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09.09.2024

JETZT im Dialog: Christian Lindner in Berlin

CHRISTIAN LINDNER: Meine sehr geehrten Damen und Herren, herzlich willkommen im Detlev-Rohwedder-Haus, im Bundesministerium der Finanzen! Heute geht es um Ihre Themen. Übrigens nicht nur Fragen, ich bin ja nicht allwissend, sondern hier geht es um Diskussion und deshalb will ich auch nicht zu lange sprechen. Wenn Sie Interesse an langen Reden von mir haben, verweise ich Sie an YouTube. Da gibt es eine breite Auswahl von Reden aus den letzten 20 Jahren zu allen möglichen Themen. Manche sind gut gealtert, andere sind schlechter gealtert, können Sie sich gerne ansehen.

Hier heute steht der Dialog im Zentrum. Deshalb nur drei kurze Gedanken: Ich weiß nicht, wer von Ihnen mit dem Gebäude vertraut ist oder schon die Gelegenheit zu einer Führung hatte. Es ist ein Haus, das, wie ich glaube, in einer besonderen Weise unsere jüngere deutsche Geschichte reflektiert. Es ist erstellt worden – und die Einschüchterungs-Architektur gibt ein Gefühl davon – als Reichsluftfahrtministerium für die Nazis. Hermann Göring hatte zwar hier nicht seinen Schreibtisch, aber die Reichsluftwaffe ist von hier geführt worden.

Nach dem zweiten Weltkrieg war es ein Behördengebäude für die Deutsche Demokratische Republik. Hier in diesem Saal, im Erzberger-Saal, hier fand die historische Pressekonferenz statt, als der damalige Staatsratsvorsitzende der DDR sagte: „Niemand beabsichtigt, eine Mauer zu bauen“. Das war in diesem Haus, im Haus der Ministerien der DDR und nach der deutschen Einheit. Dann war hier die Treuhandanstalt zur Privatisierung von Vermögen der DDR und dann das Bundesministerium der Finanzen, das übrigens heute auch für die sogenannte „Wiedergutmachung“ zuständig ist. Ich sage deshalb „sogenannte Wiedergutmachung“, weil das, was Menschen durch die Nazis erlitten haben als Opfer von Verfolgung, kann nicht wiedergutgemacht werden – es ist ein historischer Begriff – sondern es geht darum, historische Verantwortung für das zu übernehmen, was von Deutschen und was in deutschem Namen an Menschheitsverbrechen verübt worden ist.

Also ein Gebäude mit Geschichte, wirklich ein Denkmal, das uns zum Nachdenken bringt über unsere jüngere Geschichte und bei allem, was wir beklagen, verehrte Anwesende, meine Damen und Herren, an Unzulänglichkeiten, an Bürokratie, an Steuerungsmängeln der Einwanderung in unser Land, an Fragen der Funktions- und Handlungsfähigkeit unseres Staates; ich finde, trotz aller Herausforderungen in der Gegenwart und allem Grund, auch nach Verbesserung zu rufen, auf eines jedenfalls können wir stolz sein: Dass diese Gesellschaft, dass dieses Land, dass dieser Staat aus seiner Geschichte Lehren gezogen hat, und dass aus der dunkelsten Stunde unserer Geschichte, nämlich dem nationalsozialistischen Terror, der demokratischste, weltoffenste, liberalste Staat der deutschen Geschichte entstanden ist.

Über alles darf man in unserem Land streiten. Alles darf man in meinen Augen infrage stellen. Eines aber darf man nicht infrage stellen: unsere Verfassungsordnung, die eine Lehre aus der Geschichte selbst ist.

Der zweite Gedanke: Das Bundesfinanzministerium ist der Ort, wo über Ressourcen gestritten wird. Diese sympathische Finanzbehörde ist ihr Vermögensverwalter. Und ich rufe das deshalb in Erinnerung, weil wir alle ja zwei Herzen in unserer Brust haben. Das gehört zur Demokratie. Und wir haben keine richtigen deutschen Begriffe dafür, aber die englische Sprache hat Begriffe dafür. Im englischen kennt man den Begriff des „Taxpayers“, des Steuerzahlers, wie bei uns. Wir alle sind Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Jeder, denn die Mehrwertsteuer wird ja auch auf Waren erhoben, also sofern jeder auch vom Taschengeld oder vom Bafög zahlt Steuern. Und wenn es die Mehrwertsteuer ist. Im Deutschen gibt es das andere Wort, das die englische Sprache kennt, in der Form nicht, nämlich das Wort des „Taxeaters“, also das Steuer-Verzehrers. Also sprich, dass Bürgerinnen und Bürger Erwartungen haben an den Staat, was er finanziert, was er anbieten möge, mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

In Deutschland leisten wir uns gelegentlich die Illusion, wir alle seien in Wahrheit überwiegend Taxeater und irgendein abstrakter Dritter müsse das alles bezahlen. Und manchmal werden dann auch so noch Bypässe gelegt, um das so ein bisschen zu verschleiern. Dann spricht man über Schulden, obwohl die in Wahrheit ja auch von den Steuerzahlern, den Taxpayern, irgendwann beglichen werden müssen. Und klar ist, dass, wenn Taxpayer und Taxeater auch in unserem Herzen nicht einer Meinung sind, dann muss man vielleicht sich gar nicht so genau selbst die Karten legen: Man kann in der gleichen Sekunde Steuersenkungen und mehr Staatstätigkeit fordern. Das geht sofort. Da hat die CDU/CSU ein Geschäftsmodell draus gemacht. Als Opposition kann man das erst recht. Hier in diesem Haus aber, hier werden die Rechnungen zusammengelegt und das ist die Besonderheit des Bundesfinanzministeriums. Die Versöhnung von Taxpayer und Taxeater, die wir alle sind - persönlich - und auch die unterschiedlichen politischen Positionen, die damit verbunden sind: Hier werden die zusammengeführt in diesem Haus, weil auch der starke deutsche Staat nicht in der Lage ist, Adam Riese zu überlisten. Am Ende kann nämlich jeder Euro nur ein einziges Mal ausgegeben werden. Und die damit verbundenen schwierigen Entscheidungen, was wünschenswert ist und was unabweisbar notwendig ist, was jetzt erfolgen muss und was später passieren kann; diese Entscheidungen werden hier zumindest vorbereitet, denn Sie wissen, die endgültige Entscheidung trifft ja der Deutsche Bundestag als der Haushaltsgesetzgeber.

Aber die vorbereitende Arbeit und Begleitung, das ist die Aufgabe, die hier erfolgt. Nicht immer unumstritten, sondern oft ja kontrovers, wenn es um begrenzte Ressourcen geht und notwendige Prioritätensetzungen. Ja, dann fliegen mitunter die Fetzen. Das kann ich auch persönlich nach drei Jahren hier im Haus bezeugen.

Der dritte, letzte, ganz kurze Gedanke: Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergeht. Wir sind uns ja verschiedentlich jetzt in Sachsen begegnet, deshalb freue ich mich, dass wir uns hier heute wiedersehen. In Brandenburg war es, in Brandenburg war es. Und auch ganz wenige, ein, zwei, drei andere Gesichter hier kenne ich, alle anderen nicht. Deshalb weiß ich nicht, ob es Ihnen genauso ergeht wie mir. Nämlich ich habe das Gefühl, dass unsere öffentliche Debatte in Deutschland mitunter etwas verdruckst ist. Ich habe manchmal sogar den Eindruck, dass die Bandbreite, die Vielfalt der öffentlich diskutierten Meinungen auf sonderbarerweise eingeengt ist und dass deshalb manche Bürgerin, mancher Bürger das Gefühl hat, man dürfe bestimmte Dinge öffentlich nicht äußern, der Bereich des Sagbaren sei eingegrenzt. Ja, manche nicken sogar schon, wenn ich das ausführe. Wir machen es hier heute anders, meine Damen und Herren. Hier ist heute ein Forum der Meinungsfreiheit. Hier darf und hier muss alles gesagt werden. Vielleicht wollen Sie auch Dinge artikulieren, die gar nicht Ihre Meinung sind, von denen Sie nur gehört haben, dass Freunde berichtet haben, dass andere dieser Meinung sein könnten. Äußern Sie diese Meinung, die Sie gar nicht selber haben, aber von denen Sie mal gehört haben, dass andere sie haben könnten, obwohl Sie selbst sie gar nicht teilen, nur weil wir sie mal ausgesprochen hören müssen. Und deshalb hier heute gilt Meinungsfreiheit und nur eine Regel: Respekt vor der Meinung des anderen. Denn Meinungsfreiheit bedeutet ja, eine Meinung zu haben, aber nicht frei zu bleiben von der Meinung eines anderen, auch wenn sie der eigenen widersprechen könnte.

Und in diesem Sinne freue ich mich jetzt sehr auf den Austausch mit Ihnen. Wie gesagt, nicht nur Fragen sind erlaubt, sondern auch explosive und experimentelle Thesen. Vielen Dank, dass Sie hier sind. – Meine sehr verehrten Damen und Herren!

MODERATORIN: Vielen lieben Dank an Herrn Minister erst mal. Herr Lindner hat gerade selber gesagt, Sie haben nun die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Da sind ein paar Sachen, die Sie bitte beachten. Und zwar ganz wichtig ist, die Hand zu heben, wenn Herr Minister zu Ihnen kommt, oder ich wenn – Sie, Herr Lindner, zu Ihnen kommt.

