- Vom 20. bis 22. April 2022 fanden in Washington, D.C. anlässlich der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbankgruppe (WBG) hybride Treffen der G7- und G20-Finanzministerinnen und -minister und -Notenbankgouverneurinnen und -gouverneure, des Lenkungsausschusses des IWF (International Monetary and Financial Committee) sowie der WBG statt. Deutschland hat in den Treffen in enger Abstimmung mit seinen Partnern den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine auf das Schärfste verurteilt.
- Zentraler Diskussionspunkt der Treffen waren die weltwirtschaftlichen Auswirkungen des russischen Kriegs gegen die Ukraine. Dieser führt zu einer Verlangsamung des weltwirtschaftlichen Wachstums und gefährdet somit die wirtschaftliche Erholung von der COVID-19-Pandemie. Für das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP) erwartet der IWF nur noch einen Zuwachs des BIP von 3,6 Prozent sowohl im Jahr 2022 als auch im Jahr 2023. Der IWF geht davon aus, dass die derzeit erhöhte Inflation länger anhalten wird als ursprünglich angenommen.
- Der IWF hat den neuen Treuhandfonds „Resilience and Sustainability Trust“ zur längerfristigen Finanzierung von Strukturanpassungen insbesondere im Klima- und Gesundheitsbereich gegründet. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat hierfür ein deutsches Darlehen in Höhe von 6,3 Mrd. Euro angekündigt. Für den bereits seit langem etablierten Treuhandfonds für ärmste Länder (Poverty Reduction and Growth Trust) ist ein deutscher Zuschuss in Höhe von 100 Mio. Euro geplant. Beide Vorhaben stehen unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Deutschen Bundestags.
Treffen der G20-Finanzministerinnen und -minister und -Notenbankgouverneurinnen und -gouverneure
Deutschland hat in allen Treffen in Washington, D.C. in enger Abstimmung mit seinen Partnern den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine auf das Schärfste verurteilt. In und nach den Treffen hat Deutschland zudem Russlands propagandistischer Verteidigung seiner völkerrechtswidrigen Invasion sehr deutlich widersprochen. Es wurde dabei klar kommuniziert, dass Russland die volle Verantwortung für die weltwirtschaftlichen Auswirkungen des Kriegs, insbesondere auch zulasten der armen und ärmsten Länder, trage.
Das G20-Treffen unter indonesischer Präsidentschaft fand am 20. April 2022 im hybriden Format in Washington, D.C. statt. Für Deutschland nahmen Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesbankpräsident Dr. Joachim Nagel persönlich teil. Die G20-Finanzministerinnen und -minister und -Notenbankgouverneurinnen und -gouverneure diskutierten, wie sich der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine auf das weltwirtschaftliche Umfeld und insbesondere die Energie- und Nahrungsmittelpreise auswirkt und wie die wirtschaftliche Erholung von der Corona-Pandemie dennoch weiterhin stabil und nachhaltig gestaltet werden kann. Außerdem wurden die Stärkung der Finanzierung der globalen Pandemievorsorge, die weitere Unterstützung von Niedrigeinkommensländern und ein nachhaltiges Finanzsystem (Sustainable Finance) besprochen.
Treffen der G7-Finanzministerinnen und -minister und -Notenbankgouverneurinnen und -gouverneure
Im Anschluss an die Gespräche im G20-Kreis fand außerdem ein Treffen der G7-Finanzministerinnen und -minister und -Notenbankgouverneurinnen und -gouverneure statt. Als Ergebnis des Treffens wurde ein gemeinsames Statement zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine veröffentlicht. Darin fordern die G7 Russland auf, den militärischen Angriff auf die Ukraine umgehend zu beenden. Außerdem bekräftigen sie ihre Entschlossenheit, die gegen Russland verhängten Sanktionen vollständig um- und durchzusetzen. Nicht durch die Sanktionen, sondern durch den russischen Angriffskrieg kommt es zu signifikanten Steigerungen der Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise und zu einer starken Beeinträchtigung der Weltwirtschaft mit besonders schwerwiegenden Implikationen für die schwächsten Länder. Die G7 werden daher weiterhin mit ihren Partnerinnen und Partnern zusammenarbeiten, um insbesondere den negativen Auswirkungen einer globalen Nahrungsmittelknappheit durch einen gemeinsamen Kraftakt entschieden entgegenzuwirken.
