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BMF-Monatsbericht April 2024

Inhalt

Schuldenbremse – Mythos und Realität

23.04.2024
  • Im Jahr 2024 feiert die im Grundgesetz verankerte Schuldenregel – die sogenannte Schuldenbremse – ihr 15-jähriges Bestehen. Seit dem Jahr 2009 ist für Bund und Länder nach einer Übergangszeit gemeinsam der Grundsatz des ausgeglichenen Haushalts verankert. Das Ziel der Schuldenbremse ist es, die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung zu gewährleisten.
  • Die Schuldenbremse schiebt der „Defizitneigung“ der Politik einen Riegel vor. Sie sorgt dafür, dass gute Zeiten zur Konsolidierung der Staatsfinanzen genutzt werden und der Gegenwartspräferenz der Politik Grenzen gesetzt werden.
  • Um die Schuldenbremse ranken sich inzwischen zahlreiche Mythen – allen voran, dass sie Innovationen und Investitionen, Wachstum oder Steuersenkungen verhindern würde. Dieser Artikel blickt auf die Erfolge der Schuldenbremse im Kontext dieser Mythen.

15 Jahre Schuldenbremse

Die Schuldenbremse feiert dieses Jahr ihr 15-jähriges Bestehen. Im Jahr 2009, auf dem Höhepunkt der weltweiten Wirtschaftskrise, haben Bund und Länder die Finanzverfassung grundlegend reformiert und die reguläre Obergrenze nach der Schuldenregel durch Änderung der Art. 109 und 115 des Grundgesetzes eingeführt. Seitdem ist für Bund und Länder gemeinsam der Grundsatz des ausgeglichenen Haushalts verankert, der nach einer Übergangsregelung wirksam wurde. Der Bund hat dabei einen strukturellen Verschuldungsspielraum von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP).

Diese Reform war eine Reaktion auf wachsende Sorgen über die Tragfähigkeit der deutschen Staatsfinanzen. Die Staatsschuldenquote war im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung seit den 1970er-Jahren immer weiter angestiegen. Außerdem galt es, in der angespannten Lage der Europäischen Währungsunion im Jahr 2009 das Vertrauen der Kapitalmärkte in die Rolle Deutschlands als Stabilitätsanker des Euroraums und damit in die Solidität der deutschen Staatsfinanzen zu stärken. Die gesamtstaatliche Schuldenstandsquote ist in den Jahren vor der Wirtschafts- und Finanzkrise kontinuierlich gestiegen. Mit den Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise erreichte die Maastricht-Schuldenstandsquote im Jahr 2010 mit 82 Prozent ihren Höhepunkt.

Abbildung: Maastricht-Schuldenstandsquote Deutschland (mehr in der Langbeschreibung) BildVergroessern
Abbildung 1 Quelle:Deutsche Bundesbank (2024)

Diesen Trend hat die Schuldenbremse erfolgreich durchbrochen. So ist die Schuldenstandsquote im Jahr 2019 bis auf 59,6 Prozent des BIP gesunken und hatte damit den Maastricht-Referenzwert erstmals wieder unterschritten. Denn die Schuldenbremse begrenzt die sogenannte Defizitneigung der Politik wirksam: Politikerinnen und Politiker sowie Regierungen haben aus unterschiedlichen Gründen eine Neigung dazu, insbesondere gute Zeiten zur Konsolidierung der Staatsfinanzen ungenutzt verstreichen zu lassen. Sie agieren dabei entsprechend den Anreizen, die sich aus Wahlzyklen und dem politischen Wettbewerb ergeben oder aufgrund einer ausgeprägten Gegenwartsneigung (sogenannte Zeitpräferenz) der Politik (und der Wählerinnen und Wähler). Diesem Trend schiebt die Schuldenregel einen Riegel vor.

Die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine haben verdeutlicht, wie wichtig der durch die Rahmenbedingungen der Schuldenbremse ermöglichte Aufbau fiskalischer Spielräume in normalen Zeiten ist, um dann in Krisen umfangreich reagieren zu können. Gleichzeitig hat die Schuldenbremse ihre Flexibilität bewiesen: Die deutsche Finanzpolitik hat auf die Folgen der Corona-Krise – und anschließend auf die Auswirkungen der Energiepreiskrise – in außergewöhnlich großem Umfang und damit verhältnismäßig zur starken Betroffenheit der deutschen Volkswirtschaft reagiert. Die entschlossene Reaktion in Krisen ist bewusst im Design der Schuldenbremse angelegt und war durch den Aufbau von Puffern in guten Zeiten möglich – ohne dass Zweifel der Finanzmärkte an der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen das notwendige Maß fiskalischer Stabilisierung beschränkte.

