Navigation und Service

Inhalt

  • Analysen und Berichte

    Pro­duk­ti­vi­tät in Deutsch­land – Mess­bar­keit und Ent­wick­lung

    • Der Artikel stellt wichtige Ergebnisse eines Forschungsgutachtens des Instituts für Weltwirtschaft im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und des BMF vor, welches das Produktivitätswachstum in Deutschland untersucht.
    • Neben einer Darstellung der Produktivitätsentwicklung in Deutschland und im internationalen Vergleich werden auch mögliche Unsicherheiten bei der Messung von Produktivität thematisiert.
    • Eine strukturell persistente Schwäche des Produktivitätswachstums in Deutschland kann im Gutachten nicht bestätigt werden, sondern es werden mehrere im Zeitablauf unterschiedlich bedeutende ökonomische Erklärungsansätze identifiziert.

    Einleitung

    Die gesamtwirtschaftliche Produktivität einer Volkswirtschaft ist eine zentrale Determinante für ihr langfristiges Wachstumspotenzial. Im Zuge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich das Trendwachstum der Produktivität in fast allen entwickelten Volkswirtschaften spürbar abgeschwächt. In Deutschland weist das Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktivität bereits seit Mitte der 1990er Jahre einen rückläufigen Trend auf. Dies wirft die Frage nach den dahinterliegenden Ursachen auf – insbesondere vor dem Hintergrund der Sorge, dass die Wachstumsstärke Deutschlands durch strukturelle Gründe gefährdet sein könnte. Dies war Anlass für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, gemeinsam mit dem BMF ein Forschungsgutachten in Auftrag zu geben, mit dem Ziel, die Ursachen für die unterschiedliche Entwicklung der Produktivität auch im internationalen Vergleich herauszuarbeiten. Der umfassende Endbericht des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) Kiel wurde nun veröffentlicht1. Zentrale Ergebnisse werden im folgenden Artikel zusammengefasst.

    Empirische Befunde

    Entwicklung der Produktivität in Deutschland

    In Deutschland war das Wachstum der Arbeitsproduktivität, gemessen als Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Arbeitsstunde, im Zeitraum von 1990 bis 2015 in der Tendenz zwar positiv, die Zuwachsraten schwächten sich jedoch in diesem Zeitraum deutlich ab (Abbildung 1). Wurden Anfang der 1990er Jahre – aufgrund des Booms nach der deutschen Einheit – noch vergleichsweise hohe Raten von deutlich über 2 % verzeichnet, so stieg die Arbeitsproduktivität in den vergangenen Jahren nur noch mit rund 0,6 %. Insbesondere im Zuge der Finanzkrise brach die Arbeitsproduktivität in Deutschland im Jahr 2009 deutlich ein (-2,6 %). Noch deutlicher sank die Arbeitsproduktivität in dem betreffenden Jahr gemessen auf Grundlage der Erwerbstätigenzahlen (-5,7 %). Dieser Unterschied spiegelt die spürbar gesunkene Arbeitszeit pro Erwerbstätigen in diesem Jahr wider.

