Rückblick auf die Sitzungen der Eurogruppe und die informellen Sitzungen der ECOFIN-Ministerinnen und -Minister am 23. und 24. Februar 2024 in Gent, Belgien
Eurogruppe
Die Eurogruppe im inklusiven Format am 23. Februar 2023 befasste sich mit der Zukunft der Europäischen Kapital- und Finanzmärkte.
Diskussionsgrundlage war der Entwurf einer Erklärung zur Zukunft der Kapitalmarktunion, welcher drei Teile umfasst. Im ersten Teil wird darauf verwiesen, dass die zu geringe Verfügbarkeit von Kapitalmarktfinanzierung Wachstum und Innovationen in der Europäischen Union (EU) hemme. Es seien schnelle Fortschritte erforderlich, damit die EU nicht zurückfalle und EU-Bürgerinnen und -Bürger von besseren Investitionsmöglichkeiten profitierten. Der zweite Teil des Erklärungsentwurfs benennt Maßnahmen in den Rubriken Architektur der Kapitalmarktunion, Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger. Der dritte Teil beschäftigt sich mit der Umsetzung der Maßnahmen und dem weiteren Prozess. Die Erklärung soll als Input für die Arbeiten der neuen Europäischen Kommission im Bereich der Kapitalmarktunion dienen.
In einer einleitenden Präsentation führten der Präsident der Eurogruppe Paschal Donohoe und der Präsident der Eurogruppen-Arbeitsgruppe Tuomas Saarenheimo aus, dass die Inhalte in den meisten Bereichen weitgehend geeint seien. Es bestünden aber noch einige Diskussionspunkte, u. a. in den Bereichen Kapitalmarktaufsicht, Insolvenzrahmen und neue Kleinanlegerprodukte. Ziel sei es, die Erklärung in der Eurogruppe im inklusiven Format am 11. März 2024 zu verabschieden und dann dem Eurogipfel Ende März vorzulegen.
Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) Christine Lagarde plädierte angesichts des hohen Investitionsbedarfs im Bereich der grünen Transformation und Verteidigung dafür, die Anstrengungen im Bereich der Kapitalmarktunion deutlich zu intensivieren.
In der anschließenden Diskussion bestand Einigkeit unter den Ministerinnen und Ministern, dass eine weitere Vertiefung der Kapitalmarktunion dringend geboten sei, um ausreichend private Investitionen für die Bewältigung der Herausforderungen der kommenden Jahre zu ermöglichen. Zudem stellten die fragmentierten Kapitalmärkte in der EU einen deutlichen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Wirtschaftsregionen wie beispielsweise den USA dar. Einige Mitgliedstaaten forderten konkretere Fortschritte. Bezüglich einer möglichen zielgerichteten Harmonisierung der nationalen Insolvenzrahmen gebe es bei aller Komplexität des Themas diverse Bereiche, in denen Fortschritte denkbar seien. Hinsichtlich neuer Kleinanlegerprodukte zeigten sich die Ministerinnen und Minister grundsätzlich offen. Bei der Frage der Harmonisierung der Kapitalmarktaufsicht wurden verschiedene Ansätze diskutiert. Es zeigte sich, dass hierzu unter den Mitgliedstaaten nach wie vor sehr unterschiedliche Positionen bestehen.
Bundesfinanzminister Christian Lindner führte aus, dass die Kapitalmarktunion die beste Antwort Europas auf den gestiegenen internationalen Wettbewerb und den Inflation Reduction Act der USA sei. Die Zeit dränge. Der Fokus der weiteren Arbeiten solle daher auf Maßnahmen gelegt werden, die sich rasch umsetzen ließen. Dabei sollten Fragmentierungen verhindert und bürokratische Lasten abgebaut werden.
Am Ende der Sitzung informierte die Europäische Kommission kurz über ihre Bewertung zum aktualisierten Haushaltsplan der Slowakei. Hintergrund ist, dass die Slowakei infolge des Antritts der neuen Regierung am 12. Dezember 2023 einen aktualisierten Haushaltsplan vorgelegt und auch bereits am 21. Dezember 2023 im Parlament verabschiedet hat. Demnach soll das gesamtstaatliche Defizit bei 6,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen, nach 6,5 Prozent im Jahr 2023. Die Kommission geht von 6,3 Prozent beziehungsweise 6,1 Prozent aus. Sie kommt in ihrer Bewertung zu dem Schluss, dass insgesamt das Risiko bestehe, dass der aktualisierte Haushaltsplan nicht mit den länderspezifischen Empfehlungen des Rats übereinstimme. So dürfte im Jahr 2024 die Wachstumsrate der Netto-Primärausgaben über der empfohlenen maximalen Wachstumsrate liegen. Auch dürften die krisenbedingten Energiemaßnahmen 2023 und 2024 nicht so schnell abgebaut und für den Defizitabbau verwendet werden wie in den Empfehlungen vorgesehen.
