Professor Achim Wambach ist seit 2016 Präsident des ZEW – Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Er gehört dem Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz an. 2014 bis 2022 war er Mitglied der Monopolkommission, von 2016 bis 2020 ihr Vorsitzender. 2017/2018 war er Vorsitzender des Vereins für Sozialpolitik.
Der Gastbeitrag von Achim Wambach für diesen BMF-Monatsbericht ist als Blick von außen und als Beitrag zum allgemeinen Diskurs zu verstehen; er gibt nicht notwendigerweise die Meinung des BMF wieder.
Inhalt
- Standort- statt Konjunkturdebatte
- Klimapolitik – Fokus auf Innovationen
- Geoökonomik – „Technologische Souveränität“ als Innovationsmotor
- Innovationsstandort Deutschland auf die Zeitenwende einstellen
- Standortbedingungen für Unternehmen und Fachkräfte verbessern – Belastungen reduzieren
- Förderprogramme auf Forschung und Entwicklung ausrichten
- Investitionen in die Infrastruktur ausweiten
Standort- statt Konjunkturdebatte
Der ZEW-Konjunkturindex, die Einschätzung von Finanzmarktexpertinnen und -experten zur wirtschaftlichen Entwicklung, ist zwar im März 2024 zum achten Mal in Folge gestiegen, allerdings ausgehend von einer sehr negativen Lageeinschätzung. Die Konjunkturerwartungen für 2024 sind unbefriedigend: Die Bundesregierung geht in ihrem Jahreswirtschaftsbericht von einem Wirtschaftswachstum von nur 0,2 Prozent aus; die aktuelle Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute kommt auf 0,1 Prozent. Es wäre aber verfehlt, vor diesem Hintergrund in einer Konjunkturdebatte zu verharren. Vom Rückgang der Inflation und von der erwarteten Senkung der Zinssätze durch die EZB werden Impulse für Konsum und Wirtschaft ausgehen. Weit über konjunkturelle Fragen hinaus gehen indes die strukturellen Probleme: Mit der Energiewende und den geoökonomischen Spannungen steht die deutsche Wirtschaft vor grundlegenden Umwälzungen. Und die Standortvoraussetzungen sind nicht gut: Beim Länderindex Familienunternehmen etwa, den das ZEW im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen ermittelt hat, liegt Deutschland mittlerweile nur noch auf Platz 18 unter den 21 betrachteten Industriestaaten.
Klimapolitik – Fokus auf Innovationen
Die Europäische Union (EU) will bis 2050 klimaneutral sein, Deutschland bereits 2045. Man würde der Klimaproblematik allerdings nicht gerecht werden, wenn man sie auf das bloße Erreichen von Klimazielen verengen würde. Europa möchte in der Klimapolitik eine Vorreiterrolle einnehmen. Die Welt interessiert sich weniger dafür, ob Europa seine Klimaziele erreicht – davon wird ausgegangen –, sondern wie sie erreicht werden. Nur wenn es Europa gelingt, Nachhaltigkeit mit Wohlstand zu verbinden, wird daraus ein kopierfähiges Erfolgsmodell auch für ärmere Länder. Essenziell sind dafür Innovationen, und die Voraussetzungen sind gut: Die Staaten der EU weisen weniger als 8 Prozent der weltweiten Emissionen auf, dafür aber knapp ein Viertel der weltweiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Ein erfolgreiches Klimaschutzprogramm ist auch ein erfolgreiches Innovationsprogramm. Dies gilt auch und insbesondere für die deutsche Wirtschaft, die zu den innovativsten in Europa gehört. Deren Stärken sollten genutzt werden, um Marktführerschaft in den Technologien einzunehmen, die für die Energiewende wichtig sind.
Geoökonomik – „Technologische Souveränität“ als Innovationsmotor
Die Coronakrise, der Krieg in der Ukraine und die politischen Spannungen zwischen China und den USA haben Fragen rund um die Versorgungssicherheit neu auf die Agenda gesetzt. Die reine Sicherung von Lieferketten greift aber zu kurz: Es hilft wenig, heute in der Produktion unabhängiger zu werden, wenn der technologische Fortschritt anderswo stattfindet. Um auch in Zukunft unabhängig und souverän agieren zu können, bedarf es der „technologischen Souveränität“, einem Mithalten mit der aktuellen Forschung und Entwicklung. Neben dem Management der eigenen Abhängigkeiten wird zusätzlich wesentlich sein, mit welchem Pfund Europa wuchern kann, um bei internationalen Disputen zu guten Lösungen zu kommen. Neben dem Zugang zum Binnenmarkt sind dies insbesondere die technologischen Vorsprünge, die Europa vorzuweisen hat. Die militärische Beschaffung schließlich, die im Rahmen der geopolitischen Spannungen ausgebaut werden muss, sollte für Innovationen wesentlich stärker genutzt werden als bislang. Ein innovativer Rüstungssektor ist ein wesentlicher Baustein der technologischen Souveränität.
Innovationsstandort Deutschland auf die Zeitenwende einstellen
Abbildung 1 zeigt, in welchen Sektoren Deutschland im Hinblick auf Forschung und Entwicklung besonders stark ist. Insbesondere die Unternehmen im Fahrzeugbau, Informations- und Kommunikationstechnologie-Dienstleistungen, Elektroindustrie, Chemie/Pharmaindustrie und Maschinenbau geben substanzielle Beträge für Forschung und Entwicklung aus, mit positiver Dynamik über die vergangenen zehn Jahre. Auffällig ist auch, dass Branchen wie die Metallindustrie und der Bergbau im Zeitverlauf weniger Innovationsanstrengungen zeigen.