CHRISTIAN LINDNER: Also nicht, dass ich das nicht gerne hören würde, dieses Wort, ja schon, aber ich brauch es nicht.

MODERATORIN: Dann ist es ganz wichtig, auf jeden Fall kurz die Hand zu heben. Wenn entweder Herr Lindner zu Ihnen kommt oder ich oder die liebe Vera, die auch eben hier in dem blauen Anzug ist: dann ist es wichtig, aufzustehen und die Frage wirklich so kurz wie möglich zu äußern, weil es wollen natürlich so viele wie möglich drankommen. Let`s go, oder? Machen wir let`s go. Wer will die Allererste sein? Ich würde sagen, die Dame. Dann gehe ich mal ganz kurz hin. Genau schießen Sie los. Guten Tag.

FRAGE: Guten Tag Herr Lindner, Eva E. aus Berlin – geboren und aufgewachsen. Ich bin jetzt auch ein bisschen aufgeregt. Darum habe ich mir Notizen gemacht. Ich danke Ihnen, dass Sie gesagt haben, wir können auch Kommentare an Sie abgeben. Das finde ich eine schöne Gelegenheit, nicht nur in Social Media sich zu äußern, sondern mit Ihnen direkt zu sprechen. Ich würde gern über zwei Stichworte mit Ihnen reden. Das eine ist Vermögenssteuer, das andere ist Klimageld. Zu dem ersten habe ich gefunden, die Vermögenssteuer gab es über 100 Jahre, von 1893 bis 1997. Und sie existiert immer noch. Sie ist lediglich ausgesetzt zur Überprüfung. Diese Überprüfung, davon habe ich nichts gehört, dass das irgendwie stattgefunden hat, um die wieder einzusetzen. Es wurde in einer Zeit hoher Arbeitslosigkeit und sehr hoher Höchstbesteuerung eingeführt, die jetzt nicht mehr vorhanden ist. Entschuldigung, nee, ich wollte ja die Kommentare geben. Es gibt eine Kampagne, sehr vermögender Menschen, die sagen: „Tax me now!“ Die möchten gerne diese Vermögenssteuer wieder eingesetzt sehen. Und darum fordere ich von Ihnen als Finanzminister die Wiedereinsetzung für den sozialen Frieden und für die Gerechtigkeit. Denn auch wenn ich jeden Menschen, der viel gearbeitet hat oder viel geerbt hat oder einfach Glück im Leben hatte und gesund ist: Ich gönne jedem Menschen sein Boot, sein schönes Haus, sein Auto, sein schönes Leben. Aber wir sind keine Insel als Menschen.

CHRISTIAN LINDNER: Denken Sie auch an die anderen Gäste, ja?

FRAGE: Ja. Kein Mensch ist eine Insel, sondern wir sind eine Gesellschaft und wir haben eine Verantwortung füreinander und davon fehlt mir sehr viel. Davon können Länder Schulen, ÖPNV, sozialen Wohnungsbau, Schwimmbäder und Energieautonomie finanzieren, wie zum Beispiel Windparks, Solarflächen auf alle öffentlichen Dächer, Stromspeicher und Trassen.

CHRISTIAN LINDNER: Vielen Dank

FRAGE: Ich bin noch nicht fertig.

CHRISTIAN LINDNER: Man kann damit alles finanzieren wollen.

FRAGE: Ich wollte nur sagen, das Geld steht den Kommunen zu, also den Ländern, und die brauchen das dringend. Da fehlt es und das andere ist das Klimageld.

CHRISTIAN LINDNER: Ich bitte um Nachsicht, weil es war jetzt eine sehr umfängliche Frage mit Kommentar. Die haben wir alle gerne gehört. Die zweite Frage müsste dann jemand anders sich später zu eigen machen. Sie merken sich, Klimageld wäre hier noch ein Thema gewesen, aber mit Rücksichtnahme auf die anderen würde ich sagen, weil ja …

FRAGE: ... Nur ganz kurz ...

CHRISTIAN LINDNER: ... Nee ...

FRAGE: ... Es wird Armut und Wut der Bürger und die Ungerechtigkeit im Sozialstaat geben, und Sie haben Werbung mit Klimaschutz gemacht, und Herr Wissing wird ...

CHRISTIAN LINDNER: Sie müssten jetzt wirklich Rücksicht auf die anderen nehmen. Sie müssen wirklich jetzt Rücksicht auf die anderen nehmen, sonst geht das nicht.

[FRAGE]... Geld bezahlen müssen für die Nichteinhaltung der Sektorziele. Das möchte ich, dass die Bürger das auch wissen.

CHRISTIAN LINDNER: Das wissen die Bürger möglicherweise. Aber ich möchte wirklich sagen, Sie haben allen Respekt, wenn Sie eine Frage und einen Kommentar äußern, aber Sie dürfen die Veranstaltung nicht zu Lasten der anderen kapern. Deshalb bitte ich Sie alle, einigermaßen zurückhaltend zu sein.

Ich beantworte die Frage zur Vermögenssteuer aber sehr gerne, mit einer provokanten Bemerkung: Jene, die sagen, „tax me now“, die also der Meinung sind, ihre eigene Steuerbelastung sei zu gering, denen sage ich, bezahlt eure Mitarbeiter dann besser, wenn ihr glaubt, zu hohe Gewinne zu machen, als Unternehmen, dann erhöht die Löhne eurer Beschäftigten. Im Übrigen gibt es hier auch ein Konto beim Finanzministerium, auf das kann man freiwillig Zusatzsteuern zahlen. Die Kontonummer kann ich bekannt geben, die ist auch online zu finden. Also wer sagt „tax me now“, der kann, bevor es eine Steuer gibt, den eigenen Worten Taten folgen lassen und dem Staat das Geld zur Verfügung stellen. Das gäbe es also.

Keine steuerpolitische Entscheidung bleibt ohne Vor- und ohne Nachteile. Jede steuerpolitische Entscheidung, die man trifft, also auch die Einführung einer Vermögenssteuer, hat Vor- und Nachteile. Die Vorteile der Einführung einer Vermögenssteuer haben Sie dargestellt. Die Vermögenssteuer ist eine Steuer, die in die Länderhaushalte fließt, also nicht in den Bundeshaushalt, sondern in die Haushalte der Länder, wie Übrigens auch die Erbschaftssteuer. Deshalb wäre für mich jetzt vom Verfahren her ohnehin zunächst angezeigt, dass die Länder, deren Steuer es ist, eine Initiative ergreifen zur zum Beispiel Wiedereinführung der Vermögenssteuer oder zu einer Reform der Erbschaftssteuer. Es könnte auch der Bund, aber da es eine Ländersteuer ist, wäre es eigentlich angezeigt, wenn es den Wunsch der Länder gibt, dass jene auch eine Initiative über den Bundesrat ergreifen. Aber das ist jetzt nur die verfahrensmäßige Einordnung.

Ich sage Ihnen jetzt in der Sache, warum ich strikt dagegen bin, die Vermögenssteuer wieder einzuführen und warum ich strikt dagegen bin, zu den oft geforderten Änderungen bei der Erbschaftsteuer „ja“ zu sagen. Wir verlieren mehr, als...

DEMONSTRIERENDE: „Frauen werden umgebracht, weil du deinen Job nicht machst.“ „Frauen werden umgebracht, weil du deinen Job nicht machst.“

CHRISTIAN LINDNER: Ganz kurz: Können Sie ein Argument nennen?

DEMONSTRANTIN: Zu wenig Finanzierung.

CHRISTIAN LINDNER: Für was?

DEMONSTRANTIN: Frauenschutz.

[CHRISTIAN LINDNER] Für was?

DEMONSTRANTIN: Für den Frauenschutz.

CHRISTIAN LINDNER: Es gibt leider zu wenig Austausch von Argumenten. In diesem speziellen Fall hätte man darauf hinweisen müssen, dass hier der falsche Ort ist, weil nämlich die wesentlichen Fragen etwa im Bereich der Prävention von Gewalt gegen Frauen und auch Infrastrukturen wie Frauenhäuser ja von Ländern und Gemeinden finanziert werden, also insofern wir hier gar nicht im engeren Sinne eine Zuständigkeit haben. Aber leider gehört das zu unserer Gegenwart dazu, dass der Austausch leider von manchen nicht gewünscht ist, weil es eher darum geht, Szenen und Bilder für Social Media zu produzieren. Das ist aber eine schlimme Silo-Bildung in unserer Gesellschaft, weil man nämlich dann Inhalte, „Content“, wie man sagt, produziert für diejenigen, die ja ohnehin schon der eigenen Meinung sind. Und spannend wäre es doch, andere von der eigenen Meinung zu überzeugen. Aber dann muss man natürlich in den Austausch gehen. Und insofern, wenn die mich als Ratgeber irgendwann mal bemühen würden, dann würde ich denen andere Tipps geben, wie man vielleicht auch seine berechtigten Anliegen noch wirksamer vortragen kann als durch solch eine Social Media-Aktion.

