CHRISTIAN LINDNER: Meine Damen und Herren, nach dem Internationalen Währungsfonds spricht sich jetzt auch die Europäische Kommission dafür aus, dass wir die Zügel anziehen bei den Staatsfinanzen. Die Inflation muss bekämpft werden. Dafür müssen Geldpolitik und staatliche Fiskalpolitik Hand in Hand arbeiten. Die Zeit ausgedehnter expansive Fiskalpolitik geht deshalb zu Ende. Das ist eine wichtige Empfehlung für unsere nationale Haushaltspolitik.
Wir in Deutschland bereiten ja ebenfalls gerade einen Staatshaushalt für das nächste ja vor, mit dem wir zur Schuldenbremse unserer Verfassung zurückkehren und zugleich auch die Preisbremsen, die wir in diesem Jahr noch für Gas und Strom haben, beenden, sodass wir sehr deutlich unser Defizit reduzieren werden.
Zum anderen wird hier heute gesprochen werden über die Vorschläge zur Fortentwicklung der Bankenunion. Wir sprechen über Instrumente des Krisenmanagements und der Einlagensicherung. Wir sind absolut überzeugt davon, dass wir Fortschritte bei der Bankenunion brauchen. Wir haben ja auch im vergangenen Jahr ein entsprechendes Statement der Eurogruppe aktiv unterstützt. Der jetzige Vorschlag der Europäischen Kommission ist aber noch nicht zustimmungsfähig. Zwei Punkte besorgen uns insbesondere.
Der erste Punkt betrifft die Einbeziehung von Anteilseignern und Gläubigern im Falle der Schieflage einer Bank. Es war bisher immer vorgesehen, dass, bevor es an gemeinsame europäische Instrumente geht, die Anteilseigner und Gläubiger einbezogen werden in die Stabilisierung. Es gab einen 8-prozentigen verpflichtenden "Bail-in". Das ist zwingend erforderlich, um Risiken zu reduzieren und um die Kollektivierung wirtschaftlicher Probleme zu verhindern. Individuelle Haftung trägt zur Stabilität bei. Davon soll jetzt hier abgewichen werden. Und das ist sowohl ordnungspolitisch und ökonomisch als auch ethisch aus unserer Sicht fragwürdig.
Und zum anderen haben wir in Deutschland funktionierende Einlagensicherungssysteme, Institutssicherungssysteme bei Sparkassen und genossenschaftlichen Instituten. Das ist ein funktionierendes Instrument. Und es war für uns immer klar, dass die funktionierenden Instrumente erhalten bleiben müssen und in ihrer Funktionsfähigkeit auch geschützt werden müssen. Das ist jetzt im Vorschlag der Kommission so nicht mehr gegeben. Und deshalb ist aus unserer Sicht auch hier eine Weiterentwicklung und Verbesserung der Vorschläge der Kommission nötig.
Soweit von mir.
FRAGE: Darf ich meine Frage auf Englisch stellen?
CHRISTIAN LINDNER: Ja, natürlich.
FRAGE: Die Kommission hat gestern ihre Prognose vorgestellt. Sie hat die Inflationsprognose für dieses und nächstes Jahr angehoben. Gehen Sie davon aus, dass wir länger mit höheren Zinsen leben müssen als zunächst angenommen?
CHRISTIAN LINDNER: Es besteht ein hohes Maß an Unsicherheit. Daher ist die Prognose für mich eine Art Anreiz, um zu soliden öffentlichen Finanzen zurückzukehren. Ich fühle mich von der Kommission ermutigt, einen nationalen Haushaltsentwurf für das nächste Jahr aufzustellen, mit dem wir zur Schuldenbremse unserer Verfassung zurückkehren, ohne die für Gas und Strom eingeführten Preisbremsen. Um die Inflation zu bekämpfen, müssen Fiskal- und Geldpolitik Hand in Hand arbeiten. Das ist die Botschaft der Kommission an uns.
FRAGE: Nur zur Klarstellung: Ihr Hauptanliegen als Finanzminister zum jetzigen Zeitpunkt ist in jedem Fall die Bekämpfung der Inflation?
CHRISTIAN LINDNER: Ja, selbstverständlich. Preisstabilität hat für uns Priorität und ferner möchten wir schwerwiegende Konjunkturabschwünge verhindern. Daher müssen wir die Geld- und Fiskalpolitik möglichst eng aufeinander abstimmen. Im Fiskalbereich, weil wir dann den Druck auf die Geldpolitik verringern. Fiskal- und Geldpolitik dürfen also nicht in Widerspruch zueinander stehen. Das würde zu höheren Zinsen über einen länger als ohnehin schon erwarteten Zeitraum führen.
