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    Öf­fent­li­che In­ves­ti­tio­nen als Trieb­kraft pri­vat­wirt­schaft­li­cher In­ves­ti­ti­ons­tä­tig­keit

    • Eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt, dass öffentliche Investitionen die private Investitionstätigkeit spürbar anregen. 1 € öffentlicher Investitionen (Bau, Ausrüstungen, Sonstige) generiert im Durchschnitt 1,50 € private Investitionen.
    • Zudem erweisen sich gezielte öffentliche Investitionen besonders in wirtschaftlichen Schwächephasen wie der Corona-Krise und bei niedrigen Zinsen als geeignetes Instrument zur wirtschaftlichen Stabilisierung.
    • Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, Bildung und Gesundheit rentieren sich auch auf längere Zeit. Durch die im deutschen Konjunkturprogramm enthaltenen Zukunftsinvestitionen wird das reale Bruttoinlandsprodukt bis 2024 laut Studie jahresdurchschnittlich um etwa 0,4 Prozent höher liegen als ohne diese Investitionen.
    • Trotz der bisherigen Anstrengungen besteht aber weiterhin Modernisierungsbedarf, insbesondere bei Bildung, Klimaschutz und Wohnungsbau sowie bei kommunaler Infrastruktur. Die weitere Verstetigung öffentlicher Investitionen auf hohem Niveau sollte somit hohe Priorität haben. Mit den beschlossenen Eckwerten für den Bundeshaushalt 2022 und der Finanzplanung bis 2025 verfolgt die Bundesregierung genau dieses Ziel.

    Einleitung

    Die deutsche Volkswirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Damit Deutschland zukunftsfähig bleibt, bedarf es Investitionen in erheblichem Ausmaß: um die Infrastruktur zu modernisieren, um neue Wertschöpfungsbereiche zu erschließen und um klimafreundlich und nachhaltig produzieren und leben zu können.

    Bereits vor dem Ausbruch der COVID‐19‐Pandemie zeigten Studien und Berechnungen den hohen Modernisierungsbedarf bei der öffentlichen Infrastruktur in Deutschland.1 Auch der fortschreitende Klimawandel erfordert erhebliche Investitionen in klimafreundliche Technologien, den Umbau der Energieversorgung und eine nachhaltigere Mobilität. Schließlich hat die Pandemie weitere Bedarfe offengelegt, etwa im Bereich der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung oder der Gesundheitsversorgung.

    Doch wie genau kann die öffentliche Hand darauf hinwirken, dass wichtige Zukunftsinvestitionen in die Transformation der Volkswirtschaft in ausreichender Höhe getätigt werden? Wie kann gedämpft verlaufenden Investitionen im privaten Sektor in unsicheren Zeiten effektiv entgegengewirkt werden? Und kann eine solche Finanzpolitik die Konjunktur in Schwung bringen?

    Ein aktuelles Forschungsgutachten2 des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag des BMF zeigt, dass hierbei gezielte öffentliche Investitionen auf einem hohen Niveau eine zentrale Rolle spielen. Öffentliche Investitionen setzen demnach „Investitionsketten in Gang und regen die private Investitionstätigkeit so nachweislich und spürbar an“. Zudem erweisen sie sich insbesondere in Wirtschaftskrisen und bei niedrigen Zinsen als „ein außerordentlich gutes Stabilisierungsinstrument“, das gleichzeitig zum wachstums- und klimaorientierten Umbau der Volkswirtschaft beiträgt. Die Studie des DIW stellt somit eine äußerst umfassende und wertvolle empirische Analyse der Funktionen und Wirkungen öffentlicher Investitionen in Deutschland dar.

    Dieser Artikel arbeitet in den folgenden Abschnitten die zentralen Aspekte und Ergebnisse des umfassenden DIW-Gutachtens in kurzer Form heraus und veranschaulicht diese. In ihrem Gutachten gehen die Wissenschaftler des Instituts u. a. folgenden drei Kernfragen nach:3

    • Welche Auswirkungen hat ein Anstieg der öffentlichen Investitionen auf die private Investitionstätigkeit in Deutschland und was sind die Transmissionskanäle?
    • Sind öffentliche Investitionen in wirtschaftlichen Schwächephasen ein geeignetes finanzpolitisches Instrument zur Stärkung von Konjunktur und Wachstum?
    • Welche Effekte gehen von den investiven Ausgaben des deutschen Konjunkturprogramms aus und tragen die darin enthaltenen Maßnahmen dazu bei, den volkswirtschaftlichen Investitionsbedarf zu decken?

