CHRISTIAN LINDNER: Guten Abend, meine Damen und Herren, beziehungsweise guten Tag an alle diejenigen, die von Deutschland aus diese Pressekonferenz verfolgen.
Wir sind aufgrund des G7-Treffens der Finanzministerinnen und Finanzminister jetzt diesmal nicht in Deutschland. Deshalb dieses hybride Format. Gleichwohl war es mir wichtig, Sie zeitnah und auch selbst über die Ergebnisse zu informieren. Denn sie haben möglicherweise eine besondere politische Bedeutung. Ich will nicht lange um das Ergebnis herumreden.
Gegenüber den Schätzergebnissen des Oktober 2022 müssen wir mit Mindereinnahmen rechnen. Für 2024 mit Mindereinnahmen von insgesamt 30,8 Milliarden Euro. Das ist indessen keine Überraschung. Denn in diesen Mindereinnahmen spiegeln sich die beschlossenen Entlastungspakete der Bundesregierung. Bereits bei der Oktober-Schätzung hatte ich darauf hingewiesen, dass die damaligen Zahlen lediglich einen vorläufigen Charakter haben konnten, weil Gesetzgebungsverfahren nicht abgeschlossen waren, die Steuerschätzung aber immer auf der Basis geltenden Rechts erfolgt. Insofern: Es gibt Mindereinnahmen. Sie sind nicht überraschend. Und die Vorsorgen beziehungsweise Planungen, die wir vorgenommen haben, die entsprechen in etwa dem, was sich jetzt auch im Schätzergebnis manifestiert.
Die erste Botschaft des Schätzergebnisses ist also eine positive. Sie lautet, die Bundesregierung hält ihr versprechen ein, dass der Staat sich nicht an der Inflation bereichert. Wir haben die Menschen und Betriebe in unserem Land angesichts insbesondere der stark steigenden Energiepreise deutlich spürbar entlastet. Beispielsweise leistet das Inflationsausgleichsgesetz einen wesentlichen Beitrag zur Abfederung der Inflation. Die mit der kalten Progression ansonsten einhergehenden automatischen Steuererhöhungen werden vermieden. Außerdem unterstützen wir sehr gezielt Familien, beispielsweise durch die Erhöhung des Kindergeldes. Im Jahr 2024 entlasten wir ausweislich des Schätzergebnisses die Menschen in unserem Land um mehr als 30 Milliarden Euro durch diese Maßnahmen. Mit dem letzten Jahressteuergesetz haben wir zudem weitere verschiedene Entlastungen beschlossen, zum Beispiel die Ertragssteuerbefreiung für bestimmte Photovoltaikanlagen, den vollständigen Sonderausgabenabzug für Altersvorsorgeaufwendungen und anderes mehr.
Wir sehen jetzt, dies entspricht 2024 einem Entlastungsvolumen von rund 3 Milliarden Euro. Die Steuerrechtsänderungen, die wir bereits vorgenommen haben, summieren sich also auf 34 Milliarden Euro. Konjunkturell verzeichnen wir ein leichtes Plus bei den Steuereinnahmen. Dieser Effekt ist gegenläufig: insgesamt 3,6 Milliarden Euro in 2024 sowie 11,4 Milliarden Euro in der Summe für die Jahre 2025 bis 2027. Die Steuereinnahmen des Gesamtstaates werden damit im Jahr 2025 erstmals die Marke von 1 Billion Euro erreichen. Das ist eine gewaltige Summe, die von den Menschen und den Betrieben ja überhaupt erst einmal erwirtschaftet werden muss.