Darüber hinaus hat die Eurogruppe Tuomas Saarenheimo (Finnland) erneut zum Vorsitzenden der Eurogruppen-Arbeitsgruppe (EAG) ernannt. Die EAG ist das Vorbereitungsgremium der Eurogruppe auf Staatssekretärsebene. Die zweijährige Amtszeit beginnt am 1. April 2024. Für Tuomas Saarenheimo ist es die 3. Amtszeit; er ist seit dem 1. April 2020 Vorsitzender der EAG (Eurozonen-Mitgliedstaaten) und des Wirtschafts- und Finanzausschusses (EU-27).
ECOFIN
Beim informellen Treffen der Ministerinnen und Minister des Rates für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN) fand zunächst ein Arbeitsmittagessen statt, bei dem sich die Ministerinnen und Minister mit der zum 1. Januar 2024 neu angetretenen Präsidentin der Europäischen Investitionsbank (EIB) Nadia Calviño zur künftigen strategischen Ausrichtung der EIB austauschten. Nadia Calviño benannte einleitend die gegenwärtigen Aktivitäten und Schwerpunkte. Die EIB sei die weltweit größte Förderbank mit AAA-Rating. Als künftige Prioritäten sehe sie die Rolle der EIB als Klimabank, digitale und technische Innovation, eine Aufstockung der Investitionen im Sicherheits- und Verteidigungsbereich, einen Beitrag zu moderner Kohäsionspolitik, die Entwicklung innovativer Finanzinstrumente für Landwirtschaft und Bioökonomie, soziale Infrastrukturen, die mögliche Rolle bei der Kapitalmarktunion, die Stärkung der Unterstützung der Ukraine und der EU-Nachbarschaftspolitik sowie die Stärkung strategischer Investitionen über Global Gateway.
In der anschließenden Aussprache wurde von einer großen Gruppe von Mitgliedstaaten die zentrale Rolle der EIB für Finanzierungsprojekte in der Ukraine und für den Übergang zur Klimaneutralität hervorgehoben. Zudem plädierten einige Mitgliedstaaten dafür, dass die EIB auch Projekte im Nuklearsektor finanzieren solle; andere sprachen sich dagegen aus. Darüber hinaus diskutierten die Ministerinnen und Minister die mögliche Rolle der EIB bei der Stärkung der europäischen Verteidigungskapazitäten. Auch gab es Diskussionen hinsichtlich einer möglichen Erhöhung des Ausleihvolumens der EIB bei stabiler Eigenkapitalbasis (Entfernung der sogenannten Gearing Ratio aus der EIB-Satzung, womit das Verhältnis von Fremdkapital zu Eigenkapital festgelegt wird).
Die Ministerinnen und Minister werden die Diskussion zur strategischen Ausrichtung der EIB bei der Jahrestagung der EIB-Gouverneurinnen und -Gouverneure im Juni 2024 in Luxemburg fortsetzen.
Die erste Arbeitssitzung des informellen ECOFIN widmete sich dem Thema Vertiefung der Kapitalmarktunion mit Schwerpunkt auf finanzielle Bildung und Privatanlegerbeteiligung. An dieser Sitzung nahmen auch die Zentralbankgouverneurinnen und -gouverneure teil. Eingeladen waren vier Gastrednerinnen und -redner: die EU-Kommissarin Mairead McGuinness, der Vorsitzende der Belgischen Finanzdienstleistungsaufsicht Jean-Paul Servais sowie Maria Demertzis, Senior Fellow beim Brüsseler Thinktank Bruegel, und Annamaria Lusardi, Senior Fellow am Stanford Institute for Economic Policy Research.
Maria Demertzis und Annamaria Lusardi stellten ihre aktuelle Studie „The state of financial knowledge in the European Union“ vor. Diese stützt sich maßgeblich auf eine repräsentative Befragung der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2023 zum Finanzwissen in den EU-Mitgliedstaaten. Die Ergebnisse zeigen, dass wesentliche Lücken im Finanzwissen der Bürgerinnen und Bürger in der EU bestehen.
