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    Schutz der fi­nan­zi­el­len In­ter­es­sen der EU – ge­stärkt für neue Her­aus­for­de­run­gen

    • Der Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union (EU) ist in Art. 325 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verankert. Er legt fest, dass die EU und die Mitgliedstaaten gemeinsam Betrügereien und sämtlichen gegen die finanziellen Interessen der Union gerichteten rechtswidrigen Handlungen entgegenwirken.
    • Die Verantwortung zu einer ordnungsgemäßen und bestimmungsgerechten Verwendung von EU-Geldern wächst in dem Maße, wie der EU-Haushalt immer neuen und wachsenden Herausforderungen gegenübersteht. Dazu gehört eine stärkere Ausrichtung des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021–2027 auf neue Politikbereiche, um das Wachstumspotenzial und die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu stärken und die grüne und digitale Transformation zu begleiten. Auch werden EU-Gelder zunehmend in Krisen eingesetzt, wie mit dem zeitlich befristeten Wiederaufbauinstrument „NextGenerationEU“ zur Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. Als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine wurden ebenfalls bereits zahlreiche und umfassende Hilfsmaßnahmen aus bestehenden Mitteln des EU-Haushalts ergriffen.
    • Um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden, ist ein funktionierendes, institutionelles europäisches Gefüge zum Schutz der finanziellen Interessen der EU eine zentrale Grundvoraussetzung. Zu ergänzen ist dieses durch eine enge Zusammenarbeit zwischen europäischen und nationalen Behörden. Dadurch kann ein wirksames System zur Prävention, Kontrolle und Wiedereinziehung entstehen und gleichzeitig das Vertrauen in die EU und ihre Haushaltspolitik gestärkt werden.
    • Der Artikel beleuchtet die Rollenverteilung zwischen nationaler und europäischer Ebene und stellt die aktuellen Entwicklungen dar, die sich nicht zuletzt in der Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft und der neuen Verordnung über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der EU widerspiegeln.

    Einleitung

    Der EU-Haushalt ist das Kerninstrument der EU, um europäische Sachpolitiken, Investitionen und Projekte zu finanzieren und umzusetzen. Dabei wird der EU-Haushalt weitgehend über Beiträge der EU-Mitgliedstaaten finanziert, also aus den jeweiligen nationalen Haushalten. Auch deswegen haben die Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten der EU ein großes Interesse daran, wie diese Gelder eingesetzt, verwaltet und kontrolliert werden.

    Dies hat sich auch mit dem neuen Mehrjährigen Finanzrahmen 2021–2027 nicht verändert. Sein Gesamtvolumen beträgt rund 1.210 Mrd. Euro und wird zusätzlich ergänzt durch das befristete Wiederaufbauinstrument „NextGenerationEU“ in Höhe von bis zu rund 807 Mrd. Euro. Die Erwartungen sind hoch, dass mit diesen Mitteln sowohl die Auswirkungen der COVID-19-Krise als auch perspektivisch die großen politischen Herausforderungen der EU wie Klimaschutz und Digitalisierung bewältigt werden.

    Zentral für einen erfolgreichen Mitteleinsatz ist die ordnungsgemäße und zweckgerechte Verwendung der Mittel. Dies erfordert effiziente Verwaltungs- und Kontrollsysteme auf europäischer und nationaler Ebene sowie einen starken institutionellen Rahmen zum Schutz der finanziellen Interessen der EU.

    Zentrales Anliegen des BMF ist es daher, das rechtliche und institutionelle Rahmenwerk der EU weiter zu stärken und für neue Anforderungen zu wappnen. Ziel ist ein wirksames System zum Schutz der finanziellen Interessen der EU ausgerichtet auf Prävention, Kontrolle und Wiedereinziehung. Dadurch wird gleichzeitig das Vertrauen in die EU und ihre Haushaltspolitik, einschließlich einer funktionierenden administrativen Kontrolle, gestärkt.