Zurück zu Ihrer Frage zur Vermögenssteuer. Ich war gerade dabei, auszuführen, warum ich strikt dagegen bin und vor der Performance hatte ich bereits den Satz geäußert: Wir verlieren mehr als wir gewinnen. Denn anders als Sie zum Ausdruck gebracht haben, geht es nicht um, Sie haben gesagt, die schönen Häuser und die Sportwagen und die Yachten. Das Vermögen in Deutschland ist in der Regel nicht Gemäldesammlung und Yacht und Villa und Ferienhaus an der Cote d'Azur. Das Vermögen in Deutschland ist das geistige Eigentum eines Familienunternehmens. Es ist der Fuhrpark, es ist der Maschinenpark, es sind die Gebäude, die benötigt werden, damit Menschen ihren Arbeitsplatz haben, damit in Deutschland Wohlstand produziert wird, damit Wertschöpfung produziert wird. Man denkt an die Geissens bei der Vermögenssteuer, aber gemeint ist der Handwerksbetrieb um die Ecke. Gemeint ist das Familienunternehmen, das seinen Sitz nicht einfach so auf die Cayman Inseln verlagert, sondern das hier an diesem Standort Ausbildungsplätze, Arbeitsplätze anbietet und bereits hohe, im internationalen Vergleich sogar sehr hohe Steuern bezahlt.

Warum verlieren wir alle etwas, auch diejenigen, die kein Vermögen haben, wenn wir jetzt die vielen Milliarden Euro, die gefordert werden, über die Vermögenssteuer einziehen, wenn wir diese eine solche Vermögenssteuer tatsächlich beschließen? Die mittelständischen Betriebe, auch größeren Familienbetriebe mit mehreren hundert Beschäftigten, die stehen auch in einem internationalen Wettbewerb. Wenn wir jetzt neben den hohen Steuern auf den Gewinn - ich weiß gar nicht, ob jedem bewusst ist, wie hoch die Steuern auf Gewinn sind: über 48 Prozent, das ist die Gesamtinanspruchnahme des Gewinns. Man schaut immer so auf die Unternehmenssteuer, internationaler Vergleich: 30 Prozent, ja, ja. Aber bei demjenigen, der den Gewinn, die Dividende erzielt, wird ja individuell auch nochmal versteuert, sodass das in der Spitze beim ausgeschütteten Gewinn einer Kapitalgesellschaft 48,34 Prozent sind, hier in dem Fall mit Kirchensteuer. Also das ist bereits eine enorme Belastung.

Und wenn wir darüber hinaus jetzt sagen, auf die Substanz des Unternehmens, sagen wir mal, ein Familienbetrieb ist zehn Millionen wert. Und auf diese Substanz des Betriebs soll dann auch noch eine Vermögenssteuer bezahlt werden aus dem Gewinn. Das nimmt den Unternehmen die Möglichkeit, zu investieren. Das nimmt den Unternehmen auch die Möglichkeit, Reserven aufzubauen für den Fall eines wirtschaftlichen Abschwungs, damit man nicht sofort beispielsweise die Beschäftigtenzahl reduzieren muss. Und aus diesem Grund bin ich strikt dagegen, weil ich möchte, dass die Unternehmen erfolgreich sind, dass sie Ausbildungs- und Arbeitsplätze anbieten, dass sie auf dem Weltmarkt durch überlegene Produkte und Dienstleistungen, Gewinne erzielen, die sie dann hoch bei uns besteuern, und damit können wir unseren Staat finanzieren.

Es gibt noch ein letztes kurzes Argument, ein technisches Argument, warum ich bei der Vermögenssteuer sehr skeptisch bin. Überlegen Sie einmal, dass dann in jedem Jahr bei Menschen, die betroffen sein könnten, alle Vermögensgegenstände bewertet werden müssen. Also vom Gemälde an der Wand bis zum Haus bis zum Unternehmen muss jedes Jahr das Vermögen bewertet werden. Das würde unsere Finanzverwaltungen lahmlegen, weil natürlich das alles auch geprüft werden muss. Man darf also davon ausgehen, dass der Erhebungsaufwand, also wie viele Beamtinnen und Beamte braucht man, um eine Steuer zu erheben, und der Ertrag, also wie viel Geld kommt rein, dass das in keinem gesunden Verhältnis steht. Und aus diesem Grund werden Sie in mir einen Gegner der Vermögens- und der Erbschaftsteuer sehen.

Bitte? Ja, 100 Jahre hat es funktioniert, aber unser Steuersystem hat sich deutlich verändert, und auch der internationale Kontext. Heute ist die Ertragssteuer, also das, was man auf den Gewinn zahlt, höher als andernorts und höher als in der Vergangenheit. Übrigens könnten Sie anders argumentieren. Sie könnten sagen: Ja, aber andere Staaten haben doch eine Vermögenssteuer. Das könnte auch ein Argument sein. Dem würde ich entgegnen: In Deutschland wird aber teilweise sogar der Erwerb eines Vermögensgegenstands besteuert durch etwa die Grunderwerbsteuer. Die gibt es in anderen Ländern nämlich nicht. Also insofern hilft auch der internationale Steuervergleich nicht immer weiter.

So, das waren die ersten beiden Themen: Gewalt und zum anderen Vermögenssteuer. Wer hat die nächste Frage? Würde ich mal sagen, bei dem Herrn, ja.

FRAGE: Rainer H., wie man an meiner Sprache hört, nicht aus Berlin, aber so seit 19 Jahren hier lebend und arbeitend. Wenn man hier die Treppe hochkommt, steht da unten ein Schild: 75 Jahre Finanzen für die Demokratie. Ich möchte das Stichwort Demokratiefördergesetz aufgreifen, was in Ihrem Koalitionsvertrag mit Ihren Partnern steht, da es auch einen Beschluss Ihrer beiden Kolleginnen Faeser und Paus gibt, der seit anderthalb Jahren vorliegt etwa. Und Sie sind ja auch Fraktionsmitglied und FDP-Vorsitzender, nicht nur Finanzminister. Von daher haben Sie ja eine gewisse Rolle, Funktion und Verantwortung und auch Einfluss. Wann kommt dieses Gesetz noch als eine zu erledigende Aufgabe in dieser Legislaturperiode, die ja nun langsam zu Ende geht? Und in Bezug auf Sie und Ihrer Anmoderation: Entscheidungen müssen getroffen werden. Jetzt. Danke!

CHRISTIAN LINDNER: Ja, herzlichen Dank! Ich mache eine kurze Vorbemerkung, und dann gehe ich auf dieses Gesetzgebungsvorhaben im engeren Sinne ein.

Die Förderung von Demokratie gelingt am besten, wenn die Demokratie liefert. Wenn die Demokratie die Probleme, die Menschen beschreiben, löst, dann ist das die beste Versicherung dagegen, dass Menschen sich Alternativen zur Demokratie und zu einem politischen System wie dem unseren suchen. Wenn offensichtliche Probleme nicht gelöst werden, wenn die Parteien des demokratischen Zentrums in unserem Land nicht in der Lage sind, offensichtliche Probleme zu lösen, dann hilft der beste Kurs vor Ort, die beste politische Bildung nicht. Dann werden wir erleben, dass Menschen sich im wahrsten Sinne des Wortes Alternativen suchen zu den etablierten demokratischen Parteien. Und deshalb kann ein Demokratiefördergesetz niemals ersetzen, das Bemühen darum, die Prioritätenliste der Bürgerinnen und Bürger abzuarbeiten.

Und um es konkret zu machen: Einer der wesentlichen Trigger-Punkte für Parteien, die unser System infrage stellen, in Deutschland, ist die ungenügende Ordnung der Einwanderung nach Deutschland. Wenn wir ein weltoffenes, ein tolerantes, ein liberales Land bleiben wollen, und wir müssen es, dann müssen wir Konsequenz und Kontrolle bei der Einwanderung wiederherstellen. Denn Weltoffenheit, Toleranz und Vielfalt haben die Voraussetzung, dass wir kontrollieren, wer zu uns kommt, dass wir entscheiden können, wer bleibt, und dass wir die Konsequenz haben, im Zweifel durchzusetzen, dass diejenigen ohne Aufenthaltsrecht unser Land wieder verlassen.

Beim Demokratiefördergesetz jetzt im engeren Sinne laufen die Beratungen, aber es gibt Dissenspunkte. Für mich ist es eine zwingende Voraussetzung, dass all diejenigen, die für unsere Demokratie eintreten wollen und dafür Geld vom Steuerzahler möchten – Darum gehts ja, es geht darum, dass Initiativen und NGOs Geld vom Steuerzahler bekommen –, das ist dieses Gesetz. Und sie bekommen das Geld, weil sie demokratiefördernde Initiativen ergreifen, Veranstaltungen vor Ort, Unternehmen und so weiter und so fort. Für mich ist eine Voraussetzung, dass diejenigen, die von diesem Gesetz profitieren wollen, um die Demokratie zu fördern, dass die sich selbst zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vorbehaltlos bekennen. Es kann nicht sein, dass man Initiativen fördert, zum Beispiel von ganz links, die in Wahrheit auch unser Gesellschafts- und Wirtschaftssystem infrage stellen wollen. Und nur weil die von ganz links gegen die ganz rechts sind, helfen die noch nicht der Förderung der Akzeptanz unserer demokratischen Ordnung. Und das ist der Dissenspunkt, über den wir gerade sprechen, weil es hier zwischen den drei Parteien unterschiedliche Auffassungen gibt.

