- Die wirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine belasten die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland merklich. Die Ausgangslage zum Jahreswechsel 2022/2023 stellt sich allerdings etwas günstiger dar, als noch im Herbst zu erwarten gewesen ist – dazu hat das entschlossene Handeln der Bundesregierung beigetragen.
- Angesichts der aktuellen Herausforderungen hat die Bundesregierung umfangreiche Maßnahmen zur Sicherung der Energieversorgung ergriffen. Mit drei Entlastungspaketen und den Maßnahmen des wirtschaftlichen Abwehrschirms hat sie Vorkehrungen getroffen, die Bürgerinnen und Bürger spürbar zu entlasten, Unternehmen zu stabilisieren und zukunftsfähige Strukturen zu schützen.
- Für die Finanz- und Wirtschaftspolitik stellt sich die Aufgabe, die mittel- und langfristigen Politikziele im Blick zu behalten, strukturelle Herausforderungen aufgrund der demografischen Entwicklung zu bewältigen und die Digitalisierung und Dekarbonisierung erfolgreich voranzutreiben.
- Die Bundesregierung setzt dafür auf eine Angebotspolitik, die ein investitions- und innovationsfreundliches Umfeld für Unternehmen schafft und sie dabei unterstützt, den Strukturwandel erfolgreich zu meistern. Dazu gehört auch die Wahrung fiskalischer Resilienz und finanzpolitischer Handlungsfähigkeit durch die Rückkehr zu den regulären Obergrenzen der grundgesetzlichen Schuldenbremse ab 2023.
Einleitung
Die Bundesregierung legt gemäß § 2 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft jährlich den Jahreswirtschaftsbericht vor. Sie stellt darin ihre wirtschafts- und finanzpolitische Strategie für das entsprechende Jahr dar und nimmt zum Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Stellung.
Der diesjährige Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung trägt den Titel „Wohlstand erneuern“ und wurde am 25. Januar 2023 vom Bundeskabinett beschlossen. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sowie der Transformationsaufgaben im Bereich Klimaschutz und Digitalisierung wird die Haushalts- und Steuerpolitik der Bundesregierung in Auszügen dargestellt.1 Zudem wird eingangs die im Jahreswirtschaftsbericht dargelegte Reaktion der Bundesregierung auf die Zeitenwende skizziert.
Wohlstand durch richtige Weichenstellung in der Krise erneuern
Der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg gegen die Ukraine markiert in vielerlei Hinsicht eine Zeitenwende. Das vergangene Jahr stand vor diesem Hintergrund vor allem im Zeichen der kurzfristigen Krisenbewältigung. Diese umfasste das Abwenden einer akuten Energieknappheit sowie die Sicherung von Produktion, Beschäftigung und sozialer Teilhabe. Gleichzeitig wurde noch einmal verdeutlicht, dass die Transformation zu einer ökologisch wie sozial nachhaltigen und innovationsgetriebenen Volkswirtschaft drängender ist denn je. Deutschland steht aufgrund der Dekarbonisierung, des demografischen Wandels und der geopolitischen Veränderungen vor großen strukturellen Herausforderungen. Um diese zu bewältigen, ist es notwendig, das deutsche Wirtschaftsmodell fortzuentwickeln. Hierfür ist es zentral, Deutschland und die Europäische Union als Investitionsstandort zu stärken und die Wettbewerbsfähigkeit von Industrie und Mittelstand zu erhalten. Dabei gilt es auch, den angestrebten digitalen Aufbruch in Wirtschaft, Gesellschaft und Verwaltung umzusetzen. Vor diesem Umbruch bekennt sich die Bundesregierung zum Leitbild einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft und stellt die Weichen für zukünftigen Wohlstand im Einklang mit Nachhaltigkeitszielen und sozialer Teilhabe.
Die Bundesregierung hat umfangreiche Maßnahmen ergriffen, um die kurzfristigen Folgen der Krise zu bewältigen und so die gesamtwirtschaftliche Stabilität und den sozialen Zusammenhalt zu gewährleisten. Neben Maßnahmen zur Sicherung der Energieversorgung hat sie im vergangenen Jahr breit angelegte Entlastungspakete auf den Weg gebracht. Unternehmen und private Haushalte werden allein durch die drei Entlastungspakete im Umfang von mehr als 95 Mrd. Euro unterstützt. Mit den Maßnahmen des wirtschaftlichen Abwehrschirms im Umfang von bis zu 200 Mrd. Euro hat die Bundesregierung weitere umfassende Vorkehrungen getroffen, um Bürgerinnen und Bürger spürbar zu unterstützen, Unternehmen zu stabilisieren und zukunftsfähige Strukturen zu schützen. Preissignale und damit Anreize zur Einsparung von Energie bleiben durch die Maßnahmen des Abwehrschirms weitestgehend erhalten.
