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  • Blick von außen – Der ökonomische Gastbeitrag

    Zei­ten­wen­de in der Wirt­schafts- und Fi­nanz­po­li­tik

    Porträtfoto von Prof. Dr. Dr. h. c. Lars P. Feld

    Prof. Dr. Dr. h. c. Lars P. Feld ist Persönlicher Beauftragter des Bundesministers der Finanzen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen.

    Er hat seit 2010 den Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg inne und ist Direktor des Walter Eucken Instituts. Seine Forschungsschwerpunkte sind Wirtschaftspolitik, Finanzwissenschaft, Neue Politische Ökonomie und Ökonomische Analyse des Rechts.

    Der Gastbeitrag von Lars P. Feld für diesen BMF-Monatsbericht ist als Blick von außen und als Beitrag zum allgemeinen Diskurs zu verstehen; er gibt nicht notwendigerweise die Meinung des BMF wieder.

    Einleitung

    Die Weltordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte, ist zusammengebrochen. Spätestens seit dem Helsinki-Prozess Mitte der 1970er-Jahre bewegte sich die Welt – trotz wiederkehrender bewaffneter Konflikte, nicht zuletzt im Nahen und Mittleren Osten – in Richtung einer friedlichen Koexistenz von Staaten, gekennzeichnet durch Zusammenarbeit, Abrüstung und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs durch einen Liberalisierungs- und Demokratisierungsschub. Der Prozess der Globalisierung war die Begleitmusik dieses zunehmend friedlichen Zusammenlebens der internationalen Gemeinschaft.

    Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt den traurigen Höhepunkt der Abwicklung dieser Weltordnung dar. Die im Zuge des Helsinki-Prozesses geschlossenen Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträge haben ihre Gültigkeit schon seit längerem verloren. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ist derzeit ohne Einfluss auf die Konflikte mit Russland. Die Beziehungen zu China sind zu einer immer größeren Herausforderung geworden, ohne dass China in ähnliche diplomatische Prozesse eingebunden ist, wie sie mit der Schlussakte von Helsinki im Kalten Krieg eingeleitet worden sind.

    Das ist der geostrategische Hintergrund, der mit dem Wort der Zeitenwende charakterisiert werden kann. Diese Zeitenwende ist somit zuallererst eine weltpolitische; sie geht aber mit einer wirtschafts- und finanzpolitischen Zeitenwende einher.

    Geostrategische Rivalität als wirtschaftspolitische Herausforderung

    Die Zeitenwende in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen ist durch Elemente der Desintegration gekennzeichnet. Russland bleibt durch die scharfen Sanktionen der westlichen Staatengemeinschaft auf absehbare Zeit von der internationalen Arbeitsteilung ausgeschlossen. Angesichts seiner Rohstofflieferungen, vor allem von Gas, Öl und Uran, an Staaten, die der westlichen Allianz nicht angehören, mag dies übertrieben klingen. Betrachtet man jedoch die Exportrestriktionen des Westens, so wird Russland kaum Zugang zu westlicher Technologie haben. Kein Schwellenland, weder China noch Indien, kann nach heutigem Stand dafür einen Ersatz bieten.

    Die Beziehungen mit China sind ebenfalls in einer kritischen Phase. An der chinesischen Grenze zu Indien finden bewaffnete Auseinandersetzungen statt. Die Philippinen sind den Seeblockaden durch chinesische Schiffe ausgesetzt. Der Luftraum Taiwans wird durch chinesische Kampfflugzeuge verletzt. Seinen Gebietsansprüchen im südchinesischen Meer verleiht China durch teils künstlich angelegte Inseln Nachdruck, auf denen Militärbasen errichtet werden. Verbündete des Westens in Südostasien befürchten eine Finnlandisierung der Region.

