- Der Wissenschaftliche Beirat hat die aktuelle Reformdebatte zum Anlass genommen, verschiedene Möglichkeiten des Aufbaus eines Kapitalstocks für die Altersvorsorge zu beleuchten.
- Gutachten und Stellungnahmen des unabhängigen Wissenschaftlichen Beirats sind als Beitrag zum allgemeinen Diskurs zu verstehen und geben nicht notwendigerweise die Meinung des BMF wieder.
- Im folgenden Artikel wird die Kurzfassung einer Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats wiedergegeben. Die vollständige Fassung wurde auf der Website des BMF veröffentlicht.1
Einleitung
Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen hat sich in einer Stellungnahme mit der Frage auseinandergesetzt, wie ein neuer Anlauf bei der kapitalgedeckten Rente zu gestalten ist. Der Beirat kommt dabei zu folgenden Ergebnissen:
- Es gibt gute Gründe, das gegenwärtige System der freiwilligen Riester-Rente zu reformieren. Einige Argumente sprechen für verpflichtende Beiträge zu einem kapitalgedeckten System. Für den Erfolg einer solchen Reform wäre die institutionelle Ausgestaltung und die Governance der Fondsmittel entscheidend.
- Der Staat könnte hierfür als Standard ein breit gestreutes Anlageprodukt mit sehr niedrigen Verwaltungskosten anbieten, das den Grundsätzen der modernen Portfoliotheorie folgt. Sinnvoll wäre zudem eine Möglichkeit des Opt-out in zertifizierte, ähnlich breit gestreute private Anlageprodukte.
- In der wissenschaftlichen Debatte hat sich noch kein hinreichender Konsens herausgebildet, um eine Empfehlung auszusprechen, das kapitalgedeckte System durch eine mit den Fiskalregeln kompatible öffentliche Schuldenfinanzierung auszubauen.
Ein besonders wichtiger Punkt im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ist die Frage nach der künftigen Gestaltung der Altersvorsorge im Zusammenspiel von gesetzlicher Rente, Betriebsrenten und privater Vorsorge. Damit verbindet sich die übergeordnete Frage, ob und wie der langfristige Vermögensaufbau breiter Bevölkerungsschichten systematisch vorangebracht werden soll. Das Thema steht daher unter dem Stichwort der Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung oder Aktienrente mit hoher Priorität auf der Agenda für die kommenden Jahre.
Gegenwärtige Reformdebatte
Nahezu alle Parteien haben sich zum Ziel gesetzt, sowohl auskömmliche Renten zu sichern als auch eine Überforderung der Beitragszahlerinnen und -zahler zu vermeiden. Bisher wurde hierfür der Ansatz der doppelten Haltelinie gewählt, der im Koalitionsvertrag zumindest für diese Legislaturperiode fortgeschrieben wurde: Demnach soll der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht über 20 Prozent steigen und das Rentenniveau soll gleichzeitig in Relation zu den Löhnen nicht unter 48 Prozent fallen können. Angesichts des demografischen Wandels und hier besonders der weiterhin steigenden Lebenserwartung kann diese politische Festlegung nur über einen stetig steigenden Zuschuss des Staates finanziert werden. Simulationsrechnungen zeigen, dass im Jahre 2050 nahezu 60 Prozent des Bundeshaushalts für Überweisungen an die Rentenkassen aufgewendet werden müssen. Die Politik der doppelten Haltelinie dürfte sich daher auf Dauer nicht durchhalten lassen.
Auskömmliche Alterseinkünfte lassen sich auch dadurch absichern, dass breiten Teilen der Bevölkerung zusätzliche Erträge aus Elementen der Kapitaldeckung zufließen. Der Koalitionsvertrag strebt eine umfassende Reform der privaten Altersvorsorge an. Dazu sollen die bisher vielfach als zu kompliziert wahrgenommenen Riester-Renten durch ein standardisiertes, einfaches Altersvorsorgeprodukt ersetzt werden können. Die Einfachheit eines solchen Angebots wird als zentraler Faktor für seine Marktakzeptanz betrachtet. Darüber hinaus soll im Jahr 2022 die Rentenversicherung in einem ersten Schritt einen Kapitalstock von 10 Mrd. Euro erhalten, der von einer öffentlichen Stelle unabhängig verwaltet werden soll. Das gegenwärtige Umlagesystem würde sich langfristig umso geringerem Druck zur Anpassung ausgesetzt sehen, je stärker nachhaltig renditeträchtige, kapitalgestützte Elemente Einkünfte im Alter generieren.