    Ausgangslage

    Das System zum Schutz der finanziellen Interessen der EU umfasst aktuell:

    • das Finanzmanagement der EU, d. h. die eigentliche Mittelbewirtschaftung selbst,
    • die interne Finanzkontrolle durch die EU-Kommission zusammen mit der Verwaltung der Mitgliedstaaten,
    • die externe Finanzkontrolle durch den Europäischen Rechnungshof (ERH) sowie
    • Kontrollen und Untersuchungen des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) zur Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten und Betrug sowie sonstigen rechtswidrigen Handlungen, die sich gegen die finanziellen Interessen der EU richten.

    Das System zum Schutz der finanziellen Interessen der EU wird laufend an neue Erkenntnisse und Herausforderungen angepasst. So wurden im Jahr 2017 die rechtlichen Voraussetzungen für einen strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der EU geschaffen: Auf der Grundlage der EU-Verordnung Nr. 2017/19391 und im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit von 22 Mitgliedstaaten der EU ist die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA) entstanden, die im Juni 2021 ihre operative Arbeit aufgenommen hat.

    Die Europäische Staatsanwaltschaft
    ist die erste supranationale Staatsanwaltschaft, die befugt ist, strafrechtliche Untersuchungen und Strafverfolgungsmaßnahmen bei Straftaten durchzuführen, die gegen die finanziellen Interessen der EU gerichtet sind. Bis auf fünf Mitgliedstaaten (Dänemark, Irland, Ungarn, Polen, Schweden) nehmen alle EU-Mitgliedstaaten teil. Die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA) hat ihren Sitz in Luxemburg. Zur Europäischen Generalstaatsanwältin wurde im Oktober 2019 Laura Kövesi berufen.

    Die teilnehmenden Mitgliedstaaten benennen jeweils einen Europäischen Staatsanwalt sowie Delegierte Staatsanwälte, die die Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen in ihren jeweiligen Ländern durchführen. Die EUStA hat am 1. Juni 2021 ihre operativen Arbeiten aufgenommen und am 24. März 2022 einen ersten Tätigkeitsbericht veröffentlicht.

    Die EU-Verordnung Nr. 883/2013 über die Untersuchungen des OLAF (OLAF-VO) wurde daraufhin mit Wirkung zum 1. Januar 2021 angepasst. Einerseits, um eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen dem OLAF und der EUStA zu gewährleisten, aber auch, um die Rolle des OLAF weiter zu stärken.2

    Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF),
    benannt nach der französischen Bezeichnung „Office Européen de Lutte Anti-Fraude“, ist ein Amt der EU-Kommission. Es hat seinen Sitz in Brüssel und wird durch Generaldirektor Ville Itälä geleitet. Zu den Aufgaben gehört insbesondere die Untersuchung von Betrugsfällen zum Nachteil des EU-Haushalts, von Korruption sowie von schwerwiegendem Fehlverhalten innerhalb der Organe und Einrichtungen der EU. Das OLAF erstellt jährlich einen Bericht über seine Untersuchungsaktivitäten und daraus abgeleiteten Erkenntnissen.

    Darüber hinaus wurde im Dezember 2020 die Verordnung über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des EU-Haushalts verabschiedet.3 Diese bildet die Grundlage für Maßnahmen gegen Mitgliedstaaten, in denen Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit festgestellt werden, die einer ordnungsgemäßen Mittelverwaltung und -kontrolle entgegenstehen. Durch sie kann künftig auch im Fall von Rechtsstaatsdefiziten, welche die finanziellen Interessen der EU beeinträchtigen, die Auszahlung von EU-Fördermitteln ausgesetzt oder gekürzt werden.

    Das Finanzmanagement der EU und die interne Finanzkontrolle

    Die zentrale Verantwortung für den Vollzug des EU-Haushalts liegt gemäß Art. 317 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in Verbindung mit Art. 62 der Haushaltsordnung der EU (HHO)4 bei der EU-Kommission.

    Allerdings bewirtschaftet die EU-Kommission mit den Ausgaben für Forschung und Innovation, für Innere und Äußere Politiken sowie für ihre eigene Verwaltung eigenständig auf Basis des aktuellen Mehrjährigen Finanzrahmens 2021–2027 lediglich knapp 20 Prozent des EU-Haushalts (sogenannte direkte Mittelverwaltung). Rund 10 Prozent der Mittel werden von Partnerorganisationen oder anderen Behörden inner- oder außerhalb der EU verwaltet (sogenannte indirekte Mittelverwaltung).

