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  • Aktuelle Wirtschafts- und Finanzlage

    Eu­ro­päi­sche Wirt­schafts- und Fi­nanz­po­li­tik

    Rückblick auf die informellen Sitzungen der Eurogruppe und der ECOFIN-Ministerinnen und -Minister am 21./22. Mai 2021 in Lissabon

    Eurogruppe

    Bei dem Treffen der Eurogruppe am 21. Mai 2021 in Lissabon erfolgte zunächst ein Austausch der Ministerinnen und Minister der Eurogruppe mit der Vorsitzenden des ECON‑Ausschusses des Europäischen Parlaments über die Wirtschafts- und Haushaltsentwicklung im Euroraum sowie eine Diskussion über Langzeitwirkungen der COVID-19-Pandemie. Ferner erfolgte eine Anhörung des Vorsitzenden des Aufsichtsgremiums der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie eine Befassung mit den Aktivitäten des Einheitlichen Abwicklungsausschusses (Single Resolution Board, SRB).

    Zu Beginn des Treffens der Eurogruppe tauschten sich die Ministerinnen und Minister der Eurogruppe und die Vorsitzende des ECON-Ausschusses des Europäischen Parlamentes Irene Tinagli über die Wirtschafts- und Finanzlage im Euroraum aus. Grundlage bildete die Frühjahrsprognose der Europäischen Kommission vom 12. Mai 2021, welche für das Jahr 2021 im Vergleich zur Winterprognose ein höheres reales Wachstum der Wirtschaftsleistung prognostizierte (Euroraum: 4,3 Prozent im Jahr 2021, 4,4 Prozent im Jahr 2022) – auch angesichts einer stärkeren globalen wirtschaftlichen Entwicklung. Das Vorkrisenniveau würde voraussichtlich bereits im 4. Quartal 2021 in der Europäischen Union (EU) erreicht. Die Haushaltsdefizite im Euroraum dürften 2021 auf 8,0 Prozent ansteigen, sich im Jahr 2022 dann aber auf 3,8 Prozent halbieren. Das Aggregat verdecke jedoch große Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten. Die Schuldenstände würden 2021 nach dem deutlichen Sprung im vergangenen Jahr weiter auf 102,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Euroraum ansteigen. Die Europäische Kommission betonte hierbei, dass die Aufbau- und Resilienzfazilität (Recovery and Resilience Facility, RRF) die insgesamt expansive fiskalische Ausrichtung des Euroraums deutlich stütze. Die Präsidentin der EZB Christine Lagarde teilte die Einschätzungen der Europäischen Kommission zum Wirtschaftsausblick und ergänzte, dass die Inflation im Jahr 2021 vorübergehend ansteigen, sich mittelfristig aber verhalten entwickeln werde, da die Lohndynamik relativ schwach bleibe. Der Euroraum werde das Vorkrisenniveau des BIP voraussichtlich im Jahr 2022 wieder erreichen. Die Vorsitzende des ECON-Ausschusses des Europäischen Parlaments betonte die Bedeutung der Fiskalpolitik, aber auch von Strukturreformen im Rahmen der RRF für die wirtschaftliche Erholung in Europa. Man müsse die soziale und ökologische Dimension stets mitdenken. Mehrere Mitgliedstaaten erklärten, dass eine rasche Umsetzung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne angezeigt sei und kein zu früher Ausstieg aus der nach wie vor erforderlichen expansiven Fiskalpolitik erfolgen dürfe. Der Bundesminister der Finanzen Olaf Scholz ergänzte, dass die national und im Euroraum ergriffenen Maßnahmen ihre Wirkung zeigten.

    Im Anschluss tauschten sich die Ministerinnen und Minister über die möglichen Langzeitwirkungen der Pandemie aus, insbesondere zu der Frage, wo die größten langfristigen Risiken (wirtschaftlich, sozial) zu verorten seien. Gemäß der Europäischen Kommission gelang es der Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten, die realwirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie, beispielsweise aufgrund der Kurzarbeitsprogramme auf dem Arbeitsmarkt, erfolgreich abzufedern. Längerfristiger Schaden („Scarring-Effekte“) könne jedoch durch Rückschritte bei privater Investitionstätigkeit, Produktivität sowie Bildungs- und Innovationstätigkeit entstehen, sodass wirtschaftliche Divergenzen zwischen Mitgliedstaaten zunehmen und das Wachstumspotenzial geschwächt werden könnten. Gleichzeitig könnte die Krise zu einer Beschleunigung bereits bestehender struktureller Trends führen, die insbesondere mit Blick auf die digitale und grüne Transformation positiv wirkten. Die Europäische Kommission betonte, dass bei den Stützungsmaßnahmen nun der Übergang von einer Makrostabilisierung zu einer Unterstützung des Aufschwungs mit einem Fokus auf die digitale und grüne Transformation bevorstehe. Die EZB und der Europäische Stabilitätsmechanismus erinnerten ebenso an die divergenten Entwicklungen zwischen den Mitgliedstaaten und an absehbare Insolvenzen. Arbeiten an der Banken- und Kapitalmarktunion seien daher notwendig.