Die zentrale Botschaft des Schätzergebnisses ist in meinen Augen also, dass wir kein Einnahmeproblem haben. Im Gegenteil: Deutschland ist im internationalen Vergleich unterdessen ein Hochsteuerland. Das betrifft die Steuer- und Abgabenbelastung der Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Belastung der Betriebe. Im europäischen Vergleich haben wir Boden verloren und befinden uns inzwischen in einem schwierigen Wettbewerbsumfeld. Genauer gesagt, wir haben auch aufgrund der steuerrechtlichen Rahmenbedingungen in unserem Land an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Daneben haben wir ein konjunkturell schwieriges Fahrwasser, in dem wir uns bewegen. Wir hatten einen Rückgang der Wirtschaftsleistung im vierten Quartal. Für das erste Quartal war nach einer ersten Schätzungen auch nur eine Stagnation zu verzeichnen. Und auch die Konjunkturdaten sind jetzt nicht berauschend in der Frühjahrsprognose von 0,4 Prozent.
Das ist nicht ein Umfeld, in dem wir eigentlich uns weiter ökonomisch bewegen wollen, gerade hier in Japan, wenn ich das im Vergleich sagen darf, hören wir von Kolleginnen und Kollegen, dass sich dort die wirtschaftliche Entwicklung positiver darstellt. Das bestärkt mich. Konjunkturelles Umfeld, Charakter eines Hochsteuerland, bald 1 Billion Euro an gesamtstaatlichen Einnahmen. Das bestärkt mich in meiner Überzeugung, dass jetzt nicht die Zeit für Steuererhöhungen ist. Sondern ganz im Gegenteil, wer Steuererhöhungen als Lösung fordert, denkt sehr kurzfristig, verkennt die tatsächlichen Probleme und würde weiter die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes beeinträchtigen. Höhere Steuern würden schließlich die Betriebe in diesem herausfordernden Umfeld treffen. Und möglicherweise würden diese höheren Belastungen dazu beitragen, dass Investitionen unterbleiben oder gar Standorte mit Arbeitsplätzen verlagert werden.
Wir werden aber die anstehenden und unabweisbaren Transformationsprozesse unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft nur erfolgreich bewältigen, wenn wir privates Kapital mobilisieren für Investitionen. Und privates Kapital geht dorthin, wo es rentabel investiert werden kann. Wo also auch die steuerlichen Rahmenbedingungen attraktiv sind.
Lassen Sie uns auf die Einnahmen im Einzelnen schauen. Bei den Einnahmen aus der Umsatzsteuer erwarten wir in 2024 309 Milliarden Euro und damit etwas weniger als im Oktober prognostiziert. Dem liegt zugrunde, dass die nominalen Konsumausgaben geringer veranschlagt werden. Und das drückt sich dann im Schätzergebnis aus. Die Einnahmen aus der Lohnsteuer werden in konjunktureller Hinsicht – also ohne Berücksichtigung jetzt der Änderung des Rechts –, werden in konjunktureller Hinsicht kräftiger ausfallen. Das ist ein erfreuliches Ergebnis. Das zeigt ja die Resilienz des Arbeitsmarktes und seine Widerstandsfähigkeit. Auf die kalte Progression jedenfalls ist der Effekt, wie ich gerade ausgeführt habe, nicht zurückzuführen. Denn hier haben wir mit der veränderten Rechtsgrundlage entgegengewirkt. Unter Berücksichtigung dieser Maßnahmen sowie der Kindergelderhöhung und des Jahressteuergesetzes liegt hier das Aufkommen im kommenden Jahr bei 258 Milliarden Euro.
Eine dritte Botschaft zum gesamtstaatlichen Steueraufkommen: Wir sehen eine stabile und positive Einnahmeentwicklung bei den Städten und Gemeinden. Wir wissen, dass es dort große Herausforderungen gibt hinsichtlich der Sozialausgaben. Insbesondere gibt es große Herausforderungen auch im Zusammenhang mit Flucht und Migration. Und gerade nach dem gestrigen Tag und dem Gespräch des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und -chefs der Länder ist es, wie ich finde, eine gute Nachricht, dass, was die eigenen Einnahmen der gemeindlichen Ebene angeht, es eine positive Perspektive gibt.