Ja zu einem Demokratiefördergesetz, aber es kann eben nur dann ein Demokratiefördergesetz geben, wenn im Zentrum derjenigen, die dort Geld erhalten, die Unterstützung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht und nicht in Wahrheit nur ein Kampf gegen rechts. Denn letztlich ist es unserer Verfassung egal, von wo aus sie infrage gestellt wird, von ganz links oder von ganz rechts. Und auch bei Gewalt ist es eigentlich egal, ob das jetzt Gewalt von ganz rechts oder von ganz links ist, oder Gewalt, die islamistisch motiviert ist. Im Grunde geht es immer darum, unsere Ordnung 360 Grad zu verteidigen, von wo auch immer der Angriff erfolgt.
Nächste Frage: Sie achten so ein bisschen auf Generationen und Geschlechter im Ausgleich.

MODERATORIN: Auf alle Fälle, jetzt ganz kurz ein Herr, dann wieder eine Frau. Ihre Frage.

FRAGE: Guten Tag! Christoph Rauhut ist mein Name. Ich bin Landeskonservator in Berlin, also das, was man den obersten Denkmalschützer nennt. Und wir koordinieren den Tag des offenen Denkmals. Und ich möchte Ihnen an der Stelle erstmal sehr herzlich danken, dass sie Ihr Haus heute öffnen.

CHRISTIAN LINDNER: Gerne.

FRAGE: Sie sind ja das zweite Mal dabei. In Berlin sind über 350 Häuser heute offen. Das sind vielfach ...

CHRISTIAN LINDNER: Es Ist eine Ehre, dass Sie ausgerechnet dann zu uns kommen.

FRAGE: Ich reise heute durch die Stadt. Es sind eben vielfach Bürger, die sich auch sehr stark für ihre Denkmale einsetzen, die öffnen, die wir auszeichnen. Und da würde ich gerne dran anknüpfen mit einer Frage. Der Schutz des kulturellen Erbes ist uns wichtig. Wir haben Institutionen, wie ein Landesdenkmalamt, das das macht. Aber er steht nicht im Grundgesetz. Warum?

CHRISTIAN LINDNER: Das ist eine gute Frage! Ich habe ein Geständnis zu machen. Ich habe mich noch nie mit ihr beschäftigt. Und ich würde zunächst dann standardmäßig antworten, dass bei zusätzlichen Staatszielen eine gewisse Sparsamkeit eigentlich empfehlenswert ist, weil die Verfassung sollte schlank sein. Und die quasi tägliche Politik sollte sich aus der Verfassung abbilden. Idealerweise sollte aber nicht täglich der Versuch unternommen werden, in die für viele Jahrzehnte, Teile sogar unseres Grundgesetzes sind ja auf Ewigkeit angelegt, dort immer zusätzliche Staatsziele zu formulieren. Aber ich will Sie mit dieser Standardantwort gar nicht dann alleine lassen, sondern ich nehme das gerne mal auf. Sie haben sich jetzt ja auch schon identifiziert, sodass ich Sie finde im Nachgang der Veranstaltung. Und dann kriegen Sie individuell auch noch eine Antwort, was genau ich nach nachdenken dazu sagen kann. Einverstanden? Okay!

MODERATORIN: Wer hat sonst noch eine Frage? Ich gehe mal zu der Dame ganz hinten, oder die Vera.

FRAGE: Hallo! Mein Name ist Alina Reize. Ich bin Bundesvorstand der BUND-Jugend. In diesem Amt repräsentiere ich 84.000 junge Menschen – übrigens mehr Mitglieder als die FDP, aber darüber sollte heute auch gar nicht gehen. Ich möchte nur sagen, ich spreche heute nicht nur für mich, sondern für viele junge Menschen, wenn ich sage, dass es mich stört, dass im Namen meiner Generation eine Schuldenbremse gefordert wird, denn junge Menschen brauchen keine Schuldenbremse, sondern jetzt Investitionen in Klimaschutz, in Infrastruktur, in Bildung und so viel mehr, und dann wird – dankeschön! Und mich würde interessieren, warum Sie so sehr an dieser Schuldenbremse festhalten im Namen von jungen Menschen, in den Namen Sie auch vielleicht gar nicht sprechen können.

CHRISTIAN LINDNER: Vielen Dank für die Frage. Ich hatte gehofft, dass wir auch über das Thema heute noch sprechen können. Was die Frage der Legitimität angeht, mit großen Respekt vor Ihren 84.000 Mitgliedern. Ich bitte aber zu bedenken, dass die stärkste Partei bei den Erstwählern bei der letzten Bundestagswahl meine war. Das heißt, mehr 18-Jährige haben mich und meine Partei gewählt, als bei Ihnen Mitglied sind. Und deshalb führen solche Legitimationsfragen nicht immer weiter. Lassen Sie uns einfach in der Sache miteinander sprechen und nicht so kleine Stiche verteilen. Die bringen uns ja nicht weiter.

In der Sache: Ja zum Klimaschutz, eine Menschheitsaufgabe, ja übrigens zum Thema Stärkung unserer Sicherheitsbehörden, Stärkung und Ertüchtigung unserer Bundeswehr für die Bündnisverteidigung. Sie haben in mir einen absoluten Befürworter von zusätzlichen Investitionen in digitale Netze, Schiene und Straße. Wir müssen mehr tun für Bildung und Schulen. Das sind wichtige Aufgaben, die unser Staat hat.

Wir haben auch über eine lange Zeit zu wenig öffentliche Investitionen gehabt, im ganzen letzten Jahrzehnt beispielsweise. Das war eine Phase, in der gar keine Schulden gemacht worden sind. Wir machen jetzt ja 50 Milliarden Euro Schulden im Jahr. Im vergangenen Jahrzehnt gab es die sogenannte „Schwarze Null“, das heißt, das, was erlaubt gewesen wäre an Verschuldung wurde nicht genutzt. Also im vergangenen Jahrzehnt hätte man Milliarden zusätzliches Geld investieren können, aber man wollte es nicht. Die politische Auffassung war, wir verschulden uns gar nicht, haben eine schwarze Null. Insbesondere die Ebene der Gemeinden, das sind zum Beispiel die Schulgebäude, haben sehr stark reduzierte Investitionen. Wenn wir heute auf Deutschland schauen, dann ist es insbesondere die gemeindliche Ebene, die mich besorgt, was die Investitionen angeht. Der Bund hingegen investiert inzwischen auf Rekordniveau. Wir investieren auf Rekordniveau in die Bahn, wir investieren auf Rekordniveau in den Klimaschutz in Deutschland, auf Rekordniveau mit öffentlichem Geld.

Das Gros aber der Investitionen, die wir brauchen, zur Erreichung der Treibhausgasneutralität sind private Investitionen, keine staatlichen. Der Staat kann nicht den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft finanzieren. Das ist eine Aufgabe von Wirtschaft und Gesellschaft selbst. Deshalb brauchen wir da übrigens auch, ich will nicht zu lang werden, sondern auf den Kern Schuldenbremse zurückkommen, brauchen wir dafür auch marktwirtschaftliche Lösungen. Das Törichste, was wir tun können, ist, dass Politikerinnen und Politiker Entscheidungen treffen über physikalische und technische Fragen, weil Politiker haben schon viel Ahnung, die allerwenigsten von Technik, Naturwissenschaft und physikalischen Zusammenhängen. Und wenn wir Ziele vorgeben, die Treibhausgasneutralität, aber bei dem Weg dahin nicht vorgeben, es muss das batterieelektrische Auto sein, sondern nur sagen, es muss ein klimafreundliches Auto sein, Antrieb, egal, dann machen wir es uns allen leichter, übrigens auch günstiger.

Jetzt zur Schuldenbremse selbst: Alles Geld, was wir über die Schuldenbremse einnehmen, zahlen wir zurück, und zwar mit Zinsen an die internationalen Kapitalmärkte. Gegenwärtig im Bundeshaushalt haben wir etwa 36 Milliarden Euro von Ihrem Geld, dass ich jährlich an die internationalen Kapitalmärkte überweisen muss für die Schulden der Vergangenheit, in jedem Jahr 36 Milliarden. Überlegen Sie mal, was wir mit den 36 Milliarden machen könnten, wenn wir fiktiv schuldenfrei wären. Dann hätten wir 36 Milliarden Euro mehr für die ganzen Investitionen, die Sie genannt haben. Wenn wir jetzt uferlos neue Schulden machen würden für die ganzen wichtigen Dinge, die Sie genannt haben, dann würden wir natürlich auch enorm viel an Zinsen zahlen. Übrigens würden die Zinsen dann irgendwann auch steigen, also noch höher werden prozentual, weil die internationalen Finanzmärkte sagen, na, jetzt ist Deutschland so hoch verschuldet, jetzt müssen wir Risikoaufschläge machen, wie das andere ja in der Welt auch, insbesondere in Europa, zahlen müssen. Also insofern, der erste Grund ist ein ökonomischer. Je höhere Schulden wir machen, desto mehr Zinsen müssen wir zahlen. Wir borgen uns das aus der Zukunft, aber es wird uns nicht geschenkt. Und irgendwann kommt man in die Situation schon in wenigen Jahren, dass man Steuern erhöhen muss oder öffentliche Leistungen einschränken muss, nur um die Zinsen der Vergangenheit zu begleichen.