    Die westliche Staatengemeinschaft hat auf die Entwicklungen der vergangenen Jahre nicht zuletzt mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen reagiert. Das Außenwirtschaftsrecht wurde verschärft, um Direktinvestitionen chinesischer Unternehmen, die mehr oder weniger unter staatlicher Einflussnahme stehen, in stärkerem Maße zu überprüfen und Investitionen in kritische Infrastruktur zu unterbinden. Die Europäische Union (EU) hat diese Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit im Jahr 2019 in Kraft gesetzt; Deutschland hat diese im Jahr 2020 in nationales Recht überführt. Am konsequentesten agieren die Vereinigten Staaten, wie am Beispiel der Vereinbarung mit Japan und den Niederlanden zur Beschränkung des Zugangs Chinas zur Herstellung von Halbleitern deutlich wird. Mit koordinierten Exportkontrollen soll der Zugang Chinas zu den fortschrittlichsten Mikrochips blockiert werden.

    Die internationalen Wirtschaftsbeziehungen sind also wieder durch Sicherheits- und Außenpolitik dominiert. Dies führt dazu, dass sicherheitsrelevante Produktion zunehmend im Inland stattfinden wird – in der EU und in den Vereinigten Staaten. Was sicherheitsrelevant ist, ist dabei höchst umstritten. In der modernen Informationsgesellschaft geht es nicht nur um die Rüstungsindustrie, sondern um kritische Infrastrukturen, um Zwischenprodukte wie etwa Mikrochips oder um Hochtechnologien. Dies stellt nicht zuletzt die deutsche Wirtschaft vor große Herausforderungen.

    Deutschland ist unter den größten Wirtschaftsnationen (G7) das Land mit der stärksten Offenheit seiner Wirtschaft. Der chinesische Absatzmarkt ist für viele deutsche Unternehmen essenziell. Gleichwohl hat die deutsche Politik hinsichtlich der geostrategischen Herausforderungen keine Wahl. Deutschland kann als Teil der westlichen Allianz die expansionistischen Strategien Russlands oder Chinas nicht hinnehmen. Eine erfolgreiche außenpolitische Strategie ist die Voraussetzung dafür, dass sich gute Geschäfte deutscher Unternehmen im Fernen Osten fortführen lassen.

    Gleichwohl sind dies keine einfachen Botschaften für die Wirtschaftspolitik. In der Führungsrolle sind Sicherheits- und Verteidigungspolitik; die Wirtschaftspolitik ist auf eine akkommodierende Rolle zurechtgestutzt. Den deutschen Interessen ist am meisten gedient, wenn Außenhandel und Kapitalverkehr möglichst wenig beeinträchtigt werden. Gestoppte oder reduzierte Wirtschaftsbeziehungen mit Russland beziehungsweise China können durch stärker intensivierte Wirtschaftsbeziehungen mit anderen Volkswirtschaften in einem gewissen Ausmaß ersetzt werden. Die EU ist daher zum Abschluss weiterer Handelsverträge gefordert. Allerdings wird eine solche Substitution nicht vollständig möglich sein oder mit höheren Kosten für europäische Unternehmen einhergehen.

    Hinzu kommt, dass die veränderte geostrategische Lage verschiedene Interessengruppen dazu einlädt, sich für mehr Protektionismus starkzumachen. Veraltete industriepolitische Initiativen und in der Folge eine neue Subventionswelle drohen. In der Vergangenheit war es einfacher, mit strikter Beihilfepolitik gegen diese Initiativen vorzugehen. Dies ist nun anders. Die Wirtschaftspolitik muss daher den Mut aufbringen, sich protektionistischen Versuchungen entgegenzustellen. Insbesondere in der EU zieht eine Lockerung der Beihilferegeln weitere Vorhaben nach sich, etwa die Forderung nach Verstetigung der im Rahmen von Next-Generation-EU ermöglichten Verschuldung der EU oder weitergehende Transfers innerhalb Europas. Manche Mitgliedstaaten werden darauf pochen, genauso in die Lage für industriepolitische Initiativen wie Frankreich und Deutschland gebracht zu werden. Dies ist nicht zielführend.