    Transmissionskanäle öffentlicher Investitionen zur privaten Investitionstätigkeit in Deutschland

    Eine Erhöhung öffentlicher Investitionen kann mit verschiedenen, auch gegensätzlich wirkenden Effekten einhergehen. Zunächst steigern zusätzliche öffentliche Ausgaben rein technisch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in gleicher Höhe. Darüber hinaus wird die kurzfristige Nachfrage nach privaten Investitionen, Konsumgütern oder Importen beeinflusst. Schließlich erhöhen öffentliche Investitionen den Kapitalstock und damit das Produktionspotenzial. Dabei können gegensätzlich wirkende Effekte auftreten, die die private Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern entweder stimulieren (Crowding-in) oder verdrängen (Crowding-out).

    Ein Grund für Crowding-in ist, dass durch staatliche Investitionen private Güter vermehrt nachgefragt und diese effizienter produziert und bereitgestellt werden können. Beispielsweise vereinfacht eine staatlich finanzierte Verbesserung des Straßenverkehrsnetzes den Transport und Handel von Gütern und Dienstleistungen. Private Unternehmen können somit effizienter produzieren und höhere Gewinne erwirtschaften, sodass Anreize zu verstärkter privater Investitionstätigkeit bestehen. Firmen, die mit diesen zukünftigen Produktivitätsgewinnen sicher planen können, werden bereits in der Gegenwart mehr investieren.

    Beim Crowding-out-Effekt verdrängen öffentliche Investitionen die privatwirtschaftliche Nachfrage. Diese Effekte werden meist daraus abgeleitet, dass der Staat zur Finanzierung von öffentlichen Investitionen neue Staatsanleihen begibt. Die Konsequenz der dadurch gestiegenen Kreditnachfrage sind höhere Zinsen und somit steigende Kapitalkosten. Dies verschlechtert wiederum die Finanzierungsbedingungen der Unternehmen, weshalb Investitionen aufgeschoben werden oder sogar vollständig ausbleiben könnten. In Phasen von anhaltenden Niedrigzinsen dürfte dieser Kanal allerdings deutlich abgeschwächt sein.

    Für Deutschland finden die DIW-Wissenschaftler auf Grundlage umfangreicher empirischer Modelle und mit einem umfassenden Investitionsmaß robuste Evidenz für Crowding-in-Effekte. Wie in Abbildung 1 dargestellt, setzen insbesondere öffentliche Sachinvestitionen volkswirtschaftliche Investitionsketten in Gang, indem sie die private Investitionstätigkeit spürbar anregen (siehe Infobox für eine Definition der verschiedenen Investitionsarten).

    Säulenendiagramm: Durchschnittlicher Crowding-in Effekt öffentlicher Investitionen in kurzer und mittlerer Frist Bild vergrößern
    Abbildung 1

    Zwischenfazit

    Öffentliche Investitionen setzen volkswirtschaftliche Investitionsketten in Gang. 1 € öffentlicher Investitionen (Bau, Ausrüstungen, Sonstige) generiert im Durchschnitt 1,50 € private Investitionen. Dabei erhöhen öffentliche Ausgaben für Ausrüstungen vor allem kurzfristig die private Investitionsnachfrage. Öffentliche Bau- und Ausrüstungsinvestitionen sorgen dafür, dass private Unternehmen in Ausrüstungen investieren, u. a., um zusätzlich öffentliche Bauaufträge ausführen zu können. Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen erhöhen hingegen vor allem das mittelfristige Potenzialwachstum. Staatliche Investitionen in Infrastrukturvorhaben bewirken sowohl kurzfristige als auch mittelfristige Effekte.

    Investitionsbegriff

    Die durchgeführten Analysen richten sich auf unterschiedliche Investitionsarten. Grundsätzlich wird auf die Datengrundlage der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) zurückgegriffen, d. h. die Investitionen werden beispielsweise anders als in der Kassenstatistik gemäß ihrem Fortschritt gebucht und nicht nach Zahlungszeitpunkten. Für die öffentlichen Investitionen werden die Zeitreihen für den Gesamtstaat und damit des Bundes, der Länder und der Kommunen verwendet. Es werden drei grundsätzliche Abgrenzungen für öffentliche Investitionen definiert:

    Bruttoanlageinvestitionen: Die öffentlichen Bruttoanlageinvestitionen in der VGR umfassen die Bestandsveränderungen von physischem Kapital, u. a. Sachinvestitionen in Wohn‐ und Nichtwohnbauten (Infrastruktur), Maschinen, Anlagen, Waffen(‐systeme), aber auch in geistiges Eigentum wie Software, Lizenzen, Forschung und Entwicklung. Diese Investitionen werden in der Studie als Investitionen im engen Sinne oder Bruttoanlageinvestitionen verwendet.