In der Aussprache nutzten zahlreiche Mitgliedstaaten die Gelegenheit, um ihre nationalen Initiativen im Bereich der finanziellen Bildung vorzustellen. Es bestand weitgehend Konsens, dass der Grad der finanziellen Bildung in der EU verbesserungswürdig sei. Eine bessere finanzielle Bildung könne – wenn auch nicht als einziger wesentlicher Faktor – die Beteiligung von Privatanlegerinnen und -anlegern am Kapitalmarkt und damit auch Chancengerechtigkeit erhöhen. Als weitere mögliche Faktoren wurden u. a. steuerliche Aspekte, vertrauensfördernde Maßnahmen, der Abbau regulatorischer Hürden und die automatisierte Beteiligung an kapitalgedeckten betrieblichen Altersvorsorgesystemen angesprochen.
Am 24. Februar 2024 befassten sich die Ministerinnen und Minister bei einer zweiten Arbeitssitzung mit der Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der EU. Als Gastredner nahm der ehemalige EZB-Präsident und Premierminister Italiens Mario Draghi teil. Mario Draghi war im September 2023 von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gebeten worden, einen Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der EU zu erstellen, und wird diesen bis Ende Juni 2024 vorlegen. Zudem wird ein weiterer Bericht zum Binnenmarkt (Letta-Bericht) bis März 2024 erwartet.
Mario Draghi verwies zunächst auf die wesentlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre, die die Wettbewerbssituation der EU verändert hätten. Zu nennen seien hier weitreichende Veränderungen der bisherigen globalen Wirtschaftsordnung, wie z. B. Anstrengungen zur Unabhängigkeit im Energiebereich von Russland sowie neue Herausforderungen im Verteidigungsbereich, die Geschwindigkeit der grünen Transformation, die eine Umstrukturierung der Lieferketten erfordere, und die Geschwindigkeit des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz und anderer Technologien. Zur Finanzierung der Transformationen seien rund 600 Mrd. Euro pro Jahr erforderlich, hinzu kämen weitere notwendige Ausgaben im Verteidigungsbereich. Es brauche zudem mehr produktive Investitionen. Die EU falle hier, obwohl sie über höhere Ersparnisse verfüge, gegenüber den USA deutlich zurück. Zentrale Frage sei daher, wie die erforderlichen öffentlichen und privaten Investitionen bestmöglich mobilisiert werden könnten.
Im Anschluss verwies der Vizepräsident der EU-Kommission Valdis Dombrovskis auf vier zentrale Handlungsfelder: Stärkung des Binnenmarkts, Schaffung eines innovationsfreundlichen Unternehmensumfelds, Finanzierung vor allem durch den Privat-, aber auch den öffentlichen Sektor und bestmögliche Nutzung der Vorteile handelspolitischer Offenheit. Kommissar Paolo Gentiloni ergänzte, Förderprogramme der EU müssten simpler und dadurch attraktiver ausgestaltet werden. Zudem sei über die Mehrheitsregeln im Steuerbereich nachzudenken. Auch müsse man sich Gedanken hinsichtlich möglicher Anschlussprogramme nach dem Auslaufen von Next Generation EU machen.
In der Diskussion unterstrich Bundesfinanzminister Christian Lindner, dass ein ganzheitlicher Ansatz zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit geboten sei. Zur Erhöhung privater Investitionen sei es erforderlich, die EU attraktiver für Kapitalzuflüsse zu machen. Hierzu trügen u. a. die Arbeiten an der Kapitalmarktunion bei. Bei den öffentlichen Ausgaben sollte die Debatte nicht stetig auf neue Ausgaben, sondern verstärkt darauf gelenkt werden, wie die bestehenden öffentlichen Steuergelder besser ausgegeben werden können. Darüber hinaus sollten unverhältnismäßige Regulierungsanforderungen vermieden werden.
Wortnehmende Ministerinnen und Minister verwiesen u. a. auf erforderliche Maßnahmen in den Bereichen Bürokratieabbau, Stärkung des Binnenmarkts, Strukturreformen, Wettbewerbspolitik, Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen, öffentliche Investitionen auf EU-Ebene sowie eine stärkere Priorisierung von Forschungs- und Bildungsausgaben in den nationalen Haushalten. Auch wurden die im internationalen Vergleich hohen Energiepreise in Europa thematisiert.