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  • Analysen und Berichte

    Früh­jahrs­ta­gung des In­ter­na­tio­na­len Wäh­rungs­fonds und der Welt­bank­grup­pe

    • Vom 10. bis 16. April 2023 fanden in Washington, D.C. anlässlich der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbankgruppe u. a. Treffen der G7- und G20-Finanzministerinnen und -minister und -Notenbankgouverneurinnen und -gouverneure sowie des Lenkungsausschusses des IWF (International Monetary and Financial Committee, IMFC) statt.
    • Gegenwärtig bestehen viele Herausforderungen für die Weltwirtschaft und die internationale Finanzarchitektur: insbesondere der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine mit seinen wirtschaftlichen Folgen, weiterhin zu hohe Inflation in vielen Ländern, schwache mittelfristige Wachstumsaussichten und hohe Verschuldung vieler Niedrigeinkommensländer. Gleichwohl waren die Treffen nicht von akut notwendiger Krisenbewältigung geprägt.
    • Im Zentrum der Treffen standen vielmehr der vertrauensvolle gegenseitige Austausch und die gemeinsame Suche nach kooperativen Problemlösungen mit den Vertreterinnen und Vertretern anderer Länder bei G7, G20, und IMFC, insbesondere über den richtigen geld- und finanzpolitischen Umgang mit Inflation, die Minderung von Risiken im Finanzsektor sowie Strukturreformen für Wachstum und für Klimaschutz.
    • Multilaterale Zusammenarbeit und Lastenteilung bleiben zentral – bei der Lösung von Verschuldungsfällen, beim Klimaschutz und bei der finanziellen Unterstützung von Niedrigeinkommensländern, z. B. über den Poverty Reduction and Growth Trust des IWF.

    Wichtige Themen der Tagung

    Im Zentrum der Diskussionen standen die Lage der Weltwirtschaft, Risiken für die Finanzstabilität, die Unterstützung der Ukraine und Verschuldungsthemen. Außerdem ging es um die Darstellung der Notwendigkeit der Einwerbung zusätzlicher Finanzierungsbeiträge für die Trust Funds des IWF und Reformen zur Hebelung des Eigenkapitals bei Weltbank und anderen multilateralen Entwicklungsbanken.

    Lage der Weltwirtschaft

    Der IWF stellte am 11. April 2023 seinen aktuellen Bericht zur Lage und zum Ausblick der Weltwirtschaft, den World Economic Outlook (WEO), vor. Die globale Wachstumserwartung für das Jahr 2023 wurde im Vergleich zur vorangegangenen Prognose im Januar 2023 leicht nach unten auf 2,8 Prozent und die Inflationserwartung für das Jahr 2023 leicht nach oben auf 7,0 Prozent revidiert. Im Jahr 2024 soll das Wachstum leicht anziehen; die Inflation soll zurückgehen, allerdings in vielen Ländern noch oberhalb der Inflationsziele der Notenbanken liegen. Bei dieser Prognose dominieren laut IWF gegenwärtig noch die Abwärtsrisiken für die weltwirtschaftliche Entwicklung.

    Für Deutschland geht der IWF für das Jahr 2023 von einem leichten Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Die Frühjahrsprojektion der Bundesregierung vom 26. April (BIP-Veränderung 2023 +0,4 Prozent) und die Einschätzung der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose vom 6. April 2023 (+0,3 Prozent) fallen dagegen etwas optimistischer aus.

    IWF-Projektionen für Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts und Inflation

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    Tabelle 1

    Aufgrund der immer noch erhöhten Inflation hat nach Ansicht des IWF eine anhaltend straffe Geldpolitik international weiter Priorität. Die Fiskalpolitik solle die Geldpolitik durch eine zurückhaltende Ausrichtung unterstützen und die Inflation nicht durch eine expansive Ausrichtung zusätzlich befeuern. Eine solche Entlastung der Geldpolitik könnte indirekt auch stabilisierend auf das Finanzsystem wirken (beispielsweise durch einen weniger steilen Zinspfad).

    Bei den Diskussionen in Washington, D.C. fand Bundesfinanzminister Christian Lindner damit Bestätigung für den Kurs einer stabilitätsorientierten Finanzpolitik, einhergehend mit dem erforderlichen Übergang vom expansiven finanzpolitischen Krisenmodus in die Normalität. Dies impliziert auch die finanzpolitisch, verfassungsrechtlich wie auch ökonomisch gebotene Rückkehr zur regulären Kreditobergrenze der Schuldenbremse ab dem Bundeshaushalt 2023.

