- Der deutsch-französischen Zusammenarbeit kommt auch für das BMF seit langem eine Schlüsselrolle zu. Sei es der Weg zu einer gemeinsamen europäischen Währung oder aber die Arbeit an der Vollendung des Binnenmarkts im Bereich der Finanzdienstleistungen: All dies war und ist ohne entsprechende deutsch-französische Positionen und Weichenstellungen nicht denkbar.
- Das seit nahezu 20 Jahren bestehende Deutsch-Französische Seminar leistet einen wesentlichen Beitrag zu vertieften Kenntnissen des Partnerlandes und zur vertrauensvollen Zusammenarbeit der beiden Finanzministerien.
Deutsch-französische Zusammenarbeit im Praxistest
Beim deutsch-französischen Ministertreffen auf Schloss Meseberg bei Berlin haben sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire am 19. Juni 2018 auf einen Fahrplan für die Weiterentwicklung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion sowie eine gemeinsame Position zur Harmonisierung der Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage in der Europäischen Union (EU) verständigt. Neben den Plänen zur weiteren Stabilisierung des europäischen Bankensektors (Bankenunion) enthält der Fahrplan auch Vorschläge zur Fortentwicklung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und zur Einrichtung eines Haushalts für den Euroraum. Bei der Körperschaftsteuer wollen Deutschland und Frankreich durch die Unterstützung der europäischen Legislativvorschläge zu einer gemeinsamen Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage die Steuerharmonisierung in der EU vorantreiben. Die gemeinsamen Vorschläge werden gegenwärtig mit den EU-Partnern diskutiert.
Dreh- und Angelpunkt der europäischen Integration
Ungeachtet unterschiedlicher Erwartungen an staatliches Handeln und unterschiedlicher Konzepte in der europäischen Finanz- und Wirtschaftspolitik stellen sich Deutschland und Frankreich immer wieder bewusst in den Dienst der gemeinsamen europäischen Sache. Das ist u. a. der Auftrag des Élysée-Vertrags von 1963 als Basis der deutsch-französischen Freundschaft und verdeutlicht die historische Bedeutung dieses Vertrags auch in der Gegenwart.
Denn bis heute gilt aus Erfahrung die Regel, dass ein tragfähiger Kompromiss innerhalb der EU immer dann am wahrscheinlichsten ist, wenn Deutschland und Frankreich eine gemeinsame Position einnehmen. Beide Mitgliedstaaten zusammen gelten daher als Wegbereiter vieler europäischer Kompromisse und Projekte und sind in steter Zusammenarbeit mit ihren europäischen Partnern wichtige Impulsgeber in der EU. Ergreift das deutsch-französische Tandem indes zu selten gemeinsam die Initiative, beklagen politische Beobachter in der Regel ein europäisches Führungsvakuum beziehungsweise verfallen in ein Lamento über den stotternden „deutsch-französischen Motor“. Im Falle gemeinsamer deutsch-französischer Initiativen wird hingegen häufig Kritik an einem „De-facto-Direktorium“ laut, das Entscheidungen unter Ausschluss anderer europäischer Mitgliedstaaten entscheidend vorbereite. Letztere Interpretation ist aber nur selten stichhaltig, da deutsch-französische Initiativen viel eher den Ausgangs- als den Endpunkt in europäischen Entscheidungsprozessen markieren. Zudem verhindert das Erfordernis der Einstimmigkeit beziehungsweise der qualifizierten Mehrheit ohnehin von vornherein die Gefahr von Alleingängen einiger weniger Mitgliedstaaten.
Aktuell erstarken sowohl in der EU als auch in ihren südlichen und östlichen Nachbarstaaten die Kräfte der Desintegration, des Populismus und der Renationalisierung in erheblichem Maße. Das Bekenntnis zur europäischen Integration zählt in einer wachsenden Zahl von Mitgliedstaaten der EU nicht länger zum unbestrittenen Grundkonsens des politischen Handelns.
Vor diesem Hintergrund stehen Deutschland und Frankreich in einer besonderen Verantwortung für politische Führung, um die Handlungsfähigkeit der EU durch gemeinsame Initiativen auch in Zukunft zu sichern und – wo nötig – die Voraussetzungen hierfür zu schaffen.