Ein häufig diskutiertes Reformmodell ist die Ausgestaltung der Altersvorsorge in Anlehnung an das Modell Schwedens. Dort müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer neben ihrem Beitrag zu einer umlagefinanzierten Rentenversicherung (derzeit 16 Prozent) als Anlegerinnen und Anleger einen weiteren Beitrag (derzeit 2,5 Prozent) in Kapitalmarktfonds investieren. Anders als bei der Riester-Rente in Deutschland ist die Anlage in einen Kapitalmarktfonds hier verpflichtend. Dabei stehen den Anlegern unterschiedliche Fonds zur Auswahl. Als Standard gibt es einen staatlichen Aktienfonds, der von den meisten Anlegern gewählt wird. Dieser Fonds zeichnet sich durch geringe Kosten und eine über die vergangenen Jahre signifikante Rendite aus.
Ökonomische Begründungen einer staatlichen Intervention in Form des Aufbaus eines Kapitalstocks
Der Aufbau einer kapitalgedeckten Altersvorsorge kann die Probleme, die eine sinkende Anzahl an Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern und längere Rentenbezugsdauern für die umlagefinanzierte Rente mit sich bringt, nicht aus der Welt schaffen. Die Kapitaldeckung kann aber zusätzliche Alterseinkünfte hervorbringen und so die umlagefinanzierte Rente, die in den kommenden Jahrzehnten demografiebedingt langsamer wachsen wird als der allgemeine Wohlstand, ergänzen.
Die Bildung eines staatlichen Kapitalstocks in Höhe von zunächst 10 Mrd. Euro zur Investition in Kapitalmärkte, die Verpflichtung der erwerbstätigen Bevölkerung zur Ersparnisbildung oder die Schaffung eines öffentlich verantworteten Fonds mit einem Standardprodukt werfen die Frage nach der ökonomischen Rechtfertigung solcher staatlichen Interventionen auf. Grundsätzlich könnte der Staat diese Entscheidungen jedem Einzelnen überlassen und darauf setzen, dass die privaten Haushalte auch ohne staatliche Eingriffe Ersparnisse bilden, damit sie über hinreichende Alterseinkommen verfügen. Es gibt aber verschiedene Gründe, die staatliche Interventionen rechtfertigen könnten.
Häufig werden fehlende Kenntnisse über Finanzmärkte und Anlageformen in Teilen der Bevölkerung als Argument für den Staatseingriff genannt. Allerdings wäre dann weder die Schaffung eines Kapitalstocks noch ein staatlich verwalteter Fonds das erste Mittel der Wahl. Der Staat könnte durch Bereitstellung von Informationen das Defizit beheben. Studien dazu, ob und wie solche Interventionen tatsächlich das Spar- und Anlageverhalten von Erwachsenen ändern, kommen allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen. Ein wichtiger Faktor ist die Vermeidung von Komplexität bei der Bereitstellung von finanziellen Informationen und Handlungsregeln; einfache Schulungsprogramme und Daumenregeln erhöhen die Wirksamkeit der Informationsbereitstellung gegenüber umfassenderen, komplexeren Ansätzen. Komplementär zu einer erhöhten Finanzmarktkompetenz der Bevölkerung wirken Produktstandards, welche die Orientierung im komplexen und vielschichtigen Anlagemarkt erleichtern.