    Gleichzeitig können engagierte Strukturreformen, die die Rahmenbedingungen für mehr private Investitionen und Innovationen verbessern, die volkswirtschaftliche Produktivität steigern und somit das gesamtwirtschaftliche Wachstum befördern. Dies ist auch vor dem Hintergrund bedeutsam, dass der IWF im Kontext multipler internationaler Krisen seine mittelfristigen Wachstumserwartungen auf das niedrigste Niveau seit Jahrzehnten abgesenkt hat.

    Der IWF stellt überdies in seinem aktuellen Finanzstabilitätsbericht Global Financial Stability Report (GFSR) gestiegene Stabilitätsrisiken in einem Umfeld hoher Inflation und Zinssätze fest. Es gebe aktuell aber keine Anzeichen einer breiten Banken- oder Finanzmarktkrise. Dank der regulatorischen und aufsichtlichen Reformen nach der großen Finanzkrise der Jahre 2008/2009 sei das Finanzsystem auf Stress-Episoden gut vorbereitet. Intensive Beobachtung, risikoadäquate Regulierung und eine schlagkräftige Aufsicht seien zentral. Sorgen bereitet dem IWF, dass geopolitische Spannungen zu einer Fragmentierung von Handel und Finanzströmen führen könnten.

    Internationale Schuldenthemen

    Rund 55 Prozent der Niedrigeinkommensländer weisen ein hohes Verschuldungsrisiko auf oder befinden sich bereits in einer Verschuldungskrise. Angesichts steigender Kreditkosten und geringeren Wachstums drohen die Schulden in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern untragbar zu werden. Der IWF sieht derzeit noch keine systemische Schuldenkrise in Entwicklungs- und Schwellenländern, warnt aber perspektivisch davor.

    Zur Unterstützung der hochverschuldeten Niedrigeinkommensländer haben sich die G20 und der Pariser Club, in dem sich wichtige Gläubigerländer treffen, bereits im Jahr 2020 auf ein gemeinsames Rahmenwerk für Schuldenrestrukturierungen, das sogenannte G20 Common Framework for Debt Treatments, verständigt. Dies ist ein großer Fortschritt in der internationalen Finanzarchitektur, trifft aber wegen seiner bisher stockenden Umsetzung auch auf Kritik. Ziel ist es, das Common Framework so zu verbessern, dass rasche, effiziente Schuldenrestrukturierungen für die ärmsten Länder zügig mit angemessener und miteinander vergleichbarer Beteiligung aller bilateralen und privaten Gläubiger erreicht werden können. Entscheidend ist hierbei insbesondere auch die Mitwirkung neuer Gläubigerstaaten wie China, dem aktuell größten bilateralen Gläubiger von Niedrigeinkommensländern. Die bessere Einbindung Chinas in die internationale Schuldenarchitektur ist auch ein Ziel des Global Sovereign Debt Roundtable, einem neuen Gesprächsformat, das traditionelle und neue Gläubigerländer, Schuldnerländer, IWF und Weltbank sowie Vertreter des Privatsektors an einen Tisch bringen soll. Frankreich, als Vorsitz des Pariser Clubs, nimmt dabei eine wesentliche Rolle ein und vertritt auch die gemeinsamen Interessen europäischer Länder. Ein erstes Treffen auf Ministerebene fand am Rande der Frühjahrstagung statt. Man konnte sich darauf einigen, dass IWF und Weltbank zukünftig früher Informationen zu makroökonomischen Prognosen und Bewertungen der Schuldentragfähigkeit teilen sollen. Außerdem sollen multilaterale Entwicklungsbanken im Zusammenhang mit Schuldenrestrukturierungen möglichst neue konzessionäre, d. h. zinsvergünstigte Finanzierungen bereitstellen – ihr Status (wie der des IWF) als bevorzugter Gläubiger bleibt unangetastet.