    Produktivitätsentwicklung in Deutschland nach Sektoren

    BIP je Erwerbstätigenstunde, 1991=100

    Das Balkendiagramm veranschaulicht die Produktivitätsentwicklung in Deutschland.
    nullLandwirtschaftProduzierendes GewerbeBaugewerbeHandel und VerkehrInformation und KommunikationFinanzdienstleistungWohnungswesenUnternehmensdienstleistungenÖffentliche DienstleistungSonstige DienstleistungAlle Wirtschaftssektoren
    1991100100100100100100100100100100100
    1992103,8755606101,5867075100,7814267101,222582106,2130822103,662049598,15730337102,6134507103,768383104,4962783102,5612039
    199399,76835874103,732228899,4997870899,95239075116,1032743108,311304499,73229116106,1745404105,269074102,1825974104,4026799
    199474,94516587111,1702214100,1910364102,2171236115,5799838107,6197897102,3044723101,5712969106,6709237104,068439106,8765884
    199581,13629822113,766538496,07425749104,2020434123,5632393105,3839773108,2909521100,9906485108,1135692104,315758109,1975012
    199692,96269044115,332891296,06829598104,8019242132,2001913107,7398927113,628277299,06552098108,9926246104,5489898111,5081298
    199797,00597324121,538645996,6416788107,6045491145,2157762109,6374908113,385061195,83600883111,2749852103,47477114,7381026
    199897,07157855121,81710296,05148577109,835142161,6550958111,2997871108,16792693,03104183112,4693392103,1680124116,2424403
    1999105,8948942124,046605896,48448316110,3784914173,1518717119,9877172103,045106791,71739853113,1812664102,3000656117,6249997
    2000105,4987716132,761845498,03823707113,9670254172,375649109,5522568107,35710891,10550903114,841308102,802409121,0255361
    2001107,4602129135,11053499,255639120,4536926181,9212699117,9037543113,54937591,65701774115,2781594101,0677738124,6595803
    2002111,2879355136,2320277101,2147371124,3846291190,1893889111,0929133118,92595491,65954232116,274764499,32167869126,5188316
    2003117,891352140,7166577101,2138367129,5356967176,761707594,70533672122,84013490,8144762116,428527599,74126486127,5109132
    2004161,4786373147,1358389100,6671625131,9740277188,292617888,2353399125,614512186,97847052116,287506100,9627881129,2525629
    2005121,1932501152,8198966100,2294375136,2154264182,336927388,29238709128,0144585,66162734117,3700463100,9047744131,1406361
    2006118,5929248162,078771297,96027602145,9514417193,205777288,20657848125,165327281,39777179115,6226271100,434439133,6922783
    2007148,0245111167,625012495,08646795147,4526553212,539398192,93453555127,293408581,20397311116,465462899,35489686136,4655652
    2008175,6773321162,147111494,60327668147,2907826221,298334193,54153881132,034956381,22466156119,7050441101,2127421136,8499635
    2009174,0456912150,487761792,88885568142,0778755226,006875188,2849411139,343841475,32363457121,866276100,0820256132,5563413
    2010132,6453122170,647310998,23954734139,6834986232,154443591,22877592136,911461774,72937292120,6536215100,1994822135,9857815
    2011118,956316173,7960913100,3289721143,7272838253,953359792,08306969144,496798473,190885122,5129912100,7595732138,6257704
    2012129,2924086174,421918899,27504689148,1976892259,353929891,35696588141,201992173,94615961122,5547631100,5743866139,4648855
    2013141,6817835174,008925998,82533573145,9297754273,820375292,06834687148,231778974,34332149123,6441629100,4837777140,3691809
    2014151,8205583174,6096722100,5696045146,5513324275,600363292,40342681147,858034675,02799086122,4894495100,5029858140,7437127
    2015153,3624143176,4862964101,2567173147,3248318281,425058591,48172658146,123060575,04930259121,921742100,9635844141,337111
    Abbildung 1
    Produktivitätsentwicklung in Deutschland, ausgewählte Sektoren

    BIP je Erwerbstätigenstunde, Zuwachsraten

    Das Balkendiagramm veranschaulicht die Produktivitätsentwicklung in Deutschland. Hierbei handelt es sich um ausgewählte Sektoren.
    null1991-19951995-20002000-20052005-20102010-2015
    Produzierendes Gewerbe3,2244563443,0881689422,814063892,2067767140,672886309
    Handel und Verkehr1,0290388291,7915483393,5665698780,5028297761,065215008
    Information und Kommunikation5,2895724546,6584603361,1236024754,8309326023,849266708
    Finanzdienstleistungen1,3110105040,775821201-4,3149555730,6543297050,0553774
    Unternehmensdienstleistungen0,246443439-2,060192976-1,232266101-2,7306348630,085440772
    Alle Wirtschaftssektoren2,1783922592,051491581,6081668180,7018890460,767699949
    Abbildung 2

    Auch bei der Totalen Faktorproduktivität (TFP) verzeichnet Deutschland seit Anfang der 1990er Jahre eine fallende Trendwachstumsrate. In den 1990er Jahren stieg die TFP noch mit merklich über 1 % pro Jahr, seit der Jahrtausendwende nur noch mit durchschnittlich 0,6 %. Insbesondere in den vergangenen drei Jahren war der durchschnittliche Anstieg mit nur rund 0,4 % gering. Die Entwicklung der TFP ähnelt dabei stark der Entwicklung der Arbeitsproduktivität.

