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    Deut­sches Sta­bi­li­täts­pro­gramm 2023: Rück­kehr in die fi­nanz­po­li­ti­sche Nor­ma­li­tät

    • Das Bundeskabinett hat am 26. April 2023 das Deutsche Stabilitätsprogramm 2023 beschlossen. Das Stabilitätsprogramm zeigt: Deutschland verfügt über solide Finanzen in einer herausfordernden Zeit sich überlagernder Krisen.
    • Mit soliden Staatsfinanzen bekräftigt Deutschland seine Rolle als ein Stabilitätsanker der Europäischen Union. In der aktuellen Projektion der Staatsfinanzen wird der gesamtstaatliche Finanzierungssaldo für das Jahr 2023 auf rund -4 ¼ Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) geschätzt. Im Jahr 2024 dürfte das Defizit zunächst deutlich zurückgehen und in den darauffolgenden Jahren weiter kontinuierlich sinken, bis auf rund ¾ Prozent des BIP zum Ende des Projektionszeitraums im Jahr 2026.
    • Die gesamtstaatliche Maastricht-Schuldenstandsquote (Schuldenstand in Prozent des BIP) ist zum Ende des vergangenen Jahres auf 66,3 Prozent des BIP gesunken. Der Projektion zufolge wird sie zum Ende des laufenden Jahres zunächst wieder auf rund 67 ¾ Prozent des BIP ansteigen. Bis zum Jahr 2026 wird ein kontinuierlicher Rückgang der Schuldenstandsquote auf 65 ½ Prozent des BIP erwartet.
    • Mit der Einhaltung der regulären Kreditobergrenze der deutschen Schuldenregel ab dem Jahr 2023 und dem projizierten Abbau von Defizit und Schuldenstandsquote über den Programmhorizont kehrt die Bundesregierung in die finanzpolitische Normalität zurück und stärkt die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen. Angesichts großer mittel- und langfristiger Herausforderungen für die deutsche Volkswirtschaft setzt die Bundesregierung mit ihrer Angebotspolitik gezielte Impulse für ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum und wirkt Preisdruck entgegen.

    Einleitung

    Das Bundeskabinett hat am 26. April 2023 das Deutsche Stabilitätsprogramm 2023 beschlossen, in dem das BMF über die Entwicklung des gesamtstaatlichen Haushalts sowie die Zielsetzung der deutschen Finanzpolitik berichtet. Im Anschluss an die Kabinettsitzung wurde das Stabilitätsprogramm gemäß den Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts fristgerecht an die Europäische Kommission und den Ministerrat (ECOFIN) übersandt. Das Programm enthält eine Projektion der wichtigsten finanzpolitischen Kennzahlen sowie eine Erläuterung der wichtigsten finanzpolitischen Maßnahmen.

    Die finanzpolitische Ausgangslage wird in diesem Frühjahr von drei großen Herausforderungen geprägt, welche die Rahmenbedingungen für die Finanzpolitik in Deutschland fundamental verändert haben. Erstens begründen die Auswirkungen des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine finanzpolitischen Handlungsbedarf in den Bereichen Landes- und Bündnisverteidigung, Unterstützung der Ukraine, Aufnahme, Betreuung und Integration von aus der Ukraine Geflüchteten sowie Sicherung der Energieversorgung. Zweitens belasten die Energiekrise, die Probleme in den globalen Lieferketten und auch die pandemiebedingt ausgebliebenen Investitionen die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und haben die Inflation stark erhöht. Infolge der geldpolitischen Reaktion auf die erhöhte Inflationsrate hat sich das Zinsumfeld signifikant verändert und verengt finanzpolitische Handlungsspielräume. Drittens steht Deutschland auch in der mittleren und langen Frist angesichts des geplanten Umbaus zu einer klimaneutralen Wirtschaft, der Digitalisierung, des demografischen Wandels und möglicher struktureller Veränderungen des Welthandels vor großen Herausforderungen, die das Wachstum dämpfen und zugleich Preisdruck erzeugen können.

    Die Bundesregierung hat entschlossen auf die Krisen reagiert: Für die unmittelbare Krisenbewältigung hat sie drei umfangreiche und schnell wirksame Entlastungspakete mit einem Gesamtvolumen von etwa 100 Mrd. Euro für die Jahre 2022 und 2023 beschlossen und über die Reaktivierung und Neuausrichtung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF‑Energie) einen wirtschaftlichen Abwehrschirm gespannt, der bis zu 200 Mrd. Euro für streng zweckgebundene Maßnahmen zur temporären Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Energiekrise zur Verfügung stellt.

