
Deutschland hat seit Anfang des Jahres den Vorsitz der G7 inne. Welche Gestaltungsmöglichkeiten, aber auch welche Verantwortung ergeben sich dadurch für Deutschland, besonders im sogenannten Finance Track?
Der G7 Finance Track ist ein informelles Forum der Finanzministerinnen und -minister sowie Notenbankgouverneurinnen und -gouverneure der sieben weltweit führenden Volkswirtschaften und Demokratien sowie der Europäischen Union. Aufgrund des informellen Charakters der G7 ohne eigene Organisationsstruktur spielt die jeweilige G7-Präsidentschaft eine wichtige Rolle. Ihr obliegt die Organisation sowie die inhaltliche Gestaltung der Agenda der Treffen oder – in diesen Zeiten – auch der vielen Videokonferenzen. Die G7-Präsidentschaft hat hierbei große Gestaltungsmöglichkeiten: Sie setzt die Themen, die während des Präsidentschaftsjahres besprochen werden sollen und schlägt Ziele – sogenannte Deliverables – vor. Im Finance Track trägt Deutschland somit die Verantwortung dafür, welche wirtschafts- und finanzpolitischen Themen von globaler Tragweite durch die G7 vorangetrieben werden. Aber natürlich gibt es immer auch aktuelle Entwicklungen, auf die eine Präsidentschaft reagieren muss, wie die COVID-19-Krise oder aktuell der Ukraine-Krieg.
Die Ergebnisse auf G7-Ebene sind wichtig, da sich hier die wichtigsten Industrieländer zu gemeinsamen Zielen bekennen, die aktuellen und perspektivisch wichtigen finanz- und wirtschaftspolitischen Themen behandeln und durch gemeinsame Positionen auch die Entscheidungen in anderen internationalen Foren wie der G20 oder in internationalen Organisationen maßgeblich beeinflussen.
Deutschland hat für seine Präsidentschaft im Finance Track ein sehr ambitioniertes Präsidentschaftsprogramm vorgelegt. Schwerpunkte sind u. a. das Sicherstellen makroökonomischer Stabilität, die Bewältigung der Pandemie, die Gestaltung der digitalen Transformation und das Erreichen von Klimaneutralität.
Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist für die G7-Präsidentschaft neben der Umsetzung des Präsidentschaftsprogramms eine weitere, wichtige und viel Zeit beanspruchende Aufgabe hinzugekommen: Es gilt, gemeinsame, koordinierte Antworten der G7 auf diesen Krieg und dessen wirtschaftliche Auswirkungen im G7-Kreis zu finden. Mit den bisherigen G7-Entscheidungen – insbesondere den jüngsten Ergebnissen im Finance Track vom Petersberg – wird die G7 ihrem Führungsanspruch hierbei umfänglich gerecht.
Zentrales Thema in den G7-Gesprächen auf dem Petersberg war die Solidarität mit der Ukraine. Welche spürbare Unterstützung wird die Ukraine in den kommenden Wochen und Monaten von der G7 bekommen?
Die Ukraine benötigt dringend kurzfristige Budgethilfen, um grundlegende staatliche Leistungen erbringen zu können und ihre humanitären und sonstigen materiellen Bedarfe zu decken.
Die G7 und die internationalen Finanzinstitutionen haben daher auf dem Petersberg der Ukraine direkte, kurzfristige Budgethilfen in Höhe von zusätzlich 9,5 Mrd. US-Dollar zugesagt. Deutschland leistet davon einen signifikanten Beitrag durch einen Zuschuss in Höhe von 1 Mrd. Euro. Insgesamt stellen die G7 und internationale Finanzinstitutionen damit seit Beginn des Kriegs kurzfristige Budgethilfen in Höhe von 19,8 Mrd. US-Dollar zur Verfügung. Das ist ein gewaltiger Beitrag, um der Ukraine kurzfristig zu helfen. Die G7 arbeitet zurzeit mit Hochdruck daran, dass alle Mittel der Ukraine schnell zur Verfügung gestellt werden können.
