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BMF-Monatsbericht Mai 2024

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Im Interview: Staatssekretär Heiko Thoms

24.05.2024
Porträtfoto von Heiko Thoms BildVergroessern
Staatssekretär Heiko ThomsQuelle:  Bundesministerium der Finanzen/photothek

Was waren aus deutscher Perspektive die wichtigsten Punkte bei der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) und wie spiegeln sie sich in der Einigung wider?
Unser Kernanliegen auf deutscher Seite war, dauerhaft solide Staatsfinanzen in der Europäischen Union (EU) und dem Euroraum sicherzustellen. Darum war es für uns entscheidend, feste quantitative Vorgaben für den Schuldenabbau zu erhalten, die als Minimalanforderung für alle Mitgliedsstaaten gelten, sowohl beim Schuldenabbau als auch bei der Reduzierung des jeweiligen Defizits. Das ist uns gelungen. Die quantitativen Vorgaben für Schuldenabbau und Defizitrückführung stellen übrigens auch eine Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten sicher, denn die Vorgaben gelten als Minimalanforderungen für alle gleichermaßen. Gleichzeitig ermöglicht es das Regelwerk, dass wir individuelle Abbaupfade für jeden einzelnen Mitgliedstaat auf Grundlage einer Schuldentragfähigkeitsanalyse machen. Es war für uns auch klar, dass das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit in der jetzigen Form als eine wesentliche tragende Säule des Systems erhalten bleiben muss. Eine weitere Maßgabe der deutschen Seite war, dass sich keine Bilateralisierung zwischen den jeweiligen Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission ergibt, sondern der multilaterale Charakter des Regelwerks erhalten bleibt.

Wie wird die Durchsetzung der neuen Regeln sichergestellt und welchen Ermessensspielraum hat die EU-Kommission?
Die Frage der richtigen Anwendung und vor allem auch der Durchsetzung war aus deutscher Perspektive zentral. Hier ist die Tatsache, dass das Defizitverfahren beibehalten wird, ganz wichtig. Die EU-Kommission hat bereits angekündigt, in diesem Jahr Defizitverfahren einleiten zu wollen. Das sichert dem Regelwerk ein großes Maß an Glaubwürdigkeit.

Auf deutschen Vorschlag hin wurde ein neues Element eingeführt, das sogenannte Kontrollkonto. Mit diesem wird der Ausgabenpfad ständig überwacht. Wenn es zu Abweichungen kommt, gibt es die Möglichkeit, ein Defizitverfahren einzuleiten. Dieses neue Element bietet eine höhere Sicherheit, dass die Umsetzung der Regeln tatsächlich gewährleistet ist. Unter den neuen Transparenzanforderungen muss zudem offengelegt werden, wie die Planungen – und auch die Umsetzung der Planungen – erfolgen. Der multilaterale Charakter des reformierten SWP ermöglicht weitere Durchsetzungsmöglichkeiten.

Gleichwohl muss sich noch beweisen, dass das Regelwerk in der vereinbarten Form tatsächlich funktioniert. Im Juni wird die EU-Kommission die Vorgaben für die einzelnen Mitgliedstaaten bekanntgeben. Diese haben dann bis zum Herbst dieses Jahres Zeit, darauf zu reagieren und ihre eigenen Vorschläge vorzulegen – orientiert natürlich an den Vorgaben der EU-Kommission. Im Anschluss wird sich der EU-Rat für jeden Mitgliedstaat auf einen individuellen Abbaupfad für die nächsten Jahre einigen.

Was ändert sich durch den SWP bei Investitionen in Wachstum, Klimaschutz, Transformation und Sicherheit?
Auch wenn es beim SWP vorrangig um die Gewährleistung solider Staatsfinanzen geht: Investitionen und Reformen sind ein zentraler Bestandteil des neuen Regelwerks, denn sinnvolle Investitionen sind ein wesentliches Element, um die Schuldentragfähigkeit für die Zukunft zu gewährleisten. Das Regelwerk setzt deshalb klare Anreize für wachstumsstärkende Investitionen und Reformen: Diejenigen, die ein höheres Maß an Investitionen und Reformen in die Wege leiten, erhalten mehr Zeit, um ihren Schuldenstand und ihr Defizit zurückzuführen.

