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  • Schlaglicht: Bund-Länder-Finanzbeziehungen

    Im In­ter­view: Staats­se­kre­tä­rin Prof. Dr. Lui­se Höl­scher

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    Prof. Dr. Luise Hölscher; © Bundesministerium der Finanzen/photothek

    Die Finanzlage zwischen Bund und Ländern könnte unterschiedlicher nicht sein. Große Defizite beim Bund, hohe Überschüsse hingegen bei Ländern und Kommunen. Wie lässt sich das erklären?

    Tatsächlich hat sich die Finanzlage des Bundes im Vergleich zur Finanzlage der Länder in den vergangenen Jahren erheblich verschlechtert. Ein ganz wesentlicher Grund dafür ist, dass der Bund die Maßnahmen mit Bezug zur Pandemie sowie zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und deren wirtschaftlicher Folgen bislang zum weitaus größten Teil getragen hat. In den Jahren der Pandemie 2020/2021 trug der Bund rund 72 Prozent der pandemiebedingten Ausgaben, die Länder trugen rund 19 Prozent. Hinzu kamen Garantien, die zu rund 86 Prozent vom Bund übernommen wurden. Auch bei den Entlastungspaketen des vergangenen Jahres trägt der Bund bis 2024 fast 60 Prozent der Kosten. Hinzu kommt die massive Unterstützung des Bundes für die Länder und Kommunen in ihren Aufgabenbereichen. Diese gesamte Lastenverteilung basiert auf Entscheidungen in politischen und wirtschaftlichen Ausnahmesituationen. Damit ist zugleich klar, dass sie nicht der Maßstab für die Bewältigung künftiger gesamtstaatlicher Herausforderungen sein kann.

    Wie gehen Sie mit den Forderungen der Länder um, die neue Unterstützung vom Bund wollen, etwa im Bereich der Unterbringung von Geflüchteten, dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) oder bei der Krankenhausfinanzierung?

    Wir sehen natürlich die Bedarfe, die in den genannten Aufgabenbereichen bestehen.

    Unbenommen stehen die Länder und Kommunen im Bereich Flucht und Migration vor großen Herausforderungen. Bis Januar 2023 wurden über 1 Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen, weiterhin suchen Menschen aus Syrien, Afghanistan, der Türkei und dem Irak in Deutschland Zuflucht. Der Bund unterstützt die Länder und Kommunen dabei – obwohl er nicht originär dafür zuständig ist – nach Kräften. So wurden durch den gesetzlich beschlossenen Rechtskreiswechsel der Geflüchteten aus der Ukraine die Länder und Kommunen erheblich entlastet, denn statt Asylbewerberleistungen von Ländern und Kommunen erhalten diese Personen Bürgergeld vom Bund. Den derzeit bestehenden besonderen Herausforderungen wird auch durch die Verteilung der Umsatzsteuer zugunsten der Länder Rechnung getragen. Für das Jahr 2023 sind das 2,75 Mrd. Euro. Darüber hinaus stellt der Bund Liegenschaften für die Unterbringung der Geflüchteten zur Verfügung. In diesem Zusammenhang möchte ich auch anmerken, dass es nicht immer nur an Geld fehlt. Auch Koordinierung und Abstimmung können Synergieeffekte heben.

    Die Stärkung des ÖPNV ist insbesondere vor dem Hintergrund der Erreichung der Klimaziele im Verkehr von Bedeutung. Der Bund kommt seiner Verantwortung in diesem Bereich bereits nach. So wurden die Regionalisierungsmittel in den vergangenen Jahren stark erhöht. Zuletzt wurden sie im Jahr 2022 um 1 Mrd. Euro angehoben und die Dynamisierungsrate auf 3 Prozent. Unter Berücksichtigung dieser beiden Maßnahmen belaufen sich die zusätzlichen Mittel im Zeitraum 2022 bis 2031 auf rund 17,3 Mrd. Euro. Darüber hinaus sollen mit einer erneuten Änderung des Regionalisierungsgesetzes, die sich gerade im parlamentarischen Verfahren befindet, jährlich 1,5 Mrd. Euro für die Umsetzung des Deutschland-Tickets zur Verfügung gestellt werden. Dies zeigt, dass der Bund hier sehr engagiert ist. Klar ist jedoch auch: Die Zuständigkeit für den ÖPNV liegt bei den Ländern und Kommunen, sodass hier nicht immer nur nach dem Bund gerufen werden kann. Die Länder sind primär in der Verantwortung.

    Die Krankenhäuser wurden in der Corona-Pandemie und auch im Rahmen der Energiepreisbremse aus Bundesmitteln in Milliardenhöhe unterstützt. Der Bund kann jedoch nicht dauerhaft finanziell für die laufenden Aufgaben der Länder aufkommen; dazu gehört auch das Gesundheitswesen.

    Was entgegnen Sie den Bürgerinnen und Bürgern, die sich gute Bildung, guten ÖPNV und gute innere Sicherheit wünschen – für die es aber nicht entscheidend ist, ob der Bund, das Land oder die Kommune die öffentliche Aufgabe finanziert. Warum spielt die finanzielle Lastenverteilung für das BMF eine so wichtige Rolle?

