- Vor dem Hintergrund der Folgen des anhaltenden russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, der gestiegenen (Leit-)Zinsen, der relativ schwachen weltwirtschaftlichen Entwicklung und eines hohen Krankenstands hat die Wirtschaftsleistung in Deutschland im vergangenen Jahr um 0,3 Prozent abgenommen.
- Gleichzeitig steht Deutschland vor grundlegenden strukturellen Herausforderungen wie der geopolitischen Zeitenwende, der Dekarbonisierung, dem demografischen Wandel und der hohen Bürokratiebelastung, deren wirtschaftspolitische Bedeutung in den vergangenen Jahren jeweils stark zugenommen haben. Dies gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines im Durchschnitt der vergangenen Jahre bereits geringen Produktivitätswachstums.
- Die Bundesregierung begegnet diesen Herausforderungen im Rahmen einer angebotsorientierten Wirtschafts- und Finanzpolitik zur nachhaltigen Stärkung des Wirtschaftsstandorts. Sie kann in zehn Handlungsfeldern zusammengefasst werden. Es gilt dabei, verstärkt jene Standortfaktoren in den Blick zu nehmen, die sich als Hindernis für eine dynamischere Entwicklung herausgestellt haben. Dazu zählen u. a. das knapper werdende Angebot an Fach- und Arbeitskräften und der Wegfall günstiger fossiler Energiequellen, aber auch die mitunter hohe Belastung durch Steuern und Abgaben.
- Die Finanzpolitik der Bundesregierung zielt darauf ab, die Tragfähigkeit der Verbindlichkeiten des Bundes durch solide Staatsfinanzen zu gewährleisten und gleichzeitig die notwendigen Investitionen in die Zukunftsfähigkeit Deutschlands zu ermöglichen.
Einleitung
Die Bundesregierung legt gemäß § 2 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft jährlich den Jahreswirtschaftsbericht vor. Sie stellt darin ihre wirtschafts- und finanzpolitische Strategie für das entsprechende Jahr dar und nimmt zum Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Stellung.
Der diesjährige Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung trägt den Titel „Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig stärken“ und wurde am 21. Februar 2024 vom Bundeskabinett beschlossen. Er beschreibt eingangs die wirtschaftliche Ausgangslage, die zu Beginn des Jahres weiterhin durch ein schwieriges Fahrwasser gekennzeichnet ist. Schwerpunkt des Berichts1 ist die Darstellung angebotspolitischer Handlungsfelder zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit vor dem Hintergrund einer derzeit schwachen wirtschaftlichen Entwicklung, die – das spiegelt das Potenzialwachstum wider – auch durch strukturelle Faktoren bedingt ist. Der Bericht enthält darüber hinaus Kapitel und Indikatoren, die sich etwa mit sozial- und klimapolitischen Aspekten auseinandersetzen.
Konjunkturelle Lage
Im vergangenen Jahr ging das Bruttoinlandsprodukt (BIP) preisbereinigt um 0,3 Prozent zurück. Die hohen Inflationsraten und deutlich gestiegenen Zinsen bremsten die binnenwirtschaftliche Nachfrage spürbar. Auch die außenwirtschaftliche Nachfrage zeigte sich merklich geschwächt. Darüber hinaus dämpfte ein mit den Jahren vor 2022 verglichen sehr hoher Krankenstand die wirtschaftliche Aktivität. Zwar haben einige der belastenden Faktoren nachgelassen, wie hohe Verbraucherpreissteigerungen und daraus folgende Kaufkraftverluste. Andere – wie hohe Zinsen oder geopolitische Krisen – bestehen aber fort, sodass sich für das 1. Quartal 2024 noch kein Einsetzen einer Erholung der wirtschaftlichen Aktivität in Deutschland abzeichnet. Im weiteren Jahresverlauf ist dann vor allem beim privaten Konsum wieder mit Zuwächsen zu rechnen. Aus den deutlich niedrigeren Inflationsraten ergeben sich in Kombination mit den immer noch merklichen nominalen Lohn- und Gehaltszuwächsen steigende Realeinkommen. Zusammen mit der robusten Lage am Arbeitsmarkt dürfte das die Basis für eine wieder kräftigere Konsumentwicklung bilden. Dies wird voraussichtlich die gesamtwirtschaftliche Entwicklung insgesamt stützen, sodass die Bundesregierung für das laufende Jahr insgesamt einen leichten Zuwachs des preisbereinigten BIP von 0,2 Prozent erwartet.
