Im August 2020 haben wir im Interview des Monatsberichts über die Entscheidung der EU gesprochen, für die Erholung Europas nach der Corona-Pandemie einen europäischen Aufbauplan auf den Weg zu bringen. Wo stehen wir jetzt?
Unter deutschem Vorsitz ist es Ende vergangenen Jahres gelungen, eine politische Einigung zwischen Rat und Europäischem Parlament zu erzielen. Daraus entstand die Grundlage für eine europäische Aufbau- und Resilienzfazilität (Recovery and Resilience Facility, RRF). Die entsprechende Verordnung konnte Anfang dieses Jahres in Kraft treten. Das ist für einen europäischen Rechtssetzungsprozess ein sehr hohes Tempo. Es zeigt: Maßnahmen zur Krisenbekämpfung haben Priorität!
Im Moment reichen die EU-Mitgliedstaaten nationale Aufbau- und Resilienzpläne ein, in denen sie Maßnahmen darlegen, für die sie die europäischen Hilfsgelder verwenden wollen. Die Europäische Kommission wird diese Pläne prüfen und dem Rat zur Zustimmung vorlegen. Wir sind zuversichtlich, dass die ersten Mittel zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung dann ab Sommer an die Mitgliedstaaten ausgezahlt werden können.
Warum sind Sie zuversichtlich, dass die Mitgliedstaaten und die EU mit dieser Unterstützung gestärkt aus der Krise hervorgehen werden?
Die Aufbau- und Resilienzfazilität wird uns helfen, schneller aus der Krise herauszuwachsen. Sie soll außerdem zukünftiges Wirtschaftswachstum sicherstellen. Mitgliedstaaten sollen dafür die bereitgestellten Gelder auch für strukturelle Herausforderungen verwenden. Für Deutschland stehen dabei ganz besonders die Digitalisierung und der Klimaschutz im Fokus. Daneben sind die Mitgliedstaaten auch dazu aufgerufen, Mittel in den Bereichen einzusetzen, die für die langfristige wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Länder und der EU insgesamt besonders förderlich sind. Das Europäische Semester, also der Prozess der wirtschaftspolitischen Koordinierung in der EU, ist dafür die Grundlage.
Können Sie uns kurz erklären, woher die Mittel kommen, mit denen die EU das gewaltige Wiederaufbaupaket finanziert?
Das gesamte Aufbauinstrument „Next Generation EU“, von dem die Aufbau- und Resilienzfazilität den größten Teil ausmacht, hat ein Volumen von rund 750 Milliarden Euro. Die Europäische Kommission wird zur Finanzierung des Instruments bevollmächtigt werden, bis zum Jahr 2026 Kredite am Kapitalmarkt aufzunehmen und zu diesem Zweck im Namen der Europäischen Union Anleihen zu begeben. Danach muss das Geld kontinuierlich bis zum Jahr 2058 zurückgezahlt werden. Sollten über die Aufbau- und Resilienzfazilität Kredite von einzelnen Mitgliedstaaten in Anspruch genommen werden, müssen diese sie auch zurückzahlen. Die Zuschüsse im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität sowie die Programmaufstockungen im Rahmen des Mehrjährigen Finanzrahmens werden über den EU‑Haushalt zurückgezahlt. Um dies für alle Mitgliedstaaten leichter zu gestalten, ist es das Ziel, den EU-Haushalt mit neuen Eigenmitteln auszustatten. In diesem Sommer wird die Europäische Kommission drei Vorschläge dafür vorlegen, und zwar für ein CO2‑Grenzausgleichssystem, eine Digitalabgabe und ein erweitertes EU‑Emissionshandelssystem.
Wie bewerten Sie die von Deutschland gesetzten Schwerpunkte im Aufbau- und Resilienzplan?
Der Deutsche Aufbau- und Resilienzplan zeigt klar in Richtung Zukunft. Mit Investitionen in die digitale Infrastruktur, in den Klimaschutz und in klimafreundliche Mobilität wird die nachhaltige Transformation der deutschen Volkswirtschaft weiter vorangebracht.
Gut 40 Prozent der Mittel fließen in den Klimaschutz und die Energiewende. Über die Hälfte wird für den digitalen Wandel und die Digitalisierung der Bildung eingesetzt. Gleichzeitig stärken wir gezielt unseren öffentlichen Gesundheitsdienst und unterstützen die Forschung und Weiterentwicklung von Impfstoffen. Im Sinne einer Kohärenz von Investitionen und Reformen enthält der Plan konkrete Projekte für eine moderne öffentliche Verwaltung, für bessere und schnellere Verwaltungs- und Genehmigungsverfahren und zum Abbau von Investitionshemmnissen in Deutschland.