Treffen des IWF-Lenkungsausschusses
Am 20. und 21. April 2022 fanden die Treffen des Lenkungsausschusses des IWF (International Monetary and Financial Committee, IMFC) statt. Auch hier nahmen für Deutschland Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesbankpräsident Dr. Joachim Nagel teil. Zentrale Themen waren auch hier die weltwirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffskriegs, die weltweite Impfstoffversorgung und die wirtschaftliche Erholung von der Pandemie. Ferner wurden die zunehmende Divergenz zwischen den Industrieländern und dem Rest der Welt sowie die Bekämpfung der Klimakrise besprochen. Nach den Sitzungen wurde wegen eines mangelnden Konsenses zur deutlichen Verurteilung Russlands erstmalig kein IMFC-Kommuniqué verabschiedet. Der IMFC-Vorsitz Spanien veröffentlichte stattdessen im Anschluss an das Treffen eine Zusammenfassung des Vorsitzes.
Lage der Weltwirtschaft
In seinem World Economic Outlook (April 2022) stellte der IWF seine jüngste Prognose zur Lage der Weltwirtschaft vor. Der IWF senkt gegenüber der Projektion vom Januar 2022 seine Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft in 2022 um 0,8 Prozentpunkte (PP) auf nunmehr 3,6 Prozent. Für 2023 senkt der IWF ebenfalls seine Wachstumsprognose auf 3,6 Prozent (-0,2 PP gegenüber Januar). Für Deutschland projiziert der IWF ein Wachstum von 2,1 Prozent (-1,7 PP) für das Jahr 2022 und für das Jahr 2023 ein Wachstum von 2,7 Prozent. Insgesamt erwartet der IWF für die Industrieländer ein Wachstum von 3,3 Prozent für das Jahr 2022 und 2,4 Prozent für das Jahr 2023, wobei insbesondere der Euroraum herabgestuft wurde. Die USA würden laut Prognose mit 3,7 Prozent im Jahr 2022 innerhalb der G7 am schnellsten wachsen.
Unter den wichtigsten Schwellenländern prognostiziert der IWF für China (4,4 Prozent) und Indien (8,2 Prozent) zwar weiterhin ein solides Wachstum für das Jahr 2022. Jedoch lässt das Wachstum in China dabei spürbar nach. Für Russland prognostiziert der IWF aufgrund der Sanktionen sowie der russischen Gegenmaßnahmen (inklusive Kapitalverkehrskontrollen und Leitzinserhöhung auf zwischenzeitlich 20 Prozent) einen Rückgang der Wirtschaftsleistung in 2022 um 8,5 Prozent. Für die Ukraine erwartet der IWF in diesem Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 35 Prozent. Während die vorliegende Prognose insgesamt großer Unsicherheit unterliegt, gilt dies umso mehr für diese beiden Länder.
Die global ungleichmäßige wirtschaftliche Erholung von der Corona-Krise setzt sich somit fort, ist aber durch den Angriffskrieg auf die Ukraine sowie bereits zuvor bestehende Faktoren wie z. B. die Omikron-Variante (und zusätzlich die Zero-COVID-Strategie Chinas), fortbestehende Lieferkettenengpässe und die andauernde Inflationsdynamik deutlich gedämpft. Durch den Krieg gegen die Ukraine kam es kurzfristig zu (teils) dramatischen Anstiegen internationaler Rohstoffpreise und zu signifikanten Finanzmarktreaktionen.
Der Krieg und das Risiko einer weiteren Eskalation haben weitreichende negative Folgen für die Weltwirtschaft: eine gedämpftere wirtschaftliche Entwicklung, eine höhere Inflation und gegebenenfalls verstärkte Knappheiten in Einzelmärkten. Von höheren Energiepreisen und damit verbundener Inflation ist Europa besonders betroffen. Für Entwicklungsländer besteht zudem das Risiko weitergehender Auswirkungen, insbesondere mit Blick auf die Ernährungssicherheit. Im Zuge der absehbaren geldpolitischen Straffung in den Industrieländern entstehen zusätzliche Risiken für Finanzierungsbedingungen, Währungsstabilität und Schuldentragfähigkeit dieser Länder.
IWF-Krisenreaktion
Mit seinen Ressourcen in Höhe von insgesamt rund 1.000 Mrd. US-Dollar (von denen etwa 270 Mrd. US-Dollar aktuell in Kreditprogrammen gebunden sind) ist der IWF weiterhin gut und ausreichend ausgestattet, um bedarfsgemäß finanzielle Unterstützung für seine Mitglieder zu leisten. Seit Beginn der weltweiten Pandemie im März 2020 und der folgenden wirtschaftlichen Krise in vielen Ländern hat der IWF Kredite im Wert von insgesamt rund 171 Mrd. US-Dollar für 90 Mitgliedstaaten bereitgestellt. Im Zuge des russischen Angriffskriegs gewährte der IWF der Ukraine am 9. März 2022 einen Nothilfe-Kredit in Höhe von 1,4 Mrd. US-Dollar.