    Investiv wirkende Ausgaben: In der Analyse wird die erste Kategorie der Bruttoanlageinvestitionen um Investitionszuschüsse und ‐zulagen erweitert. Zeitreihen für die Investitionszuschüsse und ‐zulagen stammen ebenfalls aus der VGR. Dort zählen sie zu den Vermögenstransfers.

    Investitionen im weiteren Sinne: Ein erweiterter Investitionsbegriff umfasst schließlich auch Posten wie Investitionen in das Humanpotenzial. Darunter fallen Erziehungsausgaben für Kleinkinder, Bildungs- und Ausbildungsausgaben für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene und Weiterbildungsausgaben. Darüber hinaus zählen auch Ausgaben dazu, die zu einer besseren gesundheitlichen Versorgung beitragen, sowie Ausgaben für die Durchführung staatlicher Leistungen im Bereich Forschung und Entwicklung. Solche öffentlichen Ausgaben werden in der VGR zu einem großen Anteil dem Staatskonsum zugerechnet. Die öffentlichen Ausgaben werden vom Statistischen Bundesamt vierteljährlich disaggregiert nach öffentlichen Sektoren veröffentlicht.

    Sind öffentliche Investitionen in Rezessionen ein geeignetes Instrument zur konjunkturellen Stabilisierung?

    Die Ausprägung der Wirkung öffentlicher Investitionen kann auch vom spezifischen Umfeld abhängen, in dem sich eine Volkswirtschaft befindet. Diese sogenannten Nichtlinearitäten in Abhängigkeit von verschiedenen makroökonomischen Umfeldern untersuchen die Autorin und die Autoren der DIW-Studie mit lokalen Projektionsmodellen. Dafür erfassen sie den Zustand der Volkswirtschaft mit dafür plausiblen Kennzahlen: die gesamtwirtschaftliche Produktionslücke als Maß für den konjunkturellen Zustand, das Zinsniveau als Maß für die geldpolitische Ausrichtung, den World Uncertainty Index als globales Unsicherheitsmaß und schließlich die jährliche Neuverschuldung in Prozent des BIP als Maß für die finanzpolitische Lage. Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse der zustandsabhängigen empirischen Schätzungen.

    Crowding-in-/Crowding-out-Effekte öffentlicher Bruttoanlageinvestitionen nach Zuständen, 1. Quartal 1970 bis 4. Quartal 2018

    Tabelle vergrößern
    Tabelle 1

    Demnach ist der Crowding-in-Effekt gerade in Phasen der wirtschaftlichen Unterauslastung hoch (Spalte 1). Dies spricht dafür, dass öffentliche Investitionen in Zeiten von Wirtschaftskrisen, in denen die Kapazitäten gering ausgelastet sind, große positive Effekte auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage entfalten. Hingegen sind in Zeiten ausgelasteter Kapazitäten Fachkräfte knapp und Firmen können weitere Aufträge aufgrund fehlender Personal‐ und Sachkapazitäten nicht mehr annehmen. Zusätzliche staatliche Bruttoanlageinvestitionen führen dann kurzfristig nicht zu zusätzlichen privaten Investitionen, sondern erhöhen Löhne und Preise im Inland oder versickern zum Teil im Ausland, weil Unternehmen im Ausland investieren.

    Die Autorin und die Autoren kommen auch zu dem Ergebnis, dass wirtschaftliche Unsicherheit den Zusammenhang beeinflusst (Spalte 2). In Phasen hoher Unsicherheit, etwa während politischer oder struktureller Umbrüche, scheuen Unternehmen langfristige, innovative, aber gleichzeitig risikoreiche Investitionsprojekte. Diese werden entweder durch kurzfristige und oftmals wenig innovative Erhaltungsinvestitionen ersetzt oder gänzlich verschoben. In solchen Zeiten kann die Regierung insbesondere durch langfristig angelegte und vorausschauend kommunizierte finanzpolitische Maßnahmen Planungssicherheit schaffen. Die dadurch gewonnene Stabilität reduziert die wirtschaftliche Unsicherheit für private Unternehmen, in innovative, aber risikoreiche Projekte zu investieren.