Neben den kurzfristigen Herausforderungen der Krisenbewältigung richtet die Bundesregierung ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik auf die mittel- und langfristigen Herausforderungen der deutschen Volkswirtschaft aus. Zur Bewältigung angebotsseitiger Verknappung, die zum Inflationsdruck beiträgt, und zur Rückkehr zu einem höheren Produktivitätswachstum strebt sie eine differenzierte angebotspolitische Agenda an. Vor dem Hintergrund der energiepolitischen Ausgangslage kommt dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland im Jahr 2023 eine besondere Bedeutung zu. Die Angebotspolitik der Bundesregierung folgt dabei stets den Anforderungen der Transformation hin zu treibhausgasneutralem Wohlstand und darf auch dem Erhalt der Biodiversität nicht entgegenstehen. Die Notwendigkeit für eine beschleunigte Transformation kann dabei auch als Chance begriffen werden.
Die dichte Abfolge von Krisen der jüngeren Zeit hat die Verwundbarkeit der deutschen Volkswirtschaft und Gesellschaft eindringlich verdeutlicht. Die Bundesregierung wird daher die Krisenvorsorge stärken. Im Sinne einer zukunftsorientierten Wirtschafts- und Finanzpolitik setzt die Bundesregierung u. a. auf eine ressortübergreifende Strategische Vorausschau und den dazugehörigen 360-Grad-Blick auf mögliche künftige Entwicklungen.
Die Strategische Vorausschau
(englischsprachig: strategic foresight) macht das Regierungshandeln krisenfester und zielt ab auf einen bewussten Umgang mit Chancen und Herausforderungen der Zukunft beim Handeln in der Gegenwart. Mithilfe von Foresight-Methoden können Zukunftsfragen mit einem Zeithorizont, der weit über das Jahr 2030 hinausgeht, systematisch durchdacht und heutige Entscheidungen können zukunftsrobust und zukunftsfähig gestaltet werden. Die Bundesregierung macht zunehmend Gebrauch von den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der Strategischen Vorausschau.
Die Strategische Vorausschau bietet eine Fülle von Ansätzen zur strukturierten Auseinandersetzung mit Zukunftsfragen, um den kompetenten Umgang mit Komplexität und Unsicherheit systematisch zu stärken. Ihre Methoden – von der Szenarienplanung über Horizon Scanning bis hin zu Delphi-Befragungen oder Zukunftswerkstätten – zielen darauf ab, verschiedene Perspektiven auf Zukunftsthemen zu bündeln und alternative Zukunftsbilder sowie konkrete Handlungsoptionen zu entwickeln.
Konjunkturelle Lage
Das Jahr 2022 war für die deutsche Wirtschaft durch die wirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und die damit zusammenhängenden Herausforderungen für die Energieversorgung geprägt. Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg 2022 um 1,8 Prozent. Die deutsche Wirtschaft hat sich damit insgesamt als widerstandsfähig gegenüber den Belastungen erwiesen. In der Jahresprojektion 2023 geht die Bundesregierung für das laufende Jahr von einem vergleichsweise geringen Anstieg des preisbereinigten BIP um 0,2 Prozent aus. Insbesondere zum Jahresanfang dämpfen die im historischen Vergleich weiterhin hohen Energiepreise sowie die mit der hohen Inflation verbundenen Kaufkraftverluste die Entwicklung. Zudem sind die kurzfristigen weltwirtschaftlichen Aussichten eingetrübt. Im weiteren Jahresverlauf dürfte die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland wieder an Fahrt gewinnen, wenn sich die Inflationsdynamik abschwächt, die Impulse aus den fiskalischen Stabilisierungsmaßnahmen zunehmend wirken, Lieferengpässe weiter nachlassen und die Weltwirtschaft wieder etwas Tempo aufnimmt. Insgesamt stellte sich die Ausgangslage zum Jahreswechsel – nicht zuletzt auch dank der massiven staatlichen Stabilisierungsmaßnahmen für private Haushalte und Unternehmen sowie deren Anpassungen an die hohen Energiepreise und die damit verbundenen Einsparungen von Gas – günstiger dar als noch in der Herbstprojektion angenommen. Im Herbst war noch mit einem Rückgang des BIP im Jahresdurchschnitt gerechnet worden. Die Unsicherheiten über die weitere Entwicklung bleiben jedoch hoch.