Neben dieser unmittelbaren kurzfristigen Liquiditätssicherung hat die G7 der Ukraine ihre weitergehende Solidarität versichert und wird der Ukraine – wo nötig – weitere Hilfe leisten. Die G7-Partnerinnen und -partner haben sich zu einer engen Zusammenarbeit mit der Ukraine bekannt, um ihre makroökonomische Stabilität zu sichern. Zudem haben sie sich dazu verpflichtet, die Ukraine beim langfristigen Wiederaufbau ihres Landes zu unterstützen. Eine Aufgabe dieser Größenordnung ist aber selbstredend nicht von sieben Staaten allein zu meistern, auch wenn es sich um die leistungsstärksten Volkswirtschaften der Welt handelt. Beim perspektivischen Wiederaufbau der Ukraine reden wir von einer Aufgabe, die die gesamte globale Gemeinschaft etwas angeht.
Das G7-Treffen auf dem Petersberg ist als Erfolg beschrieben worden. Woran darf man das konkret bemessen?
Auf dem Petersberg wurden wichtige Ergebnisse für den Finance Track der G7 erzielt. Diese wurden sehr einmütig in einem gemeinsamen, umfassenden und klaren Kommuniqué festgehalten, das im Anschluss an das Treffen veröffentlicht wurde.
Über die finanzielle Hilfe für die Ukraine haben wir bereits gesprochen. Zudem haben wir auf dem Petersberg bei vielen Themen die im G7-Präsidentschaftsprogramm avisierten Ergebnisse erreicht – beispielsweise im Bereich Sustainable Finance, bei der Geldwäschebekämpfung und bei der internationalen Besteuerung. In den Bereichen Klimaschutz, Gesundheit und Schuldenbewältigung der Entwicklungsländer hat das Treffen auf dem Petersberg die Weichen für weitere Verhandlungen auf G7- und G20-Ebene gestellt.
Welche Themen werden in den kommenden Monaten für die deutsche Präsidentschaft im Finance Track Priorität haben? Was ist hierzu geplant?
Als wichtiges G7-Treffen steht nun zunächst der G7-Gipfel der Staats- und Regierungschefinnen und -chefs vom 26. bis 28. Juni 2022 in Elmau an. Bei diesem Treffen werden aufbauend auf den Ergebnissen vom Petersberg auch wirtschafts- und finanzpolitische Themen diskutiert und gemeinsame Positionen erarbeitet. Die Gipfelergebnisse sind dann wiederum maßgeblich für den weiteren G7-Prozess im Finance Track.
Hier sind in der zweiten Jahreshälfte verschiedene G7-Treffen geplant – u. a. am Rande des Jahrestreffens des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank im Oktober in Washington, D.C. Dort wird es dann konkret um die Themen CO2-Bepreisung und Klimaclub und Digitalisierungsfragen im Finanzbereich und Cybersicherheit gehen. Im Herbst wird sich die G7 im Finance Track auch intensiver mit der Schuldensituation in den Niedrigeinkommensländern befassen. Dazu ist ein gemeinsames Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern afrikanischer Staaten geplant. Und leider müssen wir davon ausgehen, dass die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine weiterhin im Fokus der G7 stehen werden.
Geben Sie uns einen kleinen Einblick in die Stimmung, Gespräche und Organisation hinter den Kulissen, fernab der Kameras?
Das Treffen auf dem Petersberg hat gezeigt, dass der Multilateralismus lebt. Die Gespräche waren geprägt von hoher Kollegialität und Kooperationsbereitschaft, intensivem Austausch und von dem unbedingten Willen aller Teilnehmenden, die global wichtigen Themen gemeinsam voranzubringen. Es wurde ersichtlich, dass die G7-Partnerinnen und -Partner – gerade in den aktuell schwierigen Zeiten – eng zusammengerückt sind. Sie sind entschlossen, sich den negativen Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gemeinsam entgegenzustemmen. Unter den G7 besteht Konsens, gemeinsame Lösungen bei den wichtigen globalen Fragen, z. B. zum Klimaschutz, zur Besteuerung und zur Unterstützung der Entwicklungsländer, zu finden und hierbei für die Weltgemeinschaft „leadership“ zu übernehmen.
Die Rahmenbedingungen auf dem Petersberg haben sehr dazu beigetragen, eine intensive und zugleich positive Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Man konnte den Teilnehmenden wirklich ansehen, dass es eine Freude war, ein großes Treffen wie dieses wieder in Präsenz wahrnehmen zu können – in den Kaffeepausen und beim Abendessen habe ich z. B. viele lebendige bilaterale Gespräche und spontane Begegnungen erlebt.