    Mit Blick auf die sektorale Produktivitätsentwicklung zeigt sich, dass insbesondere von den Sektoren „Produzierendes Gewerbe“, „Handel, Verkehr und Gastgewerbe“ (HVG) sowie „Information und Kommunikation“ positive Beiträge zur gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsentwicklung in Deutschland ausgehen. Andere Sektoren sind entweder zu klein, um die gesamtwirtschaftliche Produktivität nennenswert zu beeinflussen (Landwirtschaft), oder weisen eine stagnierende oder gar rückläufige Produktivität auf (Bauwirtschaft, Finanz- und Versicherungsdienstleister, Unternehmensdienstleister).

    Das niedrigere Produktivitätswachstum in den vergangenen Jahren ist im Wesentlichen auf eine Verlangsamung des Wachstums im Produzierenden Gewerbe und im HVG-Sektor zurückführen. Die auch im internationalen Vergleich sehr schwache Entwicklung der Produktivität bei den Unternehmensdienstleistungen hat sich hingegen zuletzt eher verbessert.

    Die Produktivität

    als abgeleitete Größe der Inlandsproduktberechnung gilt als wichtige Kennziffer der Wachstumsstärke einer Volkswirtschaft. Steigende Produktivität bedeutet, dass mit gleichem Einsatz der Produktionsfaktoren Arbeit oder Kapital mehr Güter und Dienstleistungen produziert werden. Die häufig betrachtete Arbeitsproduktivität wird durch das Verhältnis von Arbeitseinsatz (Zahl der Erwerbstätigen oder der geleisteten Arbeitsstunden) im Verhältnis zum Output, in der Regel zum BIP, definiert. Dagegen beschreibt die Totale Faktorproduktivität (TFP) die Effizienz des Zusammenwirkens aller am Produktionsprozess beteiligten Produktionsfaktoren, weswegen die Veränderung der TFP oft als technischer Fortschritt interpretiert wird.

    Zur Unsicherheit bei der Messung von Produktivität

    Die Messung von Produktivität unterliegt einer Reihe von methodischen und statistischen Problemen und Unsicherheiten, die aber laut den IfW-Forschern nicht ursächlich für den fallenden Trend im Produktivitätswachstum sind. Hierbei sind drei wesentliche Probleme zu unterscheiden:

    a) Geschätzte nominale und reale Wertschöpfung bei Aktivitäten ohne Markttransaktionen

    Für eine Reihe von Wirtschaftsaktivitäten, die in die Berechnung des BIP eingehen, finden keine beobachtbaren Markttransaktionen statt. Daher müssen sowohl Preise als auch Mengen geschätzt werden. Dies betrifft z. B. unterstellte Mieten für selbstgenutztes Wohneigentum, die als bedeutender Posten in die Bruttowertschöpfung des Wirtschaftsbereichs „Grundstücks- und Wohnungswirtschaft“ eingehen. Auch im öffentlichen Sektor stößt die Produktivitätsmessung an Grenzen, da definitionsgemäß oftmals keine Marktbeziehungen bestehen und so die Bedingungen für die Wertschöpfungsberechnung nicht erfüllt sind. Des Weiteren bestehen hohe Unsicherheiten bei der Abschätzung der nicht sichtbaren Wertschöpfung des Finanzsektors (Financial Intermediation Services Indirectly Measured – FISIM), von Versicherungsleistungen sowie aus Berücksichtigung von sogenannten Querfinanzierungsmodellen.