Die Inflationsrate in Deutschland erhöhte sich im vergangenen Jahr sehr kräftig auf jahresdurchschnittlich 7,9 Prozent. Für diese Entwicklung waren neben den Preissteigerungen infolge anhaltender Lieferkettenengpässe vor allem der drastische Energiepreisanstieg im Zuge des Kriegs in der Ukraine und die damit zusammenhängenden Liefereinschränkungen von Gas aus Russland ausschlaggebend. Aber selbst die Kerninflationsrate, also der Anstieg des Verbraucherpreisindex unter Herausrechnung der volatilen Energie- und Lebensmittelpreise, erreichte zum Jahresende einen Wert von über 5 Prozent im Vorjahresvergleich, was auch die Kostenüberwälzung der stark gestiegenen Energiepreise in anderen Wirtschaftsbereichen reflektiert. In diesem Jahr ist erneut mit einer substanziellen Preisdynamik zu rechnen, die erst im Jahresverlauf nachlassen dürfte. Insgesamt erwartet die Bundesregierung einen Anstieg des Verbraucherpreisindex um durchschnittlich 6,0 Prozent. Der Höhepunkt der Inflationsentwicklung dürfte allerdings überschritten sein, wobei die staatlichen Hilfsmaßnahmen wie die Strom- und Gaspreisbremsen spürbare Entlastungen bringen. Die für das Jahr 2023 erwartete Kerninflationsrate liegt bei 5,6 Prozent.
Der Arbeitsmarkt erwies sich im Jahr 2022 als robust gegenüber der wirtschaftlichen Abkühlung. Die Tariflöhne stiegen vor dem Hintergrund der sehr hohen Preisniveausteigerungen zwar kräftiger, ihr Zuwachs blieb jedoch deutlich hinter der Inflationsrate zurück, sodass Beschäftigte Verluste bei den Realeinkommen hinnehmen mussten. Insgesamt dürften die Tariflohnabschlüsse in diesem Jahr nochmals spürbar zulegen, aber der Zuwachs dürfte weiterhin unter der Inflationsrate liegen. Die von der Bundesregierung beschlossene Möglichkeit der Zahlung einer steuer- und abgabenfreien Inflationsausgleichsprämie als ein Ergebnis der Konzertierten Aktion trägt dazu bei, das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale zu senken.
Zielgerichtete Angebotspolitik zur Sicherung des Wohlstands
Kurz- und mittelfristig geht es vor allem darum, eine von fossilen Importen aus Russland unabhängige Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen sicherzustellen. Gleichzeitig schafft die Bundesregierung die Rahmenbedingungen für eine zunehmend treibhausgasneutrale Zukunft. Mittel- und langfristig setzt die Bundesregierung auf eine Angebotspolitik, die insbesondere diese Transformation in den Blick nimmt. Neben Maßnahmen, um Engpässen bei Arbeits- und Fachkräften zu begegnen, setzt die Bundesregierung dabei u. a. auf steuerliche Impulse und bessere Bedingungen in der Unternehmensfinanzierung sowie eine Stärkung der Wettbewerbsordnung unter dem Leitbild der sozial-ökologischen Marktwirtschaft. Es gilt zudem, Bürokratie konsequent abzubauen und die Verwaltung agiler und digitaler aufzustellen.
Angesichts der Notwendigkeit, die Resilienz der deutschen und europäischen Wirtschaft insbesondere durch die Diversifikation von Lieferketten zu stärken, setzt die Bundesregierung auch in der Handelspolitik neue Akzente, sei es bei den Bemühungen um eine Reform der Welthandelsorganisation, bei neuen und aktuell zu verhandelnden EU-Handelsabkommen mit hohen sozial-ökologischen Standards oder beim Investitionsschutz.
