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    Gut­ach­ten des Wis­sen­schaft­li­chen Bei­rats beim Bun­des­mi­nis­te­ri­um der Fi­nan­zen: Das Schul­den­ma­na­ge­ment des Bun­des

    • Im folgenden Artikel wird die Kurzfassung eines Gutachtens des unabhängigen Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen wiedergegeben.
    • Gutachten und Stellungnahmen des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen sind als Beitrag zum allgemeinen Diskurs zu verstehen und geben nicht notwendigerweise die Meinung des BMF wieder.
    • Die Laufzeit der deutschen Staatschulden ist im internationalen Vergleich gering. Auch die hohen Schulden aufgrund der Corona-Pandemie wurden kurzfristig finanziert. Dies bringt wachsende Risiken mit sich, insbesondere im Fall einer Zinswende.
    • Die Laufzeit der Schulden sollte maßvoll gestreckt werden, um die Planungssicherheit im Haushalt zu erhöhen und Risiken zu mindern. Dies ist aktuell zu vergleichsweise geringen Mehrkosten möglich.
    • Das Schuldenmanagement und die Haushaltsplanung sollten im Hinblick auf ihre eigentlichen Zielsetzungen ausgerichtet und nicht durch buchungstechnische Überlegungen beeinflusst werden.

    Einleitung

    Die Corona-Krise treibt die öffentliche Verschuldung in die Höhe. Daher hat die Bedeutung der Planungssicherheit für zukünftige Haushaltslasten zugenommen. Es stellt sich insbesondere die Frage eines optimalen Schuldenmanagements. Dabei hat die Wahl der Laufzeiten von Staatsanleihen große Bedeutung. Vor diesem Hintergrund hat sich der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen in einem im November 2021 veröffentlichten Gutachten1 mit dem Schuldenmanagement des Bundes auseinandergesetzt und insbesondere den Blick auf die Laufzeitstruktur der Schulden und die Verbuchung der Schuldenaufnahme im Haushalt gerichtet.

    Wie verschuldet sich der Bund? Kurze Laufzeiten und ausländische Investoren

    Ein Überblick über die aktuelle Schuldenaufnahme des Bundes zeigt zwei Sachverhalte. Erstens verschuldet sich Deutschland vergleichsweise kurzfristig. Im Schnitt liegt die Laufzeit der ausstehenden Bundesschulden bei unter sieben Jahren. Anders als in den meisten anderen OECD-Ländern ist die Laufzeit in den vergangenen Jahren zudem kaum angestiegen (s. a. Abbildung 1). Diese Tendenz zu kurzen Laufzeiten verstärkte sich in der Corona-Krise. Weniger als 20 Prozent der Neuverschuldung in den Jahren 2020 und 2021 wurden mit langen Laufzeiten von zehn Jahren oder mehr finanziert (s. a. Abbildung 2).

    Zweitens werden deutsche Staatsanleihen zu einem großen Teil im Ausland gehalten, insbesondere von ausländischen Zentralbanken und Staatsfonds. Im Jahr 2019 hielten deutsche Banken, Versicherungen und private Haushalte nur noch etwa ein Drittel der Bundesanleihen. Ausländische Zentralbanken (ohne die Europäische Zentralbank) und ausländische Staatsfonds sind hingegen zur größten Gläubigergruppe aufgestiegen, mit einem Anteil von mittlerweile mehr als 40 Prozent der ausstehenden Anleihen.