Deutschland ist aber hinsichtlich der Innovationen nicht ausreichend auf die Zeitenwende vorbereitet. Der Standort Deutschland schwächelt. Hinzu kommt: Klimawandel und Transformation erfordern Schnelligkeit und Anpassungsfähigkeit. Dafür ist das deutsche Innovationsmodell, das seit jeher auf Gründlichkeit und vorsichtigem Fortschritt beruht, nicht gut aufgestellt. Die Innovationsausgaben insbesondere von Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten haben zwar in den vergangenen Jahren zugenommen. Allerdings zeigen die ZEW-Kernindikatoren zum Innovationsverhalten der Unternehmen, dass der Anteil der Unternehmen mit Innovationsaktivitäten seit 2018 rückläufig ist.
Standortbedingungen für Unternehmen und Fachkräfte verbessern – Belastungen reduzieren
Unternehmensbefragungen des ZEW zeigen, dass neben dem Fachkräftemangel regulatorische Hemmnisse zu den gravierendsten Innovationshemmnissen zählen. Die Regierung hat eine Reihe von Maßnahmen initiiert, um die Standortbedingungen in Deutschland zu verbessern: Bürokratieabbaugesetz I bis Bürokratieabbaugesetz IV, Fachkräftezuwanderungsgesetz und Wachstumschancengesetz setzen wichtige Impulse. Im Hinblick auf die gewaltigen Transformationsaufgaben, vor denen die deutsche Wirtschaft steht, ist dies aber nicht ausreichend.
Deutschland ist bei der Besteuerung von Unternehmen ein Hochsteuerland (s. a. Abbildung 2). Der Mannheim Tax Index ermittelt die effektive Durchschnittsteuerbelastung für eine hypothetische Investition. Neben den Steuersätzen werden dabei auch Steuerbemessungsgrundlagen (z. B. Abschreibungen und Zinsabzugsfähigkeiten) berücksichtigt. Deutschland lag mit seiner Belastung einst im Mittelfeld. Doch durch die Steuersenkungen für Unternehmen in den USA, dem Vereinigten Königreich und Frankreich seit 2017 ist Deutschland an eine unrühmliche Spitzenposition gerückt. Gleichzeitig haben sich aber die Investitionsvoraussetzungen – gute Infrastruktur, ein verlässliches Rechtssystem, etablierte Zusammenarbeit zwischen Forschungsinstitutionen und Wirtschaft usw. – in diesem Zeitraum nicht wesentlich verbessert. Für ein Land, dessen Unternehmen so stark in die internationale Wirtschaft eingebunden sind, ist dieser Zustand auf Dauer nicht haltbar: Steuersätze sind ein wesentlicher Faktor bei der Frage, wo Unternehmen investieren wollen.
Deutschland weist auch bezüglich der Belastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer problematische Spitzenwerte aus. Nach einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liegt Deutschland am oberen Rand der Länder bei Steuern und Abgaben. Hochqualifizierte Menschen gehen aber tendenziell dorthin, wo Steuersätze niedrig sind. Gerade in den innovativen Sektoren und bei Gründungen werden diese Hochqualifizierten in Deutschland gebraucht.
Förderprogramme auf Forschung und Entwicklung ausrichten
Deutschland fördert Unternehmen und Haushalte bei der Umstellung auf klimafreundliche Technologien und subventioniert Unternehmensansiedlungen für mehr Versorgungssicherheit in einzelnen Sektoren.
Die derzeitige Förderkulisse greift mit ihrem Fokus auf (grüne) Produktion und Ausbauinvestitionen im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft aber zu kurz: Forschung und Entwicklung werden durch diese Programme nicht explizit unterstützt. Hinzu kommt, dass substanzielle Mittel in Sektoren gehen, die nicht zu den forschungsstärksten der deutschen Wirtschaft zählen und deren Wertschöpfung geringer ist. Auch zukünftig wird Deutschland seinen Wohlstand in den Sektoren erarbeiten, in denen die Unternehmen besonders innovativ sind und sich einen Wettbewerbsvorteil eigenständig erarbeiten. Diese gilt es, bei der Transformation zu stärken.
Ein Instrument, um den öffentlichen Haushalt konsequenter auf Zukunftsfähigkeit auszurichten, ist die vom ZEW vorgeschlagene Zukunftsquote. Damit soll der Haushaltsanteil identifiziert werden, der nicht auf einen Gegenwartsnutzen, sondern einen Zukunftsnutzen ausgerichtet ist. Es ist zu begrüßen, dass diese Zukunftsquote in den vergangenen Jahren zugenommen hat, von gut 14 Prozent in 2021 auf 16 Prozent im Jahr 2023.
Investitionen in die Infrastruktur ausweiten
Die nachhaltige Stärkung des Standorts Deutschland ist wesentliche Voraussetzung, um die private Investitions- und Innovationstätigkeit anzuregen. Der Aus- und Umbau der Infrastrusktur ist dafür wesentlich. Der Investitionsbedarf für die Infrastruktur ist massiv. Die derzeitigen Investitionen etwa in Stromübertragungs- und -verteilnetze fallen weit hinter dem Notwendigen zurück. Innovative Finanzierungskonzepte wie das Amortisationskonto beim Aufbau der Wasserstoffnetze müssen weiterentwickelt werden, um die für die privaten Investitionen notwendige Planungssicherheit zu geben. Die Transformation des Innovationsstandorts Deutschland erfordert neue Wege.