FRAGE: Herr Finanzminister, Ihre spanische Amtskollegin hat gestern gesagt, es gibt überhaupt keinen Grund, eine europäische Einlagensicherung abzulehnen. Denn das spanische Finanzsystem sei stabil und spanische Banken seien genauso sicher wie deutsche Banken. Was sagen Sie dazu? Ist das Populismus, sind das nur Versprechen an die eigenen Wählerinnen und Wähler oder sorgen Sie sich wirklich um das Geld der deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler?
CHRISTIAN LINDNER: Wir haben Banken in Europa, die einen sehr hohen Anteil von Staatsanleihen in den eigenen Büchern haben. Die Staatsanleihen in den Büchern der Banken werden nicht nach Risiko bewertet, sondern sie werden fiktiv als risikofrei betrachtet. Und solange wir nicht dieses Problem gelöst haben, dass in einzelnen Bereichen unseres europäischen Bankensystems die privaten Finanzen und die Staatsfinanzen so verbunden sind, kann es ein eine gemeinsame Einlagensicherung geben. Deutschland ist offen für weitere Schritte im Bereich der Einlagensicherung, wenn auf der anderen Seite der Nexus von Staatsfinanzen und privaten Banken überwunden wird, durch eine andere Behandlung von Staatsanleihen in den Bankbilanzen.
Ich bin offen für Vorschläge, beispielsweise unserer spanischen Kolleginnen und Kollegen, wie wir beim "regulatory treatment of sovereign exposures" Fortschritte erzielen können. Das ist für uns eine Vorbedingung dafür, auch bei der Einlagensicherung weiter Schritte zu gehen.
FRAGE: Zur Bankenunion.
CHRISTIAN LINDNER: Wie bitte?
FRAGE: Was sind Ihre Überlegungen mit Blick auf die Bankenunion? Ich weiß, dass Sie gerade darüber gesprochen haben, aber mein Deutsch ist noch nicht so gut. Erwarten Sie diesbezüglich konkrete Entwicklungen in nächster Zeit? Denn wir sprechen schon so lange darüber und dennoch besteht keine Einigkeit, z. B. hinsichtlich eines Einlagensicherungssystems.
CHRISTIAN LINDNER: Aus Sicht Deutschlands sind ein europäisches Einlagensicherungssystem (EDIS) und das „regulatory treatment of sovereign exposures“ (RTSE) eng miteinander verbunden. Wir unterstützen einen umfassenden Ansatz, der RTSE und EDIS umfasst. Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, dass es mit Blick auf RTSE bald Fortschritte zu sehen geben wird. Und aus diesem Grund bezweifle ich, dass wir in Bezug auf EDIS bald Fortschritte sehen werden.
FRAGE: Sie haben ja angekündigt, dass Sie viel Gesprächsbedarf haben, sowohl bei der Bankenunion als auch bei den Schuldenregeln. Gestern war ja schon Eurogruppe. Warum haben Sie diese Gelegenheit nicht genutzt? Und warum sind Sie dann dieser Gruppe ferngeblieben?
CHRISTIAN LINDNER: Innenpolitische Prioritäten am gestrigen Tag.
FRAGE: Könnten Sie sich bitte zu den Sanktionen äußern? Welchen Standpunkt vertritt Deutschland mit Blick auf das Schließen von Schlupflöchern? Sollten Sanktionen gegen die Drittländer oder nur gegen die dort ansässigen Unternehmen verhängt werden?
CHRISTIAN LINDNER: Wir müssen weitere Maßnahmen prüfen, um die Umgehung von Sanktionen zu verhindern. Uns ist bewusst, dass es Länder gibt, die weiterhin nach Russland exportieren, und das ist nicht hinnehmbar. Wir möchten Druck auf Russland ausüben. Wir haben schwerwiegende Sanktionen verhängt und sie dürfen nicht von Ländern umgangen werden, die von der Sanktionsumgehung profitieren. Das können wir nicht hinnehmen.
FRAGE: Auf welche Weise werden diese Schlupflöcher Ihrer Ansicht nach geschlossen werden?
CHRISTIAN LINDNER: Daran arbeiten wir.
So, mehr schaffen wir jetzt heute Morgen nicht. Wir sehen uns wieder.