Selbst wenn die Bevölkerung vollumfänglich über die Chancen und Risiken von Kapitalmärkten informiert wäre, könnte eine Rechtfertigung für eine staatliche Intervention in der Liquiditätsbeschränkung bei Investitionen am Kapitalmarkt liegen. Ein Haus lässt sich auf Kredit kaufen; dieser Kredit wird dann mit den späteren (Arbeits-)Einkommen getilgt. Vergleichbares ist bei Anlagen am Kapitalmarkt in der Regel nicht möglich, da Finanzinstitutionen finanzielle Vermögenswerte nicht im selben Umfang wie Immobilien als Sicherheiten für Kredite akzeptieren. Wenn der Staat einen Fonds bereitstellt und sich die dafür benötigten Mittel später über Steuern zurückholt, ersetzt er gleichsam diesen fehlenden Kreditmarkt. Studien zeigen, dass die Partizipation am Kapitalmarkt in Deutschland wie in anderen Ländern positiv korreliert mit Vermögen. Verschiedene empirische Studien zeigen zudem, dass wohlhabende Anleger deutlich höhere Renditen als weniger wohlhabende erzielen. Besonders die über die vergangenen Jahre zu verzeichnenden signifikanten Aktienrenditen und eine gleichzeitig weitgehend ausbleibende Verzinsung bei Sicht- und Spareinlagen können damit zu einer Vergrößerung der Vermögensungleichheit führen, welcher der Staat ein Angebot für die nicht am Kapitalmarkt investierten Bevölkerungsschichten entgegnen möchte.
Ein dritter Grund für einen regulierenden Eingriff des Staates und die Einführung einer verpflichtenden Teilnahme kann die Überwindung eines Samariter-Dilemmas sein. Denn diejenigen, die – wegen geringer gesetzlicher und betrieblicher Renten – am stärksten vorsorgen sollten, haben die geringsten Anreize zur Teilnahme, weil der Staat niedrige Alterseinkünfte aus sozialpolitischen Gründen aufstockt. Durch eine Sparpflicht kann sich der Staat aus dem Dilemma befreien, auch denen zu helfen, welche die Möglichkeit zur Vorsorge aus freien Stücken ungenutzt gelassen haben. Der Druck auf die Politik, auch höhere Renten in Relation zu den Löhnen nicht absinken zu lassen, ist gewaltig. Da die Haushalte diese Haltung des Staates vorhersehen, sind die Anreize, selbst vorzusorgen, ineffizient niedrig. Mit einer verpflichtenden Teilnahme hätte es rund 40 Millionen Riester-Sparerinnen und -Sparer und nicht nur die heutigen 16,5 Millionen gegeben. Um das Samariter-Dilemma zu überwinden, muss der Staat indes keinen allgemein verpflichtenden, eigenen Fonds auflegen, sondern die Sparpflicht nur für diejenigen durchsetzen, die nicht aus anderen Quellen ein Mindestniveau an Alterseinkünften erreichen. Dabei geht es vor allem um Gruppen mit niedrigen Einkommen.
Fehlende Kenntnisse über Finanzmärkte und Anlageformen, eine mögliche Kreditbeschränkung sowie das Samariter-Dilemma sind plausible Gründe für effizienzsteigernde Eingriffe des Staates. Die genaue Art des jeweils erforderlichen Eingriffs ist jedoch sehr unterschiedlich. Da es nicht offensichtlich ist, welche Fehlstellung die Regierung primär adressieren will, geht dieser Beitrag von dem politischen Willen zu einer Reform der Riester-Rente, der Etablierung einer kapitalgedeckten Rente in der breiten Bevölkerung, aus, und konzentriert sich auf die mögliche Ausgestaltung. Unstrittig dürfte sein, dass bislang spezielle Gruppen mit Partikularinteressen eine effizientere Anlage von Mitteln an Kapitalmärkten verhindern. Die Unzufriedenheit mit der bestehenden Ausgestaltung der Riester-Rente reicht unter den potenziellen Nachfragerinnen und Nachfragern weit. Diese wird einhellig als zu kompliziert und intransparent beschrieben. Trotz einer substanziellen staatlichen Förderung fallen die Renditen für die Berechtigten sehr niedrig aus. Finanzdienstleistern und ihren Provisionen wird eine wesentliche Rolle an diesem Befund zugeschrieben. Die Komplexität und die geringe Rendite führen dazu, dass die ursprünglichen Erwartungen zur Anzahl der abgeschlossenen Verträge deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind.
Orientierung in der gegenwärtigen Diskussion
Ausgestaltung einer kapitalgedeckten Alterssicherung
Die Erfahrungen mit der Riester-Rente zeigen, dass das Fehlen einer verpflichtenden Teilnahme dazu geführt hat, dass weniger als die Hälfte der infrage kommenden Anleger tatsächlich einen Vertrag abgeschlossen haben. Kritiker einer verpflichtenden Teilnahme wenden ein, dass man Anleger nicht in einen Vertrag zwängen solle, der am Ende eine deutlich schlechtere Entwicklung als alternative Anlageprodukte aufweise, in die sie freiwillig investieren könnten.