Mehr deutsch-französische Zusammenarbeit wagen – neuer Élysée-Vertrag
Daher arbeiten Deutschland und Frankreich im gemeinsamen Bewusstsein, im jeweils anderen den engsten und vertrautesten aller europäischen Partner zu sehen, an einem neuen Élysée-Vertrag als eine deutsch-französischen Antwort auf die neuen Herausforderungen Europas. Dieser neue Élysée-Vertrag muss dabei auch den mittlerweile weit fortentwickelten bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich Rechnung tragen und dazu beitragen, auch bei unbequemen Themen gemeinsame Entscheidungen zu treffen.
Élysée-Vertrag
Am 22. Januar 1963 unterzeichneten der französische Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer im Pariser Élysée-Palast den Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit. Der Vertrag ebnete den Weg zur Aussöhnung der früheren „Erbfeinde“. Vereinbart wurden regelmäßige Regierungskonsultationen mit dem Ziel, Absprachen zur Außen-, Europa- und Verteidigungspolitik zu treffen. Ein unmittelbares Ergebnis war die Gründung des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) am 5. Juli 1963. Die Bemühungen, Begegnungen von Deutschen und Franzosen zu fördern, führten weiterhin zu 2.200 Städtepartnerschaften, 180 akademischen Austauschprogrammen und zur Gründung eines Fernsehsenders ARTE. 1988 erweiterten Bundeskanzler Helmut Kohl und der französische Präsident François Mitterrand den Élysée-Vertrag um Zusatzprotokolle. Diese sorgten u. a. für die Gründung eines gemeinsamen Finanz- und Wirtschaftsrats, eines Umwelt- und Kulturrats sowie eines Verteidigungs- und Sicherheitsrats, aus dem 1993 das Eurokorps hervorging. Zum 40-jährigen Jubiläum der Unterzeichnung des Vertrags im Jahr 2003 wurden regelmäßige Treffen des neu eingerichteten „Deutsch-Französischen Ministerrats“ (Treffen beider Kabinette) beschlossen.
Dies alles im politischen Alltag Deutschlands und Frankreichs mit Leben zu erfüllen, erfordert mehr noch als bisher ein weitreichendes Verständnis des jeweiligen Partners und vor allem gegenseitiges Vertrauen der handelnden Personen durch langfristig angelegte institutionalisierte Beziehungen in einem funktionierenden deutsch-französischen Netzwerk.
Das Deutsch-Französische Seminar als Schrittmacher der Zusammenarbeit
Ein wesentlicher Beitrag des BMF ist in diesem Zusammenhang das Deutsch-Französische Seminar, das 1999 von den Ministern Hans Eichel und Dominique Strauss-Kahn beim Deutsch-Französischen Finanz- und Wirtschaftsrat in Hattersheim ins Leben gerufen wurde. Ziel des Seminars ist es, die jeweiligen Verfassungsorgane des Partnerlandes kennenzulernen, mit hochrangigen Vertretern aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft über aktuelle deutsch-französische Themen zu diskutieren und ein bleibendes Netzwerk für die weitere Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium der Finanzen und dem französischen Wirtschafts- und Finanzministerium in Paris (Bercy) zu bilden.
Bercy
Das französische Ministerium für Wirtschaft und Finanzen (französisch: „Ministère de l'Économie et des Finances“, abgekürzt MINEFI) ist eines der wichtigsten Schlüsselministerien der französischen Regierung. Aufgrund seiner Lage im gleichnamigen Pariser Stadtviertel wird das Ministerium häufig umgangssprachlich als „Bercy“ bezeichnet.
Ein Seminarzyklus, an dem aus beiden Ländern jeweils etwa zehn Nachwuchskräfte des höheren Verwaltungsdienstes sowie die jeweiligen Austauschbeamten aus beiden Ministerien teilnehmen, erstreckt sich über zwei Jahre. Jährlich finden zwei mehrtägige Treffen im Wechsel zwischen Deutschland und Frankreich statt. Der 10. Seminarzyklus begann im Mai 2018 in Berlin.
Die Erfahrung, sich über längere Zeit wiederholt intensiv und vielfältig mit den Kollegen des Partnerlandes austauschen und zahlreiche Einblicke in die Leitungs- und Führungsebene in Politik, Verwaltung und Wirtschaft gewinnen zu können, wird von den Teilnehmern des Seminars sehr geschätzt.
Hier einige Stimmen:
„Das Deutsch-Französische Seminar bietet genau den richtigen Rahmen fachlicher deutsch-französischer Interaktion. Abseits der oft starren und technokratischen Kommunikationsstrukturen in europäischen Gremien gibt es Raum für tiefgehende, kontroverse und kreative Debatten.