    Der Vorsitzende des Aufsichtsgremiums der EZB Andrea Enria berichtete der Eurogruppe im Anschluss über die Tätigkeit des Einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus (SSM). Die Anhörung diente der Erfüllung der Rechenschafts- und Berichterstattungspflichten des SSM. Angesichts auslaufender Pandemie-Hilfsmaßnahmen werde dem Kreditrisiko und der Problematik notleidender Kredite derzeit höchste Priorität beigemessen. Ziel sei, dass Banken einer Zunahme der Risiken rechtzeitig und effektiv begegneten. Banken sollten Maßnahmen zur Steigerung der Rentabilität und Marktbewertung ergreifen sowie klima- und umweltbezogene Risiken berücksichtigen. Wortmeldungen seitens der Mitgliedstaaten gab es nicht.

    Die Vorsitzende des SRB Elke König berichtete dann zu den Aktivitäten des SRB, insbesondere zu den Mindestanforderungen an vorzuhaltende bail-in-fähige Verbindlichkeiten, damit Banken im Abwicklungsfall über ausreichend Kapital und Verbindlichkeiten verfügen (Minimum Requirements for Own Funds and Eligible Liabilities, MREL). Die Europäische Kommission begrüßte den Aufbau von MREL-Kapazitäten bei den Banken und unterstrich den Fokus der EZB auf Kreditrisiken.

    ECOFIN-Rat

    Bei dem informellen Treffen des ECOFIN am 21./22. Mai 2021 in Lissabon lag der inhaltliche Fokus der Beratungen auf den verschiedenen Facetten der wirtschaftlichen Erholung nach der COVID-19-Pandemie und den notwendigen finanz- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Hierzu standen Arbeitssitzungen zum Zusammenwirken von Fiskal- und Geldpolitik und zu Wechselwirkungen zwischen Real- und Finanzwirtschaft (mit den Zentralbankgouverneurinnen und -gouverneuren) sowie zu Zukunftsfragen von grüner EU-Steuerpolitik und zu strukturellen Änderungen durch die Pandemie an.

    Thema der ersten Arbeitssitzung war das Zusammenwirken von Fiskal- und Geldpolitik. Die Arbeitssitzung fand gemeinsam mit den nationalen Notenbanken statt. Der ehemalige EZB-Vizepräsident Vítor Constâncio (PRT) führte in das Thema ein. In der Gesamtschau habe das Zusammenwirken von akkommodierender Geldpolitik (insbesondere das pandemische Programm zum Kauf von Staatsanleihen) und stark expansiver Fiskalpolitik (Aktivierung der Allgemeinen Ausweichklausel, nationale Fiskalpakete, Next Generation EU) effektiv zur Stabilisierung des Euroraums beigetragen. Die Europäische Kommission erklärte, dass auch in der Erholungsphase ein „kohärenter Politikmix“ von Fiskalpolitik und Geldpolitik hilfreich wäre, wobei insbesondere eine umsichtige Fiskalpolitik gefragt sei. Die Präsidentin der EZB Christine Lagarde verwies auf entsprechende Arbeiten der laufenden Strategieüberprüfung der EZB, die im Herbst veröffentlicht werden sollen. Solange die Outputlücke im Euroraum nicht geschlossen und die Schuldentragfähigkeit der Mitgliedstaaten sichergestellt sei, bleibe Geld- und Fiskalpolitik wohl akkommodierend. Eine Vielzahl an Notenbanken wies darauf hin, dass eine konfliktlose Komplementarität der beiden Politikbereiche nicht dauerhaft fortgeschrieben werden könne und daher, in Abhängigkeit von den weiteren Inflationsentwicklungen, Vorsicht geboten sei. Einige Mitgliedstaaten sprachen von der Notwendigkeit einer Rückführung von zu hohen Staatsschuldenquoten, ein Mitgliedstaat warnte vor einer zu frühen Konsolidierung und forderte eine entschlossene Wachstumsstrategie durch Stärkung der Binnennachfrage.

