- Der Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ hat in den letzten Jahren im November das tatsächliche Steueraufkommen für Bund, Länder und Gemeinden für das jeweils folgende Jahr unterschätzt.
- Wesentliche Ursachen für die Schätzabweichungen waren Datenrevisionen und Unsicherheiten über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung sowie über die finanziellen Auswirkungen von steuerpolitischen Maßnahmen und von Gerichtsurteilen.
- Die institutionelle Ausgestaltung der Steuerschätzung in Form des unabhängigen Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ und die Zusammensetzung des Arbeitskreises sowie die Methodenpluralität bilden ein solides Fundament für die bestmögliche Aufkommensschätzung.
Einleitung
Gemäß der aktuellen Steuerschätzung vom Mai 2017 werden für dieses Jahr rund 732,4 Mrd. € Steuereinnahmen für den Gesamtstaat vorausgesagt. Gegenüber der Steuerschätzung vom November 2016, welche u. a. Grundlage für die Verabschiedung des Bundeshaushaltes 2017 war, wurde die Einnahmeprognose um rund 8 Mrd. € angehoben. Bis 2021 summieren sich die geschätzten Mehreinnahmen gegenüber der November-Steuerschätzung gar auf 54 Mrd. €.
Auch in den vergangenen Jahren entwickelten sich die Steuereinnahmen positiver als zunächst geschätzt. Der Internationale Währungsfonds hat vor diesem Hintergrund die Schätzabweichungen in seinem Artikel IV Bericht 2017 kritisiert und eine Überarbeitung der Schätzmodelle angemahnt.
Schätzabweichungen im historischen Durchschnitt
Generell ist festzustellen, dass der Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ in den letzten Jahren im November das tatsächliche Steueraufkommen für Bund, Länder und Gemeinden für das jeweils folgende Jahr unterschätzt hat. So lag die Schätzabweichung 2015 bei 1,9 % und 2016 bei 2,8 % des Gesamtsteueraufkommens (Abbildung 1). Die Abbildung zeigt jedoch auch, dass die Fehler der letzten Jahre im historischen Vergleich durchschnittlich oder gar unterdurchschnittlich waren. Es ist auch zu erkennen, dass es verschiedene Phasen von Schätzabweichungen gibt. Im langfristigen Durchschnitt addieren sich die Schätzfehler zu nahe Null.
Konsensprognose des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“
Die Steuerschätzung für Bund, Länder und Gemeinden wird in Deutschland durch den unabhängigen Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ erstellt. Dem seit 1955 bestehenden Gremium gehören Experten der Länder sowie Vertreter von fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstituten (DIW, Ifo, IfW, RWI, IWH), des Sachverständigenrates, der Deutschen Bundesbank, des Statistischen Bundesamtes, des Deutsche Städtetages, des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und des BMF an, welches den Vorsitz führt. Der Bund übernimmt die Schätzergebnisse des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ unverändert in die Haushaltsplanung.
Im Vorfeld einer jeden Steuerschätzung erstellen die Deutsche Bundesbank, der Sachverständigenrat, die fünf Wirtschaftsforschungsinstitute und das Bundesministerium der Finanzen eigene Schätzvorschläge, wobei die Schätzer jeweils ihre eigenen Methoden und Modelle verwenden. Auf Basis der Schätzvorschläge diskutiert der Arbeitskreis und einigt sich auf eine gemeinsam getragene Schätzung für jede Steuerart. Entscheidungen trifft der Arbeitskreis im Konsens. Hierbei zeigt eine interne Untersuchung1, dass die Konsensprognose des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“, gemessen an einem statistischen Gütemaß („mean absolute percentage error“) im Durchschnitt besser ist, als die einzelnen Schätzvorschläge.
Zusätzlich trifft sich der Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ unregelmäßig zu Methodensitzungen, zuletzt im Februar 2017, mit dem Ziel, die Schätzmethoden zu verbessern oder neue steuerpolitische Sachverhalte in der Steuerschätzung zu berücksichtigen (siehe BMF Monatsbericht März 2017 2).
Bedingtheit und Unsicherheit der Steuerschätzung
Generell unterliegt jede Prognose, so auch die Steuerschätzung, der Unsicherheit und wird unter bestimmten Annahmen erstellt. Damit ist die Steuerschätzung eine bedingte Prognose, welche auf gesamtwirtschaftlichen Annahmen sowie Quantifizierungen zu finanziellen Auswirkungen von Steuerrechtsänderungen beruht. Hieraus ergeben sich auch Ursachen für Schätzabweichungen.
