Bessere Regulierung komplexer Finanzprodukte
In den vergangenen Jahrzehnten hat die Komplexität finanzwirtschaftlicher Produkte extrem zugenommen, während der volkswirtschaftliche Nutzen vieler dieser Produkte zweifelhaft blieb. Die Höhe und Verteilung der eingegangenen Risiken waren nicht nur für die Aufsicht, sondern auch für die Finanzmarktakteurinnen und -akteure selbst immer schwerer einzuschätzen. Gerade die US-amerikanische „Subprime“-Krise und die daraus resultierende Bankenkrise nach dem Zusammenbruch der US-Bank Lehman Brothers haben belegt, dass Rating-Agenturen die Risiken komplexer Finanzprodukte zu spät erkannt haben oder Fehlanreizen in der Bewertung unterlagen.
Insbesondere der außerbörsliche Handel von Derivaten (Over-The-Counter, kurz OTC) hat sich dabei als Problem erwiesen. Mit der im Juli 2012 verabschiedeten EU-Verordnung zu OTC-Derivaten, zentralen Gegenparteien und Transaktionsregistern (sogenannte European Market Infrastructure Regulation, kurz EMIR) wurden diese Geschäfte EU-weit in feste regulatorische Bahnen gelenkt: Standardisierte außerbörsliche Derivategeschäfte müssen über zentrale Clearingstellen (Central Counterparties, CCPs) geleitet werden und sämtliche Derivategeschäfte, einschließlich börsengehandelter Verträge, müssen an zentrale Register gemeldet werden. Dadurch werden Ansteckungseffekte beim Ausfall einer Vertragspartei vermieden und der Finanzmarktaufsicht ein besserer Überblick über Marktaktivitäten und Risikopositionen ermöglicht, um unerwünschten Entwicklungen in diesem vormals unregulierten Bereich gezielt entgegenwirken zu können.
Die European Market Infrastructure Regulation (EMIR) wurde im Jahr 2020 überarbeitet und der Aufsichtsrahmen weiterentwickelt. Um die Aufsicht über zentrale Clearingstellen zu verbessern, wurde ein CCP-Aufsichtsausschuss bei der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) eingerichtet, der die Aufsicht über zentrale Clearingstellen mit Sitz in Drittstaaten wahrnehmen und die Aufsichtskonvergenz bei der Überwachung von zentralen Clearingstellen in der EU sicherstellen soll.
Mit der Verordnung über Märkte für Finanzinstrumente (MiFIR) und der zweiten Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID II) wurde die Transparenz im Wertpapierhandel weiter ausgebaut. So werden zuvor unregulierte Handelsplattformen (Organised Trading Facilities, kurz OTFs) nunmehr von den Aufsichtsvorgaben erfasst und die Vor- und Nachhandelstransparenzvorgaben erweitert. Mit Inkrafttreten der Überarbeitung von MiFID II/MiFIR („MiFIR Review“) im Frühjahr 2024 wird die Transparenz über den Handel komplexer Finanzprodukte wie OTC-Derivate weiter erhöht und die Aufsicht verbessert, indem die Transparenzvorgaben weiter standardisiert und zielgerichteter ausgestaltet werden.
Fortschreitende Modernisierung des Fondsstandorts
Seit 2013 in Umsetzung der Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds im Kapitalanlagegesetzbuch alle Fondsverwalter (von Privatanlegerfonds genauso wie von Hedgefonds oder Private-Equity-Fonds) einer Zulassungspflicht und einer fortlaufenden Aufsicht unterliegen, wird der Fondsstandort fortwährend modernisiert. Es wurden und werden sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene neue Möglichkeiten für Fondsverwalter geschaffen, attraktive Produkte für professionelle oder Privatanlegerinnen und -anleger anzubieten. Gleichzeitig werden auch mögliche systemische Risiken in den Blick genommen und Vorgaben zur Risikobegrenzung geschaffen.
Rating-Agenturen
Die Aufsicht über in der Europäischen Union (EU) tätige Rating-Agenturen wurde durch mehrere EU-Verordnungen deutlich verschärft. Die EU-Rating-Verordnung von 2009 (CRA I) hat umfangreiche Organisations- und Informationspflichten eingeführt, die durch die verpflichtende Registrierung der Rating-Agenturen effektiv überwacht werden können. Für strukturierte Finanzprodukte schreibt die dritte EU-Rating-Verordnung von 2013 (CRA III) eine verpflichtende Beauftragung von mindestens zwei unabhängigen Rating-Agenturen durch die Emittenten strukturierter Finanzprodukte vor. Damit werden Fehlanreizen in der Bewertung, die sich insbesondere aus der Bezahlung der Rating-Agenturen durch den Emittenten ergeben („Modell des zahlenden Emittenten“), entgegengewirkt. Um die Abhängigkeit der Anlegerinnen und Anleger von Ratings zu verringern, sieht die CRA III zusätzlich verpflichtende Informationen über die Vermögenswerte, die den strukturierten Finanzprodukten zugrunde liegen, vor. Das so erreichte Transparenzniveau wird seit 2019 durch die EU-Verbriefungs-Verordnung von 2017 weiter erhöht.