    b) Deflationierung von Input- und Output-Komponenten

    Die Preisbereinigung der nominalen Wertschöpfung hat eine überragende Bedeutung für die Produktivitätsberechnung. Da die wahren Preise der Bruttowertschöpfung häufig nicht bekannt sind, entsteht durch die Approximierung anhand von Warenkorbkonzepten immer eine Unschärfe. Zudem wird die Aussagekraft der Preisindizes durch Qualitätsänderungen von Input- und Output-Komponenten beeinflusst. Ein Beispiel hierfür sind die sich schnell entwickelnden Informations- und Kommunikationstechnologien. Um sich verändernde Produktqualitäten zu berücksichtigen, gibt es eine Reihe von Bereinigungsverfahren, die den Effekt von Qualitätsverbesserungen in der Deflationierung berücksichtigen. Bei sogenannten hedonischen Methoden wird mithilfe von Regressionsanalysen der Preis eines Gutes durch messbare Produkteigenschaften erklärt. Gleichwohl ist auch die Hedonik nur ein approximatives Verfahren zur Bereinigung von Qualitätsänderungen.

    c) Erfassung des Faktoreinsatzes

    Eine adäquate Berechnung von Produktivitätsmaßen setzt voraus, dass die statistische Erfassung der eingesetzten Produktionsfaktoren und deren Zuordnung nach Wirtschaftszweigen korrekt erfolgt. Bei der Erfassung gibt es aber Unsicherheiten durch die verwendeten Statistiken. Zudem gibt es für die Kapitalstockmessung keine Bestandserhebung, sondern die Bestände werden modellgestützt mit der Perpetual-Inventory-Methode kumulativ fortgeschrieben. Die Zuordnung von Produktionsfaktoren auf einzelne Wirtschaftszweige wird u. a. durch Leasingaktivitäten und Arbeitnehmerüberlassung (Zeitarbeit) verzerrt. Zeitarbeitnehmer sowie die von ihnen erbrachte Wertschöpfung werden gemäß Vertragskonzept im Wirtschaftszweig „Überlassung von Arbeitskräften“ statistisch erfasst. Auch im Falle von Leasing wird der Kapitalstock im Wirtschaftszweig „Vermietung von beweglichen Sachen“ statistisch erfasst und nicht bei dem wirtschaftlichen Nutzer. Die zum Teil hohe Unsicherheit bei der Erfassung der Produktionsfaktoren zeigt sich auch in den Revisionen, denen die Arbeitsproduktivität unterliegt. Schließlich ist bei internationalen Produktivitätsvergleichen zu beachten, dass sich die Ergebnisse aufgrund von Unterschieden in der Methodik und der zugrundeliegenden Datenqualität unterscheiden können. So sind Daten zum Kapitalstock oder den Kapitaldiensten international nur eingeschränkt vergleichbar, da sich die Annahmen und Schätzmethoden zwischen den nationalen statistischen Ämtern zum Teil unterscheiden. Auch werden hedonische Qualitätsbereinigungsverfahren in den einzelnen Ländern in unterschiedlichem Umfang genutzt.

    Entwicklung der Produktivität im internationalen Vergleich

    Der verlangsamte Anstieg der Arbeitsproduktivität findet sich – insbesondere seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise – auch bei den OECD-Ländern, den Mitgliedern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development), insgesamt. Hier schwächte sich die Rate von durchschnittlich 1,9 % im Zeitraum 2000 bis 2005 auf 0,9 % im Zeitraum 2010 bis 2015 ab. Im Jahr 2014 war der Anstieg der Arbeitsproduktivität in der OECD insgesamt und bei allen hier betrachteten Ländern sogar geringfügig niedriger als in Deutschland. Ursächlich für dieses prozyklische Muster war eine (mehr oder weniger stark ausgeprägte) „Hortung“ von Arbeitskräften in Ländern wie Deutschland, dem Vereinigten Königreich oder Italien während der Rezession, d.  h. ein im Vergleich zum BIP unterproportionaler Rückgang der geleisteten Arbeitsstunden. In den Vereinigten Staaten und Spanien hingegen wurden die Arbeitsstunden überproportional abgebaut, sodass die Arbeitsproduktivität während der Krisenperiode zunahm (sogenannte Entlassungsproduktivität).