Am Arbeitsmarkt blieb die Lage trotz der eingetrübten Konjunktur im vergangenen Jahr relativ stabil. Zwar stieg die Arbeitslosigkeit im Jahresverlauf etwas an, jedoch kam es gleichzeitig zu einem weiteren leichten Aufbau der Beschäftigung, die sich aktuell auf einem Rekordniveau befindet. Im laufenden Jahr dürfte sich im Jahresdurchschnitt voraussichtlich ein weiterer geringfügiger Anstieg der Arbeitslosigkeit ergeben, der jedoch auf den Überhang aus 2023 zurückzuführen ist. Im Jahresverlauf wird dagegen mit einer rückläufigen Anzahl an Arbeitslosen gerechnet. Der Beschäftigungsaufbau dürfte sich fortsetzen, wenngleich sich hier der demografische Wandel zunehmend dämpfend bemerkbar macht.
Der Anstieg der Verbraucherpreise wird sich im laufenden Jahr voraussichtlich auf durchschnittlich 2,8 Prozent verringern, nachdem er im vergangenen Jahr noch stark erhöht bei 5,9 Prozent gelegen hat. Dabei könnte der seit Frühjahr 2023 bei der Inflationsrate bestehende Abwärtstrend in den nächsten Monaten zunächst temporär unterbrochen werden. So dürfte beim Strompreis die Erhöhung der Netzentgelte sukzessive von den Anbieterinnen und Anbietern an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden. Zudem läuft die temporäre Umsatzsteuersatzsenkung bei Gas und Fernwärme wie vorgesehen aus. Dazu fällt der inflationssenkende Basiseffekt aus der Einführung des 49-Euro-Tickets ab Mai weg.
Strukturelle Herausforderungen angehen
Aufgrund der ehemals starken Abhängigkeit von russischen Energielieferungen, dem vergleichsweise hohen Industrieanteil an der Wertschöpfung sowie der ausgeprägten Außenhandelsorientierung wurde die deutsche Wirtschaft stärker als andere große Volkswirtschaften in ihrer Entwicklung beeinträchtigt. Dennoch konnten in kürzester Zeit der Ausfall russischer Energielieferungen kompensiert und – wo möglich – Energiebedarfe effizient reduziert werden. Nachdem Deutschland im Jahr 2022 die unmittelbaren ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie weitgehend überwunden hatte, gelang es im Laufe des vergangenen Jahres, Versorgungsengpässe zu vermeiden und auf rückläufige Energiepreise hinzuwirken.
Der Ausblick auf eine Stabilisierung der kurzfristigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ändert nichts daran, dass Deutschland eine Reihe über Jahre angestauter, struktureller Herausforderungen für den Wirtschaftsstandort bewältigen muss. Dazu zählen u. a. die notwendige Modernisierung der (öffentlichen) Infrastruktur und des privaten Kapitalstocks, die in Teilen zu zögerlich verlaufende Digitalisierung oder die herausfordernden Entwicklungen im Bildungsbereich.
Gleichzeitig steht Deutschland vor vier grundlegenden strukturellen Herausforderungen, deren wirtschaftspolitische Bedeutung in den vergangenen Jahren jeweils stark zugenommen hat:
- Die geopolitische Zeitenwende ist gekennzeichnet durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, zunehmende geopolitische Spannungen sowie einen Anstieg protektionistischer Maßnahmen einzelner Staaten. Das fordert Deutschland als überdurchschnittlich stark in internationale Wertschöpfungsketten eingebettete Industrienation, aber auch Europa insgesamt heraus.
- Die Folgen des menschengemachten Klimawandels machen sich zunehmend bemerkbar und verdeutlichen die Dringlichkeit der Einhaltung international vereinbarter Klimaziele und einer weltweiten Transformation zu einer treibhausgasneutralen Wirtschaft. Die Dekarbonisierung wird dabei mit einem grundlegenden Strukturwandel der deutschen Wirtschaft einhergehen.