    Allerdings könnten die Rolle der konjunkturellen Lage und auch der Einfluss von Unsicherheit überschätzt werden, da sowohl Phasen der Unterauslastung als auch unsichere Zeiten oftmals mit einer Phase niedriger Zinsen einhergehen beziehungsweise Zentralbanken auf eine Rezession und hohe Unsicherheit mit Zinssenkungen reagieren. Denn die Überauslastung und Unsicherheit manifestieren sich in höheren und volatileren Inflationsraten. Zentralbanken, die der Preisstabilität verpflichtet sind, erhöhen in diesen Phasen die Zinsen. Umgekehrt ist es in Phasen einer Unterauslastung: Wird der Zins seitens der Notenbank nun auf einem niedrigen Niveau gehalten, wird die negative Verdrängungswirkung (Crowding‐out) des Kapitalkostenkanals minimiert, da Firmen erwarten, dass während einer Niedrigzinsphase kreditfinanzierte öffentliche Investitionen die Kapitalkosten nicht signifikant erhöhen werden. Die Schätzergebnisse stützen diese Überlegungen. Es zeigt sich, dass die Verdrängungswirkung öffentlicher Investitionen in Niedrigzinsphasen signifikant geringer ist (Spalte 3).

    Finanzpolitisch festgelegte Verschuldungsgrenzen können als eine Art Benchmark dienen, welches Maß an Neuverschuldung zu einem bestimmten Zeitpunkt als „nachhaltig“ angesehen wird. Würde beispielsweise eine strukturelle Neuverschuldung oberhalb eines Referenzwertes erfolgen (z. B. 0,35 Prozent des BIP aus der Schuldenregel), könnten diese als zu hoch angesehen werden und Zinsaufschläge auf Staatsanleihen zur Folge haben. Dies könnte in der Folge auch die Kapitalkosten der Unternehmen beeinflussen. Die Schätzungen (Spalte 4) zeigen, dass der Crowding‐in-Effekt im Durchschnitt während einer durch geringere Neuverschuldung gekennzeichneten Phase größer ist. Im ersten Jahr ist der Effekt noch kleiner als bei einer hohen Neuverschuldung, im Zeitverlauf übersteigt er diesen jedoch. Allerdings sind die gemessenen Effekte nur schwach signifikant.

    Zwischenfazit

    Besonders in wirtschaftlichen Krisen und bei niedrigen Zinsen sind öffentliche Investitionen ein geeignetes Stabilisierungsinstrument: In der aktuellen Corona-Krise (Rezession, niedriges Zinsniveau, hohe Unsicherheit) sollten öffentliche Investitionen deshalb deutlich höhere Stabilisierungs- und Wachstumseffekte erzeugen als in Phasen der Normalauslastung.

    Welche Effekte gehen von den investiven Ausgaben des deutschen Konjunkturprogramms aus?

    Damit Deutschland zukunftsfähig bleibt, bedarf es Investitionen in erheblichem Ausmaß, um die bestehende Substanz zu modernisieren, um zukünftige Wertschöpfungsbereiche zu erschließen und um klimafreundlich und nachhaltig produzieren und leben zu können. Die Bundesregierung geht diese Herausforderungen u. a. mit dem im Juni 2020 beschlossenen Konjunkturprogramm mit einem Gesamtvolumen von 130 Mrd. € in den Jahren 2020 und 2021 an. Darin enthalten ist ein „Zukunftspaket“ mit öffentlichen Investitionen und Investitionszuschüssen in Höhe von rund 43 Mrd. € bis 2024. Das „Zukunftspaket“ enthält in einem größeren Umfang als in bisherigen Konjunkturprogrammen kapazitätsschaffende Modernisierungsmaßnahmen. Es sieht wichtige Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, bei Bildung und auf kommunaler Ebene vor. Zudem fördert es Schlüsseltechnologien in den Bereichen Digitalisierung, Klimaschutz und Mobilität. Außerdem wird das Gesundheitswesen gestärkt und der Schutz vor Pandemien verbessert.

    Zur Analyse der Effekte aus den investiven Ausgaben des deutschen Konjunkturprogramms auf private Investitionen und die gesamtwirtschaftliche Aktivität verwenden die Autorin und die Autoren ein dynamisches Gleichgewichtsmodell, das die Erwartungsbildung privater Haushalte und Firmen explizit berücksichtigt.

