„Wenn man uns also fragt, welchen Zielen sich die Finanzpolitik der neuen Bundesregierung verpflichtet fühlt, so ist die Antwort: Stabilität, Wachstum, Innovation und Fairness“, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner am 14. Januar 2022 in seiner Rede zur Haushalts- und Finanzpolitik der neuen Bundesregierung im Deutschen Bundestag. Die Erholung der Wirtschaft müsse finanziert, die Pandemie überwunden und Investitionen gestärkt werden.
Stabilität und Handlungsfähigkeit
Seit fast zwei Jahren bestimmt die Corona-Pandemie unsere Finanzpolitik. Die neue Bundesregierung hat es sich für die kommenden vier Jahre zur Aufgabe gemacht, aus dem finanzpolitischen Krisenmodus in den finanzpolitischen Gestaltungsmodus zu wechseln. Dafür arbeitet sie daran, im Jahr 2023 zum Regelfall der Schuldenbremse des Grundgesetzes zurückzukehren. Das bedeutet, dass die deutsche Schuldenquote in den Folgejahren reduziert und die fiskalische Handlungsfähigkeit des Staats für künftige Krisen dadurch gestärkt werden soll. Aber natürlich werden die Folgen der Pandemie noch für einige Zeit sichtbar bleiben. Deshalb führt die Bundesregierung dem Energie- und Klimafonds, der zu einem Klima- und Transformationsfonds weiterentwickelt werden soll, mit dem Zweiten Nachtragshaushalt 2021 zusätzlich 60 Mrd. Euro aus ungenutzten Kreditermächtigungen des Vorjahres zu, um pandemiebedingt ausgefallene Investitionen nachzuholen und um Impulse zur wirtschaftlichen Belebung nach der Pandemie zu setzen. Investitionen in den Klimaschutz und die Transformation der deutschen Volkswirtschaft und damit Handlungsfähigkeit einerseits, Rückkehr zur Schuldenbremse und damit Stabilität andererseits: eine Verbindung von Investitionen in die Zukunft und Disziplin bei Konsumausgaben in der Gegenwart.
Trotz des Zweiten Nachtragshaushaltes werden 24,8 Mrd. Euro weniger Schulden aufgenommen als von der Vorgängerregierung geplant. Das bedeutet, dass finanzpolitisch solides und verantwortungsvolles Wirtschaften trotz der notwendigen enormen Aufwendungen zur Pandemiebekämpfung möglich ist. Dank der robusten und widerstandsfähigen deutschen Volkswirtschaft gab es zudem deutlich höhere Steuereinnahmen (+29,5 Mrd. Euro). Denn durch umfassende Maßnahmen zur Unterstützung der Beschäftigten und Unternehmen in der Krise hat sich die Wirtschaft deutlich besser entwickelt als erwartet. Insgesamt lagen die Einnahmen des Bundes – ohne Nettokreditaufnahme – bei 341,7 Mrd. Euro und damit 9,2 Mrd. Euro über dem Ansatz im Zweiten Nachtragshaushalt (332,6 Mrd. Euro). Spiegelbildlich fallen die Ausgaben mit 557,1 Mrd. Euro geringer als die geplanten 572,7 Mrd. Euro aus und liegen damit auch nach der zusätzlichen Zuführung an den Energie- und Klimafonds rund 15,6 Mrd. Euro unter den Planungen. Diese günstige Entwicklung führt zu einer deutlich geringeren Ausschöpfung an Krediten als geplant und ermöglicht eine Absenkung der Nettokreditaufnahme um 24,8 Mrd. Euro auf 215,4 Mrd. Euro.