    Entwicklung der Laufzeit – Deutschland vs. OECD-Durchschnitt

    Durchschnittliche Restlaufzeit in Jahren

    Verlaufsdiagramm „Entwicklung der Laufzeit – Deutschland vs. OECD-Durchschnitt“: Zwei Linien zeigen die Entwicklung der durchschnittlichen Restlaufzeit der Staatsschulden für die Jahre 2003 bis 2019 – die erste Linie für Deutschland, die zweite Linien für den OECD-Durchschnitt. Von 2003 bis 2008 liegt die Linie für Deutschland über dem den OECD-Durchschnitt, von 2009 bis 2019 darunter.Datenwerte für Deutschland:
    2003: 6,2; 2004: 6,3; 2005: 6,3; 2006: 6,3; 2007: 6,5; 2008: 6,5; 2009: 6,1; 2010: 6,2; 2011: 6,3; 2012: 6,5; 2013: 6,5; 2014: 6,5; 2015: 6,6; 2016: 6,7; 2017: 6,7; 2018: 6,9; 2091: 6,9Datenwerte für den OECD-Durchschnitt:
    2003: 5,2; 2004: 5,4; 2005: 5,5; 2006: 5,8; 2007: 6,3; 2008: 6,2; 2009: 6,2; 2010: 6,3; 2011: 6,4; 2012: 6,6; 2013: 6,9; 2014: 7,1; 2015: 7,3; 2016: 7,5; 2017: 7,8; 2018: 7,9; 2019: 8,1Quelle: OECD Sovereign Borrowing Outlook 2019
    Quelle: OECD Sovereign Borrowing Outlook 2019
    JahrDeutschlandOECD-Durchschnitt
    20036,235,17
    20046,305,37
    20056,285,51
    20066,335,76
    20076,556,29
    20086,466,19
    20096,116,21
    20106,206,32
    20116,296,41
    20126,456,60
    20136,486,90
    20146,517,13
    20156,617,29
    20166,697,54
    20176,717,84
    20186,857,86
    20196,888,05
    Abbildung 1
    Anteil der Neuemissionen mit langen Laufzeiten (zehn Jahre oder mehr)

    in Prozent

    Verlaufsdiagramm „Anteil der Neuemissionen mit langen Laufzeiten“: Eine Linie zeigt die Entwicklung des OECD-Durchschnitts für die Jahre 2014 bis 2021 in Prozent. Die Zahlen für das Jahr 2021 sind Planwerte.Datenwerte:
    2014: 28%; 2015: 28%; 2016: 29%; 2017: 35%; 2018: 31%; 2019: 29%; 2020: 23%; 2021: 17%Quelle: Deutsche Finanzagentur, Statistiken zum Primärmarkt
    Die Zahlen für das Jahr 2021 sind Planwerte. <br> Quelle: Deutsche Finanzagentur, Statistiken zum Primärmarkt
    JahrProzent
    201428
    201528
    201629
    201735
    201831
    201929
    202023
    202117
    Abbildung 2

    Kurze Laufzeiten bringen aktuell kaum Kostenersparnis

    Das Schuldenmanagement hat zum Ziel, Schulden zu möglichst günstigen Konditionen aufzunehmen und dabei Risiken zu minimieren sowie Planungssicherheit zu schaffen. Im Kern der Debatte um kurze oder lange Laufzeiten von Staatsschulden steht also der Zielkonflikt zwischen Zinsersparnis und Planungssicherheit beziehungsweise Risikominimierung.

    Kurzlaufende Anleihen lassen sich meist zu niedrigeren Zinsen platzieren als langlaufende Anleihen, da die Nachfrage nach geldnahen, sicheren Finanzinstrumenten hoch ist. Gleichzeitig hat der Staat bei kurzfristigen Anleihen ein höheres Zinsänderungsrisiko bei der Refinanzierung. Gegenüber kurzfristiger Finanzierung spart der Bund, wenn die Zinsen steigen, und hat Mehrausgaben, wenn die Zinsen sinken. Kurze Anleihen bringen also typischerweise eine Kostenersparnis mit sich, aber auch weniger Planungssicherheit hinsichtlich der nominalen Zinslast und des jährlich erforderlichen Refinanzierungsvolumens.

    Dieses Argument für kurze Laufzeiten – die Zinsersparnis – ist aktuell in Deutschland jedoch weniger gewichtig als in den Jahren und Jahrzehnten zuvor. Abbildung 3 zeigt, dass der Zinsaufschlag auf langfristige Anleihen im Jahr 2021 zwischen 0,2 Prozent und 0,5 Prozent gelegen hat (Zinsdifferenz zwischen Zwei- und Zehnjahrestiteln). Zudem waren die Zinsen selbst für langfristige Anleihen negativ, sodass keine Kupons anfielen. Es ist somit relativ gesehen günstiger geworden, sich langfristig zu verschulden. Eine Schuldenstrategie, die auf die kurze Frist setzt, hat derzeit in Deutschland nur geringe Kostenvorteile (s. a. Abbildung 3).