Bei einer Verpflichtung zur Teilnahme sollte daher garantiert werden, dass die veranlagten Mittel nach den Grundsätzen und Erkenntnissen der modernen Portfoliotheorie investiert werden. Eine wichtige Determinante für die Mischung aus Risiko und Ertrag der veranlagten Mittel ist die Entscheidung darüber, ob die Beiträge der Anleger einer Beitragsgarantie unterliegen. Diese Garantie vonseiten der privaten Anbieter ist zentraler Bestandteil der Riester-Rente und umfasst die geleisteten Beiträge sowie die Zulage, sie gilt hingegen nicht für das schwedische Modell. Eine Beitragsgarantie schützt die Anleger vor den Schwankungen des Kapitalmarkts, insbesondere vor signifikanten Kursverlusten. Auch wenn diese Beitragsgarantie auf den ersten Blick wünschenswert erscheinen mag, weist sie mehrere gravierende Nachteile auf. Das Festhalten an der Beitragsgarantie verkennt die langfristige Perspektive bei der Vermögensbildung für das Rentenalter. Hierbei handelt es sich um Investitionsphasen von mehreren Jahrzehnten, für die die empirische Kapitalmarktforschung für die Vergangenheit zwar mitunter große Schwankungen, aber fast durchgehend höhere Renditen bei Investitionen in Aktien über diejenigen in Staatsanleihen und andere Schuldverschreibungen dokumentiert. Die Beitragsgarantie weist in der Extrapolation der Erfahrungen aus der Vergangenheit also erhebliche Opportunitätskosten auf, gerade über lange Zeiträume. In der Gesamtbetrachtung spricht sich daher der Beirat dafür aus, dass es bei einer verpflichtenden Teilnahme in der zukünftigen Ausgestaltung der kapitalgedeckten Rente keine Beitragsgarantie mehr geben soll.
Eine weitere für die Ausgestaltung wichtige Frage ist, wie das angesparte Kapital mit dem Eintritt in das Rentenalter ausgezahlt werden sollte. Die Ersparnisse könnten mit dem Eintritt in das Rentenalter in einer Summe ausgezahlt werden, oder sie könnten den Anlegern in monatlichen Raten als Annuität zufließen. Eine Auszahlung als Gesamtsumme birgt zum einen das Risiko, dass das angesparte Vermögen unmittelbar nach Renteneintritt verkonsumiert oder verschenkt wird. Wenn die sonstigen Einkünfte gering sind, könnten staatliche Leistungen notwendig werden und erneut zum Samariter-Dilemma führen. Zum anderen ist bei einer Auszahlung in einer Summe das Risiko der Langlebigkeit nicht versichert. Vorzusehen, dass die Versicherten individuell entscheiden können, ob ihr Kapital in Annuitäten umgewandelt wird, ist wegen des Problems adverser Selektion problematisch. Eine Umwandlung in eine Annuität ist vor allem für Menschen attraktiv, die eine hohe Lebenserwartung haben. Im Annuitätenmarkt ist das Problem der adversen Selektion empirisch gut dokumentiert. Falls der oder die Einzelne besser über die eigene Lebenserwartung informiert ist als die Versicherer, werden sich Letztere bei der Kalkulation an Personen mit besonders hoher Lebenserwartung orientieren. Für einen großen Teil der Bevölkerung sind die Bedingungen für die Annuitäten unattraktiv. Dieses adverse Selektionsproblem spricht dafür, eine verpflichtende Umwandlung in Annuitäten bei Renteneintritt für alle vorzusehen.
Die Ausgestaltung der Auszahlung hat auch Implikationen für die Frage, ob die Bürgerinnen und Bürger neben dem Pflichtbeitrag freiwillige, zusätzliche Einzahlungen in den Fonds („topping-up“) leisten können. Wenn man wegen des Problems der adversen Selektion eine für alle einheitliche Annuitätenlösung wählt, kann man keine Zuzahlungen über das verpflichtende Maß hinaus gestatten. Denn sonst würden diejenigen mit besonders langer Lebensdauer besonders viel einzahlen und aus den Pflichtbeiträgen der Zahlerinnen und Zahler mit kürzerer Lebenserwartung quersubventioniert werden. Das adverse Selektionsproblem träte über die Zusatzbeiträge durch die Hintertür wieder auf. Wird hingegen das angesparte Vermögen in einer Summe ausgezahlt, können die Bürgerinnen und Bürger nach Belieben zusätzliche Einzahlungen leisten.
