- Wohnimmobilienkredite haben eine große Bedeutung für das deutsche Finanzsystem und für die Finanzstabilität.
- Die Finanzstabilitätsdatenerhebungsverordnung des BMF schließt Datenlücken zur Finanzierung von Wohnimmobilien. Entstehende Risiken für die Finanzstabilität können dadurch besser erkannt und bewertet werden.
- Damit kann zielgerichteter eingegriffen werden, wenn Risiken für die Finanzstabilität drohen. Das schützt auch die Verbraucherinnen und Verbraucher.
Einleitung
Spätestens seit der letzten globalen Finanzkrise ist der breiten Öffentlichkeit bekannt, welche Risiken aus dem Zusammenspiel von Preisblasen und Immobilienkrediten für das Finanzsystem entstehen können. In Deutschland sind über die Hälfte aller ausstehenden Bankkredite an inländische Privathaushalte und Unternehmen Wohnungsbaukredite. Seit 2009 steigen die Preise für Wohnimmobilien stark an; auch die Corona-Pandemie scheint daran nichts zu ändern. Das frühzeitige Einschätzen von entstehenden Risiken erfordert eine gute Datenbasis. Hier hat Deutschland auch im europäischen Vergleich deutlichen Nachholbedarf. Die unzureichende Datenlage wurde auch vom Internationalen Währungsfonds (IWF), dem Finanzstabilitätsrat (Financial Stability Board, FSB), dem Sachverständigenrat und dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board, ESRB) kritisiert. Mit der Finanzstabilitätsdatenerhebungsverordnung (FinStabDEV) ermächtigt das BMF die Deutsche Bundesbank dazu, regelmäßig relevante Daten zu erheben.
Risiken für die Finanzstabilität aus Immobilienkrediten – gute Daten zur Risikoeinschätzung sind notwendig
Die Vergangenheit zeigt, dass Überbewertungen auf Immobilienmärkten zusammen mit einem starken Ansteigen von Immobilienkrediten eine systemische Finanzkrise auslösen können; ein Beispiel hierfür ist die Subprime-Krise 2007/2008 in den USA. Grund ist häufig ein sich selbst verstärkender Mechanismus von steigenden Immobilienpreisen und einer zunehmenden Kreditvergabe der Banken, die auch mit einer höheren Verschuldung der Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer einhergehen. In Erwartung weiter steigender Preise erhöht sich der Anteil der durch Fremdkapital finanzierten Wohnimmobilien. Das wiederum führt zu steigenden Immobilienpreisen. Oft werden dabei auch die Standards für die Kreditvergabe gelockert. Das bedeutet, in die Bonitätsprüfung fließen (über-)optimistische Erwartungen der Werthaltigkeit der finanzierten Immobilien oder der finanziellen Leistungs- und Schuldentragfähigkeit der Kreditnehmer ein. Kommt es dann zur Korrektur der Überbewertungen, bei der die kreditfinanzierte Preisblase platzt, können sich diese Erwartungen als unrealistisch erweisen. Sind Kreditnehmer hoch verschuldet, steigt die Gefahr, dass sie ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können und Banken die gestellten Immobiliensicherheiten verwerten müssen. Das verstärkt die Preiskorrektur am Immobilienmarkt und führt zu hohen Abschreibungen bei Banken und anderen Kreditgebern. In der Folge kann dies deren Fähigkeit einschränken, Kredite zu vergeben, und damit die Finanzstabilität insgesamt gefährden. Dies kann in eine langanhaltende wirtschaftliche Schwächephase münden.
Finanzstabilität
bezeichnet einen Zustand, in dem das Finanzsystem seine volkswirtschaftlichen Funktionen erfüllt – und zwar gerade auch im Fall von unvorhersehbaren Ereignissen, in Stresssituationen sowie in strukturellen Umbruchphasen. Die zentralen Funktionen umfassen sowohl die Allokation der finanziellen Mittel und Risiken als auch die Abwicklung des Zahlungsverkehrs. Nur ein stabiles Finanzsystem kann seine volkswirtschaftlichen Funktionen erfüllen und dadurch zu einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum beitragen. Damit bezieht sich das Ziel der Finanzstabilität auf das gesamte Finanzsystem und umfasst mehr als die Stabilität einzelner Akteure wie beispielsweise Banken und Versicherer.