    Zinsrendite

    in Prozent

    Verlaufsdiagramm „Zinsrendite“: Zwei Linien zeigen die Entwicklung der Zinsrendite für die Jahre 2001 bis 2021 in Prozent – die erste Linie für 10-jährige Anleihen, die zweite Linie für 2-jährige Anleihen. Die Fläche zwischen den beiden Linien (also die Zinsdifferenz zwischen Zehn- und Zweijahrestiteln) ist schraffiert. Die Linie für 10-jährige Anleihen liegt die meiste Zeit über der Linie für 2-jährige Anleihen. Nur von Oktober 2006 bis Juli 2007 und im Sommer 2008 liegt die Zinsdifferenz fast bei null. Seit März 2019 sind beide Linien durchgehend im Minus-Bereich.Ausgewählte Datenwerte für 10-jährige Anleihen (jeweils in 5-Jahres-Schritten):
    1.1.2001: 4,8; 1.1.2006: 3,5; 1.1.2011: 3,2; 1.1.2016: 0,3; 1.1.2021: -0,5Ausgewählte Datenwerte für 2-jährige Anleihen (jeweils in 5-Jahres-Schritten):
    1.1.2001: 4,4; 1.1.2006: 3,0; 1.1.2011: 1,4; 1.1.2016: -0,5; 1.1.2021: -0,7Quelle: Investing.com
    Quelle: Investing.com
    Datum10 Jahre 2 Jahre
    01.01.20014,84,37
    01.02.20014,74354,357
    01.03.20014,6874,1
    01.04.20015,0134,507
    01.05.20015,1564,372
    01.06.20015,0984,258
    01.07.20014,8784,119
    01.08.20014,7853,937
    01.09.20014,8013,472
    01.10.20014,3733,114
    01.11.20014,5573,377
    01.12.20014,9973,645
    01.01.20024,8993,878
    01.02.20024,9513,856
    01.03.20025,2394,34
    01.04.20025,1254,072
    01.05.20025,1734,259
    01.06.20024,9443,915
    01.07.20024,7523,617
    01.08.20024,5633,459
    01.09.20024,2723,059
    01.10.20024,5063,09
    01.11.20024,4882,986
    01.12.20024,2732,712
    01.01.20034,0582,587
    01.02.20033,8962,278
    01.03.20034,0332,409
    01.04.20034,0652,387
    01.05.20033,6752,1
    01.06.20033,8012,11
    01.07.20034,1962,481
    01.08.20034,1882,571
    01.09.20034,0042,298
    01.10.20034,3252,682
    01.11.20034,4522,817
    01.12.20034,2922,46
    01.01.20044,2432,514
    01.02.20044,0842,234
    01.03.20043,9382,106
    01.04.20044,2122,416
    01.05.20044,322,495
    01.06.20044,3582,76
    01.07.20044,272,688
    01.08.20044,072,455
    01.09.20043,9652,594
    01.10.20043,862,456
    01.11.20043,772,377
    01.12.20043,682,42
    01.01.20053,542,375
    01.02.20053,7112,484
    01.03.20053,6682,473
    01.04.20053,3892,23
    01.05.20053,3332,12
    01.06.20053,1942,021
    01.07.20053,2182,209
    01.08.20053,1532,172
    01.09.20053,1542,2
    01.10.20053,4112,626
    01.11.20053,4512,707
    01.12.20053,2952,888
    01.01.20063,4562,96
    01.02.20063,5273,038
    01.03.20063,7913,306
    01.04.20063,973,385
    01.05.20063,9323,306
    01.06.20064,0543,546
    01.07.20063,9233,502
    01.08.20063,8043,528
    01.09.20063,79553,499
    01.10.20063,7873,711
    01.11.20063,6913,689
    01.12.20063,9463,901
    01.01.20074,1033,961
    01.02.20073,9223,867
    01.03.20074,0614,004
    01.04.20074,2194,161
    01.05.20074,3884,31
    01.06.20074,5554,404
    01.07.20074,3284,271
    01.08.20074,2163,972
    01.09.20074,3444,03
    01.10.20074,294,114
    01.11.20074,1593,837
    01.12.20074,3243,997
    01.01.20083,9333,382
    01.02.20083,8743,161
    01.03.20083,9013,454
    01.04.20084,1163,714
    01.05.20084,4544,323
    01.06.20084,6284,609
    01.07.20084,4014,244
    01.08.20084,1744,119
    01.09.20084,033,493
    01.10.20083,8782,504
    01.11.20083,2512,174
    01.12.20082,9471,744
    01.01.20093,2771,524
    01.02.20093,0911,311
    01.03.20092,9971,255
    01.04.20093,1831,357
    01.05.20093,6121,444
    01.06.20093,3851,362
    01.07.20093,3041,292