Trotz der immensen fiskalischen Belastungen dieser aufeinanderfolgenden Krisen hat sich die gesamtstaatliche Schuldenstandsquote von 69 Prozent im Jahr 2021 wieder auf zuletzt 63,7 Prozent des BIP im Jahr 2023 verringert (s. a. Abbildung 1). Damit liegt Deutschland unter dem Durchschnitt der EU-Mitgliedstaaten.

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Zu den Mythen über die Schuldenbremse

Die Kritik an der Schuldenbremse nimmt zahlreiche Formen an. So wird sie immer wieder als Investitionsbremse, Wachstumsbremse oder auch als Zukunftsbremse dargestellt sowie als undemokratisch und als Belastung für künftige Generationen. Doch diese Ausführungen werden der Funktions- und Wirkungsweise der Schuldenbremse nicht gerecht. Die Aufnahme von Schulden ist nicht per se schlecht. Beispielsweise sind außergewöhnlich hohe, kurzfristige und unvorhersehbare Finanzbedarfe besser und effizienter über Verschuldung zu bewältigen. Darüber hinaus dienen Staatsanleihen auch als sichere und liquide Anlagen, wenn sie – wie die Anleihen des Bundes – höchste Bonität genießen. Das wichtigste Ziel der Schuldenbremse ist es, die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung zu gewährleisten. Daher sollte übermäßige Staatsverschuldung infolge der Defizitneigung als Ergebnis der starken Gegenwartsorientierung in der Politik sowie der Überlastung der öffentlichen Haushalte vermieden werden, da sich daraus Tragfähigkeitsrisiken ergeben.

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Mythos 1: Die Schuldenbremse ist eine Investitions- und Innovationsbremse

Oft wird in den Medien und der Öffentlichkeit die Kritik formuliert, die Schuldenbremse sei eine Investitionsbremse, da wichtige und erforderliche Investitionen etwa in die Dekarbonisierung der Wirtschaft, die Digitalisierung und Modernisierung des Landes ausblieben. Ein Blick in den Bundeshaushalt zeigt jedoch, dass in diesem Jahr die Schuldenbremse eingehalten wird und zugleich Investitionen auf Rekordniveau vorgesehen sind, die auch real betrachtet über dem Vorkrisenniveau liegen. Exemplarisch ist der Bundeshaushalt 2024 kein Sparhaushalt, sondern erfüllt den Gestaltungsanspruch zur Modernisierung der deutschen Volkswirtschaft und schafft Handlungsspielräume für künftige Krisen und Herausforderungen. Schon daraus wird ersichtlich, dass mit der Schuldenbremse keine Investitionsbremse einhergeht. Im Gegenteil: Sie erhöht durch die konsequente Ausgabenpriorisierung von Zukunftsinvestitionen im Sinne einer qualitativen Konsolidierung den Anteil investiver Mittel im Bundeshaushalt. Durch die kontinuierliche Prioritätensetzung von Staatsausgaben erwirkt die Schuldenbremse also eine effiziente und vorausschauende Finanzpolitik.

Auch die wissenschaftliche Evidenz legt nahe, dass Fiskalregeln keine öffentlichen Investitionen verdrängen. Beispielsweise zeigt eine aktuelle Querschnittsstudie des ifo Instituts (Blesse et al. (2023): „Schwächen Fiskalregeln öffentliche Investitionen?“) einen negativen Zusammenhang zwischen Schuldenstandsquote und öffentlichen Nettoinvestitionen: Je höher die Schuldenstandsquote ist, desto geringer ist das Investitionsniveau. Auch das aktuelle Gutachten des Projekts Gemeinschaftsdiagnose1 kommt zu dem Schluss, dass sich kein negativer Einfluss der Schuldenbremse auf die gesamtstaatliche Investitionsquote zeigt. Zugleich beugt die Schuldenbremse einer ausgeprägten Gegenwartsneigung der Politik vor. Diese Gegenwartsneigung der Politik, der die Schuldenbremse Grenzen setzten soll, betrifft gerade auch die öffentlichen Investitionen. Diese kosten schnell sehr viel Geld, die Erträge kommen aber erst späteren Regierungen zugute. Deshalb sind die Investitionen auch schon in den Jahren vor der heutigen Schuldenbremse depriorisiert worden. Das ist die bindende Restriktion für öffentliche Investitionen, nicht die Schuldenbremse.

