Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Deutschland hat am 1. Juli die EU‑Ratspräsidentschaft übernommen. Die letzte Präsidentschaft liegt 13 Jahre zurück. In diesem Jahr fällt sie in die größte globale Rezession seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Corona-Krise stellt auch die Europäische Union vor Herausforderungen von historischer Dimension. Die höchste Priorität während der sechs Monate der deutschen Präsidentschaft hat daher, die Corona-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen so gut wie möglich zu bewältigen und Europa gestärkt aus der Krise zu führen. Klar ist: Dies wird nur durch ein solidarisches Miteinander in der Europäischen Union zu schaffen sein. Diese Überzeugung spiegelt sich auch im Motto der deutschen Ratspräsidentschaft wider: „Gemeinsam. Europa wieder stark machen.“
Aus diesem Leitmotiv ergeben sich die thematischen Schwerpunkte der Ratspräsidentschaft. Zentrale Bedeutung kommt den Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen und dem Wiederaufbaufonds zu. Konjunkturelle Impulse sollen mit transformativen Elementen hin zu einer klimafreundlichen und digitalen Wirtschaft verbunden werden – so, wie dies auch beim deutschen Konjunktur- und Zukunftspaket der Fall ist. Gerade mit Blick auf eine sich stark verändernde geopolitische Situation ist es notwendig, unsere Gesellschaften und Volkswirtschaften zukunftsfest und auf globaler Ebene handlungsfähig zu machen. Kurz: Europa muss souveräner werden.
Dazu gehört auch, dass die Steuersysteme fairer und moderner gestaltet werden, um den Herausforderungen von Globalisierung und Digitalisierung angemessen begegnen zu können. Deutschland wird die Ratspräsidentschaft deshalb auch nutzen, um sich auf europäischer und globaler Ebene mit Nachdruck für mehr Steuergerechtigkeit einzusetzen. Ein zentrales Anliegen ist dabei, die Einführung einer globalen effektiven Mindestbesteuerung entscheidend voranzubringen. Der Schlaglichtartikel dieses Monatsberichts widmet sich detailliert den Prioritäten des Präsidentschaftsprogramms.
Der 1. Juli 2020 markiert aber nicht nur den Beginn unserer EU-Ratspräsidentschaft, sondern auch den 30. Jahrestag der deutschen Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. Damals wurde die Grundlage der deutschen Einheit gelegt, die gleichzeitig untrennbar mit dem europäischen Einigungsprojekt verbunden ist. Diese enge Verknüpfung hatte bereits Paul Löbe als Alterspräsident bei der ersten Sitzung des Deutschen Bundestags am 7. September 1949 treffend formuliert: „Indem wir die Wiedergewinnung der deutschen Einheit als erste unserer Aufgaben vor uns sehen, versichern wir gleichzeitig, dass dieses Deutschland ein aufrichtiges, von gutem Willen erfülltes Glied eines geeinten Europa sein will.“ Gerade zu Beginn einer herausfordernden deutschen EU-Ratspräsidentschaft haben diese Worte auch nach gut 70 Jahren nichts an ihrer Gültigkeit und Aktualität eingebüßt.
Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre!
Wolfgang Schmidt
Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen