- Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat am 12. Juli 2023 seine diesjährigen wirtschafts- und finanzpolitischen Konsultationen mit Deutschland abgeschlossen.
- Der IWF würdigt in seinem Abschlussbericht u. a. den entschlossenen Umgang Deutschlands mit der Energiekrise. Die ergriffenen Maßnahmen der Bundesregierung zur Abfederung des Preisschocks hätten die wirtschaftliche Aktivität wirksam gestützt.
- Das wirtschaftliche Wachstum in Deutschland bleibe allerdings gedämpft, auch aufgrund des Energiepreisschocks, der verschlechterten Finanzierungsbedingungen aufgrund steigender Zinsen und der trotzdem hartnäckigen Inflation. Der eingeschlagene Weg einer nachhaltigen Haushaltspolitik sei richtig und könne die Geldpolitik bei der Rückkehr zu einer zielkonformen Preisentwicklung unterstützen.
Die jährlichen sogenannten Artikel-IV-Konsultationen des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit Deutschland fanden im Mai 2023 statt. Die IWF-Delegation besuchte neben dem BMF auch andere Bundesministerien, die Deutsche Bundesbank, Unternehmen des Privatsektors, Verbände und Forschungsinstitute. Mit der Diskussion im Exekutivdirektorium des IWF im Juli 2023 wurden die diesjährigen Artikel-IV-Konsultationen mit Deutschland abgeschlossen.
Bei den Gesprächen mit dem IWF standen in diesem Jahr die wirtschaftlichen Folgen der Energiekrise, der damit einhergehende Inflationsschock und die daraus resultierenden Herausforderungen für die deutsche Finanz- und Wirtschaftspolitik im Zentrum. Die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die Energiepreise und die deutsche Wirtschaft sind auch Gegenstand einer Sonderuntersuchung des IWF („Selected Issues Paper“). Eine weitere Sonderuntersuchung hat der IWF zur Finanzstabilität in Deutschland unternommen, in der er verschiedene Instrumente der Finanzaufsicht beleuchtet.
Artikel-IV-Konsultationen
Zu den wesentlichen Aufgaben des IWF gehört der Dialog mit den Mitgliedsländern über die nationalen und internationalen Auswirkungen ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik (sogenannte Surveillance). Der IWF führt mit allen Mitgliedsländern jährliche Konsultationen durch. Die Grundsätze für diese Konsultationen sind in Artikel IV des Übereinkommens über den IWF festgelegt. Üblicherweise besucht zunächst ein Team des IWF das jeweilige Land, um sich über die Wirtschafts- und Finanzlage zu informieren und mit der Regierung die wirtschafts- und finanzpolitische Ausrichtung zu diskutieren. Auf dieser Grundlage verfasst das IWF-Team einen Bericht, der im IWF-Exekutivdirektorium erörtert und anschließend veröffentlicht wird.
Der diesjährige Bericht und die Sonderuntersuchungen können auf https://imf.org/en/Countries/DEU, der Internetseite des IWF, abgerufen werden.
Ergebnisse der diesjährigen Artikel-IV-Konsultationen des IWF
Aktuelle Entwicklungen und Ausblick
Laut IWF hätten sich extreme Negativszenarien als Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der sich anschließenden Energiekrise in Deutschland nicht materialisiert. Die Resilienz der deutschen Wirtschaft sei nicht nur dem relativ milden Winter 2022/23 geschuldet, sondern auch Ergebnis eines überzeugenden politischen Maßnahmenpakets, das darauf ausgerichtet gewesen sei, Energie zu sparen, die stark gestiegenen Energiepreise abzufedern und die künftige Energieversorgung mit geeigneten Alternativen zu sichern.
Dennoch belasteten die veränderten Finanzierungsbedingungen und der Energiepreisschock sowie die damit verbundene weiter erhöhte Inflation die wirtschaftliche Aktivität in Deutschland aktuell. Die Finanzierungsbedingungen hätten sich verschlechtert, was sowohl auf die Straffung der Geldpolitik, die zur Senkung der Inflation unerlässlich sei, als auch auf die jüngsten Turbulenzen auf den globalen Finanzmärkten zurückzuführen sei. Die verschlechterten Finanzierungsbedingungen dämpften die Wirtschaftstätigkeit, insbesondere in zinssensiblen Sektoren wie dem Wohnungsbau, während die Anpassung an höhere Energiepreise (im Vergleich zum Vorkriegsniveau) die Produktion in einigen energieintensiven Sektoren belaste. Der IWF geht daher davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2023 leicht zurückgehen werde. In den Jahren 2024 bis 2026 dürfte das Wachstum dann allmählich wieder ansteigen, da die Auswirkungen der geldpolitischen Straffung nachließen und sich die Wirtschaft an den Energiepreisschock anpasse. Längerfristig wird erwartet, dass das durchschnittliche BIP-Wachstum aufgrund der Bevölkerungsalterung unter 1 Prozent sinken werde, sofern es nicht zu einer deutlichen Erhöhung des Produktivitätswachstums und/oder einer Ausweitung des Fach- und Arbeitskräfteangebots komme.
Die Inflationsrate werde zwar kontinuierlich weiter zurückgehen; der Rückgang der sogenannten Kernrate (ohne Lebensmittel- und Energiepreisentwicklung) dürfte aber – u. a. aufgrund der zu erwartenden steigenden Nominallöhne – langsamer erfolgen. Die Unsicherheit, die den gesamtwirtschaftlichen Ausblick in Deutschland umgebe, sei weiterhin hoch; ein wichtiger Faktor dabei sei die künftige Entwicklung der Weltwirtschaft, die gegenwärtig so langsam wachse wie seit langem nicht.