Der IWF hat außerdem den neuen Treuhandfonds „Resilience and Sustainability Trust“ zur längerfristigen Finanzierung von Strukturanpassungen in ärmeren Schwellen- und Entwicklungsländern insbesondere im Klima- und Gesundheitsbereich geschaffen. Die Bundesregierung hat die Gründung unterstützt und plant, sich mit einem Darlehen in Höhe von 6,3 Mrd. Euro am Treuhandfonds zu beteiligen, sofern der Deutsche Bundestag zustimmt (Parlamentsvorbehalt). Außerdem ist eine weitere deutsche Unterstützung des Treuhandfonds „Poverty Reduction and Growth Trust“ (PRGT) geplant, aus dem der IWF zinsgünstige Darlehen an einkommensschwache Länder vergibt: Aktuell gewährt Deutschland dem PRGT ein Darlehen in Höhe von 3 Mrd. Euro. Zusätzlich soll nun ein Zuschuss in Höhe von 100 Mio. Euro zur Zinssubventionierung gewährt werden, damit Darlehen weiterhin zu sehr günstigen Konditionen an die ärmsten Länder ausgereicht werden können; auch hier besteht noch ein Parlamentsvorbehalt.
Rahmenwerk für Umschuldungen: Common Framework
Mehr als die Hälfte der Niedrigeinkommensländer hat zu hohe Schulden. Die in der Vergangenheit eingegangene hohe Verschuldung gefährdet Entwicklungsziele, da nun mehr Mittel für den Schuldendienst aufgewendet werden müssen und damit weniger für wichtige Ziele wie z. B. den Ausbau der Infrastruktur sowie Bildung und Gesundheit zur Verfügung stehen. Nach der Corona-Pandemie drohen nun die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine die Verschuldungssituation in den ärmsten Ländern weiter zu verschärfen. Ein gemeinsames Rahmenwerk für Schuldenrestrukturierungen, das sogenannte Common Framework, das von den Finanzministerinnen und -ministern und den Notenbankgouverneurinnen und -gouverneuren der G20 im November 2020 geschaffen worden ist, bleibt die richtige und notwendige Antwort auf die sich verschlechternde Schuldensituation vieler Entwicklungsländer. Das Rahmenwerk ist als dauerhaftes Verfahren errichtet und soll fallweise Schuldenrestrukturierungen erleichtern und bei Bedarf auch Erlasse von Schulden ermöglichen. Damit die Schulden eines Schuldnerlandes behandelt werden können, muss das Land zur nachhaltigen wirtschaftlichen Stabilisierung ein Reformprogramm mit dem IWF vereinbaren. Außerdem ist es von hoher Bedeutung, dass sich die privaten Gläubiger mindestens zu vergleichbaren Konditionen wie die staatlichen Gläubiger an der Schuldenerleichterung beteiligen. Bislang haben drei Länder (Tschad, Äthiopien und Sambia) einen Antrag zur Schuldenbehandlung gestellt. Für Tschad und Äthiopien sind Gläubigerkomitees gebildet worden, für Sambia dürfte die Bildung des Gläubigerkomitees unmittelbar bevorstehen.
Das Rahmenwerk ist ein historischer Fortschritt in der internationalen Schuldenarchitektur – erstmals sitzen alle betroffenen Gläubigerländer eines Landes (einschließlich z. B. China) an einem Tisch. Dies ist allerdings auch der Grund für die bislang langsame Umsetzung des Rahmenwerks. Es bleibt entscheidend, dass alle Gläubigerländer auch außerhalb des Pariser Clubs (wie z. B. China) an notwendigen Schuldenrestrukturierungen aktiv mitwirken.
Treffen der Weltbankgruppe (Development Committee)
Der Lenkungsausschuss der Weltbank (Development Committee) fand am 22. April 2022 statt. Als Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hatte die WBG die Themen der Frühjahrstagung kurzfristig umgestellt. So sollte ursprünglich der Fokus auf der Digitalisierung in der Entwicklungspolitik und dem Umgang mit der Schuldensituation in den ärmsten Ländern der Welt (u. a. G20 Common Framework) liegen; nun waren das Hauptthema die Auswirkungen dieses Kriegs auf die Weltwirtschaft und insbesondere die Entwicklungsländer sowie die Unterstützung der Ukraine sowie ihrer Nachbarstaaten. Während der Frühjahrstagung fand außerdem ein gemeinsam von der WBG und der ukrainischen Regierung organisiertes Gebertreffen (Ministerial Roundtable) zur Unterstützung der Ukraine statt. Für Deutschland nahm die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Svenja Schulze teil.