    Den Großteil des EU-Haushalts, nämlich die Ausgaben für Agrar- und Strukturpolitik, welche knapp 70 Prozent des Haushaltsvolumens ausmachen, führt die EU-Kommission jedoch gemeinsam mit den Mitgliedstaaten aus. Technisch wird dieses System als geteilte Mittelverwaltung bezeichnet (Art. 62 Abs. 1b HHO).

    Die Modalitäten zur Verwaltung, Rechnungslegung und Kontrolle dieser in Form der geteilten Mittelverwaltung bewirtschafteten Ausgaben sind in Art. 63 HHO und den Fachverordnungen beziehungsweise den sektorspezifischen Vorschriften geregelt. Darin werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, für die Verwaltung und Kontrolle der Agrar-, Fischerei- und Strukturausgaben jeweils separate Verwaltungs- und Kontrollsysteme einzurichten. Die Mitgliedstaaten sind verantwortlich für die Auswahl der Maßnahmen und Projekte, für die Abrechnung gegenüber der EU-Kommission sowie für die Durchführung sogenannter Ex-ante- und Ex-post-Kontrollen.

    Die Rolle der EU-Kommission liegt in der Überwachung der Funktionsfähigkeit sowie der Verlässlichkeit der von den Mitgliedstaaten einzurichtenden Verwaltungs- und Kontrollsysteme. Darüber hinaus überprüft die EU-Kommission stichprobenartig die Ordnungsgemäßheit der Finanzierung einzelner Vorhaben oder Projekte. Die Grundlage hierfür bilden die von den Mitgliedstaaten jährlich vorzulegenden Jahresabschlüsse, welche die Rechnungslegung und einen Bericht über die durchgeführten Kontrollen enthalten. Denn es ist die EU-Kommission, die im Rahmen des Verfahrens zur Haushaltsentlastung Rechenschaft gegenüber dem Europäischen Parlament ablegen und sich gegebenenfalls eine eventuelle Fehlfunktion der Systeme der Mitgliedstaaten zurechnen lassen muss.

    In Deutschland als föderalem Staat werden die EU-Mittel aus den Struktur- und Agrarfonds im Wesentlichen von den Ländern bewirtschaftet.

    In der aktuellen Förderperiode 2021–2027 umfassen die Mittel, die Deutschland aus den Europäischen Struktur- und Investitionsfonds erhält, insgesamt rund 21 Mrd. Euro. Aus den Agrarfonds und den Europäischen Meeres-, Fischerei- und Aquakulturfonds (EMFAF) sind es rund 43 Mrd. Euro. Jedes einzelne Land muss für jeden Fonds separate Verwaltungs- und Kontrollsysteme einrichten. Das bedeutet, dass jedes Land im Strukturfondsbereich über mindestens zwei Verwaltungsbehörden (differenziert nach Europäischem Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und Europäischem Sozialfonds (ESF)), zwei Bescheinigungsbehörden und mindestens eine Prüfbehörde – in manchen Ländern wird die Prüfung von EFRE und ESF in einer Einheit zusammengefasst – verfügen muss. Dies gilt analog für den Europäischen Garantiefonds für Landwirtschaft, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den EMFAF. Für den Agrarbereich existieren eine Zahlstelle auf Bundesebene und vierzehn auf Länderebene5 sowie eine entsprechende Anzahl an Bescheinigenden Stellen. In der Praxis handelt es sich bei diesen „Behörden“ allerdings nicht um organisatorisch selbständige Einrichtungen, sondern um Untergliederungen oder Arbeitseinheiten bereits bestehender Einrichtungen. Beispielsweise wird die Funktion der Verwaltungsbehörde in der Regel von einem Referat einer obersten Landesbehörde wahrgenommen.

    Um eine effiziente und kohärente Arbeit dieses umfassenden Verwaltungs- und Kontrollsystems zu unterstützen, findet ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch sowohl mit der EU-Kommission und den Dienststellen anderer Mitgliedstaaten als auch der deutschen Dienststellen untereinander statt. In diesem Prozess nimmt das BMF über seine Koordinierungsfunktion für den regulatorischen Rahmen der EU-Finanzkontrolle eine zentrale Position ein.

