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  • Schlaglicht: Solide Finanzen für ein starkes Europa

    Funk­tio­nie­ren­de Fis­kal­re­geln sind das Fun­da­ment für den Er­folg Eu­ro­pas

    • Die Europäische Kommission hat am 26. April 2023 Legislativvorschläge für eine Reform der EU-Fiskalregeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts vorgelegt. Einen ersten Austausch auf politischer Ebene gab es hierzu beim Treffen des ECOFIN am 16. Juni 2023 in Luxemburg.
    • Die Vorschläge der Europäischen Kommission bedürfen aus deutscher Sicht weiterer Anpassung, damit die Fiskalregeln transparent, einheitlich und verlässlich wirksam sind. Zu den zentralen Forderungen Deutschlands gehören dabei klare und einheitliche numerische Mindestanforderungen.
    • Mit seiner Position setzt sich Deutschland für tragfähige Finanzen in der gesamten Europäischen Union und somit für die Integrität des europäischen Projektes als Ganzes ein.

    Deutsche Position zu den Reformvorschlägen der EU

    Die Europäische Kommission hat am 26. April 2023 Legislativvorschläge für eine Reform der EU-Fiskalregeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) vorgelegt. Die Verordnungsentwürfe sind sehr komplex und zahlreiche Detailfragen noch offen. Weitere Verhandlungen sind vorgesehen und Anpassungen zu erwarten. Beim Treffen des ECOFIN am 16. Juni 2023 wurden diese erstmals in einer allgemeinen Aussprache im Kreis der EU-Finanzministerinnen und -minister besprochen. Die Aussprache zeigte, dass die deutsche Position von vielen Mitgliedstaaten im Grundsatz geteilt wird.

    Der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP)
    ist ein regelbasierter Rahmen für die Koordinierung und Überwachung der nationalen Finanzpolitiken in der EU. Eine Überprüfung der Regeln soll regulär alle fünf Jahre erfolgen.
    Der Pakt wurde 1997 geschlossen, um solide öffentliche Finanzen – eine wichtige Voraussetzung für das korrekte Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion – zu garantieren. Im Maastricht-Vertrag von 1992 wurden die sogenannten Konvergenzkriterien für den Beitritt zur Währungsunion festgelegt, die ein stabiles Preisniveau, stabile langfristige Zinssätze und Wechselkurse, aber auch Obergrenzen für die Gesamt- und Neuverschuldung der Mitgliedstaaten der EU sicherstellen sollten. Im SWP wurden dann die Obergrenze des Schuldenstands mit 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sowie ein maximales Defizit von 3 Prozent des BIP dauerhaft festgeschrieben.

    Deutschland begrüßt die Vorschläge der Europäischen Kommission als Ausgangspunkt für die jetzt angelaufenen Verhandlungen. Im Vorfeld der Veröffentlichung der Legislativvorschläge hatte Deutschland bereits klar und eindeutig kommuniziert, dass die europäischen Fiskalregeln solide Staatsfinanzen in den Staaten der Europäischen Union (EU) sicherstellen müssen. Die Vorschläge der Europäischen Kommission gewährleisten dies aus deutscher Sicht bisher nicht.

    Deutschland setzt sich daher besonders für numerische, bindende Standards im Rahmen verlässlicher und transparenter Fiskalregeln ein. Diese werden benötigt, um einen ausreichenden und zügigen Abbau von Defiziten und Schuldenstandsquoten in allen Mitgliedstaaten der EU zu gewährleisten. Auch die weitreichenden Anpassungen, die für die Haushaltsrahmenrichtlinie vorgeschlagen wurden, sind aus deutscher Sicht korrekturbedürftig. Mit dieser Position setzt sich die Bundesregierung für die Interessen der EU als Ganzes ein. Dabei sieht sich Deutschland auch im Kreis der Mitgliedstaaten unterstützt.

    Der Stabilitäts- und Wachstumspakt: für eine solide EU

    Der SWP dient der Sicherung der ökonomischen Basis und dem Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Mithilfe des Pakts werden die Mitgliedstaaten der EU zu einer stabilitätsorientierten Finanzpolitik angehalten, um im Zusammenspiel mit der auf Preisstabilität ausgerichteten Geldpolitik der Europäischen Zentralbank die Voraussetzungen für ein starkes, nachhaltiges und beschäftigungswirksames Wachstum zu schaffen. Ist ein Mitgliedstaat exzessiv verschuldet und gerät darüber in Finanzierungsschwierigkeiten, werden andere Mitgliedstaaten potenziell in Mitleidenschaft gezogen. Dies kann die Stabilität der WWU insgesamt gefährden. Aus diesem Grund soll der SWP eine solide Haushaltspolitik in allen Mitgliedstaaten sicherstellen.