Als ausgesprochen europäisches Element initiieren wir gemeinsam mit Frankreich länderübergreifende Zukunftsprojekte in den Bereichen Wasserstoff, Mikroelektronik und Kommunikationstechnologien sowie Cloud und Datenverarbeitung. Diese wichtigen Projekte von gemeinsamem europäischem Interesse (Important Projects of Common European Interest, IPCEI) stehen allen anderen EU-Mitgliedstaaten offen und bringen einen europäischen Mehrwert in den Plan.
Sowohl dieses gesamteuropäische Wiederaufbauinstrument als auch der Vorschlag für eine internationale Mindestbesteuerung gehen auf gemeinsame Initiativen aus Frankreich und Deutschland zurück. Man könnte meinen, der viel beschriebene deutsch-französische Motor läuft rund derzeit?
Ohne Zweifel: Der deutsch-französische Motor hat in den vergangenen Jahren in der Finanzpolitik eine beeindruckende Kraft auf europäischer, aber auch internationaler Ebene unter Beweis gestellt. Die beiden genannten Projekte sind gute Beispiele. Ende April vergangenen Jahres haben Olaf Scholz und Bruno Le Maire den gemeinsamen Vorschlag für einen EU-Aufbaufonds in Europa entwickelt. Was für ein wegweisendes Ergebnis daraus geworden ist, haben wir eben besprochen.
Auch die Arbeiten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zur globalen effektiven Mindestbesteuerung gehen auf eine gemeinsame Initiative der beiden Minister zurück. Ich bin froh, dass die Verhandlungen aufgrund der positiven Signale der neuen US-Administration neuen Schwung erhalten haben und bin zuversichtlich, dass wir im Sommer ein gutes Ergebnis erzielen werden.
Es gibt weitere aktuelle Beispiele für die Relevanz deutsch-französischer Initiativen: Nur knapp drei Monate, nachdem Olaf Scholz sein Amt übernommen hatte, legte er gemeinsam mit Bruno Le Maire für Meseberg eine gemeinsame Roadmap vor. Das war der Grundstein für wegweisende Reform- und Integrationsschritte. Wir haben geliefert: ESM-Reform, Common Backstop und die RRF greifen zentrale Elemente des gemeinsamen Vorschlags für einen Eurozonenhaushalt auf. Man könnte die Liste noch weiter fortsetzen.
Eines ist mir dabei aber noch wichtig: Es geht beim deutsch-französischen Motor nicht um Exklusivität. Es geht uns darum, dass der Motor Impulse setzt und Zugkraft entwickelt, um die Gemeinschaft aller Staaten – europäisch oder international – voranzubringen.
Woran werden Sie im Jahr 2026 denken, wenn der Aufbauplan ausläuft?
Ich gehe davon aus, dass der Aufbauplan in den nächsten fünf Jahren seine volle Wirkung entfaltet und Europa nicht nur einen wirtschaftlichen Aufschwung erleben, sondern auch weiter zusammenwachsen wird. Ich freue mich darauf, in den nächsten Jahren zur Stärkung des europäischen Gedankens, der mir sehr am Herzen liegt, weiter beizutragen und bin zuversichtlich, dass der Aufbauplan auch rückblickend als wichtiger Meilenstein bei der weiteren Integration Europas betrachtet wird.
Zudem glaube ich, dass wir bis 2026 deutliche Fortschritte auf dem Weg zu einer grüneren und digitaleren Wirtschaft machen werden. Dass wir unser Wachstumspotenzial verbessern, ist wichtig, um gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Spannend ist aus meiner Sicht auch die Frage, wie sich das Aufbaupaket auf die Prozesse im Europäischen Semester auswirkt und wie die finanz- und wirtschaftspolitische Koordinierung weiter gestärkt werden kann. Spätestens 2026 beginnen auch die Planungen für die EU-Förderperiode ab 2028. Hier werden wir die Verknüpfung mit Reformanreizen vielleicht auch für andere EU-Programme nutzen können. Ich bin mir sicher, dass wir aus den Erfahrungen mit dem Aufbaufonds viele Erkenntnisse gewinnen werden, um die wirtschaftspolitische Koordinierung in Europa fortzuentwickeln.