Welche Vorteile hat der neue SWP?
Mit dem jetzigen Regelwerk besteht die Aussicht auf konsequente Um- und Durchsetzung. Das ist ganz wesentlich. Die bisher geltenden Regeln waren aus unserer Sicht sehr gut – bloß wurden sie nicht mehr konsequent angewendet, weil sie als nicht mehr realistisch angesehen wurden. Gleichzeitig ist der neue SWP ambitioniert. Das ist an den neuen Mindestanforderungen der quantitativen Vorgaben erkennbar, die einerseits realistisch sind, andererseits aber für einige Mitgliedstaaten in der Umsetzung durchaus auch anspruchsvoll. Die eben erwähnten Anreize für Investitionen und Reformen sind aus unserer Sicht ebenfalls sehr positiv.

Ein weiterer Vorteil ist die größere Ownership seitens der einzelnen Mitgliedstaaten. Durch den Aushandlungsprozess, der im neuen SWP vorgegeben wird, übernimmt jeder Staat selbst Verantwortung dafür, wie der Defizitabbau erfolgen soll. Diese Ownership erhöht die Glaubwürdigkeit des Regelwerks wesentlich.

Wie haben Sie die Verhandlungen persönlich erlebt? Gab es da auch besondere Momente, vielleicht auch kritische Momente?
Ein ganz besonderer Moment war für mich der Durchbruch, als wir uns am Rande des G20-Treffens in Brasilia im Beisein einer Reihe unserer EU-Partner auf wesentliche Grundzüge geeinigt haben.

Auch die Verhandlungen selbst habe ich sehr positiv erlebt, sowohl was die Koordinierung in Deutschland betrifft als auch die Konzertierung mit den europäischen Partnern. Innerhalb der Bundesregierung ist es uns durch enge Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt, dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und dem Auswärtigen Amt gelungen, eine gemeinsame Positionierung zu finden. So konnten wir über den gesamten Verhandlungszeitraum hinweg nach außen hin geschlossen auftreten. Das hat uns eine starke Verhandlungsposition gegeben.

Wenn wir uns als Bundesregierung klar positionieren und frühzeitig agieren, dann gelingt es uns, als größtem EU-Mitgliedstaat, bei den Verhandlungen effektiv auf ein gutes Resultat hinzuwirken. So haben wir in den Gesprächen mit unseren EU-Partnern erleben dürfen, was für eine große Convening Power Deutschland hat. Im Verlauf der Verhandlungen ist gestreut worden, Deutschland sei isoliert mit seiner relativ robusten, anspruchsvollen Position im Hinblick auf solide Staatsfinanzen. Wir haben aber sehr frühzeitig zeigen können, dass wir eine Mehrheit der Mitgliedstaaten für unsere Position haben gewinnen können. Beispielhaft dafür ist der Artikel, den Bundesfinanzminister Christian Lindner mit zehn anderen Finanzministern veröffentlicht hat. Dieser Rückhalt hat uns eine sehr gute Ausgangsposition ermöglicht, aus der wir beispielsweise mit Frankreich eine gemeinsame Position finden konnten.

Am 9. Juni 2024 dürfen wir in Deutschland das neue EU-Parlament wählen. Ihre Botschaft dazu?
Europa ist die Zukunft: Dort werden schon jetzt die Weichen für die Zukunft gestellt. Das, was in der EU entschieden wird, geht jede Einzelne und jeden Einzelnen direkt etwas an. Und deswegen ist es so wichtig, bei der Wahl die Stimme abzugeben.