Will der Staat mit der Fondslösung die Langlebigkeit absichern und sich selbst aus dem Samariter-Dilemma befreien, dann ist ein Pflichtbeitrag für alle sowie eine verpflichtende Umwandlung in Annuitäten die geeignete Lösung. Steht hingegen das Ziel des langfristigen Vermögensaufbaus in der Bevölkerung (z. B. wegen der genannten Kreditrationierung) im Vordergrund, kommt auch eine freiwillige Lösung infrage: eine flexible Wahl der Beitragshöhe und eine Auszahlung des akkumulierten Vermögens bei Renteneintritt. Teile dieses Vermögens könnten dann auch an die Hinterbliebenen vererbt werden.
Governance
Die Attraktivität eines standardisierten Anlageprodukts hängt wesentlich von der Ausgestaltung der Governance ab. Diese umfasst insbesondere die Fragen, wer die veranlagten Mittel verwaltet, wer an den Kapitalmärkten investiert und wie der Fonds institutionell abgesichert werden kann, sodass die angesparten Mittel nicht zweckendfremdet werden können. Ein Kapitalmarktfonds kann im Grundsatz sowohl von privaten Finanzdienstleistern als auch vom Staat angeboten werden. Der Vorteil eines staatlichen Fonds besteht darin, dass Sorgen zerstreut werden, Anleger würden bei der Anlage übervorteilt oder wären von einem Zahlungsausfall betroffen. Umgekehrt besteht bei einem staatlichen Fonds das Risiko, dass dieser für vorsorgefremde politische Ziele instrumentalisiert wird.
Grundsätzlich sind verschiedene Möglichkeiten der Ausgestaltung denkbar: Der Staat könnte ausschließlich private Anbieter mit der Vermögensverwaltung beauftragen und ihnen transparente Regeln setzen, innerhalb derer sie die Verwaltung durchführen könnten. Der Staat könnte auch selbst als Vermögensverwalter auftreten, den Anlegern aber die Möglichkeit lassen, auf private Verwalter auszuweichen (Opt-out). Schließlich könnte der Staat als alleiniger Anbieter auftreten, also keine privaten Anbieter zulassen. Der Beirat spricht sich dafür aus, dass die Verwaltung des Anlagevermögens, dem schwedischen Vorbild folgend, sowohl von einem staatlichen Anbieter als auch von regulierten, privaten Anbietern durchgeführt werden sollte (Opt-out). Gleichzeitig betont der Beirat, dass der Verfolgung politischer Interessen bei der Gestaltung des Portfolios enge Grenzen gesetzt sein müssen. Im Zentrum muss das Interesse der Anleger an einem verlässlichen Vermögensaufbau stehen (Unabhängigkeit der staatlichen Vermögensverwaltung).
In diesem Zusammenhang ist die Frage des Vertrauens von besonderer Bedeutung. Dies betrifft zum einen den Umgang mit den existierenden 16,5 Millionen Verträgen der Riester-Rente. Bestehende Zusagen dürfen durch eine Neuregelung nicht tangiert werden. Zum anderen setzt die Überwindung der im internationalen Vergleich zurückhaltenden Partizipation der Bevölkerung in Deutschland an Kapitalmärkten voraus, dass es einen hohen Grad von Vertrauen in die neu angebotenen Fonds und in die Funktionsweise der Kapitalmärkte geben muss. Unabhängig von der institutionellen Ausgestaltung des Fonds selbst müsste gewährleistet sein, dass Kapitalmärkte und Aufsicht in Deutschland weiter gestärkt werden, um die Mittel effizient und mit langfristig attraktiven Renditechancen anlegen zu können. Die negativen Erfahrungen aus dem Platzen der Dotcom-Blase, mit dubiosen Anbietern in Graubereichen des Kapitalmarkts und mit dem Wirecard-Fall, weisen auf Defizite bei der Kapitalmarktregulierung hin.