    Um die Handlungsfähigkeit auch in künftigen Krisen und im Angesicht der großen mittel- und langfristigen Herausforderungen für die deutsche Volkswirtschaft zu sichern, vollzieht die deutsche Finanzpolitik nach drei Jahren des krisenbedingten Ausnahmezustands mit dem Stabilitätsprogramm 2023 einen Schritt des Übergangs in die Normalität. Die Rückkehr zur regulären Kreditobergrenze der deutschen Schuldenregel ab dem Jahr 2023 ist ein wichtiges Signal für die Verlässlichkeit sowie die Solidität der deutschen Finanzpolitik. Die deutsche Finanzpolitik wird diesen Kurs im Weiteren durch konsequente Priorisierung von Zukunftsinvestitionen fortsetzen, den Modus der fiskalischen Expansion verlassen und die finanzpolitische Handlungsfähigkeit für die Zukunft sichern.

    Neben der Stabilisierung in der Energiekrise verfolgt die Bundesregierung angesichts der mittelfristigen Herausforderungen eine zielgerichtete Angebotspolitik für ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum. Dies kann im aktuellen gesamtwirtschaftlichen Umfeld insbesondere durch eine Steigerung der Produktivität erreicht werden, was gleichzeitig dem Inflationsdruck entgegenwirkt. Eine erfolgreiche Angebotspolitik bedarf dabei der finanzpolitischen Mobilisierung privatwirtschaftlicher Investitionen und Maßnahmen zur Stärkung des Arbeitsangebots und der Qualifikationen. Durch konsequente und fortlaufende Priorisierung von Ausgaben eröffnet die Bundesregierung mit investiven Ausgaben – ohne Sondereffekte – auf einem Rekordniveau von mehr als 54 Mrd. Euro im Bundeshaushalt 2023 ein Jahrzehnt der Investitionen in ein modernes, digitales und klimaneutrales Deutschland.

    Entwicklung der Staatsfinanzen

    Entwicklung des Finanzierungssaldos

    Infolge der erforderlichen Maßnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Energiekrise sowie der Corona-Pandemie verzeichnete der Staat insgesamt auch im Jahr 2022 ein Finanzierungsdefizit (s. a. Tabelle 1). Der Finanzierungssaldo verbesserte sich gegenüber 2021 von -3,7 Prozent des BIP auf -2,6 Prozent des BIP. Mit -3,3 Prozent des BIP verzeichnete der Bund (Kernhaushalt und Extrahaushalte) sogar ein höheres Defizit als der Staat insgesamt. Grund für das geringere gesamtstaatliche Defizit war ein leicht positiver Finanzierungssaldo bei Ländern und Gemeinden (zusammen rund 0,5 Prozent) sowie bei der Sozialversicherung (0,2 Prozent). Zu dieser Entwicklung trug vor allem bei, dass der Bund die Maßnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Energiekrise im Jahr 2022 weitgehend allein finanzierte.

    Finanzierungssalden nach staatlichen Ebenen

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    Tabelle 1

    Für das laufende Jahr wird ein gesamtstaatliches Finanzierungsdefizit von rund 4 ¼ Prozent des BIP erwartet. Zu diesem Anstieg der Defizitquote im Vergleich zum Jahr 2022 trägt der WSF-Energie rund 3 Prozent des BIP bei – ohne diesen läge das Finanzierungsdefizit 2023 bei rund 1 ¼ Prozent des BIP. Das projizierte Defizit ist daher vor dem Hintergrund der hohen Unsicherheit über die tatsächlichen Ausgaben des WSF-Energie zu sehen und als Obergrenze zu interpretieren.

    Im Jahr 2024 fällt die Defizitquote in der Projektion wieder unter die 3-Prozent-Grenze der europäischen Verträge. Die erwartete Verbesserung gegenüber diesem Jahr ergibt sich im Wesentlichen aus dem Auslaufen temporärer Maßnahmen im Zusammenhang mit der Abfederung der Folgen der Energiekrise. In den Folgejahren dürfte sich der Finanzierungssaldo dann schrittweise auf rund -¾ Prozent des BIP im Jahr 2026 verbessern. Das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit in allen Projektionsjahren geht – wie auch in den vergangenen Jahren – primär auf die Bundesebene zurück.