- Dass der demografische Wandel ökonomisch deutlich an Bedeutung gewinnt, ist seit langem bekannt. Nun wird die Alterung der Bevölkerung insbesondere durch zunehmende Fachkräfteengpässe immer deutlicher spürbar. Hinzu kommt, dass inländische sowie ausländische Erwerbspotenziale nicht ausgeschöpft werden.
- Der notwendige Wandel wird vielfach von zu hoher Regulierungsdichte und Bürokratie erschwert. Die in Teilen unverhältnismäßige Bürokratie in Deutschland bindet große personelle und finanzielle Ressourcen für die Erfüllung regulatorischer Anforderungen und hemmt die Nutzung von Kapital für Investitionen und Innovationen.
Bürokratie
als Standortfaktor umfasst einerseits die Qualität und Quantität der Regulierung und andererseits die Qualität des Vollzugs der Regelungen durch die Verwaltung.
Eine ifo-Umfrage aus dem Jahr 2024 hat ergeben, dass mehr als 70 Prozent der befragten Expertinnen und Experten in Deutschland die Bürokratie als negativen Standortfaktor werten – kein anderer Faktor hat so schlecht abgeschnitten. Dadurch haben deutsche Firmen im internationalen Wettbewerb einen Nachteil.
Effektive Maßnahmen zur Entlastung von unnötigen regulatorischen Hemmnissen, zur Verbesserung des Verwaltungsvollzugs und zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren können dabei helfen, dass das verfügbare Kapital schnell, effektiv und effizient eingesetzt wird. Diese Maßnahmen verursachen keine fiskalischen Kosten und ermöglichen gleichzeitig eine Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Allokation, die mittelfristig zu einem stärkeren Wirtschaftswachstum führen kann.
Um Unternehmen von Bürokratie zu entlasten, hat die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket mit einem Gesamtvolumen von mehr als 3 Mrd. Euro auf den Weg gebracht, darunter das Bürokratieentlastungsgesetz IV, das Wachstumschancengesetz und der Gesetzentwurf zur Anhebung von Schwellenwerten bei der Bilanzierung. Des Weiteren sorgen der Bund-Länder-Pakt für Planungs-, Genehmigungs-, und Umsetzungsbeschleunigung, die voranschreitende Verwaltungsdigitalisierung und das vereinbarte Belastungsmoratorium für schnellere und digitale Verfahren sowie für weniger Bürokratie.
Bürokratieabbau ist gleichzeitig eine Querschnitts- und Daueraufgabe, die alle Regelungsebenen betrifft: Sowohl Europäische Union (EU) und Bund als auch die Länder müssen dauerhaft daran arbeiten, den Normbestand zu optimieren und unnötige Bürokratie und Belastungen zu vermeiden, um den Unternehmen den erforderlichen Freiraum für ihre eigentlichen Aufgaben zu geben.
Wachstumspotenzial mit angebotsorientierter Wirtschaftspolitik stärken
Anders als in den akuten Krisenlagen der jüngeren Vergangenheit handelt es sich bei diesen Herausforderungen um strukturelle und längerfristige Entwicklungen, die potenziell zu angebotsseitigen Verknappungen führen. Damit können sie zu einer Schwächung der wirtschaftlichen Dynamik in den kommenden Jahren beitragen und Preisdruck erzeugen. Dies ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines im Durchschnitt der vergangenen Jahre bereits geringen Produktivitätswachstums zu sehen. Schätzungen zur Entwicklung des Wachstumspotenzials in Deutschland deuten ohne Berücksichtigung zusätzlicher Maßnahmen auf ein für absehbare Zeit niedriges und rückläufiges Wirtschaftswachstum hin.
Dies zeigt sich z. B. in der Mittelfristprojektion der Bundesregierung für die nächsten Jahre, die sich an den strukturellen, trendmäßigen Wachstumsmöglichkeiten der Volkswirtschaft orientiert. Die Beschreibung dieser trendmäßigen Wachstumsperspektiven bei konjunktureller Normallage erfolgt mit dem gesamtwirtschaftlichen Produktionspotenzial. Dieses wird anhand einer gängigen Produktionsfunktion mit den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital sowie der Totalen Faktorproduktivität als Maß für die Produktivität in der Volkswirtschaft geschätzt.