Es gibt ein zweites Argument, das mache ich aber nur kurz andeutungsweise: Deutschland ist nicht allein, sondern Deutschland ist die wichtigste Volkswirtschaft innerhalb der Europäischen Union. Man könnte argumentieren: „Deutschland hat ja noch mehr Spielraum, Deutschland könnte ein paar Schulden mehr machen. Wenn der lästige Lindner weg ist, ändern wir das Grundgesetz: Schuldenbremse weg, und dann machen wir mehr Schulden! Endlich!“ Dieses Argument verkennt, dass wir eines von 27 Mitgliedsländern der Europäischen Union sind. Wir haben dort eine Vorbildfunktion, uns an europäisches Recht zu halten. Die europäischen Fiskalregeln erlauben nämlich gar nicht die hohen Schulden, die manche in Deutschland machen wollen. Wir müssten also als größte Volkswirtschaft der Europäischen Union vorsätzlich europäisches Recht brechen, um die ganzen Fantasien von mehr Schulden in Deutschland wahr werden zu lassen. Ich frage Sie: Welche Auswirkungen hätte das, wenn Deutschland als größte Volkswirtschaft sagt: „Wir machen jetzt einfach mehr Schulden. Die europäischen Regeln, das europäische Recht ist uns egal.“? Welche Auswirkung hat das auf Frankreich, auf Italien? Ich sage Ihnen, dann brechen überall die Dämme, und wir hatten vor gut 15 Jahren einmal eine globale Finanzkrise. Das war in Europa eine Staatsschuldenkrise. In diesem Zusammenhang ist sehr viel Wertschöpfung vernichtet worden. Und Menschen hatten Angst um ihre Existenz. Die älteren hier erinnern sich. Es war eine dramatische Situation, und eine solche Situation darf sich nach meiner Überzeugung nicht wiederholen. Und deshalb ist eine stabilitätsorientierte Fiskalpolitik wichtig.

Und die Prioritäten, die Sie genannt haben, die können wir trotzdem verfolgen, unter einer Bedingung. Wir müssen den Mut haben zur Prioritätensetzung. Denn dieser Staat hat mit einer Billionen Euro Einnahmen genug Geld. Aber er muss den Mut haben, Prioritäten zu setzen. Er muss den Mut haben zu sagen: Weil die Frage Bildung, Bundeswehr, Sicherheit, Klimaschutz, digitale Netze so wichtig ist, können wir dieses, jenes andere eben nicht mehr in der gewünschten Weise finanzieren, zumindestens nicht heute, weil anderes heute wichtiger ist und weniger wichtigeres dann auf morgen warten muss. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. Alles gleichzeitig kann man sich wünschen. Man kann es versprechen, aber niemals liefern. Sie haben noch eine Nachfrage.

FRAGE: Genau, ich halte sehr kurz, um nicht mehr Raum einzunehmen. Ich hätte viele Punkte, auf die ich gerne eingehen würde, beispielsweise die Verantwortung an den Privatsektor und Einzelhaushalte andere Länder abzugeben. Darauf möchte ich nicht eingehen, sondern Ihren Punkt, dass es teurer wird für die Gesellschaft, für die Zukunft, wenn wir mehr Zinsen in Zukunft haben. Es gibt sehr viele Studien, die belegen, dass es sehr viel teurer wird, wenn wir nicht jetzt in Klimaschutz investieren, sondern im Nachhinein, wenn die Folgen der Klimakatastrophe hier sind, in Klimaanpassung zu investieren, ganz zu schweigen von den ganzen Menschenleben, die wir nicht zurückholen können durch Extremwetterereignisse und Hitzeperioden. Und deswegen mein Angebot auch an Sie: Mir ist es wichtig, dass die Fronten sich nicht verhärten, sondern dass man im Austausch bleibt. Und auch wir Umweltorganisationen gehen gerne in Austausch. Und ich schicke Ihnen gerne Studien zu, die das belegen. Und wir fragen uns einfach, wie angesichts dieser wissenschaftlichen Tatsachen nicht die richtigen Konsequenzen gezogen werden.

CHRISTIAN LINDNER: Die wissenschaftlichen Tatsachen hinsichtlich der Erderwärmung und ihrer Folgen sind unbestritten. Aber Sie schlussfolgern daraus, dass genauso wissenschaftliche Evidenz bestünde über den einen Weg zum Klimaschutz. Es wird ja nicht gestritten um die Frage des „Ob“'s, sondern gestritten wird über die Frage, wie Klimaschutz erfolgt. Und da gibt es unterschiedliche Schulen. Die erste Schule setzt sehr stark darauf, dass der Staat das Verhalten lenkt, dass der Staat von oben entscheidet, welche Branche, welche Technologie Zukunft hat, dass der Staat Vorschriften macht, auch für das private Leben, dadurch, dass er zum Beispiel Urlaubsflüge oder Fleischkonsum verteuert. Und die zweite Schule ist, zu sagen: Wir sehen, dass die Bürgerinnen und Bürger Selbstverantwortung übernehmen können, dass sie als Erwachsene Entscheidungen treffen. Und wir geben einen Rahmen vor und sagen: Ja, unser Ziel ist, die Treibhausgasneutralität im Fall der Europäischen Union bis 2050 und durch geeignete Mittel, zum Beispiel dadurch, dass wir CO2 einen Preis geben. Und wenn etwas einen Preis hat, dann funktioniert der marktwirtschaftliche Mechanismus, mit einer Knappheit umzugehen. Wenn etwas teurer ist, will man möglichst wenig davon kaufen müssen und trifft andere Entscheidungen für die eigene Heizung oder vielleicht für die neue Industrieproduktion, die man anstellt. Das sind die zwei unterschiedlichen Schulen. Kein Geheimnis: Ich neige der zweiten zu.

Ich möchte aber noch ein wichtiges Argument einführen, was mir in unserer deutschen Klimadebatte mitunter zu kurz kommt: Deutschland ist nur für einen sehr kleinen Teil der globalen Emissionen verantwortlich, wie Sie wissen. Entscheidend ist, dass die Volksrepublik China, Südamerika, die USA, Afrika, andere Schwellen- und Entwicklungsländer, dass die in gleicher Weise sich dem Klimaschutz verpflichtet fühlen. Und da ist unsere Aufgabe nun. Unsere Aufgabe ist nicht, um jeden Preis, koste es was es wolle, unsere eigenen Klimaziele zu erreichen oder zu erfüllen, so schnell wie möglich, egal welche Kosten. Denn wir würden es uns schwer machen. Wenn Menschen das Gefühl haben, sie verlieren die Freiheit, über ihren Lebenswandel zu entscheiden, sie verlieren die Perspektive auf einen sicheren Arbeitsplatz, sie verlieren die Chance, im Leben wirtschaftlich voranzukommen, das setzt die Akzeptanz des Klimaschutzes aufs Spiel. Menschen wollen Freiheit und wirtschaftlichen Fortschritt für sich und ihre Familie verbunden wissen mit Klimaschutz. Wenn das nicht verbunden werden kann, dann drohen Phänomene wie in Frankreich seinerzeit der Protest der Gelbwesten. Und auf der anderen Seite, wenn andere wie China oder Südamerika nach Deutschland schauen und sagen: Schaut, Deutschland, das war einst eine stabile Demokratie.

Schaut, Deutschland, das war einst ein starkes Industrieland. Und dann haben die Klimaschutz gemacht, koste es was es wolle, und haben dadurch den sozialen und demokratischen Frieden aufs Spiel gesetzt, weil die Menschen sich dagegen gewehrt haben, und sie haben ihren eigenen Wohlstand verspielt. Wenn das das Ergebnis einer rigorosen Klimapolitik wäre, würde uns irgendjemand auf der Welt folgen? Wären wir dann ein Beispiel, das man nachahmen möchte? Verstehen Sie, deshalb warne ich davor, dass man Klimaschutz, ich spreche Sie so offen an, dass man Klimaschutz in einem Satz nennt mit linker Politik oder mit Askese und Verzicht. Wir können Klimaschutz als Nation von Ingenieurinnen und Technikern, mit Fortschritt, mit Innovation, und das ist auch unsere globale Verantwortung. Wir müssen der Welt beweisen, dass Klimaschutz möglich ist, ohne Freiheit und Wohlstand zu verlieren. Das müssen wir deshalb beweisen, weil nur andere uns dann folgen würden. Gesinnungsethisch kann man sagen, das edle Motiv reicht. Verantwortungsethisch geht es aber nicht nur um edle Motive, sondern um die praktischen Folgen politischen Tuns. Und das wird von anderen beobachtet, und die messen uns daran.

[Unverständliches aus dem Publikum]

CHRISTIAN LINDNER: Das ist jetzt eine parteipolitische Äußerung, zu der ich eine Meinung hätte. Aber ich sag sie jetzt nicht.

MODERATORIN: Genau die nächste Frage bei dem Herrn.

FRAGE: Hallo Herr Lindner, mein Name ist Norbert Brechtel. Ich glaube, es war eine Woche her, da gab es auch einen Bürgerdialog mit dem Bundeskanzler. Und da hat ein netter Herr im Publikum die Bundesregierung mit einem Kindergarten verglichen. Leider hat der Bundeskanzler das bejaht. Also für die Außendarstellung aus meiner Sicht ist das eine Bankrotterklärung, was ich mich immer frage. Deswegen stelle ich jetzt die Frage an Sie: Ist es einmal nicht wahnsinnig frustrierend, wenn man Teil dieses Teams ist, sowas zu hören? Zweitens: Geben Sie sich in einer kleinen Runde Feedback? Und drittens: Sitzen Sie mal zusammen und sagen hier, Olaf, Robert, wir können doch so nicht weitermachen! Wir, versemmeln das alles und spielen quasi den Populisten in die Hände. Die müssen ja gar nichts tun!

