die Rückführung der Defizit- als auch der Schuldenquote nun einem abgestuften und weitgehend automatisierten Sanktionsverfahren. Hierfür wurde ein neues Abstimmungsverfahren eingeführt: Ein von der Kommission empfohlener Sanktionsbeschluss gilt als angenommen, wenn dieser nicht mit qualifizierter Mehrheit im Rat (in Zusammensetzung der Eurozone) widerrufen wird.
- Nationale Haushaltsregeln in den EU-Ländern müssen bestimmte Mindeststandards erfüllen, um Transparenz und Vergleichbarkeit zu gewährleisten.
- Betrug und Täuschung beim Erstellen von Statistiken in Bezug auf Defizite und Schulden werden künftig hart sanktioniert: Die Unabhängigkeit und die Standardisierung der Datenerfassung wird gestärkt und von der europäischen Statistikbehörde strenger überwacht. Verfälschte Statistiken werden mit Geldstrafen geahndet.
Der Rahmen für die haushalts- und wirtschaftspolitische Überwachung wird turnusgemäß alle fünf Jahre überprüft. Der am Jahresanfang 2020 initiierte Überprüfungsprozess wurde pandemiebedingt verschoben und im Oktober 2021 wieder aufgenommen.
Verfahren der haushaltspolitischen Überwachung
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt verfügt über eine präventive und eine korrektive Komponente:
Gemäß den Bestimmungen der präventiven Komponente müssen die Mitgliedstaaten jährliche Stabilitäts- beziehungsweise Konvergenzprogramme vorlegen, die darlegen, wie sie mittelfristig einen strukturell ausgeglichenen oder nahezu ausgeglichenen Haushalt zu erreichen oder zu sichern beabsichtigen. Die Kommission und der Rat überprüfen, ob die nationalen Programme umgesetzt und die Mittelfristziele erreicht werden.
Im Fall einer erheblichen Abweichung von einer soliden Haushaltspolitik kann der Rat Abhilfemaßnahmen empfehlen. Ergreift der betroffene Mitgliedstaat keine wirksamen Maßnahmen innerhalb der gesetzten Frist, können Sanktionen verhängt werden.
Die korrektive Komponente des Pakts umfasst das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit. Dieses Verfahren wird eingeleitet, wenn ein Mitgliedstaat die im Vertrag verankerte Haushaltsdefizitgrenze von 3 Prozent des BIP überschreitet oder seinen über die Marke von 60 Prozent des BIP hinausgehenden Schuldenstand unzureichend abbaut.
Kommt der Rat zu dem Schluss, dass das Defizit im Sinne des Vertrags übermäßig oder der Rückgang der Schuldenquote unzureichend ist, empfiehlt er den betroffenen Mitgliedstaaten Korrekturmaßnahmen und setzt ihnen eine Frist für die Umsetzung. Seit der Reform von 2011 werden die Mitgliedstaaten der Eurozone nicht erst am Ende des mehrstufigen Defizitverfahrens, sondern bereits bei dessen Eröffnung mit finanziellen Sanktionen in Form einer Einlage belegt. Bei Nichteinhaltung der Empfehlungen innerhalb der gesetzten Frist werden die nächsten Schritte im Rahmen der Verfahren eingeleitet. Darin eingeschlossen ist die Möglichkeit weiterer Sanktionen in Form einer Geldbuße.