Die vierte Botschaft, ja die betrifft die Haushaltsberatungen 2024 und unseren Finanzplan, den wir bis 2027 aufstellen müssen, ist ja völlig klar. Viele haben auf den heutigen Tag und das Schätzergebnis gewartet, um dann politische Konsequenzen zu ziehen, so auch die Bundesregierung. Als ich seinerzeit die Entscheidung getroffen habe, auf Eckpunkte für den Haushalt 2024 zu verzichten, war klar, dass für die Herstellung politischen Einvernehmens im Kabinett, in der Koalition und mit dem Deutschen Bundestag dieses Datum von einer besonderen Bedeutung sein würde. Deshalb habe ich, wie sie sich erinnern, seinerzeit bei der Nachricht, dass wir auf Eckpunkte verzichten, ausdrücklich darauf verzichtet, einen neuen, aktualisierten Zeitplan für eine Kabinettsbefassung öffentlich zu machen. Deshalb kann es auch keine große Überraschung geben, so dachte ich zumindest, dass der 21. Juni nicht der Tag sein wird, an dem wir im Bundeskabinett sind. Wir haben den Zeitplan nicht aktualisiert, aber auch keinen neuen angegeben. Allein aus technischen Gründen ist klar, wenn wir heute an diesem 11. Mai eine Steuerschätzung vorlegen und danach erst in die Konkretisierung eintreten, dass der 21. Juni alleine wegen des technischen Vorlaufs dann zu ambitioniert wäre, um das alles handwerklich sorgsam zu machen. Und das sage ich trotz der hochengagierten Beamtinnen und Beamten im Bundesministerium der Finanzen und in den Ressorts.
So, was nun aber ist die Konsequenz aus den vorgelegten Zahlen? Keine.
Das Schätzergebnis eröffnet gegenüber den bisherigen Planungen keinerlei neue finanziellen Handlungsspielräume. Es bleibt deshalb das Gebot der Stunde, die Konsolidierung des Bundeshaushaltes voranzutreiben und sehr strikt sich auf Prioritäten zu verständigen. Ein Mehr an Ausgabewünschen können wir gegenwärtig mit den gegebenen Einnahmen nicht realisieren. Wir müssen ja auch die Handlungsfähigkeit des Staates sicherstellen. Und aus diesem Grund ist jetzt die Zeit für eine zukunftsorientierte Finanzpolitik. Und das meine ich in doppelter Hinsicht. Sie ist zum einen zukunftsorientiert, wenn sie sich auf Zukunftsinvestitionen und Zukunftsaufgaben konzentriert. Dazu gehören ohne Zweifel der Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung, die Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit auch durch entsprechende Anreize für private Investitionen.
Auf der anderen Seite ist die Finanzpolitik dann zukunftsorientiert, wenn sie nicht oberhalb ihrer Verhältnisse Geld einsetzt. Die stark gestiegenen Zinsbelastungen im Bundeshaushalt sind ja ein sehr deutliches Signal an alle Beteiligten, dass man nicht einfach weitermachen kann wie bisher. Wir müssen aus ökonomischen Gründen raus aus den Defiziten und dürfen nicht weiter die Staatsverschuldung unverhältnismäßig erhöhen, nicht schneller und stärker erhöhen, als unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wächst. Im Übrigen ist es nicht nur ökonomisch klug, sondern, wie Sie ja wissen, auch ein Gebot der Verfassung.
Die Schuldenbremse im Grundgesetz mit der Regelobergrenze für die Nettokreditaufnahme bleibt bestehen und ist einzuhalten. Mehr denn je. Auch nachdem die Europäische Kommission ja die Richtung gewiesen hat, im nächsten Jahr auf die allgemeine Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu verzichten und zu den Fiskalregeln zurückzukehren. Insofern haben wir auf der einen Seite die Einnahmen des Staates, die wir mit dem heutigen Tag prognostizieren können, auf der anderen Seite die Grenzen, die uns ökonomische Klugheit und Verfassung aufzeigen. Innerhalb dieses Rahmens müssen wir wirtschaften und zukunftsorientierte Finanzpolitik betreiben, entsprechende Schwerpunktsetzungen uns erarbeiten. Das sind wir auch den Bürgerinnen und Bürgern schuldig, die von uns einen effizienten, effektiven und sorgsamen Umgang mit ihrem Geld erwarten. Diesem Gedanken fühlt sich die Bundesregierung verpflichtet.