Energieversorgung sichern, Transformation beschleunigen
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und seine Folgen stellen die Energieversorgungssicherheit auf eine Belastungsprobe. Darauf reagiert die Bundesregierung konsequent mit einem dreigliedrigen Ansatz: Sie ergreift umfangreiche Maßnahmen, um aktuelle Bedarfe an fossilen Energieträgern zu decken und die ausfallenden Mengen kurzfristig zu ersetzen beziehungsweise auf besser verfügbare Brennstoffe wie Flüssiggas umzustellen. Sie beschleunigt die Energiewende und den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv, etwa, indem sie das Energierecht in einem beispiellosen Tempo weiterentwickelt. Hierdurch wird der mittelfristigen Energieknappheit begegnet und die Grundlage für treibhausgasneutralen Wohlstand geschaffen. Dabei wird auch der Markthochlauf von Wasserstoff und daraus hergestellten Folgeprodukten weiter beschleunigt. Darüber hinaus setzt die Bundesregierung sowohl verstärkt auf Energieeinsparungen als auch auf Energieeffizienz.
Die bereits umgesetzten und zuletzt beschlossenen Maßnahmen der Bundesregierung zielen darauf ab, die deutsche Wirtschaft vor irreversiblen Schäden an den (industriellen) Kernbereichen zu schützen, sie zu dekarbonisieren und insgesamt resilienter zu machen. Sie sollen die Transformation der Wirtschaft flankieren und beschleunigen. Der Abwehrschirm der Bundesregierung ist hierbei ein zentraler Meilenstein. Mit der rückwirkend ab Januar 2023 geltenden Gas- und Wärmepreisbremse erhalten neben den privaten Haushalten auch Unternehmen Planbarkeit und ökonomische Sicherheit. Die Strompreisbremse ist neben der Gas- und Wärmepreisbremse ein zweites wesentliches Instrument, mit dem hohe Belastungen befristet abgefangen werden. Dieser Rahmen trägt dazu bei, die zuletzt extrem hohe Unsicherheit von Unternehmen und Haushalten zu reduzieren, produktive Substanz zu erhalten und Spielräume für Zukunftsinvestitionen und damit auch eine Grundlage für den Umstieg auf klimafreundlichere Energien und Produktionsverfahren zu schaffen. Zur unmittelbaren Unterstützung von Transformationsvorhaben plant die Bundesregierung für die Jahre 2023 bis 2026 im Klima- und Transformationsfonds zudem Programmausgaben in Höhe von insgesamt rund 178 Mrd. Euro ein.
Angesichts der Implikationen des Energiepreisschocks gilt es, den Rahmen für die Transformation der Wirtschaft mit Anreizen in Richtung Treibhausgasneutralität so zu gestalten, dass die hiesigen Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten, ihre technologische Kompetenz ausbauen und in Schlüsseltechnologien sowie Energieforschung investieren können.
Angebotspolitische Agenda für mehr Fachkräfte, Investitionen und Innovation
Ziel der Bundesregierung ist es, die Rahmenbedingungen für die gesamte Breite der deutschen Wirtschaft durch eine Reihe von angebotspolitischen Maßnahmen zu verbessern. Eine zentrale Stellschraube für eine erfolgreiche Angebotspolitik sind die inländischen Standortbedingungen für Unternehmen. Es müssen in einem innovationsfreundlichen Umfeld jene Freiräume für bestehende Unternehmen und Neugründungen gestärkt werden, die es ihnen erlauben, den Strukturwandel durch Investitionen und Innovationen erfolgreich zu meistern.
Ein Schwerpunkt der Bundesregierung liegt auf Maßnahmen, die das qualifizierte Arbeitsangebot erhöhen beziehungsweise möglichst stabil halten. Dazu hat die Bundesregierung eine Fachkräftestrategie verabschiedet und die Fortsetzung und Weiterentwicklung der Nationalen Weiterbildungsstrategie beschlossen. Zudem ergreift sie Maßnahmen, um weitere Hürden abzubauen, die der Aufnahme und Ausweitung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung im Wege stehen. Beispielsweise wurden mit Blick auf geringfügig entlohnte Beschäftigte – zu rund 60 Prozent handelt es sich dabei um Frauen – Fehlanreize reduziert, indem die Grenzbelastung im Beitragsrecht beim Übergang in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung geglättet und die Obergrenze des Übergangsbereichs zum 1. Januar 2023 auf 2.000 Euro im Monat angehoben wurde. Darüber hinaus ist Deutschland insbesondere auf ausländische Fachkräfte angewiesen. Die Bundesregierung hat deshalb am 30. November 2022 Eckpunkte für umfangreiche Maßnahmen zur Steigerung der Einwanderung aus Drittstaaten verabschiedet.