Die Bundesregierung projiziert für die Jahre bis 2028 – ähnlich wie der Sachverständigenrat und die Gemeinschaftsdiagnose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute – ein jährliches Potenzialwachstum von durchschnittlich nur noch 0,5 Prozent (vergleiche Abbildung 1). Eine Zerlegung in die Wachstumsbeiträge zum Produktionspotenzial zeigt, dass insbesondere die demografische Alterung dämpfend auf das Potenzialwachstum wirkt und sich der Beitrag des Faktors Arbeit im aktuellen Projektionszeitraum bis 2028 ins Negative umkehren wird. Positive Beiträge werden dagegen, wenn auch geringer als im historischen Durchschnitt, von einem anhaltenden Produktivitätswachstum (in Höhe von durchschnittlich 0,3 Prozent pro Jahr) und einem expandierenden Bruttokapitalstock erwartet.
Die Bundesregierung strebt Produktivitätssteigerungen und ein stetiges und anhaltendes Wirtschaftswachstum an. Sie ist davon überzeugt, dass eine anhaltende Wachstumsdynamik auch notwendig ist, um die drängenden Aufgaben ohne zunehmende verteilungspolitische Konflikte zu bewältigen. Für dieses Ziel setzt die Bundesregierung auf eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik.
Die Bundesregierung hat bereits seit Beginn der Legislaturperiode verstärkt jene Standortfaktoren in den Blick genommen, die sich in jüngerer Vergangenheit zunehmend als Hindernis für eine dynamischere Entwicklung herausgestellt haben. Neben dem knapper werdenden Angebot an Fach- und Arbeitskräften und dem Wegfall günstiger fossiler Energiequellen betrifft dies insbesondere den Umfang an Bürokratie, aber auch die mitunter hohe Belastung durch Steuern und Abgaben, die Qualität der (öffentlichen) Infrastruktur oder die zögerlich verlaufende Digitalisierung.
In den kommenden Jahren geht es um eine ambitionierte, konsequente und verlässliche Wirtschaftspolitik im Interesse einer nachhaltigen Stärkung des Wirtschaftsstandorts. Dem Thema der Wirtschaftssicherheit kommt dabei aufgrund der geopolitischen Lage ein größerer Stellenwert zu. Der Umbau des Kapitalstocks hin zur Treibhausgasneutralität leistet einen Beitrag zur Reduktion der Abhängigkeit von fossilen Energieimporten. Für die Dekarbonisierung setzt die Bundesregierung vor allem auf marktwirtschaftliche Instrumente. Die Bepreisung von CO2 ist deshalb das Leitinstrument zur Reduktion von Emissionen. Beim Ausbau erneuerbarer Energien gilt es, möglichen neuen Abhängigkeiten, etwa bei kritischen Rohstoffen, vorzubeugen. Im Interesse einer dynamischeren Produktivitätsentwicklung sind technologischer Fortschritt und Innovationen unverzichtbar. Offenheit gegenüber neuen Technologien schafft auch Wege für zusätzliche Resilienz. Eine Dynamisierung der Wirtschaft ergibt sich insbesondere dann, wenn bei der Integration neuer Technologien international ein Level-Playing-Field gewährleistet ist. Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sind als Chance zu begreifen und können helfen, die volkswirtschaftlichen Fachkräfteengpässe abzumildern.
Steuerbelastung im Blick behalten
Eine zentrale Stellschraube für eine erfolgreiche Angebotspolitik sind die inländischen Standortbedingungen für Unternehmen, bei denen die Steuerpolitik eine maßgebliche Rolle spielt. Die Belastung von Kapitalgesellschaften ist in Deutschland in Bezug auf die nominalen Steuersätze im internationalen Vergleich sehr hoch. Niedrigere Unternehmenssteuern setzen für inländische wie auch ausländische Unternehmen einen starken Anreiz, in Deutschland zu investieren und Innovationen voranzutreiben. Private Investitionen und Innovationen sind ihrerseits wesentlich für die Erweiterung und Erneuerung des privaten Kapitalstocks und somit der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsentwicklung. Somit stärkt ein modernes und wettbewerbsfähiges Steuersystem die Kapazitäten der Unternehmen für Investitionen, sichert die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und ermöglicht eine fortlaufende Expansion des gesamtwirtschaftlichen Angebots.