So viel von meiner Seite zu den Ergebnissen. Und Frau Kalwey, ich glaube, wir würden jetzt in die Fragerunde eintreten können.
NADINE KALWEY: Genau, kommen wir nun zu Ihren Fragen. Die Kolleginnen und Kollegen am Monitor würde ich bitten, wenn Sie eine Frage stellen wollen, Ihre Kamera einzuschalten, dass wir hier Sie auch sehen können. Und im Vorhinein, wenn Sie eine Frage stellen möchten, bitte die virtuelle Hand zu heben. Die Kolleginnen und Kollegen hier heben einfach ganz normal wie immer ihre Hand. Und da sehe ich auch schon die ersten Hände gehoben. Herr Krämer war der allererste.
FRAGE: Das ist nett, vielen Dank. Ich hätte zwei Fragen, Herr Lindner, wann kommt jetzt der Gesetzentwurf für den Haushalt 2024, wenn er nicht am 21. Juni kommt? Und die zweite Frage, was ist konkret nicht finanzierbar?
CHRISTIAN LINDNER: Die Fragen kann ich, Herr Krämer, gemeinsam beantworten. Die Bundesregierung wird jetzt gemeinsam die Prioritäten ordnen und dann einen Gesetzentwurf rechtzeitig beschließen, dass eine geordnete und gute Beratung des Deutschen Bundestages möglich ist. Der trifft ja als Haushaltsgesetzgeber ohnehin die Entscheidung. Aber wir werden unsere Haushaltsinitiative sehr gut vorbereiten, dass wir eine gute Vorlage liefern. Und das wird rechtzeitig sein, dass es geordnete Beratungen gibt. Ja, Sie wollten jetzt ein Datum und Sie wollten eine Streichliste, das weiß ich.
NADINE KALWEY: Herr Szent-Iványi.
FRAGE: Herr Linder, die bislang prognostizierte Lücke für 2024 war immer so in der Größenordnung von 20 Milliarden Euro, was noch fehlt. Hat sich an dieser Summe, wenn ich Sie richtig verstanden habe, also gar nichts geändert? Oder hat sich da irgendetwas noch getan durch die Steuerschätzung?
CHRISTIAN LINDNER: Nein, daran hat sich nichts verändert. Die Größenordnung bleibt so bestehen. Wir haben gewisse Risiken und Einnahmeprognosen und Ausgabeplanungen vorgenommen. Es gibt ja auch interne Vorbereitungen. Und deshalb: Die Lücke ist in etwa so, wie sie bisher war und wird nicht verändert dadurch. Das betrifft übrigens auch das Haushaltsjahr 2023, das sich ebenfalls im Rahmen der internen Prognosen und Vorsorgen des BMF bewegt. Also Stand heute, 11. Mai.
NADINE KALWEY: Herr Seibel ist der nächste.
FRAGE: Ich hätte zwei Fragen. Zum einen nochmal direkt im Anschluss: Warum erhöht sich die Lücke nicht dadurch? Ich meinte, Sie seien immer davon ausgegangen, dass eher ein bisschen was obendrauf kommt durch die Steuerschätzung im Mai. Wenn auch wenig. Wenn jetzt 13 Milliarden Euro weniger für den Bund nächstes Jahr sind. Also können Sie das nochmal auseinandernehmen.
Und der zweite Punkt: Die Ampelfraktion fordert den Haushaltsausschuss oder haben Sie schon eingeladen, dass Sie dort Ihren Zeitplan Ende Mai bekannt geben, wie das weitere Prozedere? Heißt das, bis dann werden Sie auch vorlegen, in welcher Form der Haushalt erstellt wird und bis wann er erstellt ist?