    Grundlagen der Projektion
    Die im Stabilitätsprogramm enthaltene Projektion der Haushaltsentwicklung aller staatlichen Ebenen (Stichtag der Projektion: 30. März 2023) beruht auf der Jahresprojektion der Bundesregierung zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom 25. Januar 2023, den anhand der Jahresprojektion aktualisierten Ergebnissen des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ vom 25. Oktober 2022 sowie der Finanzplanung des Bundes bis 2026 vom 1. Juli 2022. Die Projektion umfasst insbesondere auch den WSF-Energie mit einem Volumen von bis zu 200 Mrd. Euro. Bezüglich der Ausgaben des WSF-Energie wurde dessen Wirtschaftsplan zugrunde gelegt. Der tatsächliche Abfluss dieser Mittel ist hierbei allerdings höchst unsicher, da die Ausgaben für die Strom-, Gas- und Wärmepreisbremse direkt von der Entwicklung der entsprechenden Endverbraucherpreise abhängen. Sollten die Endverbrauchspreise geringer ausfallen als bei Beschluss des Wirtschaftsplans erwartet, wären die Ausgaben für die Preisbremsen entsprechend niedriger als im Wirtschaftsplan veranschlagt. Gegenüber dem Zeitpunkt der Erstellung des Wirtschaftsplans sind die Großhandelspreise für Strom und Gas deutlich gefallen. In welchem Maße und wie schnell sich dies in den Endverbraucherpreisen niederschlagen wird, ist jedoch noch weitgehend offen. Die Unsicherheit bezüglich des tatsächlichen Mittelabflusses aus dem WSF-Energie ist daher hoch.

    Entwicklung der strukturellen Indikatoren

    Der staatliche Finanzierungssaldo wird von der Finanzpolitik in erster Linie durch die Haushaltspolitik über die Gestaltung von Einnahmen und Ausgaben beeinflusst. Daneben wirkt jedoch eine Reihe konjunktureller und außergewöhnlicher Faktoren, die zu großen Teilen außerhalb der direkten Kontrolle der Regierungen liegen. Um die Finanzpolitik bereinigt um diese Faktoren zu bewerten, werden daher im europäischen Haushaltsüberwachungsverfahren strukturelle Indikatoren betrachtet. Zur Ermittlung des strukturellen Finanzierungssaldos wird der nominale Saldo um konjunkturelle Einflussfaktoren und grundsätzlich um Einmaleffekte gemäß der EU-einheitlichen Methodik bereinigt.

    Auf dieser Basis verbesserte sich der gesamtstaatliche strukturelle Finanzierungssaldo im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr von -2,9 Prozent des BIP auf -1,8 Prozent des BIP (s. a. Tabelle 2). Als Einmaleffekte wurden im Jahr 2022 die Vermögenstransfers an Uniper und SEFE in Höhe von insgesamt 26,6 Mrd. Euro gewertet. Im Jahr 2023 wird das strukturelle Defizit gemäß Projektion auf rund 3 ¼ Prozent des BIP steigen. Hierbei wurde um die geplanten Kapitalmaßnahmen im WSF-Energie von rund 15 Mrd. Euro als Einmalmaßnahme bereinigt. Ohne den WSF-Energie würde der strukturelle Saldo in diesem Jahr bei rund -¾ Prozent des BIP liegen. In den Folgejahren würde sich der strukturelle Saldo schrittweise auf rund -¾ Prozent des BIP verbessern, nahe dem Mittelfristigen Haushaltsziel Deutschlands von -0,5 Prozent des BIP.

    Struktureller Finanzierungssaldo im Vergleich zum tatsächlichen Finanzierungssaldo