Steuereinnahmen sind die Grundlage dafür, dass der Staat seine Aufgaben erfüllen kann, wie z. B. die Finanzierung von öffentlicher Infrastruktur oder Bildung. Gleichzeitig erwarten viele Bürgerinnen und Bürger, dass die Steuern in einem angemessenen Verhältnis zu den staatlichen Leistungen stehen. Auch vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Alterung und des globalen Wettbewerbs um Talente, Unternehmen und Technologien gilt es, diese Balance im Blick zu halten. Zu diesem Zweck wurde im Jahreswirtschaftsbericht 2024 das Kapitel zur Wohlfahrtsmessung, das anhand ausgewählter Leitindikatoren Aufschluss über ökonomische, soziale, ökologische und gesellschaftliche Aspekte der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt gibt, erweitert. Neu hinzugekommen sind in diesem Jahr die Staatsquote und Steuerquote als Indikatoren für das Verhältnis zwischen staatlichen Leistungen auf der einen und Steuerbelastungen auf der anderen Seite. Die Steuerquote, d. h. die Steuereinnahmen des Staats im Verhältnis zum BIP, zeigt in der langen Frist mit Ausnahme des Pandemiejahrs 2020 eine leicht steigende Tendenz. Im Jahr 2000 lag sie bei 22,2 Prozent. In den vergangenen Jahren ist sie auf zuletzt 24,7 Prozent im Jahr 2022 gestiegen. Die Ausgaben des Staats gemessen an der Staatsquote schwanken über den Beachtungszeitraum leicht, im Jahr 2022 lag die Staatsquote bei 49,5 Prozent.
Handlungsfelder zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit
Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung begegnet den beschriebenen Herausforderungen im Rahmen einer umfassenden und zugleich gezielten Angebotspolitik. Es gilt insbesondere, das Produktivitätswachstum zu steigern, Herausforderungen des demografischen Wandels und der Dekarbonisierung zu bewältigen sowie den Veränderungen der Globalisierung und der Sicherheitsordnung zu begegnen. Marktwirtschaftliche Anreize und verbesserte Rahmenbedingungen für private Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit spielen dabei eine wesentliche Rolle. Damit der Umbau trotz knapper Produktionsfaktoren gelingen kann, sind Produktivitätssteigerungen von zentraler Bedeutung. Die Wirtschaftspolitik zielt deshalb insbesondere auf ein stärkeres Angebot der limitierenden Produktionsfaktoren, technischen Fortschritt sowie höhere Arbeits- und Energieeffizienz ab. Ausgehend hiervon ergreift die Bundesregierung Maßnahmen insbesondere in den nachfolgend ausgeführten Handlungsfeldern.
Zur Stärkung der Investitionsdynamik schafft die Bundesregierung die notwendigen Rahmenbedingungen, um private Investitionen zu mobilisieren, die rund 90 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Investitionen in Deutschland ausmachen. Dafür setzt der Staat mit einem investitionsfreundlichen Steuersystem, einem förderlichen Umfeld für Innovationen, Gründungen und Forschung sowie mit Investitionszuschüssen spürbare Anreize. Die Bundesregierung hat mit dem Wachstumschancengesetz gezielte steuerliche Anreize für private Investitionen vorgeschlagen. Zur Beschleunigung der Transformation und langfristigen Stärkung des Wachstumspotenzials treibt die Bundesregierung über den Klima- und Transformationsfonds insbesondere Investitionen in Klimaschutz, Energiewende, Mobilität und Digitalisierung voran.
Die Bundesregierung sieht es als geboten an, unnötige Bürokratie und Regulierung stärker zu begrenzen und Verfahrensdauern deutlich zu verkürzen. Mit dem Bürokratieentlastungsgesetz IV und zahlreichen weiteren Bürokratieentlastungsmaßnahmen sowie neuen methodischen Ansätzen wie dem Digitalcheck leitet die Bundesregierung die Trendwende zu weniger Bürokratie ein. So setzt sie neue Maßstäbe. Mit den Praxischecks hat die Bundesregierung ein weiteres wichtiges Instrument zum Bürokratieabbau pilotiert und ausgerollt. Damit die weitreichenden Investitionsvorhaben der deutschen Wirtschaft weiter Fahrt aufnehmen können, arbeiten Bund und Länder im Zuge des sogenannten Deutschland-Pakts gemeinsam an der Digitalisierung der Verwaltung und an effizienteren Planungs- und Genehmigungsverfahren, die Deutschland schneller, moderner und sicherer machen. Bei neuer Gesetzgebung strebt die Bundesregierung eine möglichst bürokratiearme Umsetzung an. Die Wirtschaft soll nicht durch unverhältnismäßige zusätzliche Bürokratie belastet werden („Belastungsmoratorium“). Das gilt auch für die EU-Ebene.