CHRISTIAN LINDNER: Ja, Herr Seibel, die Oktober-Zahlen basierten ja auf der damaligen Rechtslage. Wir haben aber Gesetzgebung bereits in Vorbereitung gehabt und haben auch die Folgen der Gesetzgebung quantifizieren können. Und ich muss sagen, ich bin ganz beeindruckt und auch stolz, wie die Kolleginnen und Kollegen bei mir im Haus das relativ präzise haben prognostizieren können. Sodass wir jetzt eben mit unserer eigenen Überlegung, in die schon einbezogen ist, die Gesetzgebung, die zur Oktober-Steuerschätzung noch nicht beschlossen war; dass wir damit jetzt keine große Überraschung haben. So erklärt sich, dass man sieht: Oh, da ist eine große Mindereinnahme jetzt. Und warum sind die nicht überrascht: Weil eben damals das alte Recht galt und wir wussten, wir schaffen ein neues. Und wir können in etwa quantifizieren, auf was es hinausläuft.
Zu der zweiten Frage: Da kann ich in der Tat klarer sein als bei dem Herrn Krämer gerade. Ja, natürlich werden wir im Laufe des Mais auch zum Fahrplan und den Terminen jetzt Klarheit schaffen. Weil jetzt beginnt der Klärungsprozess innerhalb des Bundeskabinetts. Das Bundesministerium der Finanzen war nicht untätig in den letzten vielen Wochen. Wir haben natürlich vorbereitet, dass wir jetzt agieren können. Das wird jetzt mit Konzentration passieren. Und dann können wir sehr, sehr zeitnah im Laufe des Mais auch Klarheit schaffen, wann genau, wie jetzt der Zeitplan angepasst wird. Der 11. Mai gibt da gewissermaßen jetzt den Startschuss dafür, dass wir unsere vorbereiteten Pläne und Prozesse beginnen.
NADINE KALWEY: Herr Schieritz.
FRAGE: Ja, dann noch eine Frage zur Steuerpolitik. Also was mir noch nicht ganz klar ist, Sie sagen ja, man muss priorisieren, um diese Lücke zu schließen. Und was ist eigentlich das Argument dafür, die Einnahmenseite von dieser Priorisierung auszunehmen? Also zusagen, bei den Ausgaben müssen wir streichen, aber bei den Einnahmen können wir nichts machen.
CHRISTIAN LINDNER: Dafür gibt es Gründe, die in der Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes liegen. Deutschland ist zurückgefallen hinsichtlich seiner Wettbewerbsfähigkeit. Die Wettbewerbsfähigkeit wird in besonderer Weise noch zusätzlich beeinträchtigt durch die gestiegenen Energiepreise. Wir sehen an vielen Stellen unter unseren Partnern und Freunden Steuerentlastungen, ich denke etwa an Frankreich zuletzt. Wir sind also ein Hochsteuerland sowohl für die Bürgerinnen und Bürger als auch für die Betriebe. In der Situation, wo wir auch schwaches konjunkturelles Umfeld haben. Wir können ja mit 0,4 Prozent Wachstum nicht zufrieden sein, wenn wir uns vergleichen mit anderen europäischen Partnern oder im Kreise hier der G7. Da sind wir mit Großbritannien diejenigen, die die schwächste wirtschaftliche Entwicklung haben. Da können wir doch die wirtschaftliche Erholung und den Aufholprozess und die Attraktivität für private Investitionen nicht weiter dadurch schwächen, dass wir die Steuern erhöhen. Sondern im Gegenteil: Wir müssen ja Impulse setzen von der Fachkräfteeinwanderung, über die Arbeit an bezahlbarer Energie, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, Digitalisierung und, wenn es nach mir geht, auch gezielte steuerliche Impulse für Forschung, Entwicklung und klimafreundliche Technologie, müssen wir doch die Weichen dafür stellen, dass es eher vorangeht.
NADINE KALWEY: Gibt es noch weitere Fragen hier im Raum?
Frau Roßbach. Mikro kommt.
FRAGE: Vielen Dank. Herr Minister, Sie hatten ja eben gesagt, dass mit Blick auf die Haushaltsverhandlungen viele auf diesen Termin geschaut haben. Wird es jetzt leichter, glauben Sie, weil alle sehen, da ist nichts mehr zu holen, oder wird es schwerer, weil eben nichts zu holen ist?