    01.08.20093,2681,279
    01.09.20093,2061,265
    01.10.20093,2411,304
    01.11.20093,161,26
    01.12.20093,4011,338
    01.01.20103,21,137
    01.02.20103,1070,857
    01.03.20103,1020,976
    01.04.20102,9650,794
    01.05.20102,6530,51
    01.06.20102,6630,587
    01.07.20102,6720,82
    01.08.20102,1120,601
    01.09.20102,2850,838
    01.10.20102,5241,019
    01.11.20102,6670,869
    01.12.20102,9490,854
    01.01.20113,1631,37
    01.02.20113,1711,525
    01.03.20113,3581,795
    01.04.20113,2361,774
    01.05.20113,0211,609
    01.06.20113,0281,606
    01.07.20112,5451,165
    01.08.20112,2220,73
    01.09.20111,8880,554
    01.10.20112,0250,544
    01.11.20112,2810,335
    01.12.20111,8250,152
    01.01.20121,7930,165
    01.02.20121,8110,188
    01.03.20121,7980,209
    01.04.20121,5340,083
    01.05.20121,2110,006
    01.06.20121,5790,124
    01.07.20121,283-0,088
    01.08.20121,34-0,032
    01.09.20121,4340,021
    01.10.20121,4590,038
    01.11.20121,3830,01
    01.12.20121,306-0,028
    01.01.20131,6770,266
    01.02.20131,4580,049
    01.03.20131,282-0,023
    01.04.20131,2110,007
    01.05.20131,5110,077
    01.06.20131,730,193
    01.07.20131,6760,151
    01.08.20131,8550,248
    01.09.20131,780,172
    01.10.20131,6790,125
    01.11.20131,690,119
    01.12.20131,9410,207
    01.01.20141,6590,073
    01.02.20141,6270,13
    01.03.20141,5180,165
    01.04.20141,470,144
    01.05.20141,3570,066
    01.06.20141,2510,031
    01.07.20141,170,038
    01.08.20140,888-0,029
    01.09.20140,946-0,075
    01.10.20140,841-0,056
    01.11.20140,702-0,032
    01.12.20140,54-0,105
    01.01.20150,313-0,184
    01.02.20150,324-0,22
    01.03.20150,185-0,247
    01.04.20150,364-0,224
    01.05.20150,486-0,22
    01.06.20150,77-0,222
    01.07.20150,648-0,227
    01.08.20150,795-0,194
    01.09.20150,59-0,247
    01.10.20150,523-0,312
    01.11.20150,475-0,414
    01.12.20150,635-0,34
    01.01.20160,334-0,484
    01.02.20160,108-0,57
    01.03.20160,156-0,485
    01.04.20160,282-0,476
    01.05.20160,147-0,509
    01.06.2016-0,127-0,649
    01.07.2016-0,12-0,626
    01.08.2016-0,065-0,618
    01.09.2016-0,12-0,688
    01.10.20160,163-0,618
    01.11.20160,274-0,728
    01.12.20160,208-0,713
    01.01.20170,437-0,698
    01.02.20170,208-0,896
    01.03.20170,331-0,74
    01.04.20170,324-0,729
    01.05.20170,311-0,716
    01.06.20170,465-0,573
    01.07.20170,533-0,68
    01.08.20170,359-0,733
    01.09.20170,464-0,681
    01.10.20170,364-0,75
    01.11.20170,364-0,684
    01.12.20170,427-0,632
    01.01.20180,697-0,529
    01.02.20180,654-0,534
    01.03.20180,493-0,588
    01.04.20180,562-0,573
    01.05.20180,34-0,686
    01.06.20180,303-0,694
    01.07.20180,445-0,581
    01.08.20180,331-0,62
    01.09.20180,472-0,543
    01.10.20180,386-0,653
    01.11.20180,315-0,595
    01.12.20180,246-0,59
    01.01.20190,149-0,559
    01.02.20190,182-0,534
    01.03.2019-0,071-0,607
    01.04.20190,013-0,594
    01.05.2019-0,203-0,66
    01.06.2019-0,328-0,734
    01.07.2019-0,442-0,783
    01.08.2019-0,703-0,923
    01.09.2019-0,572-0,752
    01.10.2019-0,403-0,661
    01.11.2019-0,36-0,629
    01.12.2019-0,187-0,594
    01.01.2020-0,434-0,668
    01.02.2020-0,608-0,767
    01.03.2020-0,469-0,678
    01.04.2020-0,589-0,765
    01.05.2020-0,448-0,646
    01.06.2020-0,453-0,688
    01.07.2020-0,499-0,715
    01.08.2020-0,398-0,65
    01.09.2020-0,521-0,698
    01.10.2020-0,625-0,794
    01.11.2020-0,521-0,741
    01.12.2020-0,575-0,708
    01.01.2021-0,52-0,727
    Abbildung 3