Die Innovationsfähigkeit insgesamt und Investitionen in Schlüsseltechnologien sowie die digitale Transformation sind entscheidend für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz der deutschen Wirtschaft. Daher beabsichtigt die Bundesregierung, die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit von Unternehmen über die im Wachstumschancengesetz vorgeschlagene weitere Verbesserung der steuerlichen Forschungszulage und die Erprobung innovativer Technologien und Geschäftsmodelle zu unterstützen. Gleichzeitig treibt die Bundesregierung auf unterschiedlichen Ebenen die Digitalisierung und die Nutzung der Potenziale von Daten für Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und öffentliche Verwaltung voran. Mit der Gigabitstrategie unterstützt die Bundesregierung eine flächendeckende Versorgung mit Glasfaser und dem neusten Mobilfunkstandard. Auch ist es angesichts der geopolitischen Entwicklungen wichtiger denn je, den Zugang zu Schlüsseltechnologien und Rohstoffen zu schützen und zu gewährleisten. Daher unterstützt die Bundesregierung die Wirtschaft beim Aufbau von Wertschöpfung in Schlüsselbereichen.
Das Angebot an Arbeitskräften droht zu einem weiter zunehmenden Hemmnis für die wirtschaftliche Dynamik der kommenden Jahre zu werden. Um das Arbeitsangebot zu erhöhen, setzt die Bundesregierung im Rahmen der Fachkräftestrategie neue Maßnahmen für eine Steigerung der Attraktivität Deutschlands für qualifizierte Erwerbspersonen aus dem Ausland um. Zur stärkeren Mobilisierung der inländischen Potenziale zielen Aktivitäten der Bundesregierung auf eine nachhaltige Aktivierung von Arbeitslosen sowie verbesserte Erwerbsanreize und -möglichkeiten insbesondere für Ältere und für Zweitverdienende ab. Die Bundesregierung wird angesichts der Bedeutung der Verfügbarkeit von Arbeitskräften für den Wirtschaftsstandort über die bereits vorgesehenen Maßnahmen hinausgehen. Dabei werden Arbeitsanreize des Steuer- und Transfersystems im Rahmen von Transferentzugsraten in den Blick genommen sowie ein mit den Sozialpartnern gemeinsamer „Dialogprozess Arbeit und Rente“ ins Leben gerufen. Nicht zuletzt stellt die Bundesregierung mit einem Job-Turbo die Weichen für eine zügige und nachhaltige Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten.
Um die Allokation von Kapital in hochproduktive Wirtschaftszweige zu befördern und Investitionen auszulösen, sollen die Kapitalmärkte vertieft und Finanzierungsbedingungen verbessert werden. Hierfür wird die Integration des EU-Binnenmarkts im Rahmen der Kapitalmarktunion weiter angetrieben. Gleichzeitig steigert die Bundesregierung mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz die Attraktivität des Investitionsstandorts Deutschland für innovative Gründerinnen und Gründer und Start-ups, etwa durch verbesserte Finanzierungsbedingungen oder die Fortentwicklung des Gesellschaftsrechts. Private Investitionen in deutsche Start-ups und Innovationstechnologien sollen außerdem mobilisiert werden, um den deutschen Venture-Capital-Markt und den Standort Deutschland zu stärken.
Weitere im Jahreswirtschaftsbericht genannte zentrale Handlungsfelder umfassen diese Bereiche:
- Erhöhung des Angebots an erneuerbarer Energie, u. a. über Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.
