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  • Schlaglicht Konjunkturprogramm

    Im In­ter­view: Ja­kob von Weiz­sä­cker, Chef­öko­nom und Ab­tei­lungs­lei­ter

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    Quelle:  Bundesministerium der Finanzen

    Das auf den Weg gebrachte Konjunkturprogramm wird als größtes in der Geschichte der Bundesrepublik beschrieben. Wie notwendig sind diese weitreichenden Maßnahmen?

    Wir befinden uns mitten im mutmaßlich größten wirtschaftlichen Einbruch der Nachkriegsgeschichte. Deshalb ist eine entsprechende Dimensionierung der staatlichen Gegenmaßnahmen geboten. Olaf Scholz hat diese Einsicht auf die Kurzformel gebracht: „Mit Wumms aus der Krise“. Genauso wichtig wie die Dimension der Gegenmaßnahmen ist natürlich ihre Komposition. Die Zusammensetzung muss auf die Natur der Herausforderungen abgestimmt sein.

    Wir haben es mit einem massiven Angebotsschock aufgrund der Einschränkungen durch die Seuchenbekämpfung zu tun. Gleichzeitig müssen wir mit einem substanziellen Nachfrageschock aufgrund der Verunsicherung und der Unwägbarkeiten umgehen, der an der Nullzinsgrenze nach einer robusten fiskalischen Antwort verlangt. Und schließlich sind wir mit transformativen und investiven Herausforderungen konfrontiert, die auch ohne COVID-19 Top-Prioritäten haben, wie zum Beispiel der Klimaschutz und die Digitalisierung.

    Dem Koalitionsausschuss ist es gelungen, mit dem Konjunkturprogramm alle drei Herausforderungen kraftvoll anzugehen, also die Angebotsseite, die Nachfrageseite und die transformativen Aufgaben. Damit wurden vormals verhärtete Fronten zwischen Angebots- und Nachfragedenken, zwischen Ökonomie und Ökologie überwunden. Das stimmt mich trotz Krise optimistisch.

    Das Konjunkturprogramm soll für eine schnelle wirtschaftliche Erholung sorgen. Kann es gleichzeitig auch die notwendige Modernisierung des Landes vorantreiben?

    Ja. Mit den kurzfristigen Maßnahmen schützen wir produktive Unternehmen vor dem Zusammenbruch in der Krise, verhindern Massenarbeitslosigkeit, stärken die Nachfrage und den sozialen Ausgleich. Die transformativen und investiven Elemente verbessern unsere Zukunftsaussichten. Und diese erfreuliche Zukunftsperspektive stärkt die Zuversicht und reduziert die Unsicherheit schon heute. Die vielbeschworenen „vier Ts“ der Konjunkturpolitik – „timely“, „targeted“, „temporary“ und „transformative“ – ergänzen sich also gut.

    Wie viel Transformation zur Nachhaltigkeit steckt denn nun wirklich im Konjunkturprogramm?

    Die Zukunftsinvestitionen und Ausgaben zur Beschleunigung der Energiewende bilden mit 50 Milliarden Euro einen Schwerpunkt des Programms. Beispielhaft sei hier die „Nationale Wasserstoffstrategie“ genannt. Dort sind Investitionen von 7 Milliarden Euro vorgesehen, um Deutschland zum führenden Ausrüster bei modernster Wasserstofftechnik zu machen. Dies wird flankiert mit einem 2-Milliarden-Programm für außenwirtschaftliche Partnerschaften mit Ländern, in denen grüner Wasserstoff besonders günstig erzeugt werden kann.

    Ein bedeutender Modernisierungstreiber wird auch die Absenkung der EEG-Umlage sein. Das macht sauberen Strom billiger und setzt so bessere Anreize für die Energiewende. Dazu passen auch die Verdopplung der Innovationsprämie beim Kauf von klima- und umweltfreundlichen Elektrofahrzeugen, die Impulse für den Ausbau der Ladeinfrastruktur, die Eigenkapitalerhöhung bei der Deutschen Bahn zur Stärkung der Schiene und die Investitionszuschüsse des Bundes für E-Busse.

    Für manche Ohren klingt das alles nach Zuversicht auf Pump, denn die Staatsschuldenquote steigt gleichzeitig rasch. Werden die Staatsschulden für uns zum Problem?

    Glücklicherweise ist die Staatsschuldenquote gut beherrschbar, wenn wieder fiskalische Normalität einkehrt. Lassen Sie mich das mit einem einfachen Rechenbeispiel illustrieren. Nehmen wir einmal an, die Staatsschuldenquote wäre nach der Krise bei 80 Prozent, die Inflation bei 1,8 Prozent und das Wirtschaftswachstum bei 1,2 Prozent. Dann würde das nominale Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 3 Prozent im Jahr wachsen. Allein durch dieses keineswegs unrealistische nominale Wachstum würde die Staatsschuldenquote in einem Jahr um gut 2,3 Prozentpunkte (auf 80/103=77,67 Prozent) fallen – und immer noch um 2 Prozentpunkte, wenn wir den Verschuldungsspielraum der Schuldenbremse von 0,35 Prozent komplett ausschöpften. Dieser BIP-Wachstumseffekt im Nenner der Staatsschuldenquote in Kombination mit den niedrigen Zinsen sorgt dafür, dass man nach der Krise weder Austerität noch explodierende Staatsverschuldung zu befürchten hat.

    Was bedeutet das Konjunkturprogramm für Europa?

    Der europäische Binnenmarkt ist unsere wirtschaftliche Realität. Wenn wir unsere Konjunktur stützen, dann hilft das auch unseren europäischen Partnern. Wenn wir europäisch aufgestellte Firmen in Deutschland mit Liquidität versorgen, dann sichert das auch Beschäftigung in anderen Ländern Europas. Aber das alleine reicht nicht als europäische Antwort.

    Einige Länder in der EU sind von der Krise viel stärker betroffen als Deutschland und befinden sich fiskalisch in einer schwierigeren Situation. Hier kommt die europäische Solidarität ins Spiel in einer Krise, für die wirklich niemand etwas kann. Mit einer Corona-Kreditlinie beim ESM, mit einer Ausweitung der Unternehmensfinanzierung durch die Europäische Investitionsbank, mit SURE – also einer Art europäischer Arbeitslosenrückversicherung – und mit dem deutsch-französischen Vorschlag zu einem Recovery Fund sind weitreichende europäische Antworten auf die Krise entwickelt worden.

    Rückblickend wird man hoffentlich sagen können, dass diese Vorschläge der Startschuss waren für die Entwicklung eines stabilen europäischen Fiskalföderalismus, bei dem Verantwortung und Solidarität zuverlässig Hand in Hand gehen. Das wäre eine gute Grundlage, um die enormen globalen Herausforderungen, die auf Europa zukommen, gemeinsam zu meistern. Gemeinsam sind wir stark.

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    Quelle:  Bundesministerium der Finanzen

    Wie ist der Austausch in so einer Krise mit anderen Ökonominnen und Ökonomen?

    Ein Lichtblick in der Krise! Der unkomplizierte Austausch mit so vielen herausragenden Ökonominnen und Ökonomen mit ganz unterschiedlichen Perspektiven hat uns im BMF und in der Bundesregierung insgesamt sehr geholfen. Ohne diese Unterstützung würden dem Konjunkturprogramm wohl einige wichtige Elemente fehlen und ein paar schlechte Ideen hätten eher eine Chance gehabt.

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