Die beschriebenen Wirkmechanismen sind komplex. Um entstehende Risiken für die Finanzstabilität besser erkennen und bewerten zu können, ist daher eine gute Datenbasis erforderlich. Deutschland hat hier im europäischen Vergleich Nachholbedarf. Bisher werden in Deutschland kaum Daten zu Wohnimmobilienfinanzierungen erfasst. Deutschland gehört bislang zu den fünf EU-Mitgliedstaaten mit der schlechtesten Datenlage.
Bereits im Juni 2015 empfahl der Ausschuss für Finanzstabilität (AFS), die Datenverfügbarkeit bei Immobilienkrediten deutlich zu verbessern.1 Es bestand die Aussicht, dass Daten absehbar auf europarechtlicher Grundlage durch die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Notenbanken erhoben werden. Die Analytical Credit Datasets (AnaCredit) – die Kreditdatenstatistik der EZB – sollte Angaben zu Gewerbeimmobilien und Wohnimmobilien umfassen. Allerdings werden im Kreditregister AnaCredit derzeit nur Informationen zur Finanzierung von Gewerbeimmobilien erfragt. Mittelfristig ist keine vergleichbare Erhebung zu den Wohnimmobilienkrediten privater Haushalte zu erwarten. Damit ist eine nationale Lösung erforderlich geworden.
Die unzureichende Datenverfügbarkeit in Deutschland wurde wiederholt z. B. vom Internationalen Währungsfonds kritisiert. Auch der aktuelle Country Peer Review für Deutschland des Financial Stability Board empfiehlt, die Datenlücken zu schließen.2 Der Sachverständigenrat kommt in seinem Jahresgutachten 2018/2019 zum Schluss, dass die ungenügende Datenlage die makroprudenzielle Überwachung wie auch den wirksamen Einsatz entsprechender makroprudenzieller Instrumente erschwert, um Risiken für die Finanzstabilität abzuwehren. Gleiches gilt für die Evaluierung der Wirkung solcher Instrumente.
Makroprudenzielle Überwachung
versus mikroprudenzielle Aufgabe: Gefahren für die Finanzstabilität können nur erkannt werden, wenn das gesamte Finanzsystem in den Blick genommen wird. Dies ist die Aufgabe der makroprudenziellen Aufsicht. Dagegen ist die Aufsicht über einzelne Finanzintermediäre, z. B. einzelne Banken oder Versicherungen, eine mikroprudenzielle Aufgabe. Die makroprudenzielle Aufsicht verfolgt das Ziel, die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems zu stärken und systemische Risiken zu mindern. Dabei stützt sie sich auf die Analysen der makroprudenziellen Überwachung.
Zu berücksichtigen ist auch, dass der Europäische Ausschuss für Systemrisiken am 31. Oktober 2016 eine Empfehlung an die nationalen makroprudenziellen Behörden erlassen hat3, welche die Finanzstabilität in ihrem Land überwachen. Die Empfehlung des ESRB zielt darauf ab, dass diese Behörden datengestützt für die Finanzstabilität bedeutsame Entwicklungen im Immobiliensektor überwachen können.
Warnungen und Empfehlungen des ESRB
Die Finanzkrise 2008 hat gezeigt, dass es erhebliche Defizite bei der Finanzaufsicht gab. Daher wurde in der Europäischen Union (EU) eine neue Aufsichtsarchitektur geschaffen. Der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board, ESRB) ist Teil davon und hat Anfang 2011 seine Arbeit aufgenommen. Der ESRB ist zuständig für die makroprudenzielle Überwachung des gesamten Finanzsystems in der EU. Er trägt dazu bei, Systemrisiken zu erkennen und abzuwenden, und beugt der Ausbreitung von finanziellen Notlagen vor. Identifiziert der ESRB signifikante Risiken oder Ungleichgewichte im europäischen Finanzsystem oder einzelnen Ländern, kann er Warnungen und Empfehlungen gegenüber der EU, den EU-Mitgliedstaaten oder den europäischen und nationalen Aufsichtsbehörden aussprechen. Warnungen und Empfehlungen können entweder vertraulich oder öffentlich kommuniziert werden. Empfehlungen umfassen konkrete Maßnahmen gegen festgestellte Risiken oder Ungleichgewichte. Solche Empfehlungen sind zwar nicht rechtsverbindlich, die Ablehnung der empfohlenen Maßnahmen muss vom Adressaten aber überzeugend begründet werden („comply or explain“). Der ESRB überwacht die Umsetzung der Empfehlungen.