Der vorläufige Haushaltsabschluss bietet eine solide Basis für zukünftige Projekte wie die Transformation der Wirtschaft in Deutschland. Im Jahr 2021 ist die Schuldenstandsquote weniger als geplant angestiegen, voraussichtlich auf lediglich rund 70,25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Quote liegt damit deutlich unter dem Wert in der Finanzkrise von rund 82 Prozent des BIP im Jahr 2010. Sie ist auch niedriger als in den anderen G7-Industrienationen. Die Investitionsausgaben erreichten im Jahr 2021 mit rund 45,8 Mrd. Euro den zweithöchsten Wert überhaupt, nur noch übertroffen vom Jahr 2020 (50,3 Mrd. Euro). Noch nie vor der Pandemie hat in der Geschichte der Bundesrepublik der Bund nominal mehr für Investitionen ausgegeben. Insgesamt liegt der Ausschöpfungsgrad der Investitionen bei 77,2 Prozent und konnte gegenüber dem Vorjahr um 6,6 Prozentpunkte gesteigert werden.
Auch die Länder und Kommunen wurden durch den Bund im Pandemiejahr 2021 weiter massiv entlastet und unterstützt. Im Ergebnis wiesen Länder und Gemeinden im Jahr 2021 weitgehend ausgeglichene Haushalte auf, das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit – und damit die Neuverschuldung – wurde allein vom Bund getragen. Neben den weiterlaufenden bisherigen Programmen in den verschiedensten Bereichen schulterte der Bund auch im Jahr 2021 erneut zu einem ganz erheblichen Teil die Lasten bei der Bekämpfung der gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Krise. Darüber hinaus beteiligte sich der Bund in außerordentlicher Weise an der Bewältigung der schweren Folgen der Hochwasser- und Starkregenereignisse im Juli 2021, die Teile von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, Bayern und Sachsen betroffen haben. So hat sich der Bund im Jahr 2021 mit 121,1 Mio. Euro an den Soforthilfen der Länder zur unmittelbaren Bewältigung der Hochwasserkatastrophe beteiligt. Für die mittel- und langfristige Behebung der Schäden wurde ein nationaler Fonds „Aufbauhilfe 2021“ als Sondervermögen des Bundes eingerichtet. Der Fonds erhielt im Jahr 2021 eine erste Zuführung aus dem Bundeshaushalt in Höhe von 16 Mrd. Euro.
Internationaler Kontext
Auch auf internationaler Ebene ist der Zweiklang von Stabilität und Handlungsfähigkeit von Bedeutung. Am 1. Januar 2022 hat Deutschland die G7-Präsidentschaft vom Vereinigten Königreich übernommen. Die Schwerpunkte unter der deutschen Präsidentschaft werden insbesondere die notwendigen Weichenstellungen nach der Krise für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung, die weltweite Versorgung mit Impfstoffen zur Überwindung der Pandemie und die Gestaltung der bevorstehenden Transformationsprozesse im Kontext von Digitalisierung und Klimaneutralität sein. Und auch mit Blick auf Europa und das Wiederaufbauinstrument „Next Generation EU“ vertritt Deutschland die Haltung, dass es notwendig ist, jetzt neue Wachstumschancen zu eröffnen, zumal das Instrument nicht auf Dauer angelegt ist. Ein wichtiges Anliegen der deutschen Bundesregierung ist es, ein Momentum zu entwickeln, um aus der Krise heraus auch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu stärken. Dabei ist entscheidend, dass wir die Bedeutung der Fiskalregeln weiter beachten. Diese leisten einen wichtigen Beitrag dazu, die monetäre Stabilität zu erhalten und die Preisentwicklung im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher und der Wirtschaft insgesamt in einem kontrollierten Maß zu gewährleisten. Langfristig benötigt Europa eine kluge Balance aus der Begrenzung der öffentlichen Verschuldung einerseits und der Freisetzung von Investitionen in die Transformation andererseits. Eine sinnvolle Weiterentwicklung soll nicht ausgeschlossen werden. Allerdings hat der Stabilitäts- und Wachstumspakt im Kern seine Flexibilität auch in der Krise bewiesen. In der Zukunft müssen sowohl der Gedanke von Wachstum als auch fiskalische Stabilität und Nachhaltigkeit der Staatsfinanzierung verfolgt werden. Die Bundesregierung vertritt, dass transparente Regeln und die finanzpolitische Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten unverzichtbare Voraussetzungen für Stabilität sind. Es sollen Mittel, insbesondere auch privates Kapital, mobilisiert werden, um die Transformation in Europa zu erreichen.