Im 9. Zyklus diskutierten wir darüber, wie wir das Rahmenwerk unserer gemeinsamen Währung in Zukunft besser gestalten könnten, wir entwickelten gemeinsame Konzepte zur Öffentlichkeitsarbeit von Kommunen und wir erhielten Einblicke in unsere parlamentarischen Systeme.
So mancher französische Teilnehmer ertappte sich dabei mit einer „deutschen“ Position und so manchem deutschen Teilnehmer erschien eine „französische“ Lesart plausibler. Wichtig war: Am Ende eines Tages hatten wir nicht immer eine Position in vielen Fragestellungen, aber wir hatten erkannt, dass es sich immer lohnt, am nächsten Tag weiter zu sprechen.
Das Seminar hat es geschafft, eine konstruktiv-freundschaftliche Atmosphäre zu schaffen und Vertrauensverhältnisse zu entwickeln. Das hat ganz konkrete Folgen für meine Arbeit im BMF: Seit dem Seminar habe ich schon oft einfach zum Hörer gegriffen und in Bercy angerufen. So kommen wir weiter, so kommt Europa weiter.“
Dr. Christoph Priesmeier (9. Zyklus)
„Fazit meiner Teilnahme am Deutsch-Französischen Seminar ist, dass jeder die Chance zur Aufnahme in diese Veranstaltung unbedingt ergreifen sollte. Das Seminar ist in mehrfacher Hinsicht bereichernd: Dank des umfangreichen, häufig sehr hochrangig besetzten Programms bekommt man viele aufschlussreiche Einsichten in aktuelle Themen dies- und jenseits des Rheins, in die französische Verwaltung und den Staatsaufbau, vor allem auch Gelegenheit zum Austausch und zur Diskussion auf der persönlichen Ebene, die weit über den üblichen, auf dienstliche Gelegenheiten beschränkten Rahmen hinausgehen. Gerade im Jahr 2017 – in beiden Ländern ein Wahljahr – war es besonders spannend zu sehen, wie unterschiedlich die deutschen und französischen Kollegen aktuelle Herausforderungen wie den europäischen Reformprozess, die Flüchtlingskrise oder den Brexit bewerten und begegnen, dabei aber stets von einem starken gemeinsamen Bewusstsein um die Notwendigkeit einer vertieften Zusammenarbeit in Europa geleitet waren. Neben den üblichen Aufenthalten in den Hauptstädten Berlin und Paris erweitern die Stationen in den Regionen – im 9. Zyklus waren dies Bordeaux und Stuttgart – auch den manchmal notwendigen Blick über den eigenen Tellerrand, gerade auch im Hinblick auf die Unterschiede zwischen dem französischen Zentral- und dem deutschen Föderalstaat.
Der für mich schönste Gewinn aus dem Seminar ist jedoch, dass sich mein Bild von der französischen Verwaltung sehr gewandelt hat. Es basiert nicht mehr auf abstrakten, erworbenen Kenntnissen, sondern ist mit konkreten Gesichtern und dazugehörigen Kontakten verbunden und damit sehr viel persönlicher geworden.“
Dr. Dominik Wallau (9. Zyklus)
„In vielen persönlichen Gesprächen ist mir eines bewusst geworden: Wir teilen mit unseren französischen Kolleginnen und Kollegen gemeinsame Interessen und Vorstellungen, wie wir mit den Herausforderungen unserer Zeit umgehen wollen. Das Deutsch-Französische Seminar war in dieser Hinsicht für mich ein voller Erfolg und stärkt die Zuversicht auf ein gemeinsames Europa.“
Ariane Heinisch (10. Zyklus)
„Ich freue mich sehr über die Möglichkeit, im Rahmen des Deutsch-Französischen Seminars weitere Kolleginnen und Kollegen im französischen Wirtschafts- und Finanzministerium kennenzulernen und mich mit Ihnen persönlich über unsere Erfahrungen auszutauschen. Viele Herausforderungen der Zukunft müssen auf beiden Seiten des Rheins gemeistert werden, was es besonders hilfreich und interessant macht, aus erster Hand zu erfahren, wie man auf französischer Seite damit umgeht. Der Einblick in die Mentalität und Arbeitsweise im französischen Wirtschafts- und Finanzministerium wird die Zusammenarbeit mit meinen unmittelbaren Kolleginnen und Kollegen in Bercy sicher weiter vereinfachen. Unser erstes Treffen in Berlin verspricht jedenfalls zwei sehr spannende und schöne Jahre im 10. Zyklus des Seminars.“
Christopher Finck (10. Zyklus)