Die für die Risikoüberwachung erforderlichen Daten liegen in Deutschland nur sehr eingeschränkt vor. Dies hat unter anderem den ESRB veranlasst, 2019 eine Warnung gegenüber Deutschland zur mittelfristigen Anfälligkeit des Wohnimmobiliensektors auszusprechen. Der ESRB stufte am 27. Juni 2019 die Unsicherheit bei der Beurteilung der Kreditvergabestandards aufgrund von Datenlücken als ein mögliches Risiko ein und empfahl, die Datenlücken zu schließen.
Bisher musste auf Sonderumfragen zurückgegriffen werden, um relevante Daten für die Risikoeinschätzung abzufragen. Die Rückmeldung der Banken war, dass dies für sie sehr aufwändig sei. Auch ist die Qualität der durch einzelne Sonderumfragen erhobenen Daten schlechter als bei einer regelmäßigen Meldung und die Daten liegen nicht regelmäßig, sondern nur für den Zeitpunkt der Sonderumfrage vor.
Finanzstabilitätsdatenerhebungsverordnung (FinStabDEV)
Diese Umstände haben das BMF dazu bewogen, eine Verordnung zu erlassen, mit deren Umsetzung die bestehenden Datenlücken geschlossen werden. Die FinStabDEV ermächtigt die Deutsche Bundesbank, sich bestimmte Daten zu Wohnimmobilienfinanzierungen regelmäßig melden zu lassen. Meldepflichtig sind nicht nur Banken, sondern auch Fonds und Versicherer, sofern sie solche Finanzierungen vergeben. Der Entwurf der Verordnung wurde bis Februar 2020 konsultiert und – soweit erforderlich – angepasst. Sie trat am 3. Februar 2021 in Kraft.4 Mit dieser Verordnung werden auch die einschlägigen Empfehlungen des ESRB umgesetzt.
Im Kern schafft die FinStabDEV ein Meldewesen für neu vergebene Kredite zur Finanzierung von Wohnimmobilien. Sämtliche Informationen werden in anonymisierter und teilaggregierter Form erhoben. Wichtig sind u. a. Angaben zu Marktwerten finanzierter Immobilien und zu den Charakteristika neu vergebener Darlehen, z. B. zur Darlehenshöhe und zur Tilgung. Erfasst werden soll auch die Darlehensvolumen-Immobilienwert-Relation, das ist das Verhältnis zwischen dem gesamten Fremdkapitalvolumen einer Wohnimmobilienfinanzierung und dem Marktwert der hiermit finanzierten Wohnimmobilien. Zudem werden Daten zur Schuldendienstfähigkeit und zum Verhältnis zwischen der Gesamtverschuldung und dem Einkommen des Darlehensnehmers zum Zeitpunkt der Kreditvergabe erfasst. Diese Angaben spiegeln die Fähigkeit der Kreditnehmer wider, eingegangene finanzielle Verpflichtungen dauerhaft bedienen zu können. Damit lässt sich ein Aufbau von Risiken bei den Darlehensnehmern beziehungsweise die Lockerung von Kreditvergabestandards abschätzen. In wirtschaftlichen Schwächephasen mit stagnierenden oder sinkenden Einkommen verstärken eine hohe Verschuldung der Darlehensnehmer und hohe laufende Schuldendienstlasten die Gefahr, dass diese ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können. In der Folge könnte es bei zunehmenden Darlehensausfällen zu Belastungen der Bankbilanzen und daraufhin des gesamten Finanzsystems kommen. Zudem können höhere Schuldendienstbelastungen zu einer Einschränkung des Konsums führen und damit zu negativen gesamtwirtschaftlichen Rückkopplungseffekten. Einkommensbezogene Kennziffern sind im Rahmen der aufsichtsrechtlich und zivilrechtlich erforderlichen Kreditwürdigkeitsprüfung ohnehin zu erheben; die Angaben liegen den Mitteilungspflichtigen aufgrund der von ihnen vorzunehmenden Kreditwürdigkeitsprüfung daher grundsätzlich vor oder lassen sich in diese integrieren.