Finanzpolitik als Ermöglichungspolitik
Die Bundesregierung versteht Finanzpolitik als Ermöglichungspolitik: Transformation, Technologie und Talentförderung erhalten im Haushalt Priorität. Dafür bildet eine solide Haushaltspolitik die Grundlage. Um finanzielle Spielräume für Zukunftsinvestitionen zu schaffen, sieht der Koalitionsvertrag vor, alle Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen und eine strikte Neupriorisierung am Maßstab des Koalitionsvertrags vorzunehmen. Deutschland soll Fortschritt wagen. Statt Steuererhöhungen werden Entlastungen angestrebt, z. B. im steuerlichen Bereich, bei der EEG-Umlage, bei der Einführung des Bürgergelds oder bei der privaten Eigentumsbildung. Dadurch soll ermöglicht werden, dass Deutschland als Wirtschaftsstandort attraktiv bleibt, dass die Menschen in ihrem Leben wirtschaftlich vorankommen und dass der soziale Aufstieg für alle leichter gelingt. Als ersten Schritt arbeitet das BMF an einem neuen Corona-Steuerhilfegesetz. Damit sollen die Verlängerung der Homeoffice-Pauschale, die Verlängerung der erweiterten Verlustverrechnung, längere Fristen für die Abgabe von Steuererklärungen, steuerfreie Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld und die Steuerbefreiung für den Pflegebonus von bis zu 3.000 Euro umgesetzt werden. Weitere Schritte werden im Laufe der Legislaturperiode folgen. Und auch die gute Gestaltung des Finanzplatzes Deutschland ist ein wichtiges politisches Ziel. Dabei spielen Stabilität und Verbraucherschutz eine herausgehobene Rolle. Zudem werden Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft eine größere Bedeutung erhalten. Deutschland ist gerade in der Finanzbranche digital und innovativ gut aufgestellt; bei FinTechs, InsurTechs, Crypto, Venture Capital und Start-ups. Der Finanzplatz Deutschland kann nicht nur Wachstum finanzieren, er soll auch selbst zu einem Wachstumsmotor werden.
Fairere Steuererhebung und Bekämpfung von Finanzkriminalität
Die Bundesregierung will außerdem die Steuererhebung fairer machen. Zum einen sollen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler von lästigen Vorgängen so weit möglich entlastet werden, z. B. durch die Möglichkeiten der Digitalisierung. Andererseits werden die Befähigungen zur Bekämpfung von Finanzkriminalität weiter ausgebaut. Steuern sollen nicht erhöht, sondern das Steuerrecht durchgesetzt werden. Es ist nur fair, dass die ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht dadurch geschädigt werden, dass Steuerhinterziehende davonkommen. Auch deshalb ist die Umsetzung der effektiven globalen Mindestbesteuerung eine klare Priorität der Bundesregierung. Dies soll zum 1. Januar 2023 geschehen. Damit werden sich endlich auch die internationalen Besteuerungsrechte am Gedanken von Fairness und Wettbewerbsfähigkeit orientieren. Auch die großen internationalen Unternehmen sollen und werden ihren Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten. Zur Eindämmung illegaler Finanzströme wird auch beim Thema Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung eine neue Dynamik entstehen – auch vor dem Hintergrund der Deutschlandprüfung durch die Financial Action Task Force (FATF). International wird die deutsche FATF-Präsidentschaft mit ihren wichtigen Schwerpunktthemen u. a. bei der Digitalisierung der Geldwäschebekämpfung, der Bekämpfung von Geldflüssen aus illegaler Abholzung und anderer Umweltkriminalität (laut INTERPOL bis zu 280 Mrd. Euro im Jahr) und der besseren Transparenz der wirtschaftlich Berechtigten hinter Firmengeflechten zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden. Sofern die Pandemie es zulässt, wird das BMF Gastgeber des FATF-Abschlussplenums im Juni 2022 in Berlin sein.
Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die Finanzpolitik der Bundesregierung sich als Ermöglichungspolitik versteht und Transformation, Technologie und Talentförderung Priorität erhalten, damit Deutschland mehr Fortschritt wagt.