Den zahlreichen Anforderungen, denen Unternehmen infolge der Covid-19-Pandemie und angesichts der aktuellen geopolitischen Lage sowie des beschleunigten Strukturwandels ausgesetzt sind, muss durch Flexibilität und Innovation begegnet werden. Damit die Unternehmen den Wandel erfolgreich gestalten und auch die Chancen der Transformation nutzen können, brauchen sie hinreichende Freiräume. Die steuerpolitischen Rahmenbedingungen sind ein wesentlicher Faktor, um einerseits die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu erhalten und zu verbessern sowie andererseits die Modernisierung zu unterstützen. Als zusätzliche Maßnahme zur Förderung transformativer Investitionen bereitet die Bundesregierung die Einführung einer Investitionsprämie, insbesondere für Investitionen in die Transformation und Modernisierung der Wirtschaft vor, die sich im Jahr der Anschaffung beziehungsweise Herstellung förderfähiger Wirtschaftsgüter gewinnmindernd auswirkt. Sie muss sich dabei in die sonstige Förderlandschaft einpassen, um zielgerichtet ihre volle Wirkung zu entfalten. Voraussetzung für eine gelingende Transformation sind nicht zuletzt Investitionen in Forschung und Entwicklung. Die Grundlage für eine steuerliche Forschungsförderung in Unternehmen hat die Bundesregierung mit dem zum 1. Januar 2020 in Kraft getretenen Forschungszulagengesetz (FZulG) geschaffen. Nachdem die Förderhöchstsumme bereits im Rahmen des Zweiten Corona-Steuerhilfegesetzes befristet ausgeweitet worden ist, wird die Bundesregierung weiteren Änderungsbedarf am FZulG prüfen.
Gleichzeitig gilt es, die Attraktivität Deutschlands als Standort für Gründerinnen und Gründer weiter zu erhöhen. Insbesondere regulatorische und bürokratische Anforderungen sollen deshalb reduziert werden. Die Bundesregierung hat 2022 erstmals eine umfassende Start-up-Strategie verabschiedet mit dem Ziel, die Rahmenbedingungen für Start-ups in Deutschland zu verbessern. Ein wichtiges Handlungsfeld dieser-Strategie ist die Stärkung der Start-up-Finanzierung, insbesondere durch den Beteiligungsfonds für Zukunftstechnologien („Zukunftsfonds“; siehe JWB 2022, Kasten 5) und die Mittel des European-Recovery-Program-Sondervermögens. Ein zentrales Modul des Zukunftsfonds ist der Wachstumsfonds Deutschland, ein Dachfonds für Wachstumskapital, der neue Investorengruppen für den deutschen Wagniskapitalmarkt erschließt. Mit einem in der Start-up-Strategie vorgesehenen Zukunftsfinanzierungsgesetz, das im Jahr 2023 verabschiedet werden soll, strebt die Bundesregierung Verbesserungen bei den regulatorischen Rahmenbedingungen für Start-ups im Bereich der Mitarbeiterkapitalbeteiligungen an.
Mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz Rahmenbedingungen für Start-ups verbessern
Das Zukunftsfinanzierungsgesetz zielt durch einen umfassenden Ansatz (Regelungen im Finanzmarktrecht, Gesellschaftsrecht, Steuerrecht) darauf, bessere Rahmenbedingungen für Start-ups und Wachstumsunternehmen zu schaffen. Insbesondere soll der Gang an die Börse leichter werden, um so die Attraktivität des Kapitalmarkts zu erhöhen. Insofern setzt das Gesetz den Koalitionsvertrag und die Start-up-Strategie der Bundesregierung um und stärkt den Finanzstandort Deutschland.
Beabsichtigt sind daher u. a.