Dagegen hat die Bundesregierung in der aktuellen Legislatur Investitionen auf Rekordniveau getätigt. Neben hohen öffentlichen Investitionen bedarf es zur Modernisierung der deutschen Wirtschaft insbesondere privater Investitionen, da 90 Prozent aller Investitionen in Deutschland vom Privatsektor ausgehen. Mit der Einhaltung der Schuldenbremse schafft die Bundesregierung Erwartungssicherheit, Verlässlichkeit und eine vorausschauende sowie vorhersehbare Finanzpolitik und somit elementare Anreize für private Investitionen, die für die Modernisierung des Landes unabdingbar sind. Durch die Bereitstellung hoher öffentlicher Investitionen sowie Anreize für private Investitionen setzt die Schuldenbremse geeignete Rahmenbedingungen auch für Innovationen, denn Investitionen sind eine Bedingung für Innovationen. Daher ist die Schuldenbremse auch keine Innovationsbremse.

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Mythos 2: Die Schuldenbremse ist eine Wachstumsbremse

In der Öffentlichkeit wird oft das Argument angebracht, die Schuldenbremse hemme die Wachstumsaussichten oder sei für das aktuell schwache Wirtschaftswachstum verantwortlich. Investitionen und Innovationen sind wesentliche Treiber für gegenwärtige und künftige Wachstumsaussichten sowie die Wettbewerbsfähigkeit. Da die Schuldenbremse aber keine Investitions- und Innovationsbremse darstellt, lässt sich auch die Aussage entkräften, dass mit der Schuldenbremse eine Wachstumsbremse einhergehe. So zeigt auch die wissenschaftliche Literatur, dass Länder mit Fiskalregeln ein langfristig höheres durchschnittliches Wirtschaftswachstum aufweisen als Länder ohne solche Regeln (s. a. Abbildung 2). Die im öffentlichen Diskurs oft aufgegriffenen schwachen Wachstumsaussichten stellen ebenso keine Rechtfertigung für die Bezeichnung als Wachstumsbremse dar.

Abbildung: Durchschnittliches Wirtschaftswachstum in Ländern ohne Fiskalregeln (nein) sowie in Ländern mit Fiskalregeln (ja) im Zeitraum 1985 bis 2015 (mehr in der Langbeschreibung) BildVergroessern
Abbildung 2

Während der Pandemie und der Energiepreiskrise war die deutsche Volkswirtschaft aufgrund ihres hohen Offenheitsgrads, der den Anteil der Summe von Exporten und Importen vom BIP beschreibt, sowie der Abhängigkeit von russischen Energieträgern besonders stark getroffen. Nichtsdestotrotz erwiesen sich deutsche Unternehmen als deutlich resilienter und anpassungsfähiger als ursprünglich angenommen. Dies ist auch das Ergebnis der entschiedenen Unterstützungs- und Entlastungsmaßnahmen für Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger während der Krisenjahre. Die schwache und verzögerte wirtschaftliche Erholung zum Jahresbeginn lässt sich insbesondere durch das aktuelle makroökonomische Umfeld begründen, bestehend aus einer schwachen inländischen sowie ausländischen Nachfrage aufgrund der gestiegenen Zinsen als geldpolitische Reaktion auf die zwischenzeitlich stark erhöhten Inflationsraten.

Vor allem werden jedoch strukturelle Hemmnisse wie der demografische Wandel, die Dekarbonisierung und das geringe Produktivitätswachstum auch aufgrund der schleppenden Digitalisierung sowie veränderter geopolitischer Realitäten deutlich. Die aktuelle Wachstumsschwäche ist daher keineswegs Ergebnis einer vermeintlich wachstumshemmenden Schuldenbremse, sondern vielmehr das Ergebnis mittelfristiger struktureller Hemmnisse sowie der spezifischen Struktur der deutschen Volkswirtschaft. Der Spielraum für die Kreditaufnahme wird bei konjunkturellen Schwankungen durch die Konjunkturkomponente angepasst. Dies schafft eine über konjunkturelle Zyklen hinweg symmetrische Finanzpolitik, die den Kern fiskalischer Resilienz bildet. Die Schuldenbremse hat durch ihre inhärente Flexibilität ebenso eine angemessene finanzpolitische Reaktion auf die Pandemie und Energiepreiskrise ermöglicht. Die Unterstützungs- und Entlastungsmaßnahmen als Reaktion auf die Krisen untermauern, dass die Schuldenbremse durch die verankerte Möglichkeit der Feststellung einer außergewöhnlichen Notsituation die notwendige Flexibilität zur Krisenbekämpfung ermöglicht. Dadurch konnten die produktive Substanz der deutschen Wirtschaft sowie die Kaufkraft von Bürgerinnen und Bürgern gesichert und Unsicherheiten reduziert werden.

