Rückblick auf die Sitzungen der Eurogruppe am 4. April 2022 und des ECOFIN-Rats am 5. April 2022
Die Schwerpunkte der Eurogruppe am 4. April 2022 sowie des Frühstücks und ECOFIN-Rats am 5. April 2022 lagen auf den wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine und den damit verbundenen politischen Herausforderungen.
Der ECOFIN begann mit einer knapp halbstündigen Zuschaltung des ukrainischen Finanzministers Serhiy Marchenko zu den Auswirkungen des Kriegs auf die Wirtschaft und das Finanzwesen der Ukraine. Drei Viertel des Bruttoinlandsprodukts seien verloren gegangen und 64 Prozent der Erwerbstätigen könnten nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen. Die Einnahmen seien stark zurückgegangen und die Höhe der Haushaltslücke werde mit jedem Kriegstag größer. Fast 10 Prozent der weltweiten Getreidelieferungen entfalle auf die Ukraine; sollte es bis Mai nicht zur Aussaat kommen, hätte dies katastrophale Auswirkungen, auch auf die Europäische Union (EU). Gleichwohl habe die Wirtschaftstätigkeit wieder zugenommen und die Regierung arbeite an einem Wiederaufbauplan; das Finanzsystem habe trotz des Krieges am Laufen gehalten werden können, benötige aber weiterhin und auch nach dem Krieg Stabilität.
Für die Makrofinanzhilfe der EU in Höhe von 1,2 Mrd. Euro sei die Ukraine daher sehr dankbar. Die Ukraine wäre insbesondere dankbar für eine mehrjährige Fazilität zur Unterstützung. Die Ukraine danke ebenso für die verabschiedeten Sanktionen; bei der tatsächlichen Umsetzung gebe es Unterschiede je nach Beziehung zu Russland. Die russischen Gräueltaten zeigten, dass die Sanktionen nicht ausreichten; weitere Sanktionen seien alternativlos.
Im Beisein des ukrainischen Finanzministers bekräftigte der französische Vorsitz Bruno Le Maire für den Rat die uneingeschränkte Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung und drückte die Bereitschaft des Rats aus, auf Basis eines Vorschlags der Europäischen Kommission die Sanktionen auszuweiten. Es würden alle Vorschläge geprüft werden. Die EU stehe der Ukraine zur Seite.
Das angesprochene fünfte EU-Sanktionspaket mit weiteren, schärferen Sanktionen wurde von der Europäischen Kommission noch am gleichen Tag vorgeschlagen.1
Der Austausch in der Eurogruppe hinsichtlich der Ukraine konzentrierte sich auf die makroökonomischen Aspekte und wirtschaftlichen Auswirkungen. Die Europäische Kommission berichtete von einem schwierigen und unsicheren makroökonomischen Umfeld. Die EU beantworte eine militärische Aggression mit ökonomischen Mitteln; es bedürfe eines agilen und koordinierten Ansatzes. Lieferketten gelte es umzuorganisieren. Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) Christine Lagarde sprach an, dass das Inflationsgeschehen insbesondere durch gestiegene Energiepreise nun vom Ukrainekrieg beeinflusst sei. Lohngeschehen und Zweitrundeneffekte seien genauestens zu beobachten.
Der Austausch der Mitgliedstaaten konzentrierte sich auf folgende Punkte: Es bestehe weiterhin eine hohe Unsicherheit; der Krieg habe nun Einfluss auf das Leben in Europa. Vor dem Hintergrund der starken wirtschaftlichen Erholung von der Corona-Pandemie werde für viele Volkswirtschaften im Jahr 2022 jedoch weiterhin ein positives Wirtschaftswachstum erwartet. Viele Mitgliedstaaten zeigten sich besorgt über Vertrauensverluste, die Inflation, insbesondere die Energiepreise, Lieferkettenprobleme und wachsende Staatsschulden. Auf Ebene der Mitgliedstaaten werde gezielte nationale Unterstützung bereitgestellt; einige Ministerinnen und Minister betonten, dass nicht alles kompensiert werden könne. Es bestand Einvernehmen darüber, dass weiterhin eine enge europäische Koordinierung zentral sei. Auch wurde die Bedeutung privater und öffentlicher Investitionen angesprochen.
Bundesfinanzminister Christian Lindner betonte in seinen Interventionen mit Blick auf die Sanktionen die Bedeutung eines strategischen Ansatzes: Unterschiedliche Abhängigkeiten müssten separat betrachtet werden. Sanktionen müssten nachhaltig sein, d. h. langfristig aufrechterhalten werden können. Ziel sei es, schnellstmöglich unabhängig zu werden von russischen Energieimporten. Nicht bei jedem Aspekt gehe dies im selben Tempo. Zielgerichtete temporäre Unterstützung für besonders vulnerable Haushalte und das Abwehren von Existenzgefährdung von Unternehmen sei essenziell. Wichtig seien auch eine beschleunigte Transformation und Modernisierung der Wirtschaftsstrukturen insbesondere über private Investitionen.