    Unterstützung der Ukraine

    Die Entwicklungen in der Ukraine wurden bei der Frühjahrstagung eng im Blick gehalten. Die weitere finanzielle Unterstützung des Landes war auch Thema beim Treffen der G7. Gemeinsam mit ihren Partnern unterstützt die Bundesregierung das Ende März 2023 verabschiedete konditionierte IWF-Programm für die Ukraine in Höhe von insgesamt 15,6 Mrd. Dollar. Hierfür hat sich Deutschland in der Gruppe der Gläubiger der Ukraine im Rahmen des Pariser Clubs dafür entschieden, das Schuldenmoratorium für die Ukraine bis 2027 zu verlängern. Zins- und Tilgungslasten für die Ukraine werden also noch länger ausgesetzt. Außerdem ist Deutschland bereit, in einer zweiten Phase, sofern notwendig, eine umfassende Schuldenrestrukturierung vorzunehmen, um die Schuldentragfähigkeit der Ukraine wiederherzustellen. Dies ist auch ein Signal, um ähnliche Lösungen mit dem Privatsektor zu erreichen. Die Auszahlung der IWF-Kredittranchen ist an erfolgreiche Reformumsetzung der Ukraine geknüpft, u. a. in den Bereichen inländische Einnahmengenerierung, Finanzmarktstabilität und Korruptionsbekämpfung.

    Finanzielle Unterstützung von Niedrigeinkommensländern

    Der Poverty Reduction and Growth Trust (PRGT – Treuhandfonds für Armutsbekämpfung und Wachstum) ist ein vom IWF verwalteter Treuhandfonds für einkommensschwache Länder. Angesichts gestiegener Finanzierungsbedarfe aufseiten der Niedrigeinkommensländer (z. B. aufgrund der Pandemie und der durch den russischen Angriffskrieg ausgelösten Nahrungsmittel- und Energiepreissteigerungen) sowie eines gestiegenen globalen Zinsniveaus stellt der IWF zunehmende Finanzierungslücken beim PRGT fest. IWF Managing Director Kristalina Georgieva nutzte daher die Frühjahrstagung, um für zusätzliche Finanzierungsbeiträge zu werben. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat in Washington, D.C. die Bedeutung einer fairen und breiten internationalen Lastenteilung zur Finanzierung des PRGT betont. Deutschland gehört bereits zu den größten Gebern und trägt derzeit ein Darlehen in Höhe von 3 Mrd. Euro (Auszahlung 2021 bis 2023) und einen Zuschuss in Höhe von 100 Mio. Euro (Auszahlung 2023 bis 2032) zum PRGT bei. Auch am Resilience and Sustainability Trust (RST – Treuhandfonds für Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit) des IWF zur Finanzierung längerfristiger Strukturanpassungen insbesondere im Klima- und Gesundheitsbereich beteiligt sich Deutschland mit einem Darlehen aus dem Bundeshaushalt in Höhe von 6,3 Mrd. Euro.

    Der Poverty Reduction and Growth Trust (PRGT)
    ist ein vom IWF verwalteter Treuhandfonds, der einkommensschwachen Ländern zinssubventionierte Darlehen zur Überwindung von Zahlungsbilanzschwierigkeiten sowie in besonderen Notlagen zur Verfügung stellt. Diese dienen damit auch der Armutsbekämpfung und Wachstumsförderung. In den PRGT zahlen Geberländer (PRGT-Gläubiger) Beiträge in Form von langfristigen Darlehen in das PRGT-Darlehenskonto ein. Deutschland zahlt derzeit ein Darlehen von 3 Mrd. Euro aus Haushaltsmitteln ein, andere Länder verleihen zu diesem Zweck Sonderziehungsrechte. Der IWF gibt dann die Gebermittel in Form von stark vergünstigten Darlehen an Niedrigeinkommensländer weiter. Der derzeitige Zinssatz beträgt 0 Prozent. Die Zinssubventionierung wird aus dem PRGT-Zinssubventionskonto geleistet. Für das Zinssubventionskonto müssen Geber Zuschüsse beisteuern. Deutschland hat einen Zuschuss über insgesamt 100 Mio. Euro zugesagt.

    Die Notwendigkeit zusätzlicher hoch-konzessionärer Finanzierung für die ärmsten Länder spielt auch bei der G20-Initiative Capital Adequacy Framework der multilateralen Entwicklungsbanken eine große Rolle. Es werden hierbei verschiedene Möglichkeiten erarbeitet und diskutiert, um mit dem Eigenkapital der Banken zusätzliche Kreditvergabemöglichkeiten für Entwicklungszwecke zu hebeln.

    Treffen der G7- und G20-Finanzministerinnen und -minister und -Notenbankgouverneurinnen und -gouverneure

    Am Rande der Frühjahrstagung des IWF trafen sich am 12. und 13. April 2023 ebenfalls die Finanzministerinnen und -minister sowie die Notenbankgouverneurinnen und -gouverneure (FMNBG) der G7 beziehungsweise G20. Die aktuelle Lage und die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft sowie Fragen der Finanzstabilität waren bei beiden Treffen zentrale Themen.

