Eine breitere Sicht auf das Finanzsystem
Durch die globale Finanzkrise 2007/2008 wurde deutlich, dass der Ausfall eines einzelnen Finanzinstituts nicht nur Konsequenzen für das Institut selbst hat, sondern die Stabilität des gesamten Finanzsystems negativ beeinflussen kann. Und selbst wenn Risiken auf Einzelinstitutsebene adäquat überwacht werden, können gleichgerichtete Risiken auf Makroebene die Finanzstabilität gefährden. Daher hat sich der Fokus der Finanzmarktpolitik seit der Krise geweitet: Sie betrachtet nun einerseits einzelne Institute intensiver (vor allem große, stark vernetzte Institute, mit „Systemrelevanz“). Sie verfolgt andererseits auch das Ziel, Risiken zu identifizieren und entgegenzuwirken, die die Finanzstabilität gefährden könnten. Finanzstabilität besteht, wenn das Finanzsystem seine Funktionen jederzeit reibungslos erfüllen kann, auch in Stressphasen.
Um das Finanzsystem als Ganzes besser im Blick zu behalten, wurde Anfang 2013 der Ausschuss für Finanzstabilität (AFS) beim Bundesministerium der Finanzen eingerichtet. Ziel ist es, die makroprudenzielle Aufsicht zu stärken (d. h. die Aufsicht über das gesamte Finanzsystem) und enger mit der mikroprudenziellen (d. h. der institutsspezifischen) Aufsicht zu verzahnen. Um makroprudenzielle Risiken zu adressieren, gibt es verschiedene Instrumente, die unter bestimmten Risikokonstellationen aktiviert werden können. Dazu zählen u. a. Maßnahmen zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit und zur Begrenzung von systemischen Risiken des Finanzsystems wie z. B. die Puffer für systemrelevante Institute (G-SRI, A-SRI), Puffer für zyklische Risiken (Antizyklischer Kapitalpuffer) oder strukturelle Risiken (Systemrisikopuffer). Genaue Informationen zu den verfügbaren makroprudenziellen Instrumenten finden Sie auf der Webseite des Ausschusses für Finanzstabilität.
Berücksichtigung von Risiken im Immobiliensektor
Nicht zuletzt in der globalen Finanzkrise hat sich gezeigt, dass die exzessive Kreditvergabe am Immobilienmarkt der Ausgangspunkt von besonders schweren, gesamtwirtschaftlichen Rezessionen sein kann. Daher sind auch Risiken aus dem Wohnimmobiliensektor für die Finanzstabilität im Fokus. Um bei einer akuten Gefährdung der Finanzstabilität entgegenwirken zu können, hat der AFS 2015 neue Befugnisse für die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) empfohlen. Mit dem Inkrafttreten des Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetzes im Juni 2017 stehen der BaFin Instrumente zur Verfügung, mit denen bei einer Gefährdung der Finanzstabilität Vergabestandards im Neugeschäft für Darlehen zum Bau und Erwerb von Wohnimmobilien festgelegt werden können. Damit soll ein Aufbau von Risiken für die Finanzstabilität ausgehend von Entwicklungen am Immobilienmarkt wirksam und zielgenau begrenzt werden.
Systemrelevante Banken
Wenn eine Bank in eine finanzielle Schieflage gerät, kann eine große Vernetzung zwischen den Instituten erhebliche Ansteckungsgefahren hervorrufen. Daher stehen für die Systemstabilität besonders systemrelevante Banken im Fokus. Deshalb wurden Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Widerstandsfähigkeit besonders für systemrelevante Banken zu stärken. Auf globaler Ebene haben die G20-Staaten aktuell 29 global systemrelevante Banken identifiziert, für die besonders hohe Eigenkapitalanforderungen gelten sollen. Diese Liste systemrelevanter Banken wird regelmäßig, zuletzt im November 2024, aktualisiert. Auf nationaler Ebene identifiziert die BaFin im Einvernehmen mit der Deutschen Bundesbank national systemrelevante Banken, für die sie dann über den allgemein geltenden Kapitalanforderungen Kapitalzuschläge festlegen kann.
