CHRISTIAN LINDNER: So, einen schönen guten Tag zusammen. Wir werden jetzt gleich mit der amerikanischen Finanzministerin Janet Yellen über die aktuelle Situation sprechen. Natürlich sind wir in besonderer Weise daran interessiert, wie in der amerikanischen Innenpolitik die Unterstützung der Ukraine eingeschätzt wird. Es ist unverzichtbar, dass auch die Vereinigten Staaten sich weiter daran beteiligen, die finanziellen Bedürfnisse der Ukraine zu decken. Das ist ein ganz wichtiger Baustein neben dem europäischen Engagement, damit auch internationale Finanzinstitutionen wirksame Unterstützung leisten können.
Die transatlantische Partnerschaft ist für Europa insgesamt von überragender Bedeutung. Nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern insbesondere wegen unserer gemeinsamen Wertebasis. Es ist ein gutes Zeichen also, dass die amerikanische Finanzministerin hier nach Luxemburg kommt, um mit europäischen Kolleginnen und Kollegen zu beraten. Das erlaubt uns auch, in internationalen Formaten gemeinsame Werte und Interessen zu vertreten.
Für uns hier in der Europäischen Union beziehungsweise der Währungsunion von großer Bedeutung ist die Arbeit an einer Kapitalmarktunion. Gerade im Gespräch mit den USA wird oft der Vergleich gewählt mit dem Inflation Reduction Act der Biden Administration. Tatsächlich haben wir hinsichtlich der öffentlichen Mittel, die wir einsetzen, keinen Wettbewerbsnachteil. Der Wettbewerbsnachteil, den wir in Europa gegenüber den USA haben, das ist der zerklüftete Kapitalmarkt. Wir haben 27 kleine Kapitalmärkte im Vergleich zu einem hochintegrierten, tiefen, leistungsfähigen amerikanischen Kapitalmarkt. Hier müssen und wollen wir besser werden. Gemeinsam mit meinem französischen Kollegen habe ich ja einen Arbeitsplan vorgelegt, was konkret passieren kann und soll. Das deckt sich mit unseren Vorhaben in der Eurogruppe. Bruno Le Maire und ich werden heute auch noch erläutern, welche Vorschläge wir im Einzelnen haben.
Ich verspreche mir davon, dass wir jetzt wirklich Tempo machen bei der Kapitalmarktunion. Wenn wir die Wettbewerbsfähigkeit Europas verbessern wollen, wenn wir auch die Transformation hin zu digitaleren und klimafreundlichen Wirtschaften erreichen wollen, dann ist der Hebel dazu die Kapitalmarktunion, nicht immer mehr öffentliche Subventionen.
Zum dritten werden wir heute und morgen natürlich bei vielen Gelegenheiten sprechen über den Economic Governance Review; wie der Stabilitäts- und Wachstumspakt weiterentwickelt werden muss. Wir haben eine Richtungsweisung in Marrakesch erhalten. Der Internationale Währungsfonds hat klar unterstrichen, dass wir wieder fiskalische Puffer aufbauen müssen. Die Politik der wachsenden Verschuldung muss beendet werden. Wir können nicht weiter expansiv wirtschaften. Das war die klare Empfehlung des Internationalen Währungsfonds. Und die weiteren Beratungen über den Economic Governance Review und den Stabilitäts- und Wachstumspakt sollten wir im Lichte der hochaktuellen Empfehlungen des Internationalen Währungsfonds; sollten wir sie führen. Die Rahmenbedingungen haben sich verändert. Die Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung des Stabilitäts- und Wachstumspakts sind heute, Ende 2023, andere als zu Beginn des Prozesses. Und deshalb muss auch der ursprüngliche Vorschlag der Europäischen Kommission natürlich im Lichte dieser veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen betrachtet werden. Die internationalen Experten geben uns den dringenden Rat, schneller die Defizite zu reduzieren, schneller und nachhaltig die Schuldenstände zu reduzieren, damit wir wieder resilient werden und damit wir auch weiterhin unseren Aufgaben nachkommen können.