    Infografik: Entwicklung der Arbeitsproduktivität im internationalen Vergleich der Länder Deutschland, USA, Vereinigtes Königreich, Frankreich, Italien und Spanien BildVergroessern
    Abbildung 3

    Die TFP in den Industrieländern weist einen ähnlichen Trend wie die Arbeitsproduktivität auf. So ist das Trendwachstum der TFP in den USA und im Vereinigten Königreich seit der Jahrtausendwende rückläufig. Auffallend ist wiederum, dass in den USA auch die nicht geglättete Veränderungsrate während der Finanzkrise nur minimal negative Werte aufweist, während das Vereinigte Königreich und insbesondere Italien starke Einbrüche verzeichneten. Spanien und Italien sind die beiden Länder mit der niedrigsten durchschnittlichen TFP-Veränderungsrate seit Beginn der 1990er Jahre; in den Jahren ab 2000 ist diese im Durchschnitt sogar leicht negativ. Die Wachstumsrate des BIP war in Spanien allerdings in beiden Zeiträumen höher als beispielsweise in Deutschland und nur wenig niedriger als der OECD-Durchschnitt. Auffällig ist zudem, dass die Volatilität der TFP-Veränderungsraten in den betrachteten Ländern jeweils niedriger ist als die Wachstumsrate des BIP. Hinter dieser Entwicklung stehen Schwankungen insbesondere beim Arbeitsvolumen.

    Ökonomische Erklärungsansätze

    Die Forscher haben im Rahmen des Gutachtens unterschiedliche Erklärungsansätze für die im Trend seit Mitte der 1990er Jahre rückläufige Arbeitsproduktivität in Deutschland untersucht und insgesamt fünf maßgebliche Faktoren identifiziert: auslaufende Effekte der deutschen Einheit, den hierzulande eher schwachen Impuls durch die Digitalisierung, die demografische Entwicklung, den sektoralen Strukturwandel und insbesondere Kompositionseffekte im Zuge des „deutschen Arbeitsmarktwunders“.

    Deutsche Einheit

    Im Zuge der Deutschen Einheit war es zu einem starken Anstieg des Produktivitätswachstums gekommen (Aufholwachstum). Die Normalisierung nach dem Boom dämpfte das Produktivitätswachstum in den Jahren nach 1995. Diese Entwicklung wurde maßgeblich vom Immobiliensektor und den staatlichen Dienstleistungen geprägt. In den ersten Jahren nach der deutschen Einheit haben die Wirtschaftsbereiche „Grundstücks- und Wohnungswesen“ sowie die öffentlichen Dienstleister besonders stark zum gesamtwirtschaftlichen Produktivitätswachstum beigetragen.

    Digitalisierung

    Im Vergleich zu den USA weist die Digitalisierung in Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre einen wesentlich geringeren Beitrag zum Produktivitätswachstum aus. Dies gilt sowohl für Wirtschaftszweige, die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) produzieren, als auch für jene, die IKT nutzen. Empirisch zeigt sich zudem, dass US-amerikanische und britische Unternehmen durch den Einsatz von IKT größere Produktivitätssteigerungen als kontinentaleuropäische Unternehmen erzielen. Als mögliche Erklärungen werden u. a. stärker deregulierte Güter- und Dienstleistungsmärkte angeführt. Im Zuge der Digitalisierung könnte sich die vergleichsweise höhere Regulierung hierzulande stärker bemerkbar machen als zuvor. Des Weiteren könnte die Unternehmensstruktur in Deutschland eine Rolle für die geringeren gesamtwirtschaftlichen Produktivitätseffekte von IKT-Investitionen gespielt haben: Die deutsche Wirtschaft ist im Vergleich zu den USA stärker durch mittelständische Firmen geprägt, bei denen die neuen IKT-Technologien häufig nicht so effektiv wie bei Großunternehmen zum Einsatz kommen, da kleine und mittlere Unternehmen (KMU) teure IKT-Projekte weniger leicht amortisieren können. Zudem dürften die Beschäftigten in Deutschland aufgrund des dualen Ausbildungssystems und des damit einhergehenden hohen Qualifikationsniveaus weniger von der Substitution von Routinetätigkeiten durch IKT-Investitionen betroffen sein als in den USA.