    In der zweiten Arbeitssitzung befassten sich die ECOFIN-Ministerinnen und -Minister und Notenbankgouverneurinnen und -gouverneure mit der Verbindung von Real- und Finanzwirtschaft und der Frage der Unterstützung von überlebensfähigen Unternehmen. Gastrednerin hierzu war Professorin Lucrezia Reichlin (London Business School), welche die Rolle des Bankensektors und seiner Kreditvergabe während der Pandemie beleuchtete. Sie lieferte Evidenz, dass die Politik zwar erfolgreich die Liquiditätsversorgung von Unternehmen sicherstellen und systemische Firmenpleiten habe verhindern können, nun aber eine Strategie dafür entwickelt werden müsse, nur die überlebensfähigen Unternehmen im Aufschwung zu unterstützen, wenn beispielsweise Restrukturierungsbedarf auf der Unternehmensseite entstehe. Die Europäische Kommission stimmte überein, dass die Phase des Phasing-out nun Probleme, insbesondere mit notleidenden Krediten, offenlegen könne. Umschuldungen von überlebensfähigen Unternehmen könnten notwendig werden, aber auch Abwicklungen durch einen geeigneten Insolvenzrahmen. Eine regulatorische Entlastung sei derzeit nicht nötig. Einige wortnehmende Mitgliedstaaten und Notenbanken wiesen in der sich anschließenden Diskussion auf die Problematik und mögliche Fehlanreize des Banken-Staaten-Nexus hin, der in der Krise erweitert wurde durch den Nexus von Staat und Unternehmen. Hier müsse es einheitliche Prinzipien für alle Mitgliedstaaten geben. Privatsektor und Kapitalmärkte seien zu nutzen, um zwischen überlebensfähigen und weniger überlebensfähigen Unternehmen unterscheiden zu können. Dies sei wichtig, um negative Spiralen zu vermeiden und den Aufschwung zu fördern.

    Thema der 3. Arbeitssitzung der ECOFIN-Ministerinnen und -Minister am 22. Mai 2021 war eine breite Orientierungsdiskussion über die Zukunft einer umweltbezogenen Besteuerung in der EU. Zur Umsetzung der erhöhten EU-Klimaziele hat die Europäische Kommission für den 14. Juli 2021 die Vorlage eines Legislativpakets „Fit for 55“ mit zwölf Rechtsetzungsakten angekündigt. Die EZB signalisierte Unterstützung für die Arbeiten der Europäischen Kommission und insbesondere die Arbeiten zur Operationalisierung der Taxonomie. Derzeit würden die internen makroökonomischen Modelle der EZB vor dem Hintergrund möglicher Klimarisiken überarbeitet. Der Bundesminister der Finanzen Olaf Scholz sprach sich dafür aus, die Steuerpolitik gezielt für das Erreichen der Klimaziele zu nutzen. Vorschläge erwarte er von der Europäischen Kommission etwa hinsichtlich der Ausweitung des EU-Emissionshandelssystems auf Mobilität und Wohnungen. Die EU-Initiative zur Einführung eines „Carbon Border Adjustment Mechanism“ (CBAM) sei für die globale Klimapolitik von großer Bedeutung. Hierbei sei es wichtig, einen Klimaclub von Ländern zu gründen, die CO2 bepreisen. Die Idee eines Klimaclubs wurde explizit von mehreren Mitgliedstaaten unterstützt. Eine Mehrheit von Mitgliedstaaten warb ebenso für eine CO2-Bepreisung zur Internalisierung von Klimakosten und begrüßte grundsätzlich die Idee von CBAM, um WTO-konform „Carbon Leakage“ zu verhindern. Nationale Besonderheiten müssten jedoch Berücksichtigung finden und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie erhalten bleiben.

    In der vierten und letzten Sitzung tauschten sich die ECOFIN-Ministerinnen und -Minister über strukturelle Änderungen durch die Pandemie aus. Gemäß Guntram Wolff (Bruegel) erhole sich die Wirtschaft in der EU zwar schneller als im Vereinigten Königreich, aber langsamer als in den USA oder China. Divergenzen zwischen den Mitgliedstaaten (insbesondere das Nord-Süd-Gefälle) nähmen zu. Die Gesamtbeschäftigung in der EU habe sich zwar fast wieder erholt, junge Menschen und Geringqualifizierte trügen jedoch die Beschäftigungsverluste. Daher könne die Ungleichheit zunehmen. Die Europäische Kommission bestätigte, dass der Pandemie-Schock asymmetrisch auf die Mitgliedstaaten gewirkt habe. Jetzt sei gezielte Unterstützung wichtig. In der kurzen Aussprache betonten einige Mitgliedstaaten das gemeinsame Anliegen, dass mit Next Generation EU, aber auch mit anderen EU-Instrumenten wie Support Mitigating Umemployment Risks in Emergency (SURE) oder durch die Europäische Investitionsbank, sektor- und länderübergreifend eine starke Erholung und ein Wachstumsschub in der EU unter Begrenzung der Divergenzen erzeugt werden müsse.

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