Ja, das sind die Themen, mit denen wir uns beschäftigen werden.
FRAGE: Herr Minister, zum Economic Governance Review: Offenbar haben sich Frankreich und Deutschland noch nicht auf einen gemeinsamen Kompromiss geeinigt, vor allem bei zwei Punkten: Schuldenabbau und Defizitreduzierung. Was sind für Deutschland die roten Linien in diesen beiden Fragen?
CHRISTIAN LINDNER: Deutschland hat mehrere Non-Paper mit konkreten Vorschlägen vorgelegt. Wir brauchen eine numerische Benchmark und die gemeinsame Absicherungslinie. Die Defizite und die Schuldenquote müssen zurückgehen. Vor Luxemburg war ich in Marrakesch, wo uns der IWF dringend geraten hat, wieder fiskalische Puffer aufzubauen. Und wir müssen berücksichtigen, dass sich die Rahmenbedingungen und die Wirtschaftslage völlig geändert haben. Daher müssen wir in Bezug auf unsere Defizite und Schuldenstände ehrgeiziger werden.
FRAGE: Können Sie uns sagen, ob die Bundesregierung einer Entscheidung näher gekommen ist, wer die Nachfolge bei der EIB antreten sollte?
CHRISTIAN LINDNER: Nein, dazu kann ich öffentlich nichts sagen. Ja, wir haben eine Entscheidung getroffen. Tut mir leid. Schade! Tut mir wirklich leid!
FRAGE: Soll Paris sich zuerst dazu äußern?
CHRISTIAN LINDNER: Ich kann das öffentlich nicht kommentieren. Tut mir leid. Bis zu einer öffentlichen Bekanntgabe dauert es noch eine Weile.
FRAGE: Noch eine Frage zum Stabilitäts- und Wachstumspakt: Wie schlimm wäre es, wenn Sie in den nächsten Wochen keinen Kompromiss finden?
CHRISTIAN LINDNER: Wir sind zu einem Kompromiss bereit. Aber für die Glaubwürdigkeit der Mitgliedstaaten und insbesondere der Währungsunion wäre es schlimmer, Fiskalregeln zu haben, die nicht zu einem Schulden- und Defizitrückgang führen. Daher sind mir ausreichende Regeln lieber als Regeln, die in die falsche Richtung führen.
FRAGE: Herr Minister, Sie sagen, Sie wollen die Kapitalmarktunion; Fabio Panetta hat zum Beispiel gesagt, für eine Kapitalmarktunion bräuchte es auch ein European Safe Asset, ähnlich wie ein US Treasury Bond, der hilft, die Kapitalmarktunion in Gang zu bringen. Was halten Sie von diesem Argument?
CHRISTIAN LINDNER: Dieses Argument ist für uns nicht einschlägig. Deshalb findet sich dieser Vorschlag auch nicht in dem gemeinsamen französisch-deutschen Papier. Wir sollten das nicht weiterverfolgen.
FRAGE: Wieso nicht einschlägig?
CHRISTIAN LINDNER: Wir halten es nicht für erforderlich, dass es eine wie auch immer geartete gemeinsame europäische Kapazität gibt. Wir wollen ja die Rahmenbedingungen für die privaten Kapitalmarktakteure stärken. Wir wollen privates Kapital mobilisieren. Der Gedanke daran, dass gemeinsame Schulden in Europa in irgendeiner Weise unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern, diesen Gedanken teile ich nicht.
FRAGE: Eine Frage zur Ukraine. Wird Europa einspringen können für die USA, sollten die USA ihren finanziellen Unterstützungen nicht nachkommen können?
CHRISTIAN LINDNER: Es ist von überragender Bedeutung, dass die USA und Europa beide weiter die Ukraine unterstützen. Und das nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern in besonderer Weise aus politischen Gründen.
So, das war es. See you later!