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    Tabelle 2

    Entwicklung des Schuldenstands

    In den Jahren 2013 bis 2019 war die Schuldenstandsquote kontinuierlich zurückgegangen. Zum Ende des Jahres 2019 hatte der Schuldenstand 59,6 Prozent des BIP betragen. Damit war der Referenzwert des Maastricht-Vertrags von 60 Prozent erstmals seit dem Jahr 2002 unterschritten worden. Der Rückgang der Schuldenstandsquote in den Jahren vor Ausbruch der Corona-Pandemie trug dazu bei, auf die Herausforderungen durch die Corona-Pandemie entschlossen und kraftvoll reagieren zu können, ohne die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen zu gefährden. Infolge der Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie stieg die Schuldenstandsquote auf 69,3 Prozent zum Ende des Jahres 2021 (s. a. Abbildung 1). Im vergangenen Jahr ist sie trotz eines gesamtstaatlichen Finanzierungsdefizits deutlich auf 66,3 Prozent gesunken. Ursächlich waren im Wesentlichen zwei Effekte: Zum einen überstieg die Kreditaufnahme am Kapitalmarkt im Jahr 2021 aufgrund der unsicheren Haushaltssituation den kassenmäßigen Bedarf, was die Neuverschuldung im Jahr 2022 verminderte, zum anderen verringerte der hohe nominale BIP-Zuwachs im Jahr 2022 für sich betrachtet die Schuldenstandsquote deutlich.

    Säulendiagramm: Entwicklung der Maastricht-Schuldenstandsquote von 2008 bis 2026 (Werte in der Langbeschreibung) BildVergroessern
    Abbildung 1

    Im laufenden Jahr wird die Schuldenstandsquote laut Projektion auf rund 67 ¾ Prozent des BIP ansteigen. Dieser Anstieg geht ganz wesentlich auf die infolge des russischen Angriffskriegs ergriffenen Maßnahmen zur Stabilisierung der Energieversorgung und Entlastung von privaten Haushalten und Unternehmen in der Energiekrise zurück. Für die kommenden Jahre wird dann ein kontinuierlicher Rückgang erwartet, mit einer Schuldenstandsquote von rund 65 ½ Prozent des BIP zum Ende der Programmperiode im Jahr 2026.

    Strategische Ausrichtung der Finanzpolitik der Bundesregierung

    Die makroökonomischen Auswirkungen der mit dem russischen Angriffskrieg ausgelösten Krise der europäischen Sicherheitsordnung sowie der Energiekrise und die auch noch im Jahr 2022 anhaltenden Probleme in den globalen Lieferketten haben die wirtschaftliche Erholung von der Corona-Pandemie verlangsamt und in die Zukunft verschoben. Zudem belasten sie die gesamtwirtschaftlichen Aussichten in Deutschland. Gleichzeitig waren nicht nur die Energiepreise zwischenzeitlich auf historische Höchststände gestiegen, sondern auch Waren und Dienstleistungen hatten sich so schnell wie seit vier Jahrzehnten nicht mehr verteuert. Infolge der geldpolitischen Reaktion auf die hohe Inflation hat sich das Zinsumfeld signifikant verändert. Auch in der mittleren und langen Frist steht Deutschland mit der Digitalisierung, der Dekarbonisierung, dem demografischen Wandel und möglichen strukturellen Veränderungen des Welthandels vor großen Herausforderungen, die das Wachstum dämpfen und zugleich den Preisdruck aufrechterhalten können.

    In diesem anspruchsvollen und durch negative Angebotsschocks geprägten Umfeld braucht Deutschland eine zukunftsorientierte Finanzpolitik, welche die deutsche Volkswirtschaft auf einem Wachstumspfad hält, ohne der Inflation zusätzlichen Auftrieb zu geben, und die neue finanzpolitische Handlungsspielräume schafft. In Zeiten einer Verknappung wesentlicher Produktionsfaktoren und hoher Preissteigerungsraten sollte die Finanzpolitik das Erreichen der geldpolitischen Ziele im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen und eine zu expansive Ausrichtung vermeiden. Um den Auswirkungen der angebotsseitigen Beschränkungen entgegenzuwirken, gilt es, die Rahmenbedingungen für mehr Investitionen und Innovationen zu schaffen und dabei die volkswirtschaftliche Produktivität zu steigern sowie den Wirtschaftsstandort im internationalen Wettbewerb zu stärken, was dem Inflationsdruck entgegenwirkt.