    Die externe Finanzkontrolle

    Die externe Finanzkontrolle des EU-Haushalts obliegt dem ERH. Seine Aufgaben sind in Art. 287 AEUV verankert. Dazu gehört insbesondere, alle Einnahmen und Ausgaben der EU unter dem Gesichtspunkt der Recht- und Ordnungsmäßigkeit zu prüfen. Dies schließt die Prüfung der Einnahmen und Ausgaben der von der EU geschaffenen Einrichtungen ein.

    Darüber hinaus kann der ERH jederzeit Bemerkungen zu besonderen Fragen vorlegen. Insbesondere in seinen Sonderberichten bewertet der ERH die Umsetzung sowie Wirksamkeit europäischer Rechtsvorschriften und spricht Empfehlungen aus.

    Der ERH erstellt einen Jahresbericht und legt dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union eine Erklärung über die Zuverlässigkeit der Rechnungsführung sowie über die Recht- und Ordnungsmäßigkeit der zugrunde liegenden Vorgänge vor. Auf Grundlage des Jahresberichts des ERH erteilt der Rat eine Empfehlung an das Europäische Parlament, auf deren Grundlage es der EU-Kommission dann die Entlastung zur Ausführung des Haushaltsplans erteilt.

    Seit Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam kann der ERH das Europäische Parlament und den Rat auf Unregelmäßigkeiten hinweisen. Ferner wurden seine Kontrollbefugnisse auf die Haushaltsmittel ausgeweitet, die von externen Organen und der Europäischen Investitionsbank verwaltet werden. Er darf jedoch keine Sanktionen verhängen.

    Als Maßstab für die Erteilung der Zuverlässigkeit hat der ERH für die Zahlungen aus dem EU-Haushalt eine sogenannte Fehlerquote entwickelt. Diese drückt‎ den Anteil der fehlerhaften Ausgaben an den Gesamtausgaben des jeweiligen Haushaltsjahres aus. Fehlerhaft bedeutet dabei, dass eine Ausgabe nicht mit einschlägigem EU-Recht vereinbar ist, worunter auch bloße Formalverstöße fallen. Deshalb ist die Fehlerquote nicht mit Betrug oder anderen deliktischen Verstößen gleichzusetzen. Ermittelt wird sie mittels Stichproben, deren Ergebnis hochgerechnet wird. Bei Überschreiten einer sogenannten Wesentlichkeitsschwelle von 2 Prozent versagt der ERH ein positives Prüfurteil zu den Ausgaben, d. h. dass laut Auffassung des ERH die Zahlungen zu viele Fehler ausweisen. Dieser Maßstab ist jedoch rechtlich nicht vorgegeben, sondern eine eigenständige Festlegung des ERH. Zudem betreffen die Stichproben bezogen auf den jeweiligen Ausgabenbereich nur eine Auswahl von Mitgliedstaaten. Entsprechend kann der ERH nur eine Fehlerquote zum gesamten EU-Haushalt ausweisen und keine Aussage zur Fehlerquote einzelner Mitgliedstaaten machen.

    Die Fehlerquote für die Ausgaben des Haushaltsjahres 2020 ist mit 2,7 Prozent gemessen am Vorjahr unverändert. Die Ursache für die Fehleranfälligkeit sieht der ERH insbesondere in den komplexen Vorschriften und Förderkriterien. Insgesamt positiv urteilt der ERH über die Einnahmen der EU sowie die Rechnungsführung der EU-Kommission. Die Entwicklung der Fehlerquote ist in Abbildung 1 dargestellt.

    Kursdiagramm: Geschätzte Fehlerquote (2016 bis 2020) BildVergroessern
    Abbildung 1

    Der Rat hat in seinen Empfehlungen an das Europäische Parlament zum Entlastungsverfahren für das Haushaltsjahr 2020 den ERH in seinen wesentlichen Aussagen unterstützt. So wird betont, dass das Finanzmanagement weiter zu verbessern und verstärkt auch die Wirkung des Mitteleinsatzes zu berücksichtigen ist. Andererseits werden die in vielen Bereichen kontinuierlich erzielten Fortschritte im Finanzmanagement gewürdigt. Das Europäische Parlament hat der EU-Kommission am 4. Mai 2022 die Entlastung für das Haushaltsjahr 2020 erteilt.