Ausbau von Kapitalanforderungen
Institute müssen nach der EU-Kapitaladäquanzverordnung (CRR) grundsätzlich eine Gesamtkapitalquote von mindestens acht Prozent erfüllen (Säule 1-Anforderungen). Diese setzt sich aus der Summe von Kernkapital (hartes Kernkapital und zusätzliches Kernkapital) und Ergänzungskapital zusammen. Zusätzlich gelten bankspezifische Kapitalanforderungen (Säule 2-Anforderungen), die im Rahmen des jährlichen aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozesses von der zuständigen Aufsichtsbehörde festgelegt werden. Darüber hinaus kann sie den national systemrelevanten Banken auch Kapitalzuschläge über die allgemein geltenden Kapitalanforderungen hinaus auferlegen. Durch eine Eigenmittelzielkennziffer formuliert die nationale Aufsichtsbehörde ihre Erwartung an das zusätzlich zu haltende Kapital.
Einheitliche europäische Bankenaufsicht und Einheitlicher europäischer Abwicklungsausschuss
Angesichts zunehmend grenzüberschreitender Finanzdienstleistungen ist die Schaffung des Einheitlichen europäischen Aufsichtsmechanismus für Banken (Single Supervisory Mechanism, SSM) bei der Europäischen Zentralbank (EZB) ein beachtlicher Meilenstein (mehr dazu unter „Aufsicht“). Sollte ein Institut sich als nicht mehr liquide beziehungsweise nicht mehr solvent erweisen, ist eine Sanierung, gegebenenfalls auch Abwicklung der Bank durch das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz sowie durch die EU-Verordnung zum Einheitlichen Abwicklungsmechanismus einheitlich geregelt worden. Der Einheitliche Abwicklungsausschuss (Single Resolution Board, SRB) ist die für die Abwicklung von Finanzinstituten zuständige Behörde. Das Abwicklungsregime soll verhindern, dass die Steuerzahlenden für die Rettung von maroden Banken aufkommen, vielmehr erfolgt eine Abwicklung unter Heranziehung der Anteilseigner und Gläubiger zum Ausgleich von Verlusten. Da sich Banken nicht mehr auf eine staatliche Rettung verlassen können, werden sogenannte Moral-Hazard-Probleme abgebaut (mehr zur Bankensanierung und -Abwicklung unter „Haftung und Gerechtigkeit“). Die neuen Regelungen stärken die Verlusttragungsfähigkeit der Banken und damit die Stabilität des Finanzsystems.
Regulierung von Nicht-Bank-Finanzintermediären
Deutschland unterstützt im Financial Stability Board (FSB) verbindliche internationale Standards zur Regulierung sogenannter Nicht-Bank-Finanzintermediäre (NBFI), wie es sie in der EU weitestgehend schon gibt. Nicht-Bank-Finanzintermediäre sind Unternehmen, die außerhalb des regulierten (traditionellen) Bankensektors Finanzierungsgeschäfte betreiben, wie z. B. Verbriefungsgesellschaften, Geldmarktfonds oder Hedgefonds. Entsprechend dem Ziel der G20, alle Finanzinstitute und -instrumente, von denen Risiken für die Stabilität des Finanzsystems ausgehen können, angemessen zu regulieren und zu beaufsichtigen, hat die Bundesregierung bei der Überarbeitung des Rechtsrahmens für die Bankenaufsicht erreicht, dass die Investitionen von Banken in Schattenbanken transparenter werden und dass geprüft wird, ob Obergrenzen für Kredite an NBFI festgelegt werden sollten. Die Bundesregierung hat auch EU-weit einheitliche Regelungen für die Darlehensvergabe durch Investmentfonds in der Überarbeitung der Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds unterstützt. Damit werden in der EU gleiche Bedingungen für die Darlehensvergabe durch Investmentfonds geschaffen.