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Mythos 3: Die Schuldenbremse ist eine Zukunftsbremse

Da die Schuldenbremse zu unzureichenden Investitionen führe, vor allem angesichts der strukturellen Herausforderungen, sei sie eine Bremse für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Die Schuldenbremse ist jedoch keine Zukunftsbremse, sondern vielmehr ein Zukunftskatalysator. Gleichzeitig sichert sie eine planbare Zukunft für Unternehmen in verschiedener Hinsicht. Erstens vermindert sie das Risiko zukünftiger Steuererhöhungen in Reaktion auf eine hohe Staatsverschuldung beziehungsweise steigender Zinsausgaben, indem sie die Staatsverschuldung begrenzt und als Versicherung gegen adverse Entwicklungen wie einen plötzlichen starken Anstieg der Zinsen auf Staatsanleihen wirkt. Zweitens hat sie einen positiven Effekt auf die Erwartungen von Unternehmen, da die verfassungsrechtliche Budgetrestriktion eine effiziente Finanzpolitik im Sinne einer möglichst produktiven Verwendung staatlicher Mittel fördert. Drittens können Unternehmen auf eine umfassende staatliche Handlungsfähigkeit in Krisen vertrauen, die sich aus dem mit der Schuldenbremse verbundenen Aufbau fiskalischer Puffer ergibt. Auch unter Berücksichtigung der Schaffung von fiskalischen Handlungsspielräumen für künftige Generationen durch das Vorbeugen einer ausgeprägten Defizitneigung als Folge der Gegenwartsorientierung der Politik schafft die Schuldenbremse Zukunftsperspektiven.

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Mythos 4: Die Schuldenbremse ist nicht generationengerecht

Die Schuldenbremse wird häufig als ungerecht für künftige Generationen bezeichnet, da sie dringend erforderliche Investitionen, beispielsweise in den Klimaschutz, nur unzureichend ermögliche. Die Schuldenbremse befördert jedoch eine zwischen Generationen gerecht ausgestaltete Finanzpolitik, indem sie dazu anhält, Verteilungskonflikte unter den heutigen Interessengruppen ohne Lastenverschiebung auf künftige Generationen zu lösen. Die Einhaltung der Schuldenbremse stellt Transparenz dazu her, dass die „Schulden von heute zusätzliche Steuern von morgen sind“. Dies bedeutet, dass neue Schulden durch zukünftige Einnahmen gedeckt sein müssen. Dieses Prinzip ist in der sogenannten intertemporalen Budgetbeschränkung des Staats verankert. Zwar ist ein Staat nicht gezwungen, seinen Haushalt in jedem Jahr ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen oder bestehende Schulden in einem bestimmten Zeitraum vollständig zu tilgen. Dennoch muss er, um seine Kreditwürdigkeit zu wahren, glaubwürdig nachweisen können, dass er den aufgelaufenen Schuldenstand nebst zukünftigen Ausgaben durch zukünftige Einnahmen finanzieren kann. Glaubhafte Fiskalregeln wie die grundgesetzliche Schuldenbremse können daher die Einhaltung der intertemporalen Budgetrestriktion gewährleisten und so krisenhaften starken Zinsanstiegen infolge eines plötzlichen Verlusts des Vertrauens der Kapitalmärkte vorbeugen.

Indem sie die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung gewährleistet, erhält die Schuldenbremse Freiheitsgrade für die Herausforderungen der Zukunft und fiskalische Handlungsspielräume für künftige Generationen. Um gleichzeitig und im Sinne der Generationengerechtigkeit die erforderlichen Investitionen in den Klimaschutz, die Dekarbonisierung der Wirtschaft und die Sicherheit Deutschlands zu ermöglichen, unterstützt sie durch eine bindende Budgetbeschränkung eine Priorisierung angebotspolitischer Maßnahmen zur Stärkung des Wachstumspotenzials und ermöglicht Investitionen auf Rekordniveau. Damit ist die Schuldenbremse die richtige finanzpolitische Antwort auf die großen mittel- bis langfristigen Herausforderungen in Deutschland. Entsprechend ihrer angebotspolitischen Agenda priorisiert die Bundesregierung konsequent die Staatsausgaben zugunsten von Zukunftsinvestitionen.