    Das sind berechtigte Grundbedürfnisse, die der Staat erfüllt und erfüllen muss. In unserer bundesstaatlichen Ordnung legt das Grundgesetz die staatliche Gewalt aber mit gutem Grund nicht in eine zentrale Hand, sondern verteilt die staatlichen Aufgaben nebst den damit verbundenen Lasten genauso wie die staatlichen Einnahmen auf Bund, Länder und Gemeinden. Das stärkt Demokratie und Gewaltenteilung. Der Staat erledigt Aufgaben so nah wie möglich an den Bürgerinnen und Bürgern, die so erkennen, wer die Verantwortung trägt, und dies ihrer nächsten Wahlentscheidung zugrunde legen können. Diesem Prinzip entsprechend nehmen die Gemeinden viele wichtige staatliche Aufgaben wahr, insbesondere im Bereich der Daseinsfürsorge. Andere, für die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar wichtige staatliche Aufgaben erfüllen die Länder, z. B. Polizei, Feuerwehr und Schule. Den Gesamtstaat betreffende Aufgaben überträgt das Grundgesetz dem Bund, ein klassisches Beispiel ist die Landesverteidigung. Bei all diesen Aufgaben ist es wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger erkennen können, wer verantwortlich ist. Dazu gehört auch, dass die staatliche Ebene, die eine Aufgabe wahrnimmt, die mit ihrem Handeln verbundenen finanziellen Lasten trägt. Spiegelbildlich zu dieser festen Verteilung von Aufgaben und Lasten steht eine feste Verteilung der staatlichen Einnahmen, insbesondere der Steuern. Diese grundgesetzlichen Regelungen zur Finanzierungsverantwortung der staatlichen Ebenen und zur daran anknüpfenden Verteilung der Steuereinnahmen bilden daher Grundpfeiler der bundesstaatlichen Ordnung.

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    Prof. Dr. Luise Hölscher; © Bundesministerium der Finanzen/photothek

    Sie waren Staatssekretärin im hessischen Finanzministerium. Haben Sie bisweilen Verständnis für die Forderungen der Länder nach mehr Geld vom Bund?

    Es hilft in jedem Fall sehr, dass ich die Anliegen der Länder und ihren Blick auf viele Fragestellungen aus eigener Anschauung kenne. Während meiner Zeit als Staatssekretärin im hessischen Finanzministerium haben die Länder schon moniert, dass der Bund oftmals eine Anschubfinanzierung leiste und sich dann aus der Finanzierung zurückziehe. Aus heutiger Perspektive muss ich sagen: Ja, es stimmt, dass der Bund gelegentlich als eine Art Katalysator wichtige Maßnahmen anstößt, deren dauerhafte Finanzierung dann bei den Ländern liegt. Aber: Es geht hierbei immer um Themen, deren originäre Zuständigkeit ohnehin bei den Ländern liegt – und die Länder werden hierbei keinesfalls außen vorgelassen. Sie stimmen über viele Maßnahmen im Bundesrat mit ab oder schließen entsprechende Verwaltungsvereinbarungen mit dem Bund. Im Übrigen erlaubt die finanzpolitische Lage mit Überschüssen der Länder von über 12 Mrd. Euro es durchaus, dass sie die Finanzierung ihrer Aufgaben wieder vollständig selbst leisten können. Hier würde ich mir eine realitätskonforme starke Reduktion der Länderanliegen wünschen.

    Für die Zukunft wünsche ich mir aber auch, dass sich der Bund gelegentlich stärker selbst beschränkt, wenn es um Aufgaben der Länder und Kommunen geht. Und die Länder würde ich gern dazu ermuntern, bei Zukunftsaufgaben in ihrer Zuständigkeit noch stärker selbst voranzugehen, ohne auf Vorgaben aus dem Bund zu warten. Selbstverständlich müssen die Länder hierfür dann auch in ihren Haushalten Prioritäten setzen. Aus meiner Zeit in Hessen weiß ich: In vielen Ländern und Kommunen gibt es hierfür wunderbare Ideen und Konzepte.

    Wie könnten die Bund-Länder-Finanzbeziehungen neu aufgestellt werden, damit es nicht immer wieder zu den gleichen Auseinandersetzungen, komplizierten Finanzströmen und Mischfinanzierungen kommt?

    Die Verteilung der Aufgaben und Ausgaben sowie die angemessene Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel ist eine Kernfrage jedes dezentral organisierten Gemeinwesens. Das Spannungsfeld wird durch die Gegenpole „Einheit“ und „Dezentralisierung“ beziehungsweise „Kooperation“ und „Eigenverantwortung“ bestimmt. Das Grundgesetz berücksichtigt dieses Spannungsfeld, enthält aber zugleich klare Vorgaben. Der Grundsatz lautet, dass die Finanzierungsverantwortung der Aufgabenverantwortung folgt. Mischfinanzierungen durch entsprechende Finanzhilfen oder andere Leistungen des Bundes sind unter engen, im Grundgesetz normierten Voraussetzungen möglich, sollten aber die Ausnahme bleiben. Dieser Ansatz, der 2006 durch die Föderalismuskommission I gestärkt wurde, schafft letztlich mehr Effizienz und stärkt die Eigenverantwortung des politischen Handelns. Angesichts der derzeitigen finanzpolitischen Schieflage zulasten des Bundes ist es jetzt an der Zeit, im Bundeshaushalt Prioritäten zu setzen und sich seitens des Bundes auf seine originären Aufgaben zu konzentrieren.

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