    Das Entlastungsverfahren
    oder Verfahren zur jährlichen Entlastung der EU-Kommission zur Ausführung des EU-Haushalts ist in Art. 319 AEUV verankert. Demnach erteilt das Europäische Parlament der EU-Kommission auf Empfehlung des Rates die Entlastung. Wesentliche Grundlagen hierfür sind neben dem Jahresbericht des ERH die von der EU-Kommission gemäß Art. 318 AEUV vorzulegenden Unterlagen. Dazu gehört insbesondere die Rechnungslegung, die Übersicht über das Vermögen und die Schulden der EU sowie ein Evaluierungsbericht zu den Finanzen der EU. Im Rahmen des Entlastungsverfahrens geben sowohl Rat als auch Europäisches Parlament eine Stellungnahme zu horizontalen und sektoralen Aspekten der Mittelbewirtschaftung ab. Die EU-Kommission ist dann aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen und alle zweckdienlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den einschlägigen Bemerkungen nachzukommen.

    Flankierende Maßnahmen

    Um die Mitgliedstaaten bei dem Aufbau funktionierender und effizienter Verwaltungs- und Kontrollsysteme zu unterstützen, können diese aus dem EU-Haushalt mitfinanzierte technische Hilfe in Anspruch nehmen. Auch im Rahmen des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021–2027 wurden speziell auf den Schutz der finanziellen Interessen der EU ausgerichtete Programme fortgeführt.

    Dazu gehört insbesondere das Betrugsbekämpfungsprogramm der EU, mit dem die Unterstützung des vorherigen Programms „Hercule“ fortgesetzt wird. Förderfähig sind insbesondere technische und operative Untersuchungsausrüstung sowie einschlägige Schulungs- und Forschungstätigkeiten zum Schutz der finanziellen Interessen der EU.

    Ein weiteres Programm des neuen Mehrjährigen Finanzrahmens ist das Programm „Pericles IV“, ein Aktionsprogramm zum Schutz des Euros gegen Geldfälschung. Das Programm dient der Vorbeugung und Bekämpfung von Geldfälschung bezogen auf Euro-Noten und Euro-Münzen sowie damit im Zusammenhang stehender Betrugsdelikte. Förderfähig sind Maßnahmen der technischen und administrativen Hilfe, Kosten für interne IT-Systeme eingeschlossen.

    Darüber hinaus ist es mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen 2021–2027 gelungen, in vielen Bereichen die Bestimmungen zu vereinfachen und damit die Anfälligkeiten für Fehler bei der Verwaltung und Kontrolle der Mittel zu verringern. Denn: Die Komplexität der Regelungen insbesondere im Bereich der Strukturpolitik ist nach wie vor eine der Hauptursachen für Fehler bei der Mittelvergabe.

    Dokumentation und Analyse

    Um einen kontinuierlichen Überblick über die Verwendung der EU-Mittel, aktuelle Entwicklungen von Fehlverhalten und Betrugsrisiken zu haben, ist ein hohes Maß an Transparenz notwendig. Die EU-Kommission erfüllt vielfältige Berichtspflichten, die den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament umfassend Auskunft über die Funktionsfähigkeit der Verwaltung der EU-Mittel und möglichen finanziellen Auswirkungen von Fehlfunktionen geben.

    Zentrale Informationsquelle für den Bereich der Betrugsbekämpfung ist der jährliche Bericht der EU-Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, der sogenannte PIF-Bericht („Protection des Intérêts Financiers“), der jeweils in der Jahresmitte veröffentlicht wird. Der Bericht dient als wichtiger Gradmesser für die aktuelle Entwicklung sowie künftige Risiken beim Schutz der finanziellen Interessen der EU und bei der Betrugsbekämpfung.

    Darin werden die von der EU-Kommission ergriffenen Maßnahmen zum Schutz der finanziellen Interessen der EU sowie Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Bekämpfung von Betrug und sonstigen gegen die finanziellen Interessen der EU gerichteten rechtswidrigen Handlungen erläutert und operative, statistische Analyseergebnisse über die von den Mitgliedstaaten gemeldeten Unregelmäßigkeiten dokumentiert.