Finanzierung, staatliche Förderung und Staatsverschuldung
Vielfach wird auch gefordert, das Programm zum Vermögensaufbau durch staatliche Zuschüsse zu fördern. Durch eine Schuldenfinanzierung könnte der Vermögensaufbau deutlich beschleunigt werden. Deutsche Staatsanleihen erfreuen sich großer Beliebtheit bei in- und ausländischen Investoren. Diese sind bereit, geringe oder sogar negative Renditen in Kauf zu nehmen, um die mit deutschen Staatsanleihen verbundenen Vorteile einer liquiden und sicheren Anlage in Anspruch nehmen zu können. Während die Finanzierungskosten durch den derzeit niedrigen Zinssatz auf staatliche Schuldtitel bestimmt sind, entspricht der erwartete Ertrag der Anlagen des Staatsfonds der höheren Rendite privater Investitionen. Volkswirtschaftlich gesehen reflektiert die daraus resultierende Möglichkeit zur Erzielung einer Rendite durch den Staatsfonds die Imperfektionen des Kapitalmarkts, z. B. in der Form von Liquiditätsprämien für Staatsanleihen und anderen mit Staatsanleihen verbundenen Vorteilen, wie die regulatorische Sonderbehandlung von Staatsanleihen. Im Ergebnis liegt die Grenzproduktivität des in der Volkswirtschaft eingesetzten Kapitals auch im Kapitalmarktgleichgewicht über dem Zinssatz auf Staatsanleihen. Eine deutliche Ausweitung der Staatsverschuldung dürfte diese Renditedifferenz zwar verringern, gleichwohl besteht die Möglichkeit, durch staatliche Verschuldung eine Anschubfinanzierung für private Altersvorsorgekonten in Deutschland zu leisten, die das private Vermögen über die staatliche Verschuldung hinaus vergrößert.
Eine Möglichkeit, diese Renditedifferenz auszunutzen, besteht darin, Altersvorsorgekonten für jeden Erwerbstätigen einzurichten. Diese Konten werden durch eine einmalige staatliche Einlage bei Eintritt in die Erwerbstätigkeit und durch laufende Eigenbeiträge während des Erwerbslebens befüllt. Über einen langfristigen Investitionshorizont bis zum Eintritt in das Rentenalter können dann die Möglichkeiten einer breit diversifizierten Anlage im Kapitalmarkt genutzt werden. Beim Renteneintritt würde die zu Beginn des Erwerbslebens bereitgestellte staatliche Finanzierung zurückgezahlt. Die Differenz zwischen den über die Jahrzehnte erzielten Erträgen aus dem Kapitalmarkt und dem Zinsdienst für die hier ausgegebenen Staatsanleihen verbliebe neben den eigenen Beiträgen als Vermögensbestand und könnte für eine Erhöhung der Altersbezüge genutzt werden.
Aus finanzwissenschaftlicher Sicht wäre eine Verschuldung zum Erwerb von Wertpapieren anders und zwar weniger kritisch als die reguläre Staatsverschuldung zu betrachten. Es müsste allerdings sichergestellt sein, dass diese Art der Verschuldung nicht für andere politische Zwecke und als Aushebelung bestehender Schuldenregeln missbraucht werden könnte, sondern allein für das Ziel des Vermögenaufbaus der Bürgerinnen und Bürger im Alter genutzt würde.
Beispielrechnungen zur Quantifizierung möglicher Effekte hängen maßgeblich von den Annahmen zu kritischen volkswirtschaftlichen Größen ab. Wenn man zum Beispiel eine Staatsverschuldung von 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Vermögensbildung, eine über den Zeitablauf konstante Renditedifferenz von 2,5 Prozentpunkten zwischen den Kosten für die Staatsanleihen und den Renditen für den am Kapitalmarkt investierten Fonds sowie ein nominales Wachstum von 2,6 Prozent annimmt, kann der Fonds langfristig, d. h. über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten, ein Vermögen von etwa 75 Prozent des jährlichen BIP aufbauen. Bei einer Renditedifferenz von circa 3 Prozentpunkten würde das Anlagevolumen des Fonds sogar auf knapp 90 Prozent des BIP anwachsen. In diesem Fall würde die Altersrente um 275 Euro oder 18 Prozent höher ausfallen als in der bisherigen Alterssicherung, bei einer Renditedifferenz von zwei Prozentpunkten wäre es immerhin noch eine Erhöhung um 120 Euro oder 8 Prozent.2
Bei Nutzung staatlicher Verschuldung zum Aufbau eines Vermögensbestands sind im Rahmen der Fiskalregeln enge Vorgaben zu beachten. Im Rahmen der Schuldenbremse wäre für eine Finanzierung durch Verschuldung erforderlich, dass ausreichende Spielräume bestehen beziehungsweise dass der Verschuldung ein Erwerb von Vermögensansprüchen gegenübersteht. Allerdings sind auch die Grenzen für die Verschuldung im Rahmen der europäischen Fiskalregeln zu beachten. Aufgrund der erheblichen Ausweitung der öffentlichen Verschuldung seit dem Jahr 2020 dürften die Spielräume indes zuletzt deutlich gesunken sein.