Ab Juli 2026 gilt außerdem eine europäische Verordnung über die Transparenz und Integrität von Rating-Tätigkeiten in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG), welche Integrität und Transparenz bei sogenannten ESG-Ratings erhöhen wird.
Benchmarkverordnung
Mit der Benchmarkverordnung, die seit Januar 2018 zur Anwendung kommt, werden zwei Personenkreise einer verstärkten Regelung unterworfen: Zum einen die Administratoren, die die Benchmark aus ihnen zugänglichen Daten berechnen, und zum anderen die Datenprovider, die die Daten beziehungsweise Schätzungen für die Erstellung der Benchmark zuliefern. Im Hinblick auf die Administratoren sieht die Benchmarkverordnung eine Zulassung beziehungsweise Registrierung und eine laufende Aufsicht mit besonderen Anforderungen an die Governance vor. Die Datenprovider werden besonderen Anforderungen unterworfen, um die Qualität und die Transparenz der für die Erstellung der Benchmarks verwendeten Daten sicherzustellen. Die Einhaltung der Anforderungen muss im Wesentlichen durch den Administrator sichergestellt und bei regulierten Finanzinstituten durch die Aufsichtsbehörde geprüft werden.
Ab Januar 2026 werden auch außerhalb der EU erstellte Benchmarks, die in der EU verwendet werden, verpflichtend beaufsichtigt und reguliert. Gleichzeitig fokussiert sich die Regulierung und Überwachung auf kritische und signifikante Benchmarks sowie Benchmarks mit den Labels „für den klimabedingten Wandel“ beziehungsweise „Paris-abgestimmt“ und Rohstoff-Benchmarks. Im Übrigen werden nicht signifikante Benchmarks abhängig von den mit ihnen verbundenen Risiken im Einzelfall beaufsichtigt.
Gesetzliche Vorgaben für honorarbasierte Anlageberatung
Provisionsbasierte Beratungsmodelle können einen Fehlanreiz zu schlechter Beratung der Anlegerinnen und Anleger setzen, etwa indem wesentliche Risiken eines Produktes verschleiert werden. Um den Kundinnen und Kunden ein alternatives Angebot zur provisionsbasierten Anlageberatung zur Verfügung zu stellen, wurden in Deutschland bereits 2013 mit dem Honoraranlageberatungsgesetz vorab rechtliche Rahmenbedingungen für eine honorarbasierte Anlageberatung geschaffen. Mit der EU-Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID II), die der deutsche Gesetzgeber mit dem zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetz (2. FiMaNoG) in nationales Recht umgesetzt hat, wurden entsprechende Vorgaben EU-weit eingeführt. Daneben wurden insbesondere auch die Vorgaben für den Vertrieb von Finanzprodukten, etwa durch Erweiterung der Kostentransparenz, deutlich verschärft.
Transparenz und Anlegerschutz durch Wertpapierprospekte
Durch erhöhte Transparenz der Finanzmärkte und Finanzprodukte, werden die im Finanzsystem eingegangenen Risiken sichtbar. Dies nützt allen Finanzmarktakteurinnen und -akteuren. Anlegerinnen und Anleger gewinnen einen besseren Überblick über die komplexen Produkte, und die Finanzaufsicht kann Regulierungsauflagen wirksam durchsetzen.
Transparenz für die Anlegerinnen und Anleger bedeutet auch, dass ihnen die kapitalsuchenden Unternehmen wesentliche Informationen für ihre Anlageentscheidungen verfügbar machen. Bei einer Unternehmensfinanzierung über die Begebung von Wertpapieren ist dafür grundsätzlich ein Prospekt erforderlich.
Ein wichtiges Ziel der EU-Kapitalmarktunion ist es, die wertpapierbasierte Finanzierung über den Kapitalmarkt insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) attraktiver zu machen. Hierzu wurde Mitte 2017 die neue EU-Prospektverordnung verabschiedet. Sie gilt seit dem 21. Juli 2019. Mit der EU-Prospektverordnung wird die Erstellung von Wertpapierprospekten einfacher und flexibler als bisher. Weitere Erleichterungen wurden zuletzt durch den am 4. Dezember 2024 in Kraft getretenen Listing Act eingeführt, die stufenweise bis zum 5. Juni 2026 in Kraft treten werden. Der Listing Act hat das Ziel, die Bedingungen für öffentliche Listings von Unternehmen zu verbessern sowie den Kapitalmarkzugang in der EU, insbesondere von KMU zu erleichtern, und sieht dazu unter anderem Änderungen im Prospektrecht vor. Beispielsweise wurden die Ausnahmen von der Prospektpflicht ausgeweitet, die Prospektzusammenfassung verschlankt sowie Erleichterungen für Dauer- und Sekundäremissionen und der sogenannte EU-Wachstumsprospekt mit deutlich reduzierten inhaltlichen Anforderungen eingeführt.