    Leitlinien der Finanzpolitik

    Die deutsche Finanzpolitik sieht sich nicht nur geostrategischen Herausforderungen ausgesetzt. Klimawandel, demografische Entwicklung und Digitalisierung erfordern parallel dazu Lösungen, die mit finanziellen Ansprüchen einhergehen. Allerdings liegen hier die Lösungsansätze schon lange auf dem Tisch.

    Eine Klimapolitik, die den Klimawandel erfolgreich eindämmt, muss auf konsequente CO2-Bepreisung im internationalen Maßstab abzielen. Dies ist über einen Klimaclub der Willigen, mit den Vereinigten Staaten und der EU im Zentrum, zu erreichen. Begleitende sozialpolitische Maßnahmen in Form eines Klimagelds und knapp bemessene, zeitlich begrenzte Beihilfen für die energieintensive Wirtschaft können die Transformation erleichtern.

    Die Auswirkungen des demografischen Wandels werden durch gezielte Einwanderungspolitik und durch (in Arbeitsstunden gemessene) höhere Erwerbstätigkeit gemildert. Die demografischen Effekte auf die Finanzierung der Sozialversicherungen, insbesondere der gesetzlichen Rentenversicherung, lassen sich dadurch aber nicht vollständig kompensieren. Eine höhere gesamtwirtschaftliche Produktivität ändert wegen der Lohnbasierung der Rentenformel an deren Finanzierbarkeit nichts. Die Menschen werden daher in der Zukunft ein wenig länger arbeiten müssen.

    Die Digitalisierung ist vor allem ein Problem des öffentlichen Diensts. Nirgendwo sonst ist die defizitäre Digitalisierung so sehr spürbar. Da Digitalisierung zum überwiegenden Teil eine Umorganisation von Prozessen bedingt und dies im öffentlichen Dienst notorisch schwierig ist, ist dieser Zustand verständlich, jedoch nicht hinnehmbar.

    Angesichts dieser Herausforderungen in der weltpolitischen Zeitenwende hat die Finanzpolitik die schwierige Aufgabe, Prioritäten richtig zu setzen, die Widerstandsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu stärken und geeignete Rahmenbedingungen für private Investitionen zu schaffen. Ohne private Investitionen sind weder die Transformation zur Klimaneutralität noch die geostrategischen Herausforderungen zu bewältigen.

    Prioritäten benötigt die Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte. Dies lässt sich nicht an einzelnen Ressorts festmachen. Ausgaben in allen Ressorts müssen auf den Prüfstand. Die Widerstandsfähigkeit der deutschen Wirtschaft lässt sich erhöhen, indem die Eigenkapitalbasis der Unternehmen gestärkt wird, etwa über Finanzierungsneutralität in der Besteuerung. Eine moderate Besteuerung ist insgesamt wichtig für die private Investitionstätigkeit. Zudem muss das Finanzsystem weiterhin durch eine kluge Regulierung geleitet sein. Zur Widerstandsfähigkeit gehört eine moderate Staatsverschuldung. Durch die Rückkehr zur Regelgrenze der Schuldenbremse sind Bund und Länder auf dem richtigen Weg der finanzpolitischen Solidität. Die Forderung zum Abbau der Staatsschuldenquoten gilt genauso für den Euroraum. Die Widerstandsfähigkeit der europäischen Wirtschaft steht und fällt mit der Rückführung der übermäßigen Verschuldung im Euroraum.

    Der im Jahr 2021 begonnene Inflationsprozess wird sich allmählich abschwächen. Aber die Inflation droht, hoch zu bleiben, nicht zuletzt aufgrund der geostrategischen Herausforderungen und der Demografie. Haben Globalisierung und der Eintritt in den Arbeitsmarkt der geburtenstarken Jahrgänge zur internationalen Preiskonkurrenz und zu geringen Lohnsteigerungen beigetragen, so stützt deren Gegenbewegung tendenziell den Preisauftrieb. Die Finanzpolitik darf nicht zusätzlich inflationstreibend wirken. Ein Rückgang der Finanzierungsdefizite im Zuge der Einhaltung der Fiskalregeln ist daher ein richtiger Schritt.

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