    Demografische Entwicklung

    Auch die Veränderung der Altersstruktur der Erwerbsbevölkerung in Deutschland wirkt tendenziell dämpfend auf das gesamtwirtschaftliche Produktivitätswachstum. Es ist davon auszugehen, dass die individuelle Arbeitsproduktivität mit dem Alter zunächst steigt, dann aber wieder abnimmt. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene sind im Hinblick auf die gesellschaftliche Altersstruktur weitere Effekte denkbar, die sich aufgrund der vielfältigen Interaktionen zwischen dem aktiven und dem abhängigen Teil der Bevölkerung ergeben. Die Dynamik der Produktivität dürfte beispielsweise durch den Umfang von Betreuungsleistungen für Kinder und Pflegebedürftige beeinflusst sein. Insgesamt führte die demografische Entwicklung in den 1990er Jahren noch zu einer leichten Unterstützung des Produktivitätswachstums in Deutschland. In den 2000er Jahren kam es tendenziell zu dämpfenden Effekten, die zuletzt – zumindest vorübergehend – wieder abgenommen haben.

    Sektoraler Strukturwandel

    Von Bedeutung ist auch die Frage, ob die Entwicklung der Arbeitsproduktivität in Deutschland eher von einzelnen Sektoren oder generell durch den sektoralen Strukturwandel getrieben wird. Die Analysen zeigen, dass sich infolge des sektoralen Strukturwandels – von der Landwirtschaft und dem Produzierenden Gewerbe hin zum Dienstleistungssektor – das Produktivitätswachstum in Deutschland insgesamt erhöht hat. Im Zeitablauf nahm die positive Wirkung aber tendenziell ab. Wesentlich hierfür war, dass die Arbeitsproduktivität in den Unternehmensdienstleistungen, die im Zuge des Strukturwandels an Gewicht gewonnen haben, in den 2000er Jahren hinter vielen anderen Sektoren zurückfiel beziehungsweise sich sogar in einen Produktivitätsrückgang verwandelte. Nach 2010 hat sich der Produktivitätseffekt des sektoralen Strukturwandels zumindest vorübergehend wieder leicht erhöht, weil das überdurchschnittlich produktive Produzierende Gewerbe expandierte. Alles in allem haben somit sowohl der inter- als auch der intrasektorale Strukturwandel die Produktivitätsentwicklung beeinflusst.

    Arbeitsmarktspezifische Entwicklungen

    Der starke Beschäftigungsaufbau in Deutschland in den vergangenen Jahren macht sich auch in der Messung der Arbeitsproduktivität bemerkbar. So kann ein größerer Teil des rückläufigen Produktivitätswachstums in den vergangenen Jahren durch das „deutsche Arbeitsmarktwunder“ erklärt werden. Infolge einer ausgeprägten Lohnzurückhaltung seit Anfang der 2000er Jahre, stärkerer Beschäftigungsanreize im Zuge der Hartz-Reformen seit Mitte der 2000er Jahre sowie der Zuwanderung vor allem aus Mittel- und Osteuropa nach 2011 wurden Arbeitskräfte mit tendenziell geringerer Produktivität in den Arbeitsmarkt integriert. Diese Erfolgsgeschichte führte dazu, dass sich die Produktivitätsdynamik insgesamt abschwächte. Einerseits verringert die Integration von Arbeitskräften mit unterdurchschnittlichem Humankapital rein statistisch den gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt. Andererseits sinkt vorübergehend die Sachkapitalausstattung je Erwerbstätigen, weil die Anpassung des Sachkapitals an die gestiegene Beschäftigung zeitlich verzögert stattfindet.