    Der Pakt verfügt einerseits über einen „präventiven Arm“, der maßgeblich in der Verordnung (EG) 1466/97 geregelt ist. Er soll die Ziele Haushaltsdisziplin und Vermeidung übermäßiger Defizite und Schuldenstandsquoten umsetzen. Die präventive Komponente des SWP gibt vor, dass die Mitgliedstaaten jedes Jahr Stabilitäts- beziehungsweise Konvergenzprogramme vorlegen, die zeigen, wie sie mittelfristig eine solide Haushaltslage zu erreichen oder zu sichern beabsichtigen. Die Programme müssen auch das Altern der Bevölkerung und dessen Auswirkungen auf den Haushalt berücksichtigen. Die Stabilitäts- beziehungsweise Konvergenzprogramme erlauben es der Europäischen Kommission, rechtzeitig Frühwarnungen zu veröffentlichen und Empfehlungen für die Mitgliedstaaten auszusprechen. Werden die empfohlenen Maßnahmen nicht umgesetzt, können dem Mitgliedstaat Sanktionen auferlegt werden. Der SWP verfügt zudem über einen „korrektiven Arm“, der in der Verordnung (EG) 1467/97 konkretisiert wird. Der korrektive Arm greift, wenn ein Mitgliedstaat die Haushaltsdisziplin nicht einhält und ein übermäßiges Defizit oder eine zu hohe Schuldenstandsquote vorliegt. Nach dem korrektiven Arm des SWP kann die Europäische Kommission in solchen Fällen Korrekturmaßnahmen empfehlen, die nach Annahme durch den Rat innerhalb einer Frist umzusetzen sind – bei Nichteinhaltung drohen finanzielle Sanktionen.

    Schuldenstände und Haushaltssalden in der EU 2022

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    Reformvorschläge der EU

    Nach den Verordnungsentwürfen, die die Europäische Kommission zur Reform des SWP vorgeschlagen hat, würde der präventive Arm, der die Vorgaben für eine solide Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten umfasst, vollständig ersetzt und der korrektive Arm angepasst werden.

    Die Vorschläge der Europäischen Kommission stellen mehrjährige nationale Fiskalpläne ins Zentrum des präventiven Arms. Diese würden bilateral zwischen der Europäischen Kommission und dem jeweiligen Mitgliedstaat ausgehandelt werden. Die Pläne sollen insbesondere den nationalen Ausgabenpfad beinhalten, notwendige Haushaltsanpassungen gewährleisten und erläutern, wie sichergestellt wird, dass relevante Investitionen und Reformen durchgeführt werden. Die Laufzeit der Pläne soll auf vier Jahre festgelegt werden. Eine Verlängerung um weitere drei Jahre wäre bei entsprechenden Reform- und Investitionszusagen auf maximal sieben Jahre möglich. Für Mitgliedstaaten mit Defiziten beziehungsweise Schuldenstandsquoten über den Referenzwerten von 3 Prozent oder 60 Prozent des BIP ist es vorgesehen, dass die Europäische Kommission einen Referenzpfad (technical trajectory) als Vorgabe für die Entwicklung der Netto-Primärausgaben berechnet.

    Netto-Primärausgaben
    sind Ausgaben des Staats ohne zu leistende Zinsausgaben und Ausgaben im Rahmen konjunkturbedingter Arbeitslosigkeit. Darüber hinaus werden Ausgaben herausgerechnet, die durch diskretionäre einnahmenseitige Maßnahmen wie z. B. Steuererhöhungen gedeckt sind.

    Die Haushaltsposition, die als solide angesehen wird und die ein Mitgliedstaat zum Ende des Anpassungsplans erreichen soll, würde die Europäische Kommission für jedes Land individuell ermitteln. Als Grundlage für die Ermittlung der zu erreichenden Haushaltsposition sollen Schuldentragfähigkeitsanalysen dienen. Diese basieren jedoch auf zahlreichen Annahmen (u. a. längerfristige fiskalische und wirtschaftliche Entwicklung, Zinsannahmen) und sind schwankungsanfällig. Es fehlen einheitlich für alle Mitgliedstaaten geltende, feste numerische Vorgaben, die klar definiert sind. An dem Referenzpfad sollen sich die Nettoausgabenpfade orientieren, die bilateral zwischen der Europäischen Kommission und dem jeweiligen Mitgliedstaat ausgehandelt werden. Die Entscheidung über die letztlich gültigen fiskalischen Vorgaben träfe aber weiterhin der Rat der EU auf Vorschlag der Europäischen Kommission.