    Argumente für längere Laufzeiten

    Die Argumente für lange Laufzeiten sind gewichtiger geworden. Zum einen hat der Schuldenstand im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt zuletzt wieder zugenommen. Damit gewinnen Planungssicherheit und die zuverlässige Gewährleistung von Refinanzierungsmöglichkeiten an Bedeutung.

    Auch die veränderte Gläubigerstruktur spricht eher für eine Verlängerung. Bei einer Laufzeitstreckung wird das Zinsänderungsrisiko vom Staat hin zu Investoren verlagert. So könnten sich beispielsweise Banken am kurzen Ende verschulden und dem Staat langfristig Geld leihen. Im Falle einer Zinssteigerung am kurzen Ende drohen somit Verluste des Finanzsektors beziehungsweise der Zentralbanken, welche die Anleihen halten. Im Fall Deutschlands wird dieses Zinsänderungsrisiko allerdings heute zu einem erheblichen Teil auf Anleger im Ausland abgewälzt, da diese einen Großteil der deutschen Staatsschulden halten.

    Ein anderes Argument betrifft den Fall einer Refinanzierungskrise im Euroraum oder vergleichbare Finanzturbulenzen. Ein Land mit einem hohen kurzfristigen Refinanzierungsvolumen ist in der Krise eher exponiert als ein Land mit nur geringem aktuellen Refinanzierungsvolumen. Derzeit reflektieren die Bewertungen der Staatsanleihen auf den Finanzmärkten keine Zweifel an der Refinanzierungsfähigkeit des Bundes; Bundesanleihen gelten mithin als „sicherer Hafen“ („safe haven“). Allerdings lässt sich die Gefahr möglicher Ansteckungseffekte im Euroraum weniger eindeutig ausschließen, was einem Schuldenbestand mit langen Laufzeiten einen Resilienzvorteil verschafft.

    Im Hinblick auf Zinsänderungsrisiken ist nicht relevant, ob das Zinsniveau aus heutiger Sicht als niedrig wahrgenommen wird oder nicht. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass die Zinsen niedrig bleiben oder sogar weiter fallen. Eine Zinswende nach oben kann man jedoch auch nicht ausschließen. Die Geschichte zeigt, dass Zinsanstiege unerwartet schnell erfolgen können, nicht zuletzt, weil der Zinssatz auf Staatsanleihen auch Zahlungsausfallrisiken reflektiert. So haben im Jahr 2007 nur wenige vorausgesagt, dass die Risikoaufschläge in Teilen des Euroraums so schnell und drastisch steigen würden. Zu erinnern ist auch an den unerwarteten Zinsanstieg Anfang der 1980er-Jahre, der, ausgehend von den USA, zu einem erheblichen Anstieg der Zinskosten weltweit führte, so auch in Deutschland und Europa.