    Unter der Annahme, dass von rund 43 Mrd. € an Investitionen im weiteren Sinne bis 2024 rund 37 Mrd. € auf Bruttoanlageinvestitionen und Investitionszuschüsse entfallen und der Restbetrag zukunftsorientierten Ausgaben im Bildungs- und Gesundheitsbereich (Humanpotenzialausgaben) zugeordnet werden kann, führen die Forscher ihre Schätzungen durch. Abbildung 2 illustriert die Ergebnisse.

    2 Säulenendiagramme: Private Investitionen und Bruttoinlandsprodukt infolge der öffentlichen Investitionen des Konjunkturprogramms vom Juli 2020 Bild vergrößern
    Abbildung 2

    Für sich genommen könnten die 37 Mrd. € an Investitionen und die Zuschüsse bis 2024 gut 29 Mrd. € zusätzliche private Investitionen auslösen. Unter Berücksichtigung von „Sickerungsverlusten“ (vor allem durch Importe) könnte sich das BIP so um insgesamt rund 45 Mrd. € erhöhen. Werden auch Teile der Ausgaben für Bildung und Gesundheit zu den Investitionen gezählt, könnte das BIP sogar um 67 Mrd. € steigen. Den Modellschätzungen zufolge könnte somit 1 € dieser öffentlichen Ausgaben kumuliert bis 2024 etwa 1,60 € zusätzliches BIP mit sich bringen. Dadurch läge das reale BIP bis 2024 jahresdurchschnittlich um etwa 0,4 Prozent höher als ohne das Konjunkturprogramm.

    Trägt das „Zukunftspaket“ der Bundesregierung nachhaltig zur Modernisierung der deutschen Volkswirtschaft bei?

    Dieser Frage nähert sich die Studie über eine Untersuchung der Investitionsbedarfe in Deutschland und dem Beitrag bestehender Investitionsprogramme der Bundesregierung zu deren Abbau. Bereits vor dem Ausbruch der COVID‐19‐Pandemie zeigten Studien und Berechnungen, dass Deutschland einen hohen Modernisierungsbedarf u. a. in den Bereichen Klimaschutz, kommunale und digitale Infrastruktur sowie bei Bildung hat. In einer viel zitierten Referenzstudie4 wird dieser Bedarf bis zum Jahr 2030 mit etwa 330 Mrd. € ausgewiesen (Tabelle 2). Zudem hat die Pandemie ergänzende Bedarfe etwa im Bereich der Gesundheitsversorgung offengelegt. Darauf aufbauend und unter Verwendung der Erkenntnisse aus den vorherigen Teilen ermitteln die Autorin und die Autoren der DIW-Studie die aktuell verbleibenden Investitionsbedarfe.

    Demnach hat die Bundesregierung seit 2018 die Modernisierung in den Bereichen Bildung, Verkehr, Klima, Digitalisierung, Gesundheit und Wohnungsbau mit rund 120 Mrd. € gefördert. Darin enthalten sind die Maßnahmen des Koalitionsvertrags. Zusätzlich trägt das Konjunkturprogramm insbesondere mit dem Zukunftspaket einen signifikanten Teil zur Modernisierung der deutschen Volkswirtschaft bei. Nach Einschätzung der Studienautorin und -autoren dürfte der verbleibende Bedarf mit rund 220 Mrd. € bis 2030 weiterhin hoch sein. Der größte Investitionsbedarf besteht demnach in der Bildungspolitik mit 78 Mrd. €, gefolgt von Klima und Verkehr mit 69 Mrd. €, dem Bausektor mit 47 Mrd. € und dem Digitalbereich mit 26 Mrd. €.

    Investitionsbedarf in Deutschland bis 2030

    Tabelle vergrößern
    Tabelle 2

    Zwischenfazit

    Die Studie zeigt, dass sich Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, Bildung und Gesundheit auf längere Zeit wirtschaftlich rentieren. Für das deutsche „Zukunftspaket“ zeigt sich, dass das reale BIP bis 2024 infolge der Investitionen jahresdurchschnittlich um etwa 0,4 Prozent höher liegen wird als ohne das Programm. Angesichts negativer realer Finanzierungskosten des Staates im aktuellen Niedrigzinsumfeld sollte das zusätzliche Wachstum auch einen spürbaren Beitrag bei der mittelfristigen Rückführung der öffentlichen Verschuldung liefern. Daher kommt die Studie zu dem Schluss, dass die Bundesregierung die Modernisierung der deutschen Volkswirtschaft mit den Maßnahmen des Koalitionsvertrags und des Konjunkturprogramms gezielt vorantreibt. Spürbare Investitionsbedarfe sind aber weiterhin vorhanden, insbesondere bei Bildung, Klimaschutz und Wohnungsbau sowie der Infrastruktur auf kommunaler Ebene.