- Förderung klimaneutraler Industrieproduktion, u. a. über Klimaschutzverträge
- Diversifizierung des Außenhandels, u. a. über ausgeweitete Handelsbeziehungen
- Schaffung von bezahlbarem und nachhaltigem Wohnraum, u. a. über neue beziehungsweise ausgeweitete Förderprogramme sowie temporär geänderte Abschreibungsregelungen
- Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur, u. a. über zusätzliche Finanzmittel
Finanzpolitik mit klarer Orientierung an Effizienz und Tragfähigkeit
Die schwerpunktmäßig angebotsseitige Wirtschaftspolitik wird flankiert durch eine am Ziel der Tragfähigkeit orientierte Finanzpolitik. Während der Krisen hat die Bundesregierung temporäre und gezielte Entlastungsmaßnahmen bereitgestellt, um Unsicherheit zu reduzieren, die volkswirtschaftliche Substanz in Deutschland zu sichern sowie Unternehmen und Privathaushalte zu entlasten. Diese entschlossene Reaktion war möglich, weil der Staat aufgrund der vor der Pandemie aufgebauten fiskalischen Puffer und dem Vertrauen der Kapitalmärkte auf signifikante finanzielle Ressourcen zurückgreifen konnte. Daher setzt die Bundesregierung ihren Weg einer vorausschauenden und konsolidierenden Finanzpolitik fort. Der Bundeshaushalt für das Jahr 2024 sieht die Einhaltung der regulären Kreditobergrenze der Schuldenbremse vor. Mit der damit einhergehenden finanzpolitischen Normalisierung wird die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen und die Sicherung der fiskalischen Resilienz auch für zukünftige Krisen gewährleistet. Hierbei setzt die Bundesregierung gleichzeitig fortwährend die notwendigen Prioritäten für öffentliche sowie notwendige Impulse für mehr private Investitionen.
Glaubhafte Fiskalregeln, wie die Schuldenregel des Grundgesetzes (GG), können die Solidität der Staatsfinanzen und die mittel- und langfristige Tragfähigkeit der gesamtstaatlichen Schuldenstandsquote gewährleisten und so krisenhaften Zuspitzungen vorbeugen. Als Ausdruck staatlicher Selbstbindung ist Art. 115 GG ein zentrales Element der deutschen Finanzpolitik und setzt damit auch den Rahmen für die finanzpolitische Strategie der Bundesregierung.
Der Aufbau von Risikopuffern trägt wesentlich zu fiskalischer Resilienz bei. So kann Deutschland trotz der umfangreichen Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Pandemie sowie zur Abfederung der hohen Energiepreise der Jahre 2022 und 2023 sehr solide finanzpolitische Kennzahlen vorweisen. Im Vergleich zu den anderen G7-Mitgliedern hat Deutschland mit einer Schuldenstandsquote (Bund, Länder und Kommunen) von knapp 65 Prozent des BIP die mit Abstand geringste Schuldenbelastung.
Aufgrund unterschiedlicher, teils struktureller Herausforderungen wird die Bundesregierung ihre Ausgaben innerhalb enger Haushaltsspielräume quantitativ wie qualitativ konsolidieren. Denn die gestiegenen Zinsen, der demografische Wandel und steigende Verteidigungsausgaben als erforderliche Reaktion auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die veränderten geopolitischen Realitäten führen zu einer zunehmenden „Versteinerung“ der Ausgaben aus dem Bundeshaushalt. Dem wird die Bundesregierung entschieden entgegenwirken. Durch die mit der Schuldenbremse notwendigen Aushandlungsprozesse werden die Zielkonflikte und konkreten Kosten vermehrter Zukunftsausgaben in Form entgangener zusätzlicher staatlicher Leistungen transparent.
Steigende Zinsen, ausgehend von einem Umfeld außergewöhnlich niedriger Zinsen, und der schnelle Anstieg der Zinsausgaben des Bundeshaushalts zeigen (vergleiche Abbildung 2), dass Zinsänderungsrisiken nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Die deutlich gestiegenen Zinsen und die höhere Verschuldung des Bundes (zum Jahresende 2023 betrug sie rund 1.431 Mrd. Euro im Vergleich zu 1.011 Mrd. Euro zum Jahresende 2019) aufgrund der Maßnahmen in der Corona-Krise und infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine machen sich in den Zinsausgaben deutlich bemerkbar.
Arbeitsanreize stärken, Wohlstand erhalten und Teilhabe sicherstellen
In diesem und den kommenden Jahren der Transformation der deutschen Wirtschaft kommt es neben einer Stärkung von Kaufkraft und verteilungspolitischem Ausgleich darauf an, insbesondere Leistungsanreize auszubauen, sozialstaatliche Leistungen zu modernisieren und langfristigen Vermögensaufbau zu fördern.