Auch beim ECOFIN lag der Schwerpunkt auf der Ukraine: Die Europäische Kommission sagte der Ukraine weitere Unterstützung zu. Sie bestätigte als nächste konkrete Schritte eine langfristige Makrofinanzhilfe für die Ukraine und die Umsetzung des Solidaritäts-Treuhandfonds. Einvernehmlich mit der EZB ging die Kommission bezüglich der Auswirkungen auf die Wirtschaft und Finanzen der EU von bleibender Unsicherheit, geringerem Wachstum und höherer Inflation aus. Die Kommission werde einen nach Mitgliedstaaten differenzierten „vulnerability index“ erarbeiten und ihre haushaltspolitischen Leitlinien für das Jahr 2023 im Zusammenhang mit dem Frühjahrspaket überarbeiten.
In der Aussprache erläuterten die Mitgliedstaaten die auf nationaler Ebene ergriffenen Maßnahmen; so sprachen sich Mitgliedstaaten mehrheitlich für weitere Sanktionen und die Koordinierung nationaler Ausgleichsmaßnahmen gegen die steigenden Energiepreise aus. Erneut standen die Auswirkungen der Krise in den Mitgliedstaaten, insbesondere durch gestiegene Preise, im Mittelpunkt der Diskussion. Wie auch Deutschland zuvor unterstrich eine Reihe von Mitgliedstaaten, dass sie vor dem Hintergrund der Natur der Krise auf gezielte und temporäre nationale Unterstützungsmaßnahmen setzten.
Eurogruppe
Des Weiteren standen auf der Tagesordnung der Eurogruppe am 4. April folgende Punkte: Abwägungsentscheidungen im Zusammenhang mit dem Schutz der finanziellen Privatsphäre bei der Nutzung eines digitalen Euros sowie Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt im Euroraum und politische Implikationen. Ferner wurde die Eurogruppe im Bankenunionsformat über den aktuellen Stand der Bankenunion, einschließlich operativer Aspekte, informiert.
Die Eurogruppe tauschte sich zu Abwägungsentscheidungen im Zusammenhang mit dem Schutz der finanziellen Privatsphäre bei der Nutzung eines digitalen Euros aus, einschließlich des Zusammenspiels mit Vorgaben aus dem Bereich der Geldwäsche. Ob ein digitaler Euro eingeführt und wie er konkret ausgestaltet wird, ist weiterhin offen. Die EZB führte aus, dass eine vollständig anonyme Währung keinen Schutz vor einer missbräuchlichen Verwendung biete. Vorstellbar sei, den Umgang mit Nutzungsdaten vergleichbar dem bestehenden elektronischen Zahlungsverkehr zu lösen. Die Kommission ergänzte, dass ein digitaler Euro das Bargeld nicht vollständig nachbilden könne. Im Zentrum der Diskussion stand die Frage der Privatsphäre: Während einige Ministerinnen und Minister die Bedeutung der Privatsphäre betonten, stellten andere auf Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung ab. Bundesfinanzminister Christian Lindner erläuterte, dass ein digitaler Euro von Beginn an breites Vertrauen in der Bevölkerung genießen müsse. Die Akzeptanz eines digitalen Euros hänge mit davon ab, in welchem Maße er die finanzielle Privatsphäre respektiere. Anonymität sei bei Nutzung für kleine Transaktionen wichtig. Der digitale Euro könne und solle das Bargeld nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.
Unter dem Tagesordnungspunkt „Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt im Euro-Währungsgebiet und politische Implikationen“ führte die Eurogruppe eine facettenreiche Diskussion zu den Herausforderungen steigender Immobilienpreise. Die Kommission führte an, dass dies eine EU-übergreifende Problematik sei, aber dass die Wohnungsmärkte in den Mitgliedstaaten teilweise sehr unterschiedlich seien. Neben Problemen auf der Angebotsseite und energetischen Aspekten wurde von den Finanzministerinnen und Finanzministern auch die Bedeutung des makroökonomischen Umfelds, insbesondere der Geldpolitik, angesprochen.
Auch hatte die Eurogruppe im Bankenunionsformat – d. h. Euroländer gemeinsam mit Kroatien und Bulgarien – den Vorsitzenden des Aufsichtsgremiums der EZB Andrea Enria und die Vorsitzende des Einheitlichen Abwicklungsausschusses Elke König eingeladen, um sich über ihre jüngsten Aktivitäten und ihre Einschätzung der Herausforderungen für den Finanzsektor zu informieren. Neben der Lage im Bankensystem im geopolitischen Kontext wurden auch die jüngsten Abwicklungsfälle angesprochen, wie die gute und effektive Abwicklung der Sberbank Europe. Der Einfluss des Kriegs auf die Finanzmärkte sei bislang begrenzt, jedoch ein enges Monitoring erforderlich; Risiken von Cyber-Attacken hätten sich noch nicht materialisiert. Beide äußerten abschließend die allgemeine Forderung nach Fortschritten bei der Bankenunion, unterstützt von der Europäischen Kommission. Die von den jüngsten Abwicklungen betroffenen Mitgliedstaaten sprachen den beteiligten Institutionen ihren Dank aus.