    Weitere mögliche Erklärungsansätze

    In der Studie wurden weitere Erklärungsfaktoren untersucht, für die aber nur ein begrenzter Einfluss auf die Arbeitsproduktivität in Deutschland gefunden werden konnte. So gibt es keine Evidenz dafür, dass das Auslaufen des Offshorings (Auslands-Outsourcings) arbeitsintensiver und weniger produktiver Wertschöpfungsstufen gegen Ende der 2000er Jahre einen merklichen Einfluss auf das Produktivitätswachstum hatte. Es wurden auch keine empirischen Anhaltspunkte dafür gefunden, dass Veränderungen in der Humankapitalausstattung bedeutsam waren. Des Weiteren leisten die Auswirkungen der Finanzkrise keinen nennenswerten Erklärungsbeitrag. Im Zusammenhang von Finanz-, Wirtschafts- und Eurokrise kam es in vielen Ländern durch ausgeprägte Kreditexpansion und niedrige Realzinsen zu einer Fehlallokation von Produktionsfaktoren. Nach Einschätzung der Forscher des IfW waren diese Faktoren für die Produktivitätsentwicklung in Deutschland bislang kaum von Bedeutung. Für die zukünftige Entwicklung stellen sie jedoch ein ernstzunehmendes Risiko dar, da die Niedrigzinsphase anhalten dürfte und sich eine stärkere Kreditexpansion und ein Immobilienboom hierzulande andeuten.

    Fazit und Bewertung

    Eine strukturell persistente Schwäche des Produktivitätswachstums in Deutschland konnte von den IfW-Forschern nicht bestätigt werden. Im Gegenteil kann der im Trend seit der Deutschen Einheit rückläufige Produktivitätsfortschritt auf fünf im Zeitablauf unterschiedlich bedeutende Ursachen zurückgeführt werden, die nicht alle negativ zu bewerten sind, und zwar auf:

    • eine Überhöhung des Produktivitätswachstums nach der Deutschen Einheit (Aufholwachstum),
    • geringere Produktivitätseffekte der Digitalisierung in Deutschland,
    • die demografische Entwicklung,
    • den inter- und intrasektoralen Strukturwandel sowie
    • spezifische Arbeitsmarktbedingungen in Deutschland (Lohnmoderation, die Hartz-Reformen sowie die seit 2011 hohe Zuwanderung).

    Insbesondere das sinkende Wachstum der Arbeitsproduktivität als Ergebnis des kräftigen Beschäftigungsaufbaus der vergangenen Jahre ist angesichts der historisch niedrigen Arbeitslosigkeit vertretbar. Die Unsicherheiten bei der Messung von Produktivität sind aufgrund methodischer und konzeptioneller Probleme erheblich und erschweren die Diagnose und den internationalen Vergleich. Die Ergebnisse der Untersuchung habe den Autoren zufolge aber dennoch Bestand.

    Auch wenn das Gutachten nicht zum Ziel hatte, wirtschaftspolitische Empfehlungen abzuleiten, deuten die Ergebnisse, insbesondere in Bezug auf die noch schwachen Produktivitätseffekte infolge der Digitalisierung in Deutschland sowie die Folgen der Alterung, auf wirtschaftspolitische Handlungsfelder hin. Aus Sicht der Bundesregierung bieten sich zur Steigerung der Trendproduktivität insbesondere an:

    • eine Förderung der Digitalisierung (vor allem bei KMU)
    • verstärkte Bildungsanstrengungen (insbesondere auch im Bereich der digitalen Qualifikation)
    • die weitere Stärkung privater Investitionen
    • Ausweitung der Erwerbsbeteiligung (insbesondere von Frauen).

    Fußnoten

    1
    Institut für Weltwirtschaft (IfW), Produktivität in Deutschland – Messbarkeit und Entwicklung (2017), Endbericht zum Forschungsvorhaben fe 16/15 des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, www.ifw-kiel.de

Fußzeile