Das Arbeitseinkommen stellt für die meisten Bürgerinnen und Bürger den Großteil des Einkommens dar. Einen wesentlichen Beitrag, dass es im Zuge der Preissteigerungen zu keinen zusätzlichen Belastungen von Erwerbseinkommen kommt, hat die Bundesregierung mit dem Inflationsausgleichsgesetz und der Anhebung von Pausch- und Freibeträgen bereits geleistet. Darüber hinaus kommt es im Hinblick auf die demografische Entwicklung verstärkt auf eine höhere beziehungsweise deutlich dynamischere Entwicklung der Arbeitsproduktivität und damit verbundene Lohnzuwächse an. Eine wichtige Voraussetzung, damit die Aufnahme oder Ausweitung einer substanziellen Erwerbstätigkeit attraktiv ist, ist eine möglichst moderate Belastung des Bruttoeinkommens durch Steuern und Abgaben. So sind mit Jahresbeginn 2024 Änderungen bei der Einkommensteuer in Kraft getreten, die Bürgerinnen und Bürger um rund 15 Mrd. Euro in der vollen Jahreswirkung steuerlich entlasten. Darüber hinaus hält die Bundesregierung die Beitragssätze zur Sozialversicherung im Rahmen ihrer Möglichkeiten moderat, da die Belastung von Arbeitseinkommen in Deutschland im internationalen Vergleich hoch ist.
Die zum Jahresbeginn in Kraft getretenen Entlastungen bei der Einkommensteuer tragen auch dazu bei, dass Freiräume zum Investieren in Vermögenswerte erhalten bleiben. Neben einer Stärkung von Lohneinkommen bieten verschiedene weitere Maßnahmen Unterstützung beziehungsweise Anreize zum Aufbau von Vermögenswerten. Hierunter fallen u. a. die im Rahmen des Zukunftsfinanzierungsgesetzes erhöhte Arbeitnehmersparzulage sowie die gestärkte Mitarbeiterkapitalbeteiligung. Die Stärkung der finanziellen Bildung führt auch zu einer höheren Fähigkeit zur Partizipation am Finanzmarkt und leistet damit einen Beitrag zum Vermögensaufbau.
Initiative Finanzielle Bildung
Finanzielle Bildung ist ein wichtiger Teil der Allgemeinbildung und eine Grundvoraussetzung für kompetente ökonomische Teilhabe in modernen, marktwirtschaftlich verfassten Gesellschaften. Studien zeigen jedoch, dass es im Bereich der finanziellen Bildung in Deutschland Nachholbedarf gibt. Dieser ist gleichbedeutend mit bislang ungenutzten Chancen für mehr Teilhabe, Wachstum und Wohlstand. Dieser Aufgabe begegnet das BMF gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Initiative Finanzielle Bildung. Dabei soll die finanzielle Bildung in Deutschland langfristig entlang folgender Eckpunkte gestärkt werden:
- Entwicklung einer nationalen Finanzbildungsstrategie zusammen mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und unter Einbeziehung aller relevanten Stakeholder
- Schaffung einer zentralen Finanzbildungsplattform
- Stärkung der Forschung zu finanzieller Bildung
Finanzielle Bildung bedeutet auch proaktiven Verbraucherschutz, da sie es ermöglicht, bedarfsgerechte, sinnvolle Anlage-, Kredit- und Versicherungsentscheidungen zu treffen.
Auf dem Arbeitsmarkt kommt im Zuge des demografischen Wandels und des Arbeitskräftemangels besonders älteren Menschen eine zunehmende Bedeutung zu. Die Bundesregierung hat mit der Aufhebung der Hinzuverdienstgrenzen bei vorgezogenen Altersrenten zum 1. Januar 2023 rentenrechtliche Hemmnisse beseitigt und mehr Flexibilität beim Übergang in den Ruhestand ermöglicht. Darüber hinaus ist es das Ziel der Bundesregierung, die gesetzliche Rente als tragende Säule der Alterssicherung zu stärken. Mit der geplanten Einführung des Generationenkapitals soll die finanzielle Basis der gesetzlichen Rentenversicherung um ein kapitalgedecktes, nachhaltiges Finanzierungsstandbein erweitert werden.
Fußnoten
- 1
- Der vollständige Bericht findet sich hier.