    Die wissenschaftliche Literatur zeigt jedoch, dass langfristige Schulden eine gleichmäßige Streckung des Schuldendienstes (Zinsen und Tilgung) ermöglichen. Für Regierung und Steuerpflichtige bedeutet dies, dass mögliche Zinssteigerungen in der Zukunft nur verzögert zu höheren Zinsausgaben führen. Die Glättung der Ausgaben trägt dazu bei, ungeplante Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen zu vermeiden, insbesondere nach plötzlichen nominalen Zinserhöhungen.

    In Abwägung der Vor- und Nachteile plädiert der Beirat für eine Streckung der Laufzeitstruktur. Die Regierung kann mit einer Erhöhung der Laufzeiten aktuell zu geringen Mehrkosten für mehr fiskalische Stabilität und Planungssicherheit in den nächsten Jahren sorgen.

    Ultralange Anleihen?

    Deutschland ist als Anbieter von Staatsschuldtiteln derzeit ein Land mit Benchmark-Status. Die Laufzeiten sollten daher moderat und schrittweise gestreckt werden. Dabei ist auch die Diskussion um die Einführung „ultralanger“ Anleihen mit 50 oder 100 Jahren Laufzeit von Bedeutung. Solche Instrumente machen üblicherweise nur einen geringen Teil der Gesamtverschuldung aus, da der Kreis der potenziellen Käufer klein ist. Die Zinsänderungsrisiken auf der Anlegerseite sind bei „ultralangen“ Anleihen besonders hoch, da Zinssteigerungen wegen der Hebelwirkung einen starken Preisrückgang mit sich bringen. Die potenziellen Auswirkungen auf Bankbilanzen und Finanzstabilität sind daher größer. Trotzdem können sehr langlaufende Anleihen Vorteile haben. Zum einen kann eine gewünschte Streckung der Laufzeitstruktur durch die Ausgabe von ultralangen Anleihen schnell und effektiv erreicht werden, da bereits kleine Bestände solcher Anleihen einen starken Einfluss auf die Durchschnittslaufzeit der Gesamtschuld haben. Zum anderen enthalten die Marktpreise solcher Anleihen wertvolle Informationen zu den langfristigen Zinserwartungen.

    Eine Alternative besteht darin, ein stärkeres Gewicht auf bestehende langfristige Kreditinstrumente wie 10-, 15- und 30-jährige Anleihen zu legen. Konkret könnte sich die Laufzeitstreckung am Beispiel der USA oder des Vereinigten Königreichs orientieren, welche die Durchschnittslaufzeit der Staatsanleihen seit der Finanzkrise vom Jahr 2007 um zwei beziehungsweise vier Jahre erhöht haben. Seit Beginn der Corona-Krise streckt zudem eine Reihe von OECD-Ländern die Laufzeit signifikant, u. a. Italien und Spanien.

    Probleme durch die Verbuchung von Agio und Disagio

    Voraussetzung für ein optimales Schuldenmanagement ist eine adäquate Erfassung der Finanzierungsvorgänge. Aufgrund der aktuellen Verbuchungspraxis führen indes bei der Schuldenemission entstehende Agien und Disagien regelmäßig zu haushalterischen Planungsproblemen. Zwar werden die Kuponzahlungen periodengerecht als Ausgaben verbucht. Agien und Disagien werden allerdings zum Zeitpunkt der Emission verbucht.

    Konkret fallen sogenannte Agio-Einnahmen an, wenn Anleihen zu Nominalzinsen ausgegeben werden, die über dem Marktzins liegen – wenn z. B. eine Anleihe mit einem Ein-Prozent-Zinskupon ausgegeben wird, aber der tatsächliche Zins null oder negativ ist. Der Ausgabewert der Anleihen liegt dann über dem Nennwert – es werden z. B. 105 Euro erlöst für eine Anleihe mit einem Nennwert über 100 Euro. In den vergangenen Jahren kam es aufgrund der negativen und fallenden Zinsen zu ungewöhnlich hohen Agio-Einnahmen. Fast jede ausgegebene Schuldverschreibung der vergangenen zwei Jahre wurde zu einem Nullkupon und einem Kurs über 100 Prozent, also mit Agio, platziert.