CHRISTIAN LINDNER: Wir haben es mit Realistinnen und Realisten zu tun, sowohl innerhalb des Kabinetts als auch innerhalb der Koalition. Und deshalb gehen wir jetzt mit Konzentration genau an die Bearbeitung dieser Realitäten heran. Also, ich erwarte mir jetzt, dass wir die Lösungen erarbeiten, die wir brauchen. Es kann auch da eigentlich niemand überrascht sein. Denn, wie Sie wissen auch in der Öffentlichkeit, habe ich ja verschiedentlich gesagt, man möge sich von der Steuerschätzung diesmal bitte keine Wunder erwarten aufgrund der konjunkturellen Lage, aufgrund der erfolgten Gesetzgebung. Und das ist jetzt eingetreten grosso modo. Und deshalb gibt es jetzt keinen Grund mehr, zu zögern oder zu hoffen, sondern jetzt ist konzentrierte Arbeit angesagt.
NADINE KALWEY: Vielen Dank. Dann frage ich noch einmal nach Berlin. Hat jemand von den Kolleginninnen und Kollegen, die uns zugeschaltet sind, noch eine Frage? Dann wäre jetzt die Möglichkeit.
CHRISTIAN LINDNER: Da winkt einer bei Ihnen, Frau Kalwey.
NADINE KALWEY: Da winkt jemand? Herr Greive winkt!
FRAGE: Genau, das Winken, das ist der Herr Greive. Viele Grüße nach Japan. Ich versuche es trotzdem nochmal. Auch wenn Sie eben nicht genau, konkret antworten wollten mit den Möglichkeiten des Einsparpotenzials. Ich meine, im Haushalt gibt es ja immer ein bisschen Luft, wie wir wissen. Das hat Herr Gatzer die vergangenen Jahre ja immer hinbekommen. Es gibt ja auch zum Zweiten die Möglichkeit zu sagen – da gibt es ja auch Aufstellungen –, wir nehmen Förderprogramme, die nicht abgeflossen sind – Soll/Ist –, nehmen die Differenzen. Dann hätte man auch schon mal 7-8 Milliarden Euro gewonnen, plus ein bisschen Puffer. Dann nähere ich mich dieser Lücke von 18 Milliarden Euro ja schonmal an. Würden Sie sagen, mit solchen recht schmerzlosen Möglichkeiten kann man das Problem lösen? Oder sagen Sie tatsächlich, wir müssen klar den Rotstift ansetzen, auch wirklich an Ausgaben, die den Kollegen im Kabinett wehtun? Danke!
CHRISTIAN LINDNER: Wir wollen natürlich das, was notwendig ist und was wichtig für das Land und seine Menschen ist, beibehalten. Es geht doch nicht darum, vorsätzlich irgendjemandem Schmerzen zuzufügen. Sondern wir wollen das, was dringlich und was notwendig ist, finanzieren. Und müssen deshalb das, was wünschenswert ist oder was vielleicht auch überholt ist, in Frage stellen beziehungsweise zurückstellen. Und dieser Mühe werden wir uns nun unterziehen. Da gibt es eine ganze Reihe von Punkten, an denen wir arbeiten werden. Ich will allerdings auch hinzufügen, wenn wir über die angesprochene Lücke von 20 Milliarden Euro sprechen, bedeutet das ja, dass ansonsten alles beim Alten bliebe. Aber wir wollen und müssen natürlich auch zukünftig Prioritäten in anderen Bereichen setzen. Das heißt, das, was wir an Arbeit vor uns haben, ist nicht 20 Milliarden Euro finden, sondern bedeutet, 20 Milliarden Euro Lücke schließen. Und darüber hinaus noch zusätzliche Schwerpunkte in wichtigen Bereichen uns erarbeiten, damit ein politisches Profil sichtbar wird und wir auch auf die Zeitenwende antworten und auf all das, was sie von uns fordert.
NADINE KALWEY: Frau Wefers.