CHRISTIAN LINDNER: Ich verstehe Ihre Frage, ich will aber etwas von der Seite antworten aus hoffentlich für Sie nachvollziehbaren Gründen, weil ich diesen Debatten ja nicht auch noch zusätzlichen Raum geben will dadurch, wie ich reagiere. Ich will so antworten: Mich bekümmert, dass in Deutschland einerseits es einen Aktivismus gibt, der niederschreit oder mit Klebeblockaden Bürgerinnen und Bürger in ihrem Alltag belästigt, und dass auf der anderen Seite legitimer argumentativer Diskurs geradezu als pathologisch betrachtet wird. Und das passt nicht zusammen. Das bekümmert mich. Die einen wollen gar nicht mehr argumentieren. Die wollen nur schreien und stören und sich festkleben. Und der andere Teil, übrigens auch des bürgerlichen Publikums, wendet sich angewidert ab, wenn demokratisch gestritten wird. Das gehört aber zur Demokratie dazu. Es ist doch notwendig, dass die SPD eine andere Meinung hat als die CDU. Es ist doch notwendig, dass die Grünen zum Beispiel ihre Position in den Diskurs einbringen und nicht nur meine Position zum Thema Klimaschutz öffentlich gehört wird. Das ist doch notwendig, dass zwischen demokratischen Parteien diskutiert wird und am Ende dann ein Kompromiss gefunden wird innerhalb einer Koalition. Man weiß dann vielleicht auch: Okay, das ist ein Kompromiss, bei dem hat der eine dies und hat der andere jenes auch geben müssen. Aber dann ist er tragfähig.

Bei uns wird diese Form des demokratischen Meinungswettbewerbs leider inzwischen so als krank bezeichnet. Und auch die Bürgerinnen und Bürger wenden sich ab und finden das schlimm. Ich hingegen glaube, andersrum wäre es schlimmer. Eine opake, eine intransparente Regierung, die irgendwann einfach mit irgendwelchen Ergebnissen kommt, und man weiß gar nicht: Was waren die Ausgangspositionen? Welche Argumente haben dafür und dagegen gesprochen? Wäre das besser? Und wenn dann dieses Ergebnis aus der Regierung ins Parlament kommt und quasi geräuschlos ohne eine Aussprache einfach zu einem Gesetzesbefehl wird, wäre das besser? Ich glaube nicht. Bei allem, was ich mir aus professionellen Gründen der Regierungsführung wünschen mag, an Prozesssicherheit, ich nenne es mal so nebulös: Das wiegt nicht auf, wie ich eine Demokratie fände, in der geschwiegen wird. Oft genug ist in den Herrschaftssystemen Stille beim Regieren, wo die Bürgerinnen und Bürger nichts zu sagen haben, in den Herrschaftssystemen, wo sie nichts zu sagen haben. Da herrscht Friedhofsruhe während der Gesetzgebung. So, und bei uns haben Sie alles zu sagen als Souverän. Und deshalb geht es bei uns mitunter lebhaft zu, weil wir eine lebendige Demokratie sind. Und ich sage voraus, wir werden uns daran gewöhnen müssen. Denn unsere Gesellschaft wird vielfältiger, individueller. Es gibt unterschiedliche Auffassungen. Wir haben große Herausforderungen, auf die man unterschiedlich antworten kann. Und man mag jetzt hoffen, alles wird wieder gut, es wird demnächst wieder so liebenswürdig regiert wie zu Helmut Kohls Zeiten. Aber als Realist muss ich Ihnen sagen, ich halte das für eine Illusion. Und ich glaube, dass die sich auffächernde Parteienlandschaft komplizierte Konstellationen hervorbringen wird, die so kompliziert sind, dass dereinst man sagt: Mensch, war das ruhig bei der Ampel!

MODERATORIN: Sonst noch Fragen? Jetzt gehe ich mal auf die andere Seite, dass du dich kurz vorstellst, wer du bist.

FRAGE: Hallo, Herr Lindner, mein Name ist Susanna. Ich bin Schauspielerin aus Berlin. Und ich arbeite fest angestellt, 40 Stunden an einem Theater. Und jedes Jahr ist meine Prognose für die Rente eine Tragödie. Und ich wollte mal fragen, wie Sie mich beruhigen können, damit ich nicht ständig denke, dass ich später irgendwann, ich weiß nicht, Flaschen sammeln oder auf der Straße Kunststücke aufführen muss.

CHRISTIAN LINDNER? Gesetzliche Rente oder Künstlersozialkasse?

FRAGE: Beides.

CHRISTIAN LINDNER: Beides.

MODERATORIN: Wie würde denn die „Lindner-Rente“ ausschauen?

CHRISTIAN LINDNER: Ich überlege, wie ich Ihnen genau antworte. Ich kenne jetzt genau Ihre Situation nicht und auch nicht Ihre Einkommensverhältnisse. Sie sagen Vollzeit, und gleichzeitig sagen Sie, Sie schauen auf die Rente, was da rauskommen könnte. Ich weiß nicht, wie Ihre gesamte Erwerbsbiografie ist. Deshalb muss meine Antwort jetzt notwendigerweise abstrakt ausfallen, sodass ich jetzt nicht Ihnen eine, ich sage mal, Karriere- und Altersvorsorgeberatung individuell ohne Kenntnis verabreichen könnte. Deshalb ganz abstrakt gesagt, die gesetzliche Rente ist Mathematik. Gesetzliche Rente überträgt das, was man an Lebensleistung wirtschaftlich feststellen kann, in die Altersversorgung. Also: Wie lange habe ich eingezahlt, in welcher Höhe, welche Kinderbetreuungszeiten habe ich vorzuweisen? Und daraus ergibt sich mathematisch die Rente. Ich finde das gerecht, weil dadurch hat man individuelle Transparenz, wenn man sich mit anderen vergleicht. Die oder der andere hat, nicht weil die Politik lieb war, jetzt eine höhere Rente, sondern einfach, weil sie oder er länger eingezahlt hat, auch höhere Beträge während der aktiven Berufstätigkeit eingezahlt. Daraus ergibt sich dann die Rente.

Das Rentenniveau will die Bundesregierung gerade festschreiben bei 48 Prozent. Es würde sonst in den nächsten Jahren sinken. Das Ist schon eine erste Antwort an Ihre Generation. Ich weiß nicht, es wäre uncharmant zu fragen, wie alt Sie genau sind. Aber ich habe das Gefühl, wenn ich Sie ansehe, Sie haben schon noch ein bisschen zu tun in den nächsten Jahrzehnten. Also, für Ihre Generation ist es einerseits eine gute Nachricht, 48 Prozent. Zugleich ist es für Sie aber auch eine schlechte Nachricht. Denn für Sie und auch für die anderen Jüngeren hier bedeutet das, wenn das Rentenniveau für die älteren Menschen im Ruhestandsalter festgeschrieben wird: Das muss ja jemand bezahlen. Das sind nämlich diejenigen, die es bezahlen, die gerade nicht eine Rente bekommen, sondern noch Beiträge zahlen.

Und aus diesem Grund wird die Bundesregierung etwas zweites tun: Wir führen das sogenannte Generationenkapital ein. Vereinfacht gesagt, wir investieren an den internationalen Kapitalmärkten, wo wir hohe Zinsen für unsere Anlagen erzielen können, Geld. Und mit den Erträgen aus diesen vielen 100 Milliarden Euro, die wir da über die nächsten Jahrzehnte anlegen werden, dämpfen wir den Rentenbeitrag, den Sie im Jahr 2038 ja auch zahlen müssen und der Ihnen dann fehlt für Ihre Lebensführung oder für eine andere Form der Anlage. Und das dämpfen wir. Jetzt ist das so die 1.0-Variante. Das heißt, es müssen noch weitere Schritte folgen, damit dieses sogenannte Generationenkapital wirklich ab der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre Sie entlasten kann. Aber immerhin machen wir einen Schritt jetzt, den man besser schon vor 20 Jahren hätte gehen können.

Jetzt kenne ich Ihre persönliche Lebenssituation nicht. Deshalb fühlen Sie sich nicht provoziert, wenn ich das jetzt ausführe und Sie dann sagen, wie soll ich das denn machen bei meinem Einkommen? Aber wir müssen alle mehr private Vorsorge machen. Alle Jüngeren. Sie haben Künstlersozialkasse, das ist ja schon etwas. Aber es werden alle tun müssen, weil die gesetzliche Rente nicht mehr vollständig über die nächsten Jahrzehnte den Lebensstandard wird sichern können, wie man ihn während der Berufstätigkeit hatte. Also wenn ich sage, wir müssen alle was tun, dann gibt es natürlich einzelne Teilnehmer hier, für die das jetzt nicht gilt. Aber ich sag mal, alle jungen Leute, also alle deutlich unter 55-Jährigen, alle jungen Leute in diesem Sinne sollten etwas tun und beginnen, auch eine zusätzliche private Altersvorsorge aufzubauen. Und da tut sich jetzt etwas. Gerade in diesem Jahr, in wenigen Wochen hoffe ich, dass es öffentlich wird.