    Im Kreis der G7 (Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten) tauschte man sich unter japanischer Präsidentschaft über die Diversifizierung kritischer Lieferketten und die Stärkung des regelbasierten Handelssystems aus. Außerdem wurde über die weitere Unterstützung für die Ukraine beraten. Im Anschluss an das G7-Treffen wurde ein abgestimmtes G7-Statement1 veröffentlicht.

    Die führenden Industrie- und Schwellenländer (19 Staaten, darunter die G7 und die wichtigsten Schwellenländer, insbesondere auch China und Indien, und die EU) stimmen sich bei den G20 zu globalen Themen ab; im Finanzstrang, dem sogenannten Finance Track, vor allem zu wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen. Beim zweiten Treffen der G20-FMNBG unter indischer Präsidentschaft waren die finanzielle und inhaltliche Ertüchtigung der multilateralen Entwicklungsbanken und die globale Schuldenproblematik wichtige Themen. Darüber hinaus wurden auch die Themen nachhaltige Finanzierung (Sustainable Finance), Finanzmarktregulierung – vor allem im Bereich sogenannter Kryptowerte – und finanzielle Inklusion sowie internationale Besteuerung diskutiert. Wie geplant wurde kein Abschlussdokument veröffentlicht.

    Treffen des IWF-Lenkungsausschusses und IWF-Themen

    Am 13. und 14. April 2023 fanden die Treffen des IMFC statt, an denen für Deutschland Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesbankpräsident Dr. Joachim Nagel teilnahmen. Wegen unterschiedlicher Auffassungen zur Sprache zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine konnte sich nicht auf ein Kommuniqué verständigt werden, sodass ein inhaltlich ansonsten konsentiertes Chair’s Statement des IMFC-Vorsitzes2 veröffentlicht wurde. Die Einigung auf gemeinsame Haltungen u. a. zur IWF-Geschäftspolitik und zu internationalen Schuldenfragen ist ein wichtiges Signal der multilateralen Handlungsfähigkeit der globalen Mitgliedschaft des IWF.

    Seit der vorangegangenen IWF-Tagung im Oktober 2022 hat der IWF 23 neue Finanzierungszusagen in Höhe von 41 Mrd. Dollar gemacht, darunter z. B. umfangreiche konditionierte Programme für Sri Lanka und die Ukraine, fünf Programme mit besonderer Betonung von Strukturreformen im Klimabereich aus dem RST und sechs Nothilfekredite zur Bewältigung der Nahrungsmittel- und Energiekrise aus dem Food Shock Window. Die schnelle und umfassende Liquiditätsunterstützung des IWF ist richtig und wichtig – es handelt sich aber immer um unbedingt zurückzuzahlende Kredite. Die IWF-Hilfe löst deshalb nicht auf Dauer das Problem zu hoher Schuldenberge, das mehr als die Hälfte der Niedrigeinkommensländer betrifft.

    Die 16. Allgemeine Überprüfung der IWF-Quoten soll bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein. Diese ist bedeutsam, da die Quote der Mitgliedsländer im IWF zum einen ihre Möglichkeiten bestimmt, im Krisenfall finanzielle Unterstützung zu erhalten. Zum anderen legt die Quote die relativen Einflussmöglichkeiten eines IWF-Mitglieds fest. Bei der anstehenden Diskussion wird es darauf ankommen, in den nächsten Monaten ein faires Ergebnis für alle Staaten zu erreichen. Deutschland strebt, zusammen mit den anderen EU-Ländern, eine Paketlösung an. Auch sollen die Quotenanteile der schwächsten IWF-Mitgliedsländer geschützt werden.

    Treffen der Weltbankgruppe (Development Committee)

    Der Lenkungsausschuss der Weltbank (Development Committee) tagte am 14. April 2023. Die Reform der Weltbankgruppe dominierte die Agenda. Hierbei geht es vor allem um die Anpassung des Geschäftsmodells. Die Geschäftspolitik soll in Zukunft stärker die Bereitstellung und den Schutz globaler öffentlicher Güter wie Klima, einer intakten Umwelt und Pandemievorsorge in den Vordergrund rücken. Erste Vorschläge wurden bei der Weltbank-Frühjahrstagung besprochen. Ziel Deutschlands ist es, ein ambitioniertes Reformpaket bis zur IWF-Weltbank-Jahrestagung im Oktober 2023 zu beschließen.

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