Eine wichtige Prämisse war die proportionale und verhältnismäßige Ausgestaltung der FinStabDEV. Daher werden für bestehende Kredite nur einzelne Informationen auf der sogenannten Best-Effort-Basis erfragt, um eine gute Risikoeinschätzung vornehmen zu können. Die Meldepflichtigen müssen also nicht aufwändig Informationen nacherfassen. Damit werden Bürokratiekosten für die Meldepflichtigen erheblich begrenzt. Die FinStabDEV schafft kein Kreditregister. Die Meldung der Daten erfolgt in teilaggregierter Form, um eine Balance zwischen dem Informationsbedürfnis der Aufsicht, den entstehenden Bürokratiekosten und den Anforderungen des Datenschutzes herzustellen.
Darüber hinaus enthält die FinStabDEV eine abschließende Auflistung der Daten, welche die Deutsche Bundesbank anfordern kann, sowie Regelungen zu Form, Format und zeitlichen Vorgaben der Datenübermittlung. Damit wird ein klarer Rahmen für die Entscheidungsbefugnisse der Deutschen Bundesbank geschaffen. Innerhalb dieses Rahmens hat die Deutsche Bundesbank einen gewissen Spielraum, damit sie ihre gesetzlichen Aufgaben bei der Überwachung der Finanzstabilität ausführen kann. Weitere Elemente zur Stärkung der Proportionalität und Verhältnismäßigkeit sind, dass die Bundesbank die Anzahl, Granularität und Häufigkeit der zu meldenden Daten in Abhängigkeit vom Umfang der Geschäftstätigkeit differenzieren wird. Das bedeutet, wenn nur wenige relevante Geschäfte getätigt werden, verringert sich auch der Berichtsaufwand.
Um die Umsetzungskosten bei den Meldepflichtigen möglichst gering zu halten, werden bekannte Konzepte genutzt. So orientieren sich die Definitionen der geforderten Daten eng an bekannten Definitionen beziehungsweise an europäischen Standards (beispielsweise in der ESRB-Empfehlung ESRB/2016/14 zur Schließung der Datenlücken, in der EU-Bankenregulierung und in Sonderumfragen). Dies erleichtert in Zukunft die Überführung in eine europäische Lösung. Sollte zukünftig eine vergleichbare Datenerhebung auf der Grundlage europäischen Rechts vorgenommen werden, nach der die Deutschen Bundesbank die zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach dem Finanzstabilitätsgesetz erforderlichen Daten anfordern kann, kann die FinStabDEV aufgehoben werden, um Doppelerhebungen zu vermeiden.
Fazit und Ausblick
Mit der FinStabDEV werden bestehende Datenlücken geschlossen, sodass zukünftig Stabilitätsrisiken aus der Finanzierung von Wohnimmobilien besser erkannt werden können. Zur Abwehr von Risiken für die Finanzstabilität stehen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Instrumente zur Verfügung, die sie einsetzen kann. So kann die BaFin nach § 48u Kreditwesengesetz die Relation der Darlehenshöhe zum Beleihungswert beschränken oder Vorgaben zur Rückzahlung (Amortisation) von Darlehen erlassen. Die bessere Datenlage wird eine sachgerechte Justierung dieser Instrumente unterstützen. Sie erlaubt auch die Evaluierung der Wirksamkeit, wenn Instrumente eingesetzt werden. Mit der Datenerhebung werden zudem die Vorgaben des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken erfüllt.
Die Deutsche Bundesbank wird auf Basis der BMF-Rechtsverordnung eine Allgemeinverfügung zur Konkretisierung der Datenübermittlung erlassen. Nach Erlass der Allgemeinverfügung haben die Meldepflichtigen 18 Monate Zeit für die Umsetzung. Eine erste Datenlieferung mit Daten für Ende 2022 ist im Februar 2023 zu erwarten.
Fußnoten
- 1
- Link zum PDF-Dokument: http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20210251
- 2
- Link zum Country Peer Review: http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20210252
- 3
- Empfehlung des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken vom 31. Oktober 2016 zur Schließung von Lücken bei Immobiliendaten (ESRB/2016/14).
- 4
Link zur Verordnung-BGBl: http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20210254