    Der zweite Grund ist die Aufstockung bestehender Anleihen zur Förderung der Liquidität. Damit Investoren eine Anleihe jederzeit im Markt kaufen und verkaufen können, ist es üblich, dass einmal ausgegebene Titel später zu identischen Konditionen wie bei der Erstemission graduell aufgestockt werden. Sind die Zinsen seit Erstausgabe gefallen, so wird bei der Aufstockung ein Zinskupon angeboten, der über dem Marktzins liegt, sodass es zu Agien kommt. Solche Agio-Einnahmen werden im laufenden Haushalt als negative Ausgaben oder Minusausgaben verbucht – sie wirken entlastend. Disagien entstehen, wenn der Ausgabewert unter dem Nennwert liegt. Analog wirken sie belastend auf den laufenden Haushalt.

    Durch den aktuellen Umgang mit Agien und Disagien kann der Eindruck von zusätzlichen Ausgabenspielräumen oder plötzlichen Finanzlücken entstehen. In der kurzen Frist entsteht bei Agien ein finanzieller Spielraum der Exekutive, gegenüber den vom Parlament beschlossenen Haushaltsbudgets nach oben oder unten abzuweichen, ohne dies durch Nachtragsbeschlüsse transparent zu machen. Aber auch Disagien bringen Probleme mit sich. Sollte es wegen steigender Zinsen zu hohen Disagien kommen, wirken diese wie kurzfristige Mehrausgaben, die anderswo im laufenden Haushalt eingespart werden müssen. Wenn solche politökonomischen Überlegungen ausgeblendet werden und der Fokus auf die rein barwertmäßigen Belastungswirkungen gelegt wird, dann gilt Folgendes: Agio-Einnahmen sind keine echten Einsparungen im Haushalt, da ihnen höhere Zinsausgaben in der Zukunft gegenüberstehen. Auch Disagien sind keine echten Mehrausgaben, denn ihnen stehen niedrigere Zinsausgaben in der Zukunft gegenüber. Das Entstehen von Disagio-Ausgaben wird zuweilen sogar als Argument gegen langfristige Schuldenaufnahme aufgeführt. Denn je länger die Laufzeit einer Anleihe, desto höher die Disagien bei einer Aufstockung und steigenden Zinsen.

    Im Hinblick auf den Barwert der Finanzlasten der Staatsschuld ist eine solche Argumentation jedoch nicht überzeugend, denn die höheren Disagien stellen lediglich eine zeitliche Verschiebung zukünftiger Zinsausgaben in den aktuellen Haushalt dar. Bei einer langfristig orientierten Haushaltsplanung, welche die Zinsausgaben über die gesamte Laufzeit der Anleihen berücksichtigt, wäre die Höhe der Agien und Disagien nur eine buchhalterische Randnotiz.

    Abbildung 4 zeigt, dass es seit dem Jahr 2015 zu Agien von mehr 30 Mrd. Euro gekommen ist. Das Volumen von Agien wie Disagien kann sehr hoch sein.

    Agio-Einnahmen im Bundeshaushalt seit dem Jahr 2009

    in Mrd. Euro

    Säulendiagramm „Agio-Einnahmen im Bundeshaushalt“: Insgesamt 12 Säulen zeigen die Agio-Einnahmen von 2009 bis 2020 in Milliarden Euro.Datenwerte:
    2009: 1,0; 2010: 2,2; 2011: -0,3; 2012: 1,9; 2013: 3,0; 2014: 1,6; 2015: 3,8; 2016: 6,0; 2017: 3,8; 2018: 3,3; 2019: 5,7; 2020: 12,0Quelle: Kreditaufnahmebericht des Bundes, verschiedene Jahre
    Quelle: Kreditaufnahmebericht des Bundes, verschiedene Jahre
    JahrMrd. Euro
    20091,0
    20102,2
    2011-0,3
    20121,9
    20133,0
    20141,6
    20153,8
    20166,0
    20173,8
    20183,3
    20195,7
    202012,0
    Abbildung 4