- die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien,
- die gesellschaftsrechtliche Erleichterung von Kapitalerhöhungen,
- steuerliche Erleichterungen für die Mitarbeiterkapitalbeteiligung (umfasst insbesondere eine Erweiterung der für Mitarbeiterkapitalbeteiligungen bei jungen Unternehmen geltenden Vorschrift des § 19a Einkommensteuergesetz) und
- die Erweiterung des Gesetzes über elektronische Wertpapiere auf elektronische Aktien.
Die Zukunftsfähigkeit des Staats sichern
Der Veränderungsdruck, vor dem die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft stehen, betrifft auch den Staat selbst. Der demografische Wandel stellt den Arbeitsmarkt und die Systeme der sozialen Sicherung vor große Herausforderungen. Dekarbonisierung und digitale Transformation erfordern ein hohes Niveau an privaten und öffentlichen Investitionen sowie deutlich schnellere und effizientere Verfahren. Auch die vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine beschlossene Verstärkung der Fähigkeiten zur Verteidigung muss zügig und effizient erfolgen. Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewältigung der strukturellen Herausforderungen ist eine solide Finanzpolitik, wie sie die grundgesetzliche Schuldenregel zum Ziel hat.
Modernisierung durch öffentliche Investitionen voranbringen
Deutschland befindet sich inmitten eines Erneuerungsprozesses. Die Aufholbedarfe erstrecken sich von der digitalen Infrastruktur über das Schienennetz, Bildung und das Gesundheitswesen bis hin zu Investitionen für die Transformation zu einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaft. Im Interesse der jungen Generation gilt es, diese Bereiche zügig und bedarfsgerecht zu modernisieren, bevor sich die gesellschaftliche Alterung voll entfaltet. Angesichts der hohen Belastungen durch die Pandemie und durch die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine kommt es umso mehr darauf an, dass Investitionen in die Zukunftsfähigkeit Deutschlands durch eine langfristig orientierte Prioritätensetzung in den Fokus genommen werden. Der Staat steht dabei zunächst in der Verantwortung für die Qualität der öffentlichen Infrastruktur. Darüber hinaus gilt es, private Investitionen durch eine angebotsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik zu mobilisieren, die adäquate Rahmenbedingungen und gezielte Anreize setzt und dabei die Kräfte des Markts nutzt.
Mit dem Haushalt 2023 und der mittelfristigen Finanzplanung löst die Bundesregierung das Versprechen ein, ein Jahrzehnt der Investitionen in ein modernes, digitales und treibhausgasneutrales Deutschland zu eröffnen. Durch aus dem Bundeshaushalt und aus Sondervermögen des Bundes finanzierte Investitionen trägt der Bund maßgeblich zur positiven Entwicklung der realen Bruttoinvestitionen des Gesamtstaats bei. Die investiven Ausgaben des Bundeshaushalts steigen vom Vorkrisenniveau im Jahr 2019 in Höhe von 38,1 Mrd. Euro auf mehr als 54 Mrd. Euro – nach Bereinigung um einmalige Sondereffekte – im Haushaltsplan 2023. Die Zuwachsrate der gesamtstaatlichen Bruttoanlageinvestitionen soll von 2021 bis 2026 im Durchschnitt 5,5 Prozent betragen. Damit läge der Zuwachs über dem erwarteten nominalen Potenzialwachstum in diesem Zeitraum (durchschnittlich 3,4 Prozent pro Jahr). Neben den öffentlichen Bruttoanlageinvestitionen sollen auch die projizierten staatlichen Investitionszuschüsse bis 2026 weiter ansteigen, insbesondere in den Jahren 2022 und 2023 mit 29 Prozent und 18 Prozent sehr deutlich.
Fiskalische Stabilität zur Sicherung künftigen Wohlstands
Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewältigung der strukturellen Herausforderungen ist eine stabile Finanzpolitik, wie sie die grundgesetzliche Schuldenregel zum Ziel hat. Es ist zwar entscheidend, in einer Pandemie und einem Krieg in Europa finanzpolitisch gegenzusteuern – genauso wichtig ist es jedoch, zügig danach die fiskalische Resilienz wieder umfassend herzustellen, um gerade mit Blick auf die Herausforderungen der Zukunft die notwendigen Handlungsspielräume zu bewahren. Eine regelgebundene und an fiskalischer Tragfähigkeit orientierte Finanzpolitik trägt zudem zur Preisstabilität bei und steht insgesamt für Stabilität und Verlässlichkeit. Dies wird durch die Rückkehr zu den regulären Obergrenzen der grundgesetzlichen Schuldenbremse ab 2023 sichergestellt.
