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03.06.2022

Bundestagsrede von Christian Lindner: 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr

Christian Lindner: Frau Präsidentin,liebe Kolleginnen und Kollegen. Der Angriff Russlands auf die Ukraine markiert eine Zäsur. Eine Zäsur, die historischen Charakter hat. Denn in Europa kämpfen nun zwei Mitglieder der Völkergemeinschaft, zwei Völkerrechtssubjekte, nach diesem unprovozierten Angriff zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wieder gegeneinander. Der Bundeskanzler hat dies Zeitenwende genannt und hat für die Bundesregierung angekündigt, dass wir die Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung wieder stärken müssen. Ich bin sicher, diese Zeitenwende, in der wir gegenwärtig stehen, die wird im Nachhinein einmal im Zusammenhang betrachtet werden mit der Entscheidung Deutschlands zur Wiederbewaffnung, zum Eintritt in unser westliches Verteidigungsbündnis, dem NATO-Doppelbeschluss.

Und wir als Koalition von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Freien Demokraten stellen uns unserer historischen Verantwortung. Wir haben in Deutschland lange von einer Friedensdividende profitiert, als man glaubte, das Ende der Geschichte sei erreicht. Wir lernen aber neu: Frieden und Freiheit und auch unser Wohlstand; Frieden, Freiheit und unser Wohlstand - das ist nichts, was wir von der Generation der Brandts und Schmidts und Kohls und Genschers erben. Frieden und Freiheit und auch unser Wohlstand - sie müssen in jeder Generation neu begründet und neu erreicht werden. Es ist nicht mehr die Zeit für eine Friedensdividende, sondern wir müssen unsere Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit stärken.

Dieser Sonderfonds; ich sage Sonderfonds, weil Sondervermögen ein technischer Begriff ist, der ja viele eingeladen hat zu ironischen Bemerkungen. Dieser Sonderfonds, ja, er wird jetzt auch mit Kreditermächtigungen aufgestellt. Die Alternativen wären wirtschaftlich in dieser kritischen Phase schlechter. Deshalb schlagen wir vor, ein Sondervermögen in das Grundgesetz aufzunehmen, um dieser historischen Aufgabe gerecht zu werden. Damit verbinden wir zugleich aber auch den Respekt vor den Soldatinnen und Soldaten. Denn es geht ja nicht nur um militärisches Großgerät, es geht nicht nur um Investitionen in große Vorhaben, sondern es geht auch um die persönlichen Ausrüstungsgegenstände der Soldatinnen und Soldaten.

Und ich sehe hier oben den Vorsitzenden des Deutschen Bundeswehrverbandes, Herrn Wüstner, und andere. Und ich will Ihnen sagen, stellvertretend für Ihre Kameradinnen und Kameraden: Dieses Parlament ist sich auch seiner Verantwortung für unsere Uniformträgerinnen und Uniformträger bewusst. Wer für unser Land nötigenfalls sogar mit Einsatz des eigenen Lebens wirkt, der verdient die Rückenstärkung des ganzen Deutschen Bundestages.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke den Koalitionsfraktionen für die sehr guten Beratungen, aber ich danke ausdrücklich auch der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die guten Gespräche, die wir geführt haben. Insbesondere mit Alexander Dobrindt und Andreas Middelberg, die beide federführend für die Union tätig waren, haben wir viel Zeit verbracht, aber auch Gutes erreicht. Ich weiß, es gab auch andere Vorstellungen. Es gab die Vorstellung, man könnte noch einmal eine Ausnahme von der Schuldenbremse machen, den Artikel 115 nutzen. Das wäre nicht klug gewesen, denn wir würden dadurch die Schuldenbremse insgesamt in ihrer Wirkung in Frage stellen.Deshalb wollten wir dem nicht folgen.

Und auch ein neuerlicher Solidaritätszuschlag zur Finanzierung der Stärkung der Bundeswehr wäre nicht ratsam. Verteidigungspolitisch nicht, weil man doch kleine und mittlere Einkommen nicht belasten sollte. Und allerdings auch nicht in einer Situation der Inflation und wo wir wirtschaftliche Erholung brauchen. Deshalb ist es richtig, es über dieses Sondervermögen zu machen, ohne Soli und ohne Aufweichung der Schuldenbremse insgesamt. Es steht also gewissermaßen neben der Schuldenbremse jetzt dieses Sondervermögen. Was im Umkehrschluss bedeutet, für alle anderen wünschenswerten und sinnvollen Vorhaben gilt die Schuldenbremse und damit die Notwendigkeit der politischen Priorisierung.

Mein letzter Gedanke: Die Gespräche haben wir geführt in meinem Ministerium, dem ehemaligen Reichsluftfahrtministerium. Und ist das nicht nicht eine besondere Note der Geschichte? Wir haben im ehemaligen Reichsluftfahrtministerium verhandelt über ein Sondervermögen für die Bundeswehr. In diesen Räumen wurde vor Jahrzehnten der aggressive Militarismus Deutschlands vorangetrieben. Damals wurde Deutschlands militärische Stärke in Europa gefürchtet. Heute wird in Europa gefürchtet, dass Deutschland militärische Defizite hat. Und genau das an diesem historischen Ort haben wir gemeinsam beendet.