Und was wird passieren? Was werden wir gesetzlich schaffen? Ab dem 1.1.2026 werden Sie eine ganz neue Form der privaten Altersvorsorge in Deutschland haben können. Die hat viele Aspekte. Ich hebe jetzt einen hervor. In Deutschland wird es möglich sein, dass Sie ein Altersvorsorgedepot einrichten, wo früher die Riesterprodukte waren, Versicherungsprodukte mit wenig Attraktivität, wenig Verzinsung, wird es zukünftig – sind Sie Riestersparer? – dann halten Sie sich fest, was jetzt neues kommt. Da gibt es jetzt das Altersvorsorgeportfolio, Altersvorsorgedepot und alles, was es an staatlicher Förderung für Riester gibt, also für Geringerverdienende eine Zulage und für Menschen, die etwas mehr verdienen, einen Steuerfreibetrag. Das kann man zukünftig in sein Aktiendepot reinbuchen. Und man kann dann selbst entscheiden: Wie will ich das anlegen? In welche Wertpapiere will ich das anlegen? In einen passiv gemanagten Index-Fonds, einen sogenannten ETF auf den deutschen Aktienindex oder auf den Dow Jones oder auf andere Formen der wertpapiergestützten Anlage? Das Spannende dabei ist, Sie haben es dann selbst in der Hand, zu entscheiden, welches Risiko gehe ich ein, weil ich welche Renditeerwartung habe. Gleichzeitig fällt keine Steuer an. In diesem Depot bleibt alles drin, wird aber nicht versteuert. Versteuert wird erst später im Ruhestandsalter, wenn man quasi eine Rente bezieht aus diesem Anlageportfolio, das über Jahrzehnte aufgebaut worden ist und das steuerlich gefördert ist. Und das wird deshalb ein Gamechanger sein, weil das Manko der Riesterprodukte – wenig Attraktivität im Vergleich zu den Kosten –, das wird dadurch aufgehoben. Es ist so ähnlich wie das, was in den USA und in Schweden die Altersvorsorge für die Menschen so viel stabiler gemacht hat, nämlich über Jahrzehnte von der Dynamik der internationalen Wirtschaft zu profitieren, statt nur von der Entwicklung der umlagefinanzierten Rente in Deutschland, die ja an die Löhne gekoppelt ist. Man kann sagen, die internationalen Kapitalmärkte wachsen in der Regel schneller als die Lohnhöhe in Deutschland. Und deshalb ist das eine Veränderung eben der Attraktivität der Altersvorsorge.

Gesetzgebung beginnt jetzt, abgeschlossen irgendwann Anfang des nächsten Jahres und dann ab dem 1.1.2026 am Markt, bei privaten Anbietern. Also jeder, der heute – jetzt weiß ich eben nicht genau Ihr Geburtsdatum, aber wenn ich so einschätze – jeder, der heute in den Genuss der Riesterförderung kommen könnte, würde analog das auch für sein Altersvorsorgeportfolio beziehungsweise Vorsorgedepot bekommen. Damit es komplett dargestellt ist, mache ich kurz die Fußnote: Wer das nicht will, kann natürlich weiter auch ein Versicherungsprodukt nehmen. Die werden nicht abgeschafft, aber auch da wird es Wahlfreiheit geben bei den Versicherungsprodukten.

Gegenwärtig, jetzt muss ich doch kurz ausführen, aber ist ja ein neues Thema. Gegenwärtig ist die Bremse bei den Riesterprodukten die sogenannte Beitragsgarantie. Was heißt das? Zu Beginn der Auszahlungsphase Ihrer Altersversorgung muss 100 Prozent garantiert sein, dass alles, was Sie an Beitrag bezahlt haben, zur Verfügung steht. Das ist reine Theorie, weil über die Jahrzehnte mit Zins steht das eigentlich immer zur Verfügung. Es sei denn, da ist jetzt gerade ein Riesenkrach irgendwo. Dann muss man zwei Jahre warten, und dann ist es wieder da oben. Wenn man mal überlegt, das sind eben die Schwankungen. Aber diese 100-Prozent-Garantie zu einem speziellen Zeitpunkt hat eins zur Folge: eine Begrenzung dessen, worein investiert werden kann. Das führt dazu, dass sehr stark in Staatsanleihen oder in Immobilien investiert wird und ganz wenig in Wertpapiere. Was schaffen wir? Wir schaffen auch eine Wahlfreiheit. Für diejenigen, die am liebsten mit Gürtel und Hosenträgern durchs Leben gehen, wird es weiter 100 Prozent Beitragsgarantie bei den Versicherungsprodukten geben. Wer das will, kriegt es. Hey, ich bin Liberaler. Ich nehme den Leuten nicht Wahlfreiheit weg. Wer das haben will, Hosenträger und Gürtel zusammen, gibt's, kannste haben. Aber neu, wer will, kann auch bei diesen Versicherungsprodukten sich entscheiden, nur eine 80-prozentige Beitragsgarantie zu nehmen. Und das verändert komplett die Anlagestrategie über die Jahrzehnte und führt zu sehr viel attraktiveren Ergebnissen. Wie gesagt, für diejenigen, die es wollen, der sagt: Nee ist nicht meins, ich verstehe es nicht genau, ich bin unsicher, hey, niemand wird bevormundet. Aber ich sage voraus, die Menschen werden vergleichen. Da hat jemand das andere gewählt, und ich habe das. Das hat sich aber ganz anders entwickelt. Wenn diese Transparenz in einem Alltagsvorsorgeportal, wo man seine unterschiedlichen Ansprüche aus gesetzlicher Rente, Künstlersozialkasse oder Altersvorsorgedepot transparent aufgearbeitet bekommt, gehört ja auch noch zu diesen Paketen dazu, an denen wir arbeiten.

So eine echte Bandbreite von Fragen ...

MODERATORIN: ... Wir kommen zur letzten Frage tatsächlich ...

CHRISTIAN LINDNER: Ich wundere mich, dass bestimmte Themen noch gar nicht aufgetaucht sind. Schuldenbremse hatte ich erwartet, Klimaschutz auch. Aber es gibt so ein paar Themen, wo ich das Gefühl hatte, Sie...

MODERATORIN: Die liebe Vera hat schon jemanden ausgewählt.

FRAGE: Ja guten Tag, Herr Lindner! Vielen Dank für die Einladung! Mein Name ist Till Hentschel, ich bin Student, komm aus dem schönen Boppard am Rhein.

CHRISTIAN LINDNER: Boppard am Rhein?

FRAGE: Ja, schon mal dagewesen?

CHRISTIAN LINDNER: Klar.

FRAGE: Da können Sie mal ein Weinchen bei mir im Weinladen trinken.

CHRISTIAN LINDNER: Sie sind Weinhändler?

FRAGE: Ich habe da in der Schule gejobbt. Ja, direkt an der Kirche, könnt ihr alle mal vorbeikommen. Meine Frage heute bezieht sich noch auf das Thema klimaschädliche Subventionen. Auch ich mache mir große Sorgen um unsere Zukunft und wollte Sie einfach mal fragen, ein bisschen zweigeteilte Frage: Müssen wir nicht gesamtgesellschaftlich, um klimaneutral zu werden, was wir uns ja irgendwie vorgenommen haben, alle staatlichen Investitionen, Subventionen in fossile Projekte abschaffen? Und wenn dem so ist, wieso ist dann noch so wenig passiert in den letzten drei Jahren? Da habe ich mir wirklich Hoffnung gemacht bei der Ampel, dass dort mehr käme.

CHRISTIAN LINDNER: Das ist immer die Frage, was man mit einer sogenannten „klimaschädlichen Subvention“ meint und zugleich, welche Folgen ihre Abschaffung hätte. Ich nenne Ihnen vier Beispiele. Das sind die vier Beispiele, die in der Regel in der öffentlichen Debatte verwendet werden für die sogenannten klimaschädlichen Subventionen.

Die erste, die genannt wird, ist die Pendlerpauschale. Die gibt es aber gar nicht mehr. Die heißt jetzt Entfernungspauschale. Die Entfernungspauschale orientiert sich nicht daran, ob Sie Auto fahren oder Bahn oder Fahrrad oder zu Fuß gehen. Die Entfernungspauschale ist nur einschlägig: Wie weit ist der Arbeitsplatz vom Wohnort entfernt? Mit welchem Verkehrsträger Sie die Entfernung überwinden, ist für die Entfernungspauschale egal. Sie kann also kraft Natur der Sache nicht klimaschädlich sein, weil sie nicht auf einen einzelnen Verkehrsträger schaut. Ihre Abschaffung wäre also nur eine Erhöhung der Belastung für die arbeitende Bevölkerung, weil zur Arbeit müssen die Leute sowieso.