    Schlussbemerkungen

    Klimaschutz und zunehmende Digitalisierung stellten viele Volkswirtschaften bereits vor der Corona-Pandemie vor immense Herausforderungen. Die Pandemie hat weitere Bedarfe für wichtige Zukunftsinvestitionen offengelegt, etwa im Bereich der Digitalisierung, öffentlicher Verwaltungen oder der Gesundheitsversorgung. Hinzu kommt derzeit die Herausforderung, die Konjunktur möglichst gut zu stabilisieren und dabei gleichzeitig die notwendigen Weichen für die Wirtschaft der Zukunft zu stellen.

    In genau diesem Umfeld bietet die neue Studie des DIW einen wertvollen und empirisch fundierten Beitrag zur Schlüsselrolle öffentlicher Investitionen. Die Studie zeigt für Deutschland, dass insbesondere öffentliche Sachinvestitionen volkswirtschaftliche Investitionsketten in Gang setzen, indem sie die private Investitionstätigkeit nachweislich und spürbar anregen. Zudem fanden die Wissenschaftler heraus, dass gezielte öffentliche Investitionen besonders in wirtschaftlichen Krisen und bei niedrigen Zinsen ein geeignetes Stabilisierungsinstrument sind. Im Hinblick auf die Finanzpolitik der Bundesregierung ist das eine wichtige Erkenntnis. Die Bundesregierung hatte mit dem Investitionshochlauf der vergangenen Jahre und dem im Konjunkturprogramm enthaltenen „Zukunftspaket“ schon früh einen Schwerpunkt auf wichtige Zukunftsinvestitionen u. a. für klimafreundliche Technologien, den Umbau der Energieversorgung und eine nachhaltigere Mobilität gelegt. Die DIW-Studie legt nun nahe, dass es genau diese Investitionen sind, die dafür sorgen könnten, dass Deutschland am Ende gestärkt aus der Krise hervorgehen kann.

    Gleichzeitig weist die Studie aber auch darauf hin, dass in Deutschland trotz der bisherigen Anstrengungen weiterhin Modernisierungsbedarfe bestehen. Laut DIW ist das insbesondere bei Bildung, Klimaschutz und Wohnungsbau sowie im Bereich kommunaler Infrastruktur der Fall. Die weitere Verstetigung öffentlicher Investitionen auf hohem Niveau ist somit ein Schlüssel für eine erfolgreiche Transformation. Mit den beschlossenen Eckwerten für den Bundeshaushalt 2022 und der Finanzplanung bis 2025 verfolgt die Bundesregierung genau dieses Ziel. Für 2022 sehen die Eckwerte Investitionen von 50 Mrd. € vor, das sind gut 10 Mrd. € mehr als vor Ausbruch der Pandemie im Jahr 2019. Dieses hohe Niveau wird über den gesamten Finanzplanzeitraum gehalten, sodass bis 2025 eine Rekordsumme von 200 Mrd. € für Investitionen zur Verfügung stehen wird, also so viel wie noch nie.

    Fußnoten

    1
    Bardt, H., S. Dullien, M. Hüther und K. Rietzler (2019): Eine solide Finanzpolitik: Investitionen ermöglichen, IMK Report, 152, November, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung; Barišić, M., T. Krebs und M. Scheffel (2018): Eine Investitionsagenda für Deutschland, Wirtschaftsdienst, 98(3), S. 179–185; Krebs, T. und M. Scheffel (2017): Lohnende Investitionen, Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 18(3), S. 245–262. Fratzscher, M. (2015): Increasing Investment in Germany: Report Prepared by the Expert Commission on Behalf of the Federal Minister for Economic Affairs and Energy, Expertenkommission Stärkung von Investitionen in Deutschland.
    2
    Belitz, H., Clemens, M., Gebauer, S. und Michelsen, C. (2020), Öffentliche Investitionen als Triebkraft privatwirtschaftlicher Investitionstätigkeit, DIW Politikberatung kompakt, 158.
    3
    Darüber hinaus geht das DIW in der Studie der Frage nach, welche Auswirkungen öffentliche Investitionen auf einzelne Branchen und Sektoren haben. Eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse auf Grundlage branchenspezifischer Panelmodelle findet sich in Kapitel zwei des Gutachtens.
    4
    Krebs und Scheffel (2017). Andere Studien weisen Werte zwischen 300 Mrd. € und 450 Mrd. € aus.

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