So entstehen wesentliche Schätzabweichungen der Steuerschätzung aus Datenrevisionen und Schätzfehlern der gesamtwirtschaftlichen Projektion der Bundesregierung, welche Grundlage für die Steuerschätzung ist. Auch die Quantifizierung der Auswirkungen von Steuerrechtsänderungen beruht wesentlich auf gesamtwirtschaftlichen Prognosen. Um Revisionen der gesamtwirtschaftlichen Daten Rechnung zu tragen, werden bei finanziell bedeutsamen Steuerrechtsänderungen die Schätzungen der finanziellen Auswirkungen mit aktuellen Rahmendaten der Wirtschaftsentwicklung für Zwecke der Steuerschätzung regelmäßig überprüft und ggf. angepasst.
Zum Beispiel war im Jahr 2015 der Anstieg der Unternehmens- und Vermögenseinkommen, ein Fortschreibungsindikator für die gewinnabhängigen Steuern, mit 4,2 % deutlich kräftiger als in der Herbstprojektion der Bundesregierung 2014 unterstellt (2,5 %). Auch der Anstieg der Beschäftigung war in der eingetretenen Dynamik nicht erwartet worden, wodurch das Lohnsteueraufkommen im Jahr 2015 stärker anstieg als im November 2014 geschätzt. Zudem können sich Einschätzungen über das Eintreten von finanziellen Auswirkungen höchstrichterlicher Entscheidungen im Zeitablauf ändern. So wurden bedeutende aufkommensmindernde Effekte zweier Urteile des Bundesfinanzhofs aus unterschiedlichen Gründen ins jeweils kommende Jahr 2016 verschoben. Das Nichteintreten der erwarteten signifikanten Erstattungen erhöhte damit das tatsächliche Aufkommen 2015 deutlich über das geschätzte Aufkommen. Berücksichtigt man diese Effekte, so verringern sich die Schätzfehler für wichtige Steuern, die den Hauptteil des Schätzfehlers 2015 ausmachten (veranlagte Einkommensteuer, nicht veranlagte Einkommensteuer, Lohnsteuer), z.T. sehr deutlich.
Zu den gewinnabhängigen Steuern
zählen die veranlagte Einkommensteuern, die nicht veranlagten Steuern vom Ertrag, die Abgeltungsteuer auf Zinserträge und Veräußerungserlöse, die Körperschaftsteuer sowie die Gewerbesteuer.
Zudem wurde insbesondere die Entwicklung der gewinnabhängigen Steuern unterschätzt, die z.T. deutliche zweistellige Wachstumsraten aufwiesen. Hierfür können verschieden Ursachen in Betracht kommen:
- Die gesamtwirtschaftliche Bemessungsgrundlage der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen unterzeichnet die tatsächliche Gewinnentwicklung im gewerblichen Bereich.
- Die während der Krise aufgebauten Verlustvorträge der Unternehmen sind teilweise aufgebraucht.
- Erhöhte Steuerehrlichkeit durch verschiedene Maßnahmen, die das Risiko des Entdeckens von Steuerhinterziehung erhöhen (verstärkter Informationsaustausch der Steuerbehörden, Aufkauf von CDs, öffentliche und mediale Debatte).
Fazit
Die Steuerschätzung ist eine Prognose unter Unsicherheit und unter dem Gelten von bestimmten Annahmen zum Zeitpunkt der Schätzung. Daher sind Schätzabweichungen nicht vermeidbar. In langfristiger Betrachtung sind die Schätzabweichungen der letzten Jahre aber nicht überdurchschnittlich.
Die institutionelle Ausgestaltung der Steuerschätzung in Form des unabhängigen Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ und die Zusammensetzung des Arbeitskreises sowie die Methodenpluralität bilden ein solides Fundament für die bestmögliche Aufkommensschätzung.
Datenrevisionen und Unsicherheiten über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung sowie über die finanziellen Auswirkungen von steuerpolitischen Maßnahmen und von Gerichtsurteilen sind wesentliche Ursachen für Schätzabweichungen.
Fußnoten
- 1
- Die Untersuchung basiert auf 24 Steuerarten, sechs Steuerschätzungen (Mai 2014 bis November 2016) und jeweils neun Schätzungen (Konsensschätzung des Arbeitskreises„Steuerschätzungen“ und acht Schätzvorschläge).
- 2
- 150. Sitzung des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“