Haushaltspolitik und Energiepolitik
Die Ausrichtung der Haushaltspolitik der Bundesregierung wird vom IWF positiv gewürdigt. Der fiskalische Kurs, gemessen an der Veränderung des konjunkturbereinigten Primärsaldos, solle im Jahr 2023 moderat restriktiv sein, um die inflationsdämpfende Wirkung der Geldpolitik nicht zu konterkarieren. Aufgrund sinkender Energiepreise dürften die fiskalischen Ausgaben für die Gas- und Strompreisbremse im Jahr 2023 geringer ausfallen als veranschlagt.
Die Maßnahmen zur Energiepreisentlastung in Deutschland sind nach Ansicht des IWF insgesamt überzeugend konzipiert, könnten aber zielgerichteter ausgestaltet werden. Die wichtigsten Elemente – die Gas- und Strompreisbremsen – setzten starke Anreize für Haushalte und kleine Unternehmen, Energie zu sparen. Darüber hinaus seien viele Entlastungsmaßnahmen für Haushalte einkommensteuerpflichtig und damit progressiv ausgerichtet. Allerdings bestehe die Möglichkeit, diese Hilfe noch gezielter auf die Bedürftigsten auszurichten. Die Gas- und Strompreisbremsen sollten wie geplant bis spätestens April 2024 auslaufen und neuerliche Energiepreissubventionen unterbleiben, auch um die Anpassung an strukturell höhere Preise für fossile Brennstoffe zu erleichtern und somit auch Investitionen in erneuerbare Energien zu befördern.
Strukturreformen
Mittelfristig gelte es, so der IWF, den fiskalischen Spielraum für höhere öffentliche Investitionen und steigende Ausgaben infolge des demografischen Wandels zu schaffen. Der IWF begrüßt in dem Zusammenhang Anstrengungen der Bundesregierung zur Stärkung des Arbeitskräfteangebots in Deutschland, wie der angestrebten Erhöhung qualifizierter Zuwanderung und der Unterstützung der Arbeitnehmerweiterbildung. Insbesondere sei auch eine Steigerung der Arbeitsproduktivität von wesentlicher Bedeutung für die Ankurbelung des Wirtschaftswachstums und die Stärkung Deutschlands als Innovationsstandort in Europa. Um die Produktivität zu steigern, solle Deutschland
- die Anreize für Forschung und Entwicklung erhöhen, u. a. durch die Ausweitung entsprechender Steuergutschriften;
- die Finanzierungsbasis junger und innovativer Unternehmen durch den Abbau von Hindernissen für die Beteiligung institutioneller Anleger an den Risikokapitalmärkten verbreitern und
- Markteintrittsbarrieren senken, u. a. durch den Abbau von Verwaltungsaufwand und die Stärkung des Wettbewerbs.
Klimaschutzmaßnahmen
Für die Erfüllung der Klimaziele sieht der IWF eine Beschleunigung der „Green Transition“ (klimafreundlicher Umbau der Wirtschaftstätigkeit) als wesentlich an. Deutschland habe sein CO2-Emissionsziel für 2022 dank eines starken Rückgangs der Emissionen der Industrie und günstiger Witterung erreicht. Künftig seien jedoch weitere Anstrengungen erforderlich. Zu diesem Zweck solle die Bundesregierung die Erhöhung der inländischen CO2-Bepreisung im Jahr 2024 wie geplant wiederaufnehmen und eine weitere Verschärfung in Betracht ziehen. In der Zwischenzeit sollten sich alle zusätzlichen Subventionen auf die Behebung von Marktversagen beschränken. Die Prinzipien des Europäischen Binnenmarkts sollten dabei nicht verletzt werden.
Finanzsektor
Die Gesamtkapital- und Liquiditätsposition des deutschen Banken- und Versicherungssystems bleibt nach Auffassung des IWF solide. Im Jahr 2022 hätten Banken aufgrund der Neubewertung ihrer Wertpapierportfolios erhebliche „Mark-to-Market“-Bewertungsverluste hinnehmen müssen, was ihre Rentabilität vorübergehend verringert habe. Trotz dieser Verluste blieben die aggregierten Kapital- und Liquiditätsniveaus des deutschen Bankensystems Ende 2022 beträchtlich. Die Kapitalausstattung Ende 2022 habe 19,2 Prozent der risikogewichteten Aktiva und die Liquiditätsdeckungsquote bei systemisch bedeutenden Instituten 154 Prozent und bei weniger bedeutenden Instituten 178 Prozent betragen. Auch die Einlagensicherung in Deutschland unterstütze die Finanzstabilität der Banken. Versicherungsunternehmen hätten 2022 ebenfalls „Mark-to-Market“-Verluste erlitten, ihre Solvenz sei jedoch als gut zu bezeichnen.
Gleichwohl sollten die mit den rasch steigenden Zinssätzen verbundenen Risiken für die Finanzstabilität nach Auffassung des IWF genau beobachtet werden. Die jüngste, lokal begrenzte Bankenkrise in den USA und der Schweiz habe die Risiken verdeutlicht, die mit einer stark steigenden Zinsbelastung und instabilen Finanzierungsstrukturen verbunden seien. Es sollten daher weiterhin die Banken, die am anfälligsten für Zins- und Liquiditätsstress seien, einer intensiven Aufsicht unterliegen. Angesichts der erhöhten makroökonomischen Risiken und Unsicherheiten an den Finanzmärkten sollten die Aufsichtsbehörden auch einen konservativen Bewertungsansatz bei Banken fördern. Ein umfassenderes makroprudenzielles Instrumentarium und eine weitere Verbesserung der Datenerhebung würden zudem dazu beitragen, die längerfristige Finanzstabilität im Immobiliensektor zu fördern.
Die nächsten Artikel-IV-Konsultationen des IWF mit Deutschland finden voraussichtlich im Mai 2024 statt.