    Die mit der Europäischen Kommission abgestimmten Pläne würden die Grundlage für die regelmäßige Haushaltsüberwachung bilden. Dazu sollen die Länder jährliche Fortschrittsberichte vorlegen. Die Europäische Kommission soll die Berichte prüfen und etwaige Abweichungen vom vereinbarten Nettoausgabenpfad auf einem Kontrollkonto erfassen. Gegen Ende der Laufzeit der Pläne würden die Mitgliedstaaten neue Pläne für die folgenden Jahre mit der Europäischen Kommission aushandeln. Das Defizitverfahren soll nach dem Vorschlag der Europäischen Kommission bei Überschreitung der Defizitquote von 3 Prozent weitgehend unverändert bleiben. Neu ergänzt würde eine Allgemeine Ausweichklausel. Wird sie aktiviert, soll kein Defizitverfahren eröffnet werden. Beim schuldenbasierten Defizitverfahren für Mitgliedstaaten mit Schuldenstandsquoten von über 60 Prozent des BIP soll die bisherige 1/20-Regel, nach der jährlich 1/20 des über dieser Grenze liegenden Teils der Quote abzubauen ist, bis die Schuldenstandsquote nur noch 60 Prozent des BIP beträgt, durch die Einhaltung des oben genannten Anpassungspfads ersetzt werden.

    Überraschend war aus deutscher Sicht auch der Vorschlag der Kommission, dass die Haushaltsrahmenrichtlinie umfassend geändert werden solle. Die Mitgliedstaaten sollen bis zum Jahr 2030 über integrierte, umfassende und national harmonisierte Systeme der periodengerechten Rechnungsführung verfügen, die alle Teilsektoren des Staats abdecken. Einerseits sind die vorgeschlagenen Änderungen sehr weitreichend und greifen tief in die in Deutschland etablierte Praxis von öffentlichem Rechnungswesen, Haushaltsprognosen und Finanzplanung sowie in das föderale Haushaltsüberwachungsgefüge ein. Andererseits dauert der Umstellungsprozess auf die periodengerechte Rechnungslegung erfahrungsgemäß mindestens zehn Jahre – deutlich länger als der von der Kommission vorgesehene Zeitraum von sieben Jahren – und würde über alle Teilsektoren nach Schätzungen Kosten in mehrfacher Milliardenhöhe verursachen. Gleichzeitig liegen für eine solche Umstellung keinerlei gesetzliche Erfordernisse von EU-Seite vor. Somit handelt es sich hierbei aus deutscher Sicht um einen unnötig komplexen, aufwändigen Reformvorschlag, der der Anpassung bedarf.

    Notwendige Änderungen aus Sicht Deutschlands

    Die Vorschläge der Europäischen Kommission sind komplex, zum Teil wenig transparent und können nur bedingt eine Gleichbehandlung unter den Mitgliedstaaten sicherstellen. Sie sehen keine numerischen Vorgaben vor, die nachvollziehbar für alle Mitgliedstaaten gelten. Stattdessen lassen in Teilen weit gefasste Vorgaben weite Ermessensspielräume seitens der Europäischen Kommission zu. Dies gilt insbesondere bei den bilateralen Verhandlungen und der generellen Beurteilung der nationalen Fiskalpolitiken. Auch zur besseren Durchsetzung der Fiskalregeln hatte die Europäische Kommission in ihren Verordnungsentwürfen keine konkreten Vorschläge vorgelegt. Das Fehlen klarer Regeln gefährdet nicht nur das Ziel solider öffentlicher Haushalte, sondern auch die Einheitlichkeit, Verlässlichkeit und Transparenz des SWP.