Langfristprojektionen zu den öffentlichen Finanzen wie der aktuelle Tragfähigkeitsbericht des BMF verdeutlichen die Notwendigkeit der Schuldenbremse zur Sicherung der Tragfähigkeit vor dem Hintergrund des erwarteten starken Anstiegs alterungsbedingter Ausgaben. Die Schuldenbremse gewährleistet, dass diese Handlungsbedarfe transparent durch fortlaufende Priorisierung infolge demokratischer Aushandlungsprozesse abgebaut werden. Damit ist die Schuldenbremse eine Versicherung dafür, dass ein Anstieg der Defizite infolge alterungsbedingter Ausgaben vermieden wird und Handlungsspielräume für zukünftige Generationen zurückgewonnen werden.

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Mythos 5: Die Schuldenbremse ist undemokratisch

Die Schuldenbremse wird in der öffentlichen Debatte oft als undemokratisch bezeichnet, weil sie den politischen beziehungsweise parlamentarischen Handlungsspielraum einschränke und somit keine zukunftsfähige, generationengerechte Finanzpolitik ermögliche. Was die Generationengerechtigkeit betrifft, ist bereits dargelegt worden, dass die Schuldenbremse Freiheitsgrade und Handlungsspielräume für künftige Generationen schafft. Dadurch gewährleistet die Schuldenbremse, dass die Lasten nicht auf künftige Generationen beziehungsweise noch nicht am demokratischen Entscheidungsprozess beteiligte Generationen verschoben werden. Den demokratischen Gehalt der Schuldenbremse verdeutlichen die mit ihr erzwungenen Aushandlungsprozesse, die mit der Aufstellung des Haushaltsentwurfs und dem anschließenden parlamentarischen Verfahren einhergehen. Dadurch werden Zielkonflikte und konkrete Kosten vermehrter Zukunftsausgaben transparent und demokratisch entschieden.

Durch die notwendige Gegenfinanzierung von Maßnahmen werden ihre Opportunitätskosten deutlich und können im parlamentarisch demokratischen Verfahren abgewogen werden. Erst eine glaubwürdige Budgetbeschränkung wie die Schuldenbremse führt zu einer intensiven Auseinandersetzung und Debatte in Politik und Öffentlichkeit über Notwendigkeit und Priorisierung von öffentlichen Ausgaben. Dies ist umso wichtiger in einem von angebotsseitigen Knappheiten geprägten wirtschaftlichen Umfeld. Die Einhaltung der regulären Kreditobergrenze der Schuldenbremse und die damit einhergehende Rückkehr zur finanzpolitischen Normalität ist nicht Ausdruck eines demokratischen Defizits, sondern vielmehr demokratischer Verantwortung. Denn eine solide und verlässliche Finanzpolitik, wie sie die Schuldenbremse zum Ziel hat, schützt die Bürgerinnen und Bürger vor zukünftig höheren Steuerbelastungen zur Abwehr krisenhafter Marktturbulenzen als Ausdruck eines Vertrauensverlusts in die Solidität der öffentlichen Finanzen und Schuldtitel Deutschlands.

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Mythos 6: Deutschland ist das einzige Land mit einer Schuldenbremse

In der Öffentlichkeit wird oft das Argument aufgebracht, Deutschland sei das einzige Land mit einer Schuldenbremse beziehungsweise strengen Fiskalregeln. Doch Fiskalregeln werden in vielen Ländern als Mittel zur Begrenzung von Staatsschulden und Defiziten öffentlicher Haushalte eingesetzt. Dabei können Fiskalregeln bei unterschiedlichen Aspekten der staatlichen Haushaltsergebnisse ansetzen: Einnahmen, Ausgaben, Haushaltssaldo und Staatsschulden. Sie sind vor allem in Ländern mit einer unabhängigen Notenbank implementiert, denn nur mit wirksamen Fiskalregeln kann eine dauerhafte inflationäre Wirkung der Finanzpolitik und damit eine unabhängige Geldpolitik ermöglicht werden. Auch vor diesem Hintergrund haben über 100 Länder Fiskalregeln implementiert.