    Die Bundesregierung verfolgt daher eine Finanzpolitik, die effizient, vorausschauend und gestaltend agiert. Effizient bedeutet, Ausgaben fortlaufend zu priorisieren und zu evaluieren. Vorausschauend bedeutet, angesichts globaler Herausforderungen sobald wie möglich vom Krisenmodus in die Normalität zurückzukehren, um mit Blick auf etwaige künftige Krisen, steigende Ausgabenbedarfe sowie ein verändertes Zinsumfeld die finanzpolitische Handlungsfähigkeit zu wahren. Gestaltend bedeutet, dass die Finanzpolitik eine erfolgreiche Bewältigung der großen Transformationen ermöglicht. Dieses Leitbild erfüllt eine Finanzpolitik, die die Zukunftsfähigkeit Deutschlands sichert: kurzfristige Stabilisierung in der Krise, wachstumsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik zur Steigerung der Produktivität und klare Ausrichtung am Ziel fiskalischer Resilienz und finanzpolitischer Stabilität.

    Stabilisierung in der Krise

    Deutschland hat mit der Corona-Pandemie und dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine zwei Krisen historischen Ausmaßes in kürzester Zeit erlebt. Da es sich um seltene und außergewöhnliche Ereignisse handelt, muss die Finanzpolitik in der Krise mit außergewöhnlichen Maßnahmen zur Stabilisierung reagieren und im aktuellen Umfeld eine Balance zwischen Krisenbekämpfung und Inflationsvermeidung finden. Hierzu kann die Bundesregierung aufgrund der vor der Pandemie aufgebauten finanzpolitischen Handlungsspielräume auf signifikante finanzielle Ressourcen des Staats zurückgreifen. Eine kraftvolle und entschlossene Reaktion auf die gestiegene Unsicherheit in der Krise ist der erste Grundpfeiler der finanzpolitischen Strategie. Gleichzeitig sind zusätzliche inflationäre Impulse durch die Finanzpolitik zu vermeiden. Deswegen hat die Bundesregierung ihre Krisenreaktion schnell, temporär und zielgerichtet gestaltet.

    Zielgerichtete Angebotspolitik

    Neben der Stabilisierung in Krisenzeiten wirkt die deutsche Finanzpolitik niedrigen Wachstums- und hohen Inflationsraten mit geeigneten Maßnahmen entgegen. Als geeignete makroökonomische Reaktion auf den Angebotsschock durch die ausbleibenden Energielieferungen und die mittel- bis langfristigen Herausforderungen für die deutsche Volkswirtschaft verfolgt die Bundesregierung eine zielgerichtete Angebotspolitik, insbesondere im Hinblick auf die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft sowie die Digitalisierung und den demografischen Wandel. Das zweite strategische Ziel der deutschen Finanzpolitik ist insoweit die Initiierung eines selbsttragenden Wirtschaftswachstums mithilfe der allokativen und produktiven Kräfte des Markts. Ein solches Wirtschaftswachstum kann im aktuellen gesamtwirtschaftlichen Umfeld nur durch eine Steigerung des gesamtwirtschaftlichen Angebots und hierbei insbesondere der Produktivität erreicht werden. Eine erfolgreiche Angebotspolitik bedarf dabei insbesondere der finanzpolitischen Mobilisierung privatwirtschaftlicher Investitionen.

    Für das Ausmaß der erforderlichen Mobilisierung gilt es, neben der Bereitstellung finanzieller Mittel zur Aktivierung insbesondere privater Investitionen vor allem attraktive Rahmenbedingungen für Unternehmen zu setzen, Unsicherheit gezielt zu reduzieren und den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt zu stärken. Daher hat die Bundesregierung es sich zum Ziel gesetzt, ein innovationsfreundliches Umfeld mit wettbewerbsfähigem Steuersystem, modernem Staat und beschleunigten Verfahren zu gewährleisten. Die Finanzpolitik zielt darauf ab, mit gezielten Impulsen zur Entlastung der Unternehmen die Steigerung des gesamtwirtschaftlichen Angebots anzureizen, Inflationsrisiken zu reduzieren und Unternehmen bei Investitionen in Digitalisierung und Klimaneutralität zu unterstützen.

    Um Deutschland zu modernisieren, wird die Bundesregierung die Rahmenbedingungen für Gründungen, Investitionen und Innovation verbessern. Hierfür soll die Verfügbarkeit privaten Kapitals für Investitionen verstärkt und insbesondere der Zugang von jungen Unternehmen und Start-ups zu Wagniskapital erleichtert werden (s. a. den Schlaglichtartikel sowie das Interview mit Dr. Eva Wimmer in dieser Ausgabe). Die Bundesregierung wird Bürokratie konsequent abbauen und die Verwaltung agiler und digitaler aufstellen. Als ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen verfolgt die Bundesregierung das Ziel, die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren in Deutschland zu halbieren und die Verfügbarkeit gut ausgebildeter Arbeitskräfte durch Aus- und Weiterbildung zu fördern. Für die Sicherstellung einer modernen Infrastruktur ist die beschlossene Erhöhung der öffentlichen Investitionen über den gesamten Finanzplanungszeitraum bis 2026 von besonderer Bedeutung. Die Bundesregierung investiert verstärkt in bessere Infrastruktur, Bildung und Innovation und eine resiliente Energieinfrastruktur.