    Benchmark: klare und einfache Ausgabenregeln, die für alle gelten

    Deutschland hat vorgeschlagen, dass für Mitgliedstaaten mit einer Schuldenquote von über 60 Prozent die Ausgaben grundsätzlich langsamer als das erwartete Wirtschaftswachstum (sogenanntes Potenzialwachstum) ansteigen sollten, solange kein nahezu ausgeglichener Staatshaushalt erreicht ist. Die Differenz zwischen Ausgabenwachstum und Potenzialwachstum sollte sich dabei an der Verschuldung eines Landes orientieren. Das heißt: Wer schon hoch verschuldet ist, der sollte stärker auf seine Ausgaben achten. Die Benchmark sollte dabei in einem klar begrenzten Umfang auch Investitionen berücksichtigen.

    Haltelinie: Abbau hoher Schuldenstandsquoten sicherstellen

    Aus deutscher Sicht muss zudem sichergestellt werden, dass Mitgliedstaaten, die eine Staatsverschuldung von über 60 Prozent im Verhältnis zum BIP haben, ihre Schuldenstandsquoten tatsächlich abbauen. Die Vorgaben der Ausgabenregel allein können nicht immer garantieren, dass hohe Schuldenquoten tatsächlich sinken. Deshalb hat Deutschland eine gemeinsame Haltelinie (common safeguard) vorgeschlagen. Eine solche Haltelinie sollte gänzlich unabhängig bindende Untergrenzen für den Abbau der Schuldenstandsquote festlegen.

    Beispielhaft könnte vorgeschrieben werden, dass die Schuldenstandsquote jährlich wie folgt zurückgehen muss:

    • um mindestens 1 Prozentpunkt für Mitgliedstaaten mit hohen Schuldenstandsquoten,
    • um mindestens 0,5 Prozentpunkte für Mitgliedstaaten mit mittleren Schuldenstandsquoten über 60 Prozent.

    Solch eine gemeinsame Haltelinie ist im Vorschlag der Europäischen Kommission nicht ausreichend konkret und detailliert angelegt. Es ist lediglich vorgesehen, dass die Schuldenstandsquote am Ende des Planungshorizonts gegenüber dem Jahr vor Planungsbeginn gesunken sein muss. Aus deutscher Sicht ist das zu wenig ambitioniert.

    Wirksame Durchsetzung der Regeln

    In der Vergangenheit wurden die bestehenden Regeln nicht stringent angewendet. Der Ermessensspielraum für die Europäische Kommission ist zu groß – das gilt auch für ihren aktuellen Vorschlag. Daher setzt sich Deutschland dafür ein, dass die Europäische Kommission konkrete Vorschläge einbezieht, wie eine bessere Durchsetzung der Regeln erreicht werden kann.

    Aus deutscher Sicht besteht u. a. bei dem vorgeschlagenen Defizitverfahren Anpassungsbedarf. So sollten nicht nur klare Kriterien für die Aktivierung und Deaktivierung der Ausweichklauseln, insbesondere bei deren zeitlicher Eingrenzung, gelten. Auch sollten klare quantitative Kriterien für die Bewertung von signifikanten Abweichungen vom Ausgabenpfad u. a. mit Blick auf die Einleitung des Defizitverfahrens sowie ein einheitlicher methodischer Rahmen für die Bewertung von Reformen und Investitionen gelten. Auch setzt sich Deutschland für eine stärkere und unabhängigere Rolle des Europäischen Fiskalausschusses ein.

    Fazit und Ausblick

    Der SWP darf kein zahnloser Tiger sein, sondern muss effektiv die Rückführung von Defizit- und Schuldenstandsquoten in den betreffenden EU-Staaten vorantreiben und gewährleisten. Ein verlässlicher Schuldenabbau schließt dabei die notwendigen Zukunftsinvestitionen insbesondere in die Dekarbonisierung und Digitalisierung der Volkswirtschaften nicht aus. Einer Aufhebung beziehungsweise Aufweichung der präventiven sowie der korrektiven Komponente kann Deutschland in der vorliegenden Form daher nicht zustimmen. Deutschland sieht sich mit dieser Position im Kreis der Mitgliedstaaten unterstützt.

    Deutschland wird sich in den weiteren Verhandlungen weiterhin konstruktiv auf europäischer Ebene einbringen. Ziel muss es sein, tragfähige öffentliche Finanzen in der gesamten EU zu erreichen. Es ist im Interesse aller Mitgliedstaaten und deren Bürgerinnen und Bürger, dass auch in Zukunft alle EU-Länder im Rahmen ihrer Aufgaben und Verpflichtungen handlungsfähig bleiben. Dies wird nur über klare und wirksame Regeln zu erreichen sein, die für alle gleichermaßen gelten.

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