Zwar werden laut aktueller Prognose sowohl die Schuldenstandsquote als auch der Finanzierungssaldo des Staats im Jahr 2023 aufgrund der benötigten Haushaltsmittel zur Finanzierung des wirtschaftlichen Abwehrschirms und der Entlastungsmaßnahmen steigen. Jedoch rechnet die Bundesregierung ab 2024 wieder mit rückläufigen Finanzierungsdefiziten und einer sinkenden Schuldenstandsquote. Die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und damit auch das hohe Vertrauen der Finanzmärkte in die Kreditwürdigkeit des deutschen Staats bleiben gewährleistet. Dabei zeigen der Bundeshaushalt 2023 und der Finanzplan bis 2026 mit Rekordinvestitionen und Entlastungsmaßnahmen, dass sich tragfähige öffentliche Finanzen, Krisenbewältigung und Zukunftsinvestitionen bei einer wirkungsvollen Priorisierung öffentlicher Ausgaben nicht ausschließen.
Der Erfolg der deutschen Finanzpolitik hängt in einer Wirtschafts- und Währungsunion auch von der Finanzpolitik der europäischen Partner ab. Im November 2022 hat die Europäische Kommission in einer Mitteilung ihre Vorstellungen zur Reform der europäischen Fiskalregeln veröffentlicht. Die Bundesregierung setzt sich bei der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts dafür ein, dass hohe Schuldenstände zurückgeführt und in normalen und guten Zeiten künftige Handlungsspielräume abgesichert werden müssen.
Abgabenbelastung im Blick behalten
Steuern und Abgaben sind die Grundlage dafür, dass der Staat seine Aufgaben erfüllen kann. Gleichzeitig erwarten viele Bürgerinnen und Bürger zu Recht, dass die Steuern und Abgaben in einem angemessenen Verhältnis zu den staatlichen Leistungen stehen, die damit finanziert werden. Auch vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Alterung und des globalen Wettbewerbs um Talente, Unternehmen und Technologien gilt es, diese Balance und die Entwicklung der Abgabenquote im Blick zu behalten.
Nach international vergleichbaren Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) lag die Abgabenquote Deutschlands, also die Steuern und Sozialbeiträge in Relation zum BIP, im Jahr 2021 bei 39,5 Prozent. Da die Abgabenquote zwischen einzelnen Jahren allein aufgrund der konjunkturellen Entwicklung gewissen Schwankungen unterliegt, empfiehlt sich die Betrachtung mehrjähriger Durchschnittswerte (s. a. Abbildung 1). Im Durchschnitt der Jahre 2001 bis 2010 lag die Abgabenquote bei rund 35,2 Prozent, im Zeitraum 2011 bis 2020 waren es durchschnittlich rund 37,4 Prozent. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland im oberen Mittelfeld der betrachteten Staaten. Mit Blick auf die Struktur der Steuern und Sozialabgaben zeigt sich, dass in Deutschland die Belastung des Faktors Arbeit (sowohl im Durchschnitt als auch beim Zuverdienst) vergleichsweise hoch ausfällt. Die nominale Steuerbelastung deutscher Unternehmen, die für ansiedlungswillige Unternehmen eine Indikatorfunktion für die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts hat, ist ebenfalls vergleichsweise hoch.
Die Bundesregierung adressiert diesen Umstand durch gezielte Verbesserungen der Rahmenbedingungen für Investitionen sowohl steuerpolitisch (etwa durch attraktive Abschreibungskonditionen) als auch durch eine auf Innovation und Nachhaltigkeit ausgerichtete Förderpolitik. Zudem werden mit dem Inflationsausgleichsgesetz die Effekte der kalten Progression zeitnah ausgeglichen und inflationsbedingte reale Mehrbelastungen der Einkommensteuerzahlenden verhindert. Das Inflationsausgleichsgesetz stärkt die Kaufkraft und sorgt für mehr Leistungsgerechtigkeit und Fairness. Durch diese Maßnahme trägt die Bundesregierung auch dazu bei, attraktive Rahmenbedingungen für zuwanderungswillige Fachkräfte zu erhalten. Auch zukünftig sollte die Abgabenbelastung bei der Schaffung attraktiver Rahmenbedingungen im Blick behalten werden.