    Zuletzt zog die EU-Kommission in ihrem Jahresbericht 2020 ein insgesamt positives Fazit zu den bisher ergriffenen sowie neu aufgebauten Maßnahmen zum Schutz der finanziellen Interessen der EU und zur Betrugsbekämpfung. Dies habe sich auch in den gemeldeten Unregelmäßigkeiten niedergeschlagen. Die EU-Kommission würdigt damit ebenfalls die kontinuierlichen Anstrengungen der Mitgliedstaaten.

    Die Entwicklung der Meldungen von Unregelmäßigkeiten bei den Ausgaben aus dem EU-Haushalt ist in Abbildung 2 dargestellt. Dabei wird auch deutlich, dass der Anteil an Betrugsverdachtsfällen nur einen kleinen Teil der gemeldeten Unregelmäßigkeiten darstellt. Dies kann als ein Indiz dafür gesehen werden, dass die Regelungen sehr komplex sind und damit in ihrer Anwendung fehleranfällig. Gleichzeitig zeigt die hohe Anzahl der Meldungen, dass die Verwaltungen derartige Fehler aufgreifen und damit finanziellen Schaden vom EU-Haushalt abwenden.

    Meldungen von Unregelmäßigkeiten bei den Ausgaben des EU-Haushalts (Fallzahlen)
    Das Diagramm zeigt anhand gestapelter Säulen die Meldungen von Unregelmäßigkeiten bei den Ausgaben des EU-Haushalts (Fallzahlen) in den Jahren 2013 bis 2020. Es sind also insgesamt 8 Säulen zu sehen. Im unteren Segment der Säulen sind jeweils die Unregelmäßigkeiten dargestellt, im oberen Segment die Betrugsverdachtsfälle.Datenwerte (von links nach rechts):2013: Unregelmäßigkeiten: 7.798, Betrugsverdachtsfälle: 9452014: Unregelmäßigkeiten: 8.499, Betrugsverdachtsfälle: 8482015: Unregelmäßigkeiten: 14.747, Betrugsverdachtsfälle: 8272016: Unregelmäßigkeiten: 11.557, Betrugsverdachtsfälle: 8262017: Unregelmäßigkeiten: 8.211, Betrugsverdachtsfälle: 6232018: Unregelmäßigkeiten: 4.714, Betrugsverdachtsfälle: 6152019: Unregelmäßigkeiten: 4.338, Betrugsverdachtsfälle: 4152020: Unregelmäßigkeiten: 5.371, Betrugsverdachtsfälle: 540Quelle: PIF-Berichte der EU-Kommission
    Quelle: PIF-Berichte der EU-Kommission
    JahrBetrugsverdachtsfälleUnregelmäßigkeiten
    20139457798
    20148488499
    201582714747
    201682611557
    20176238211
    20186154714
    20194154338
    20205405371
    Abbildung 2

    Neue Herausforderungen

    Bei der Prävention, Aufdeckung und Nachverfolgung von Betrug und Unregelmäßigkeiten sind insbesondere folgende neue Entwicklungen zu berücksichtigen: Der Mehrjährige Finanzrahmen 2021–2027 hat zum einen eine veränderte Ausgabenstruktur. Die im Vergleich zum Mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 deutlich gestiegenen Mittel haben einen größeren Schwerpunkt auf den grünen und digitalen Wandel erhalten.

    Darüber läuft die Umsetzung des zusammen mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen geschaffenen Aufbauinstruments „NextGenerationEU“. Neu ist, dass die Finanzierung nicht unmittelbar durch Beiträge der Mitgliedstaaten erfolgt, sondern die EU-Kommission zeitlich und der Höhe nach begrenzt ermächtigt ist, im Namen der EU Anleihen an den Kapitalmärkten zu begeben.