Dieser Zusammenhang ist umso wichtiger in einer Wirtschafts- und Währungsunion mit nationaler Kompetenz für die Finanzpolitik bei einer gleichzeitig einheitlichen Geldpolitik. So wurde auch auf europäischer Ebene mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt ein System der haushaltspolitischen Überwachung geschaffen.

Grundsätzlich kann zwischen starren und flexibleren Fiskalregeln unterschieden werden. Zu den flexiblen Regeln zählen konjunkturbereinigte Haushaltsregeln oder solche, die über Ausweichklauseln verfügen, die in bestimmten wirtschaftlichen Situationen, insbesondere in Rezessionen, ein höheres Defizit zulassen, um so prozyklische Effekte zu vermeiden. Dies ist bei der grundgesetzlichen Schuldenbremse der Fall.

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Mythos 7: Die Schuldenbremse ist eine Steuersenkungsbremse

Als ein weiterer Kritikpunkt an der Schuldenbremse wird angeführt, dass es politisch kaum Wege gebe, eine Steuerentlastung im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse umzusetzen, da Steuerreformen strukturell gegenfinanziert werden müssten und eine teilweise Selbstfinanzierung durch Wachstumseffekte kaum beziehungsweise nur mit zeitlicher Verzögerung erreichbar sei. So wirke die Schuldenbremse im Ergebnis als eine Steuersenkungsbremse. Doch die Schuldenbremse ermöglicht sehr wohl Steuersenkungen, wenn diese an anderer Stelle gegenfinanziert werden. Neben Gegenfinanzierung kann infolge von Steuererleichterungen perspektivisch auch eine teilweise Selbstfinanzierung treten. Auch wenn diese dabei nicht vorrangig dem Haushaltsjahr zugutekommt, in dem die Steuererleichterung vorgenommen wurde, schafft sie dennoch in künftigen Bundeshaushalten mehr Handlungsspielräume.

Erst kürzlich hat die Bundesregierung mit der Senkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß von 0,05 Cent pro Kilowattstunde gezeigt, dass der Vorwurf der Steuersenkungsbremse empirisch nicht aufrechterhalten werden kann. Auch im Wachstumschancengesetz sind gezielte Steuererleichterungen enthalten. Im Übrigen wurde erst nach Einführung der Schuldenbremse mit dem Steuerprogressionsbericht ein wiederkehrendes Verfahren zum Ausgleich der kalten Progression im Einkommensteuertarif etabliert. Gerade das umfassende Inflationsausgleichsgesetz für die Jahre 2023 und 2024 zeigt: Bei entsprechender politischer Prioritätensetzung bleiben steuerliche Entlastungen möglich, die für die anhaltende Sicherung von Leistungsanreizen bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Selbständigen und Familienbetrieben von elementarster Bedeutung sind. Dies ist die deutlich bessere und wachstumsfreundliche Alternative bei Einhaltung der Schuldenbremse, als die Staats- und Einnahmenquoten immer weiter aufzublähen.

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Fazit

Fiskalregeln sind ein effektives Mittel, um Haushaltsdefizite und übermäßige Verschuldung wirksam zu begrenzen, Risikoprämien von Staatsanleihen zu senken und das Wirtschaftswachstum zu stärken. In der Vergangenheit war es leicht, aufgrund niedriger Zinsen und gleichzeitig wachsender Wirtschaft die Schuldenbremse einzuhalten. Nun aber stellt die Einhaltung angesichts der makroökonomischen und strukturellen Situation eine größere Herausforderung dar. Dieser Herausforderung muss sich Deutschland stellen, denn die Schuldenbremse ist das Herzstück der Finanzpolitik der Bundesregierung. Sie ist Ausdruck demokratischer Verantwortung und ermöglicht generationengerechte Antworten auf bevorstehende Herausforderungen.

Fußnoten

1
Die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose ist die „Unabhängige Einrichtung“ im Sinne des Gesetzes zur Erstellung gesamtwirtschaftlicher Vorausschätzungen der Bundesregierung (Vorausschätzungsgesetz). Sie überprüft die gesamtwirtschaftlichen Vorausschätzungen, die den Haushalts- und Finanzplanungen der Bundesregierung zugrunde liegen. Der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose gehören zentrale Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland und Österreich an. Das aktuelle Gutachten der Gemeinschaftsdiagnose ist hier [PDF, 2,5 MB] abrufbar.