Die genannten Punkte zeigen die großen Chancen, die mit einer umfassenden Reform der Riester-Rente verbunden sind. Diese Reform könnte mit einer schuldenfinanzierten staatlichen Förderung sogar deutlich über das schwedische Modell hinausgehen. Die Diskussion zeigt aber auch, dass gerade die Schuldenfinanzierung weitreichende Fragen aufwirft und über einige der makroökonomischen Risiken noch kein wissenschaftlicher Konsens besteht. Die Möglichkeiten für die Einrichtung eines staatlichen Fonds und die damit verbundenen Risiken sollten sorgfältig abgewogen werden, bevor eine Entscheidung getroffen wird.
Fazit
Der Beirat ermutigt die Politik, die anstehenden Gespräche zur Reform der Altersvorsorge als Chance für langfristige Weichenstellungen in Deutschland wahrzunehmen. Die sozialen Alterssicherungssysteme müssen zukunftssicher gestaltet werden, was durch den Vermögensaufbau der Bürgerinnen und Bürger über den Kapitalmarkt erheblich erleichtert wird. Die Möglichkeit einer langfristig orientierten und breit diversifizierten Anlage in die Kapitalmärkte bieten zusätzliche Möglichkeiten der Alterssicherung. Der Beirat empfiehlt die folgenden konkreten Punkte: Es gibt gute Gründe, das gegenwärtige System der freiwilligen Riester-Rente zu reformieren und in Richtung eines verpflichtenden Beitrags zu einem kapitalgedeckten System zu entwickeln. Der Staat kann dazu ein breit gestreutes Anlageprodukt anbieten, das in seinen Anlagen den Grundsätzen der modernen Portfoliotheorie folgt. Diese Grundsätze beinhalten vor allem einen Schutz gegenüber politischem Einfluss, z. B. durch die Schaffung oder Nutzung einer entsprechend abgesicherten Institution. Es sollte die Möglichkeit des Opt-out in eine begrenzte Zahl von zertifizierten, ähnlich breit gestreuten Anlageprodukten geben, die transparent ihre Gebühren ausweisen. Der über die Anlagedauer akkumulierte Wert des Vermögensbestands sollte wegen des Samariter-Dilemmas bei Eintritt in den Ruhestand verrentet werden. Falls die Annuitäten in Abhängigkeit von der individuellen Lebenserwartung differenziert werden können, sind freiwillige Zusatzbeiträge in den Fonds möglich („topping-up“). Wenn die Beitragszahlerinnen und -zahler jedoch über deutlich bessere Einschätzungen der eigenen Lebenserwartung verfügen als die verrentende Gesellschaft oder wenn eine Differenzierung der Annuitäten (z. B. zwischen Männern und Frauen) politisch nicht erwünscht ist, muss auf freiwillige Zusatzbeiträge verzichtet werden. Zu prüfen ist, ob das kapitalgedeckte System durch eine mit den Fiskalregeln kompatible öffentliche Schuldenfinanzierung ausgebaut werden sollte. Aus Sicht des Beirats hat sich in der wissenschaftlichen Debatte noch kein abschließender Konsens herausgebildet, um eine klare Empfehlung zugunsten einer schuldenfinanzierten Rentenkomponente abzugeben.
Fußnoten
- 1
- Stellungnahme „Kapitalgedeckte Rente: Ein neuer Anlauf?“
- 2
- Der Beirat dankt dem Kollegen Christian Bayer von der Universität Bonn für die Berechnungen und deren bereitwillige Überlassung.