    Zudem wurde mit dem größten Ausgabenblock dieses Instruments, der Aufbau- und Resilienzfazilität (Recovery and Resilience Facility, RRF) in Höhe von 672,5 Mrd. Euro ein leistungsbasierter Ansatz gewährt: Um Mittel aus der RRF zu erhalten, muss jeder EU-Mitgliedstaat einen Aufbau- und Resilienzplan (ARP) mit einem kohärenten Paket aus Reformen und Investitionen mit quantifizierbaren Zielen und Meilensteinen vorlegen. Diese Pläne werden im ECOFIN-Rat angenommen. Die Reformen und Investitionen dienen der Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der COVID-19-Pandemie und sollen im Zuge dessen langfristig das Wachstumspotenzial sowie die Widerstandsfähigkeit der EU-Volkswirtschaften stärken. Die Überwachung der Umsetzung der ARP liegt bei der EU-Kommission. Erst nach einer positiven Bewertung der Umsetzung der Meilensteine und Ziele werden die vereinbarten Tranchen freigegeben. Um den Schutz der finanziellen Interessen der EU zu sichern, müssen die Mitgliedstaaten für die Umsetzung ihrer ARP außerdem den Nachweis für ein funktionierendes Kontroll- und Überwachungssystem liefern.

    Eine weitere Herausforderung auch aus Sicht der Finanzkontrolle stellen die europäischen Hilfsmaßnahmen als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine dar. Für die bereits aus dem EU-Haushalt gewährten Maßnahmen gelten die bestehenden Regeln der Finanzkontrolle. Auch bei den Überlegungen zu einer finanziellen Beteiligung des EU-Haushalts am Wiederaufbau der Ukraine müssen Fragen der Finanzkontrolle und der Schutz der finanziellen Interessen der EU eine Rolle spielen. So haben die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs bei ihrer Sondersitzung am 30./31. Mai 2022 eine Unterstützung der EU auch an Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung geknüpft.

    Für die Prüfungstätigkeit des ERH, der EU-Kommission sowie des OLAF und der EUStA dürften diese neuen Entwicklungen für die jeweiligen Aufgaben neue Ansätze und Schwerpunkte bedeuten.

    Fazit

    Insgesamt sind die EU und ihre Mitgliedstaaten insbesondere durch die jüngsten Anpassungen des Rechtsrahmens und die Arbeitsaufnahme der EUStA gut auf die anstehenden Herausforderungen vorbereitet.

    Das BMF wird auch in Zukunft bestrebt sein, den engen Austausch mit den EU-Behörden weiter zu pflegen und sich aktiv an den Diskussionen auf europäischer und nationaler Ebene beteiligen, um die ständige Weiterentwicklung und Stärkung der Verwaltung und Kontrolle zum Schutz der finanziellen Interessen der EU zu unterstützen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des zunehmenden Potenzials der Digitalisierung. Bezogen auf den bestehenden Rechtsrahmen wird sich das BMF weiter dafür einsetzen, dass das Potenzial der Regelungen genutzt wird, um die Ausgaben und Einnahmen des EU-Haushalts vor Unregelmäßigkeiten und Betrug zu schützen und widerrechtlich verausgabte Mittel wieder einzuziehen.

    Bei künftigen Rechtsetzungsvorhaben wird zu prüfen sein, wo es Ansätze gibt, um die Umsetzung und Überwachung des EU-Regelwerks weiter zu verbessern. Dazu kann auch die neue Entwicklung beitragen, dass künftig die Wirkung von EU-Mitteln stärker in den Fokus rückt. Neben einem wirksameren Mitteleinsatz kann sich daraus ebenfalls Verbesserungspotenzial für die Verwaltung und Kontrolle ableiten. Daher sind die EU-Kommission und der ERH darin zu bestärken, ihre bisherigen Analysearbeiten hierzu fortzusetzen.

    Fußnoten

    1
    Verordnung (EU) Nr. 2017/1939 vom 12. Oktober 2017; Amtsblatt der Europäischen Union L 283/2017 (PDF, 1,3 MB)
    2
    Verordnung (EU, Euratom) 2020/2223 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Dezember 2020; Amtsblatt der Europäischen Union L 437/2020 (PDF, 695 KB)
    3
    Verordnung (EU, Euratom) 2020/2092 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2020; Amtsblatt der Europäischen Union L 433/2020 (PDF, 195 KB)
    4
    Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018; Amtsblatt der Europäischen Union L 193/2018 (PDF, 2,5 MB)
    5
    Bremen, Hamburg und Niedersachsen haben eine gemeinsame Zahlstelle.

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