FRAGE: Vielen Dank, viele Grüße nach Japan. Bei der Frage, wie die Haushaltslücken zu füllen sind, kommt auch immer das Thema Beteiligungsverkauf; spielt dabei immer mal eine Rolle oder wird in der Diskussion bemüht. Gibt es dazu eigentlich Pläne? Es könnte ja vielleicht auch zusammenfallen mit Plänen, die Sie sowieso schon haben, die strategischer Natur sind. Dankeschön.
CHRISTIAN LINDNER: Frau Wefers, der Beteiligungsverkauf, das wäre ein Einmaleffekt, der uns gar nicht helfen würde. Das würde bei der Schuldenbremse berücksichtigt werden. Also insofern, das ist keine Chance, um jetzt konkret den Haushalt 2024 aufzustellen. Dass die Bundesregierung ordnungspolitisch der Auffassung ist, sich von den Beteiligungen, die nicht im öffentlichen Interesse stehen, zu trennen, diese ordnungspolitischen Grundüberzeugung besteht. Aber wir sind die Vermögensverwalterinnen und Vermögensverwalter der Steuerzahler. Und deshalb muss das zu dem Zeitpunkt erfolgen, wo wir den Interessen unserer Auftraggeber, also der Bürgerinnen und Bürger, am besten gerecht werden.
NADINE KALWEY: Vielen Dank. Ich sehe jetzt keine Fragen mehr hier am Monitor. Vielleicht noch jemand im Raum? Dann noch mal Herr Seibel.
FRAGE: Wenn ich nochmal kurz darf, ganz konkret gefragt: Wird es eine Sparklausur geben?
CHRISTIAN LINDNER: Eine Sparklausur! Also, es ist nachvollziehbares Interesse bei Ihnen, dass Sie jetzt alle möglichen Methoden – also, Herr Greive gerade, ja, wir gehen einfach auf die Ist-Ausgaben zurück im Finanzplan, Sie jetzt, die Methode, ja, gibt es eine Sparklausur –, das ist alles total nachvollziehbar. Aber ich möchte da jetzt gar nicht zu viel zu sagen, sondern Ihnen gerne in einer relativ kurzen Zeitspanne von hier einfach kompakt sagen: Das ist jetzt das Verfahren im Einzelnen. Das passiert. Und Sie können sicher sein, es wird alles rechtzeitig sein. Der Deutsche Bundestag wird ganz regulär beraten können über den Haushaltsentwurf. Der wird seriös vorbereitet sein. Es wird alles passieren. Ich muss nur noch einen kleinen Moment aushalten, gefragt zu werden. Sie einen kleinen Moment aushalten, zu fragen, ohne eine befriedigende Antwort zu erhalten. Aber das wird sich in Kürze beides auflösen.
NADINE KALWEY: So, das war jetzt die letzte Frage? Ich sehe doch, ich sehe noch, Herr Greive, hatten Sie nochmal eine neue Frage, oder?
FRAGE: Nein, nur eine kleine Nachfrage. Diese Verschiebung des Haushalts. In Berlin sind die irgendwie alle ziemlich davon überrascht worden. Also auch nicht nur Journalisten, sondern auch Kabinettsmitglieder. Können Sie dazu noch was sagen? Also war das eine sehr kurzfristige, spontane Entscheidung oder ist das flächendeckend abgesprochen?
CHRISTIAN LINDNER: Nein, das ist überhaupt gar keine spontane Entscheidung, sondern bereits bei der Information darüber, dass das BMF auf ein Eckpunkteverfahren verzichtet, habe ich seinerzeit, wie ich glaube, das Handelsblatt ja auch berichtet hat, ausdrücklich darauf verzichtet, einen neuen Zeitplan anzugeben. Und natürlich war der alte Termin offensichtlich bei manchem noch im Kopf und im Umlauf. Aber von unserer Seite habe ich seinerzeit deutlich gemacht, ausdrücklich nennen wir kann neuen Termin. Und wie ich eingangs ja schon sagte, alleine wenn die Planungen und Prozesse mit dem heutigen Tag vorbereitet, aber erst mit dem heutigen Tag wieder ins Kabinett gehen, dann wäre der 21. Juni für, ich sag mal, ein Verfahren, das so präzise ist, wie das unser Anspruch an die Qualität ist, wäre nicht sicher umzusetzen. Und deshalb nenne ich jetzt einfach noch keinen neuen Termin. Aber es wird alles so sein, dass der Deutsche Bundestag und auch die Kolleginnen und Kollegen in den Ressorts gut damit umgehen können.