    Neutralisierung der Agien und Disagien

    Vor diesem Hintergrund schlägt der Beirat vor, die Verbuchung von Agien und Disagien im Haushalt zu ändern. Eine Möglichkeit wäre die periodengerechnete Zuordnung der Agien/Disagien, also eine Anpassung der Buchungsregeln. Dabei werden die bei der Neuemission/Aufstockung entstehenden Agien und Disagien gleichmäßig über die gesamte Laufzeit der jeweiligen Anleihe verteilt. Überschüsse oder Abschläge werden also nicht wie derzeit gängig sofort verbucht, sondern über die Zeit geglättet. Dieser Vorschlag wurde bereits vom Bundesrechnungshof und der Deutschen Bundesbank gemacht. Dies hätte zusätzlich den Vorteil, dass die Verbuchung im Haushalt so erfolgt, wie es bei der europäischen Haushaltsüberwachung vorgesehen ist.

    Ein alternativer, einfacherer und mit dem Jährlichkeitsprinzip der Kameralistik besser kompatibler Ansatz wäre eine „Neutralisierungsregel“ für Agien und Disagien. Nach einer solchen Regel würde die Kreditaufnahme automatisch im Haushaltsvollzug um die im Haushaltsjahr angefallenen Agio-Einnahmen beziehungsweise Disagio-Ausgaben angepasst werden. Kommt es z. B. zu Agio-Einnahmen von 5 Mrd. Euro, würden diese Mittel auf die im Haushalt festgelegte Kreditaufnahme angerechnet werden. Dann würden auch ungeplante Agio-Einnahmen automatisch „neutralisiert“ werden und könnten nicht für Mehrausgaben eingesetzt werden. Analog würden ungeplante Disagio-Ausgaben zu einem entsprechend höheren Nennwert von Emission von Anleihen im jeweiligen Haushaltsjahr führen. Führt die Aufstockung langfristiger Anleihen z. B. zu 3 Mrd. Euro an Disagio-Ausgaben, so würden entsprechend mehr Schuldentitel emittiert werden, damit keine buchhalterische Belastung des laufenden Haushalts entstünde. Es erübrigt sich dann auch, Agien oder Disagien bei der Aufstellung des Haushalts zu berücksichtigen.

    Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    Während zahlreiche OECD- beziehungsweise EU-Staaten die Laufzeit der Staatsverschuldung seit der Finanzkrise vom Jahr 2008 ausgeweitet haben, hat der Bund die Laufzeitstruktur kaum verändert. Im Gegenteil, ein Großteil der aktuell neu aufgenommenen Schulden wurde kurzfristig finanziert.

    Der Beirat plädiert für einen Kurswechsel und für eine maßvolle Verlängerung der Laufzeiten der Staatsschulden. Zentrale Argumente dafür sind der aktuell geringe Zinsaufschlag für langfristige Papiere und die angesichts der internationalen Gläubigerstruktur für Deutschland günstige internationale Zuordnung von Zinsänderungsrisiken. Auch würden längere Laufzeiten die Krisenresilienz erhöhen, wenn es etwa zu Finanzproblemen im Euroraum kommt. Generell helfen längere Laufzeiten, die Steuer- und Ausgabenpolitik zu verstetigen und stärker vom Schuldendienst zu entkoppeln.

    Die zweite wesentliche Empfehlung des Gutachtens ist es, das Schuldenmanagement vom Einfluss rein buchungstechnischer Aspekte zu befreien. Insbesondere der Umgang mit Agien und Disagien im Haushalt sollte geändert werden. Eine Möglichkeit wäre die periodengerechte Zuordnung der Agien/Disagien, also eine Anpassung der Buchungsregeln. Ein alternativer Vorschlag wäre eine Neutralisierungsregel, nach der die Agien oder Disagien auf die Höhe der Ermächtigung für die Kreditaufnahme angerechnet werden.

    Fußnoten

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