Die zweite klimaschädliche Subvention, die genannt wird, das ist die Besteuerung des Diesel. Sie wissen, an der Zapfsäule wird der Diesel geringer besteuert als das Benzin. Zum Ausgleich ist übrigens die Kraftfahrzeugsteuer für den Diesel-Pkw höher als für den mit Benzin betriebenen Pkw. Ist das eine klimaschädliche Subvention? Nein, weil man hat diese geringere Besteuerung des Diesels eingeführt, weil der Diesel energieeffizienter ist. Du verbrauchst mit dem Diesel-Pkw weniger Liter auf 100 Kilometer als mit dem Benziner, und um einen Anreiz zu geben, um insgesamt Kraftstoff zu sparen, von Benzin auf Diesel zu wechseln, hatte dereinst der Gesetzgeber, diese reduzierte Besteuerung der Energie, also des Diesels, in dem Fall vorgesehen. Ist das eine klimaschädliche Subvention? Eher ein Anreiz, auf Diesel-Pkws zu setzen. Wenn man es abschafft, müsste man auch bei der Kraftfahrzeugsteuer fairerweise etwas verändern. In jedem Fall gewinnen wir da für das Klima nichts. Aber möglicherweise belasten wir Menschen, die Lebensentscheidungen getroffen haben.

Die dritte klimaschädliche Subvention, die genannt wird, das ist die Nichtbesteuerung von Kerosin. Man hat immer gesagt, ja, also dieses Kerosin muss doch besteuert werden. Benzin wird besteuert. Warum wird Kerosin nicht besteuert? Das wird ganz oft genannt. Nun wird der Flugverkehr in Deutschland schon besteuert. Wir haben eine Luftverkehrsabgabe, die orientiert sich an den Ticketpreisen, aber Kerosin wird nicht besteuert. Wird irgendwo Kerosin besteuert? Nein, Kerosin wird nirgendwo besteuert. Das ist eine internationale Übereinkunft. Was würde also für das Klima passieren, wenn wir in Deutschland Kerosin besteuern würden? Also beim Tanken des Flugzeugs fällt eine Steuer an auf die Tankfüllung. Das würde natürlich vollkommen die Luftverkehrsplanung verändern. Es würde dann von Deutschland aus natürlich kein Kontinentalflug mehr gehen, weil der wäre ja dann hier besonders teuer, weil hier Kerosin besteuert wird. Was würde also passieren, statt von Frankfurt nach New York zu fliegen oder von München nach Sidney? Ich weiß nicht, ob es die Verbindungen gibt. Da würde erst einmal gecarriert werden. Dann würde nämlich von Frankfurt erst mal nach Istanbul oder nach Amsterdam, nach London oder Paris geflogen werden. Und dort würden die Passagiere dann umsteigen in ihren Interkontinentalflug. Wäre das für das Klima freundlicher? Nein, weil vor allen Dingen beim Startvorgang wird ja viel Energie benötigt, aber in dem Fall der Passagier, der erst gecarriert werden muss zu seinem Interkontinentalflug, legt möglicherweise mehr Kilometer zurück und muss zweimal starten statt einmal. Also das ist kein Vorteil für das Klima.

Und dann gibt es noch die vierte klimaschädliche Subvention, über die gesprochen wird, das sogenannte „Dienstwagenprivileg“. Und das ist wirklich meine Lieblingssubvention, über die gestritten wird, weil da auch so viel Klassenkampf mit drin ist. Das Wort „Dienstwagenprivileg“, das klingt schon wie Mercedes-S-Klasse, oder? „Dienstwagenprivileg“, das klingt nach Geschäftsführer mit seinem großen Auto. Der beliebteste Dienstwagen in Deutschland ist, wenn ich es richtig sehe, irgendwie der Skoda Octavia Kombi, bin ich ganz sicher, jedenfalls nicht die S-Klasse oder der VW Passat, jedenfalls sowas. Die größte Dienstwagen-Flotte, wenn ich es richtig weiß, ist nach meiner Kenntnis die Schwarz-Gruppe, Lidl und Kaufland, weil die Bezirksleiterinnen und Bezirksleiter dort einen Dienstwagen fahren. Das sind jetzt nicht unbedingt die Topst-Verdiener unserer Gesellschaft. Übrigens, jede ambulante Altenpflegerin, die ihr Fahrzeug auch privat nutzt, hat einen Dienstwagen. Ist das jetzt nur ein Privileg, ein Steuervorteil einer Subvention? Mitnichten. Es ist ja eine Pauschalbesteuerung. Ein Prozent des Bruttolistenpreises des Autos wird im Monat versteuert dafür, dass man das Fahrzeug privat nutzen darf. Man könnte alternativ, und das würden die Menschen bei Abschaffung der Pauschalbesteuerung tun, ein Fahrtenbuch führen. Was würde also passieren? Hunderttausende Deutsche, die jetzt ein Dienstfahrzeug haben, ihren Skoda Octavia, den würden wir zwei die Ein-Prozent-Regelung, Pauschalbesteuerung streichen. Dafür müssen die Leute ein Fahrtenbuch führen. Wo sind sie wann geschäftlich hingefahren privat? Tankfüllung hier, Tankfüllung da, und am Ende des Jahres würde dann geschaut werden: Wie hoch ist der private Nutzungsanteil, wie hoch waren die Kosten? Und dann wird das nicht pauschal, sondern exakt versteuert. Was ein Bürokratieaufwand für die Menschen und für die Finanzverwaltung! Und in der Regel sagen Musterrechnungen, dass die Ein-Prozent-Regelung relativ exakt in den meisten Fällen abbildet, wie der tatsächliche geldwerte Vorteil ist. Also insofern, das ist keine große Subvention.

Es gibt nur eine Subvention bei den Dienstwagen, und die ist ausgerechnet klimafreundlich. Das ist nämlich bei den Elektrofahrzeugen. Elektrofahrzeuge werden nämlich nicht mit einem Prozent pauschal versteuert, sondern mit 0,25 Prozent pauschal. Warum hat der Gesetzgeber das eingeführt? Damit die Menschen einen Anreiz haben, sich einen in der Regel ja teuren Elektrowagen zu kaufen als Dienstfahrzeug. Dadurch erneuert sich allerdings die Fahrzeugflotte insgesamt, denn nach drei, vier, fünf Jahren sind die einst teuren Dienstwagen gute, qualitätsvolle Gebrauchtwagen für Leute, die ein nicht so großes Portmonnaie haben. Und insofern finde ich, das ist eine Subvention. Aber sie ist nicht klimaschädlich, sondern im Gegenteil, sie hilft beim Umbau unserer Fahrzeugflotte ohne starre Vorgaben und Befehle, sondern indem man wirtschaftliche Anreize setzt.

Und aus dem Grund kann ich Ihnen sagen, ich beschäftige mich ja beruflich damit, und ich höre immer von diesen klimaschädlichen Subventionen. Aber je genauer man sich anschaut, was ist eigentlich gemeint damit, stellt man fest, auch da gibt es keine leichte Lösung. Und oft stellt man fest, dass der vermeintliche Vorteil beim Klimaschutz in einer globalen Perspektive – Kerosin – sich nicht einstellt oder dass der vermeintliche Vorteil beim Klimaschutz soziale Belastungen in der Mitte unserer Gesellschaft produziert und deshalb die Akzeptanz dafür fraglich wäre. Also insofern: Ich bleibe an dem Thema dran. Aber leider sind die Lösungen viel weniger einfach, als dass man einfach nur Schlagworte austauschen könnte.

Jetzt schauen Sie so streng. Wollen Sie anzeigen, dass jetzt hier ein Ende ist?

MODERATORIN: Das war ja schon die letzte Frage.

CHRISTIAN LINDNER: Nein, ich glaube, einer der jüngsten Teilnehmer hatte noch eine Frage.

MODERATORIN: Okay, da komme ich natürlich sofort. Du hast noch eine Frage. Jetzt setze ich mich kurz zu dir.

FRAGE: Hallo, was haben Sie für ein Auto?

CHRISTIAN LINDNER: Was habe ich für ein Auto? Ach, wie süß. Das ist ja süß! Also, ich fahre dienstlich gar kein Auto. Ich habe keinen Dienstwagen gestellt, sondern als Finanzminister gehe ich mit gutem Beispiel voran. Ich fahr das, was andere übriglassen. Also sprich, ich setze auf die Flotte des Bundeskriminalamts, was die im Pool haben. Da setze ich mich rein, also Entertainment-System und sowas finden Sie in den Autos, die ich dienstlich fahre, nicht. Und privat bin ich eigentlich meistens mit Bahn und Taxi und so weiter unterwegs. Da versuche ich, möglichst wenig selbst Auto zu fahren im Alltag, weil das Lenken oft Zeit kostet. Nur dann, wenn es eine reine Fahrt ist, aus Lust am Sonntag. Für den Fall habe ich ein 40 Jahre altes Stück automobilen Kulturguts, heckmotorangetrieben und luftgekühlt. Dein Papa kann dir erklären, was genau das ist.

Ja, also, ich danke Ihnen sehr für Ihr Interesse, mir hat das große Freude gemacht. Jetzt haben wir über viele Themen nicht sprechen können. Ich sage nur die Stichworte „Ukraine“ und „Russland“, leider nicht. Das wäre ein Thema gewesen, das viele bewegt. Wir sind nicht in Details gegangen bei der Frage: Wie bleiben wir ein vielfältiges Land dadurch, dass wir die Einwanderung steuern? Wir haben nicht gesprochen darüber, wie kommen wir wieder zu Wirtschaftswachstum? Deshalb kann ich nur sagen, kommen Sie wieder, das machen wir beim nächsten Mal, dann. Fortsetzung folgt. Schönen Sonntag, und vielen Dank!