Warum ist das Zukunftsfinanzierungsgesetz notwendig? Welche Entstehungsgeschichte steckt hinter der Gesetzesinitiative?
Wir haben uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, Deutschland zum führenden Standort für Investitionen zu machen. In der Vergangenheit war Deutschland in vielen Rechtsbereichen vielleicht nicht so modern wie andere Mitgliedstaaten – wie z. B. die Niederlande, Frankreich oder Österreich. Jetzt schauen wir uns also an, wie man unser Kapitalmarktrecht umfassend modernisieren kann, um Investitionen zu erleichtern, den Kapitalmarkt anzuschieben und auch den Finanzstandort nach vorn zu bringen. Ein Teil der Regelungen befindet sich im Zuständigkeitsbereich des BMF und ein Teil im Zuständigkeitsbereich des Bundesjustizministeriums. Innerhalb des BMF liegt die Zuständigkeit im Wesentlichen bei der Finanzmarktabteilung, aber auch bei den Abteilungen, die für Steuern zuständig sind. Insofern ist das Gesetz ein Gesamtprodukt aus einer sehr guten Zusammenarbeit innerhalb des BMF und mit den Kolleginnen und Kollegen im Bundesjustizministerium. So haben wir ein gutes Paket geschnürt, das den Finanzmarkt voranbringen soll.
Wir haben den Referentenentwurf am 12. April 2023 an Verbände und Länder versendet und am 28. April 2023 eine mündliche Verbändeanhörung durchgeführt. Diese hat große Resonanz erfahren und der Entwurf hat dabei ein sehr positives Echo gefunden. Nun wollen wir schnell den nächsten Schritt gehen und den Regierungsentwurf möglichst noch vor der Sommerpause in das Kabinett einbringen, damit das Gesetz noch Ende dieses Jahres in Kraft treten kann.
Auch auf europäischer Ebene treiben wir parallele Projekte voran, wie den europäischen Listing Act und die Roadmap zur Kapitalmarktunion. Denn viele Dinge sind europäisch reguliert. Da müssen wir auch in Europa unsere Regeln immer wieder modernisieren. So hoffe ich, dass wir bessere Rahmenbedingungen für Eigenkapitalfinanzierung und Kapitalmarktfinanzierung haben werden, wenn wir das Gesetz beschlossen haben und die Regulierung in Europa verabschiedet ist.
Der Referentenentwurf des BMF will Start-ups und kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stärken. Was genau ist geplant? Wie könnten sich die vorgeschlagenen Maßnahmen mittel- bis langfristig positiv auf die Start-up-Branche auswirken?
Zunächst haben wir uns mit den Initial Public Offerings, d. h. dem erstmaligen öffentlichen Angebot von Wertpapieren eines Unternehmens in Form eines Börsengangs, beschäftigt, mit der Börsennotierung und damit, wie wir den Zugang zu Börsen erleichtern, auch für KMU. Außerdem wollen wir die Schnelligkeit und Rechtssicherheit bei Kapitalerhöhungen verbessern. Das erleichtert den Start-ups die Aufnahme von Eigenkapital und damit das Wachstum. Gerade in Zeiten gestiegener Zinsen ist das wichtig.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Einführung sogenannter Dual Class Shares, also Mehrstimmrechtsaktien. Diese haben wir im deutschen Gesellschaftsrecht bislang nicht, obwohl sie in vielen anderen Mitgliedstaaten existieren. Sie machen es Gründerinnen und Gründern möglich, in der Aktiengesellschaft über ihren Kapitalansatz hinaus Mitspracherechte zu erhalten, sodass sie sich auch nach dem Börsengang in das Unternehmen einbringen können. Auch das soll die Start-up-Branche ermutigen, den Weg an die Börse zu finden.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der stärkeren Förderung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung. Diese fordern die Start-ups immer wieder ein. Wir wollen den vorhandenen Freibetrag von 1.450 Euro auf 5.000 Euro erhöhen. Außerdem sieht das Gesetz eine Reihe weiterer Regelungen zum Ausbau der steuerlichen Förderung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung vor. Insbesondere eine Lösung der sogenannten Dry-Income-Problematik, bei der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erst später am Unternehmen beteiligt werden. Künftig sollen erst dann Steuern fällig sein, wenn über die Veräußerung der Beteiligung tatsächlich Geld zufließt. Das kommt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zugute, aber natürlich auch dem Start-up-Standort Deutschland.
Ein Kernelement des Gesetzesvorschlags ist auch, dass die private Aktienanlage attraktiver wird. Womit kann hier gerechnet werden?