ECOFIN-Rat
Bei dem Treffen der ECOFIN-Ministerinnen und -Minister am 5. April standen u. a. folgende Punkte auf der Tagesordnung: Europäische Finanzarchitektur für Entwicklung (Fokus auf Ukraine), die Vorbereitung des G20-Treffens der Finanzministerinnen und -minister und Zentralbankpräsidentinnen und -präsidenten und der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) sowie die Richtlinie zur globalen effektiven Mindestbesteuerung multinationaler Unternehmen in der EU.
Zunächst berichteten die Kommission, die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und die Europäische Investitionsbank (EIB) von ihrer Zusammenarbeit im Rahmen der europäischen Finanzarchitektur für Entwicklung. Sie gingen dabei auch auf die in diesem Rahmen bereits unternommenen Unterstützungsmaßnahmen für die Ukraine ein und benannten darüber hinaus noch anzugehende Maßnahmen, etwa die Mobilisierung internationaler Geber. Aus Sicht der drei Institutionen laufe die Zusammenarbeit erfolgreich.
Hinsichtlich der Reaktionsmaßnahmen der EIB für die Ukraine berichtete der Exekutiv-Vizepräsident der Kommission Valdis Dombrovskis, dass 688 Mio. Euro aus zwei existierenden EU-garantierten Darlehensverträgen ausbezahlt worden seien. Zudem gäbe es eine Makrofinanzhilfe (in Form von Darlehen) für die Ukraine in Höhe von 1,2 Mrd. Euro. Es gab keinen Meinungsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten.
Des Weiteren wurde das G20-Treffen der Finanzministerinnen und -minister und der Notenbankgouverneurinnen und -gouverneure sowie die IWF-Frühjahrstagung vorbereitet. Die französische Präsidentschaft wies auf die Bedeutung der multilateralen Zusammenarbeit hin und adressierte die Frage der russischen Teilnahme an den G20- und IWF-Frühjahrstreffen. Die französische Präsidentschaft schlussfolgerte die Annahme der Erklärung der EU für das International Monetary and Finance Committee und der „Terms of Reference“ der EU für das G20-Treffen.
Der Versuch der französischen Ratspräsidentschaft, eine Einigung zur globalen effektiven Mindestbesteuerung zu erreichen, scheiterte erneut. Ziel des Richtlinienentwurfs zur Umsetzung der globalen effektiven Mindestbesteuerung ist es, die breite Unterstützung der EU für die internationale Einigung zum Zwei-Säulen-Projekt durch eine zeitnahe und vollständige Umsetzung der Regelungen innerhalb der EU zu bekräftigen, da der OECD-Implementierungsplan die Umsetzung beider Säulen bereits für das Jahr 2023 vorsieht. Im Anschluss an die Veröffentlichung der OECD-Musterregelungen zur Umsetzung der globalen effektiven Mindestbesteuerung unter Säule 2 hatte die Europäische Kommission am 22. Dezember 2021 einen Richtlinienvorschlag zu deren EU-weiter Umsetzung vorgelegt.
Die französische Präsidentschaft ging einleitend auf die historische Entwicklung des Dossiers ein und unterstrich, dass der vorliegende Kompromissentwurf die OECD-Lösung umsetze. Die letzten technischen Schwierigkeiten seien seit dem ECOFIN-Rat vom 15. März 2022 ausgeräumt worden. Die Europäische Kommission führte an, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gebe eine juristische Verknüpfung zwischen Säule 1 und Säule 2 nicht her. Zunächst ergriffen die Mitgliedstaaten das Wort, die beim ECOFIN-Rat im März 2022 noch nicht hatten zustimmen können: Sowohl Estland als auch Schweden und Malta stimmten dem aktuellen Kompromissvorschlag zu. Estland hatte unerwartet in der vorangegangenen Woche auf Botschafterebene Bedenken aufgeworfen. Die weiteren wortnehmenden Mitgliedstaaten unterstützten ebenfalls den Kompromisstext. Bundesfinanzminister Christian Lindner betonte, dass eine Übergangsphase akzeptiert werden könne, die es Staaten mit wenigen Konzernspitzeneinheiten erlaube, die Regel später einzuführen. Daher sei es im Sinne aller Mitgliedstaaten, dem Text jetzt zuzustimmen. Polen konnte dem Entwurf weiterhin nicht zustimmen: Eine Trennung und somit gesonderte Annahme von Säule 1 und Säule 2 könne nicht akzeptiert werden. Die juristische Verknüpfung beider Säulen sei aus polnischer Sicht notwendig. Auch auf nochmalige Nachfrage der französischen Präsidentschaft blieb Polen bei seiner Position. Die französische Präsidentschaft wird weiterhin auf einen zeitnahen Abschluss des Dossiers hinarbeiten.