NADINE KALWEY: Jetzt nochmal die Hand von Frau Wefers.
FRAGE: Ja, das hat mich jetzt doch nochmal gereizt, weil Sie so sagen, das sei in unseren Köpfen gewesen. Aber der Termin steht ja in Ihrem Monatsbericht. Also das ist ja nicht in unseren Köpfen, sondern das ist ja von Ihnen kommuniziert. Und deshalb finde ich, kann man schon ein bisschen überrascht sein. Denn wenn das in so einer belastbaren Unterlage steht, könnte man ja davon durchaus ausgehen, dass das dann auch hält das Unternehmen.
CHRISTIAN LINDNER: Nein, es gilt hier, was ich gerade gesagt habe. Wir haben ausdrücklich keinen neuen Zeitplan vorgelegt und den bisherigen ja auch nicht aktualisiert, weil da müsste man ja einen neuen Zeitplan vorlegen. Man kann ja nicht sagen, wir legen keinen Haushalt vor. Sondern da müsste man ja sagen, jetzt ist das neue Datum der X.Yste. Und deshalb gilt das, was ich seinerzeit, ich glaube, das war auch bei einem Anlass, bei einer Reise, gesagt habe: Wir verzichten auf Eckwerte, legen keinen neuen Zeitplan vor. Dass in Listen der noch auftaucht, ist eine Realität. Aber er ist eben nicht aktualisiert worden. Sondern die Aktualisierung erfolgt jetzt in Kürze. Ich habe übrigens nicht gesagt in Ihrem Kopf, Frau Wefers, oder ihr klein, Journalistinnen und Journalisten, sondern ich habe von manchem gesprochen, und das nicht nur jetzt auf die journalistische Begleitung bezogen.
NADINE KALWEY: Herr Krämer darf nochmal fragen.
FRAGE: Im Sommer passiert ja nicht so viel im parlamentarischen Verfahren. Können Sie sagen, zumindest grob sagen, ob es vor der Sommerpause noch den Entwurf gibt oder ob er erst nach der Sommerpause kommt?
CHRISTIAN LINDNER: Also könnte ich. Aber ich kann nur so viel sagen: In der parlamentarischen Sommerpause beschäftigen sich die Haushälter ziemlich intensiv mit einem Haushaltsentwurf, wenn er denn vorliegt. Also auch wenn keine Sitzungswoche ist, wird da intensiv gearbeitet. Das ist in der Regel so. Ja, ich verstehe Sie. Also entlassen Sie mich aus der unangenehmen Situation, dass Sie jetzt genau ein Datum und einen Prozess haben wollen, ich aber einfach noch ein paar Tage brauche und auch im Kabinett Einvernehmen jetzt herstelle, insbesondere auch mit dem Bundeskanzler und dem Vizekanzler. Und dann kriegen Sie alle Infos: der Bundestag wird informiert, der Bundestag bekommt rechtzeitig den Haushaltsentwurf. Und die Verzögerung, das kann ich Ihnen sagen, die Verzögerung, die es jetzt gegeben hat aufgrund der Konsolidierungsbemühungen, die außerordentlich waren, diese Verzögerung wird man im eigentlichen parlamentarischen Verfahren ab Herbst nicht mehr spüren.
NADINE KALWEY: Gut. Dann sehe ich jetzt keine weiteren Fragen mehr und würde die Konferenz schließen. Ich bedanke mich herzlich bei Ihnen, aber auch bei Ihnen im Raum und vor den Monitoren für Ihr Interesse.