    Fiskalische Resilienz

    Um die Handlungsfähigkeit in künftigen Krisen im Angesicht der großen mittel- und langfristigen Herausforderungen für die deutsche Volkswirtschaft zu sichern, muss die Rückkehr zur finanzpolitischen Normalität nach Krisen gelingen. Die Rückkehr zur Normalität ist daher das dritte strategische Ziel der deutschen Finanzpolitik, um fiskalische Resilienz und finanzpolitische Stabilität zu sichern. Angesichts der krisenbedingt hohen Finanzierungsdefizite in den zurückliegenden Jahren sowie der mittel- und langfristigen Herausforderungen markiert das Jahr 2023 den Übergang vom Krisenmodus in die finanzpolitische Normalität. Hierfür wird die deutsche Finanzpolitik ab dem Bundeshaushalt 2023 den Modus der fiskalischen Expansion verlassen und mit der Rückkehr zur Normalität die finanzpolitische Handlungsfähigkeit für die Zukunft sichern. Dies sichert die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen und das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen in die Handlungsfähigkeit des Staats und wirkt Inflationsrisiken entgegen. Die Finanzpolitik der Bundesregierung verfolgt das Ziel, zusätzliche inflationäre Impulse durch eine zu expansive Ausrichtung zu vermeiden.

    Zur Sicherung fiskalischer Resilienz trifft die Bundesregierung finanzpolitisch Vorsorge gegenüber Risiken für die Solidität öffentlicher Finanzen in Form steigender Ausgaben, beispielsweise infolge des demografischen Wandels und zukünftig höherer Kosten der öffentlichen Verschuldung in einem Umfeld mit höheren Zinsen. Als strategische Antwort hierauf nimmt die Bundesregierung eine fortlaufende Priorisierung staatlicher Ausgaben vor, gestaltet die Haushaltsführung stärker wirkungsorientiert und leistet so einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Qualität der öffentlichen Finanzen. Die Rückkehr zur regulären Kreditobergrenze ab dem Bundeshaushalt 2023 sichert die glaubwürdige Rückführung der Schuldenstandsquote und das Vertrauen der Finanzmärkte in die höchste Bonität des deutschen Staats.

    Fazit

    Das Deutsche Stabilitätsprogramm 2023 zeigt: Deutschland verfügt über solide Finanzen in einer herausfordernden Zeit. In den sich überlagernden Krisen der vergangenen Jahre wurden öffentliche Mittel in außerordentlichem Umfang mobilisiert. Dies hat sichtbare Spuren in den öffentlichen Finanzen hinterlassen, sodass die Konsolidierung der staatlichen Finanzen in den kommenden Jahren ambitioniert erfolgen muss. Um die Staatsfinanzen nicht dauerhaft zu belasten, gilt es jetzt, Vorsorge für die Herausforderungen der Zukunft zu treffen, die finanzpolitische Handlungsfähigkeit zu gewährleisten, Deutschland zu modernisieren und so Freiheitsräume nachfolgender Generationen zu sichern. Komplementär hierzu setzt die Bundesregierung auf eine gezielte Angebotspolitik, um kurzfristigen Inflationsrisiken zu begegnen, ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum zu initiieren und die Tragfähigkeit öffentlicher Finanzen abzusichern. Das Stabilitätsprogramm unterstreicht, dass die deutsche Finanzpolitik den Modus der fiskalischen Expansion verlässt und Zukunftsinvestitionen strikt priorisiert. Deshalb werden sowohl die Defizite als auch die Schuldenstandsquote bis zum Ende des Berichtszeitraums konsequent reduziert. Damit befindet sich die deutsche Finanzpolitik auch im Einklang mit den einschlägigen Empfehlungen auf internationaler und europäischer Ebene, eine zu expansive Ausrichtung der Finanzpolitik zu vermeiden.

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