Wir wollen die Aktienanlage stärken, und zwar auf zwei Seiten: der Angebots- und der Nachfrageseite. Indem wir die Börsennotierung erleichtern, wollen wir mehr innovativen Unternehmen den Weg an die Börse ermöglichen; auf der Nachfrageseite ist eine deutliche Erhöhung der Arbeitnehmer-Sparzulage für Anlagen in Aktien und anderen Vermögensbeteiligungen geplant. Ein wesentlicher Teil ist vor allem, dass auch Privatleute sich mit dem Kapitalmarkt beschäftigen und Anreize haben, sich am Kapitalmarkt zu beteiligen – das ist ein ganz wesentlicher Faktor für einen funktionierenden Kapitalmarkt. Weitere Bausteine dafür werden die Gespräche sein, die wir im Rahmen der Fokusgruppe „Altersvorsorge in Säule 3“ führen, sowie das sogenannte Generationenkapital, das wir aktuell auf den Weg bringen. Auch da geht es darum, die Nachfrageseite zu stärken.
Was bedeutet der Gesetzentwurf für den Kapitalmarkt und den Finanzstandort Deutschland generell – auch mit Blick auf die Zukunft?
Wir haben uns bemüht, alle bestehenden nationalen Spielräume für eine Modernisierung des Kapitalmarkts zu nutzen: Wir wollen digitaler werden und Schriftformerfordernisse streichen, wir gehen das Thema Anlage in Kryptowerte an, ermöglichen eine E-Aktie und sorgen für mehr Rechtssicherheit und insbesondere Insolvenzfestigkeit bei der Verwahrung von Kryptowerten durch Finanzdienstleister. Der deutsche Finanzmarkt soll zudem international attraktiver werden und beispielsweise eine stärkere englischsprachige Kommunikation der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ermöglichen.
Unter diesem Vorzeichen steht auch die geplante Regelung, mit der wir eine Bereichsausnahme von der Klauselkontrolle für Allgemeine Geschäftsbedingungen bei Finanzmarktgeschäften zwischen professionellen Finanzdienstleistern einführen wollen. Diese ist bei international üblichen Standardverträgen besonders wichtig. Die bestehende Regelung hat zu Rechtsunsicherheit und zu Flucht aus dem deutschen Recht geführt. Wir wollen auch das deutsche Recht zu einem Recht machen, das für internationale Standardverträge eingesetzt werden kann.
Sie sind als Leiterin der Abteilung VII auch für die Bankenregulierung zuständig. Wie ist die aktuelle Lage des Bankensektors?
Der Bankensektor ist nach einhelliger Auffassung der zuständigen europäischen und nationalen Aufsichtsbehörden stabil. Insbesondere halten die Institute deutlich mehr Eigenkapital vor und verfügen über eine bessere Liquiditätsausstattung als vor Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008. Das ist auch eine Folge der Regulierung, die als Reaktion auf die Finanzkrise stattgefunden hat. Diese Maßnahmen waren richtig, denn wir brauchen starke Banken, wenn wir die Transformation und Innovation finanzieren wollen. Im Gegensatz zu den USA müssen beispielsweise alle Banken – unabhängig von ihrer Größe – verbindliche Liquiditätsanforderungen erfüllen. Auch die Zinsänderungsrisiken werden in der Europäischen Union von den Aufsichtsbehörden engmaschig überwacht. Aber natürlich müssen die Europäische Bankenaufsicht, die BaFin und die Deutsche Bundesbank die Lage im Finanzsektor weiterhin sehr genau im Blick behalten.
Sind neue Gesetzesvorhaben aus dem BMF für diesen Bereich zu erwarten?
Wir sehen unsere Banken natürlich auch im Wettbewerb mit anderen Finanzsektoren, insbesondere in den USA und in Asien. Wir als Europäerinnen und Europäer haben insgesamt das Interesse, dass Investitionen nach Europa kommen, um die grüne Transformation zu finanzieren. Deswegen ist auch der Bereich Sustainable Finance ein wichtiger Teilbereich hier in der Finanzmarktabteilung. So ist der Sustainable Finance-Beirat bei uns angesiedelt. Dort diskutieren wir regelmäßig darüber, wie wir Deutschland zu einem führenden Standort für Sustainable Finance ausbauen können, damit wir auch bei diesem Aspekt attraktiv genug sind für das Kapital, das benötigt wird, um die Transformation zu finanzieren.
Aber auch in anderen Bereichen brauchen wir starke Banken, insbesondere bei der Finanzierung von KMU. Das ist auch der Grund, warum wir uns auf europäischer Ebene dafür eingesetzt haben, dass das jetzt aktuelle Bankenpaket, welches auf europäischer Ebene zwischen Europäischen Parlament und dem Rat im sogenannten Trilog verhandelt wird, die Finanzierung der Realwirtschaft sicherstellt. Wir setzen uns für investitionsfreundliche Rahmenbedingungen ein; das gilt insbesondere für Unternehmen ohne externes Rating, die es hierzulande viel häufiger gibt als beispielsweise in den USA, und auch für die KMU.
Außerdem achten wir darauf, dass wir die Proportionalität stärken und uns immer wieder überlegen, in welchen Teilbereichen Verbesserungen möglich sind. Darüber hinaus analysieren wir – in enger Abstimmung mit der Bankenaufsicht auf internationaler Ebene – welche Schlussfolgerungen aus den aktuellen Entwicklungen zu ziehen sind.