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BMF-Monatsbericht Mai 2024

Inhalt

Steuereinnahmen im April 2024 und konjunkturelles Umfeld

24.05.2024

Entwicklung des Steueraufkommens

Steueraufkommen insgesamt

Die Steuereinnahmen insgesamt (ohne Gemeindesteuern) fielen im April 2024 um knapp 8 Prozent höher aus als im April des Vorjahres (s. a. Tabelle „Entwicklung der Steuereinnahmen“). Das Aufkommen aus den Gemeinschaftsteuern, die den größten Teil des Steueraufkommens ausmachen, stieg gegenüber dem Vorjahresmonat spürbar um knapp 9 Prozent. Die Einnahmen aus der Abgeltungsteuer auf Zins- und Veräußerungserträge wiesen einen sehr starken Anstieg auf und setzten damit die Entwicklung der vergangenen Monate fort. Merkliche Zuwächse waren auch bei den Einnahmen aus den nicht veranlagten Steuern vom Ertrag und den Steuern vom Umsatz zu verzeichnen. Die Lohnsteuer verzeichnete ebenfalls ein Plus, allerdings in wesentlich moderaterem Umfang. Deutlich im Minus gegenüber dem April 2023 lagen dagegen die Einnahmen insbesondere aus der Körperschaftsteuer sowie aus der veranlagten Einkommensteuer (s. a. Anmerkungen zu den Einzelsteuern unten). In der weniger volatilen kumulierten Betrachtung ist für die Monate Januar bis April 2024 derzeit ein Anstieg der Steuereinnahmen insgesamt (ohne Gemeindesteuern) gegenüber dem Vorjahreszeitraum um knapp 3 Prozent zu verzeichnen.

Die Einnahmen aus den Bundessteuern wiesen mit einem Anstieg von knapp 4 ½ Prozent gegenüber April 2023 ein etwas schwächeres Plus auf als die Steuereinnahmen insgesamt. Dahinter stehen gegenläufige Entwicklungen bei den einzelnen Bundessteuern. Bei der Tabaksteuer setzten sich die spürbaren Aufkommensschwankungen der vergangenen zwei Monate fort: Im April war diesmal ein Plus von rund 27 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat zu verzeichnen. Zuwächse unter den aufkommensstarken Bundessteuern gab es auch bei der Versicherungsteuer sowie der Kraftfahrzeugsteuer. Die Energiesteuereinnahmen gingen dagegen gegenüber dem Vorjahresmonat leicht zurück. Bei der Stromsteuer machen sich weiterhin die Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung durch das Strompreispaket spürbar dämpfend in der Aufkommensentwicklung bemerkbar. Die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag stiegen im Einklang mit der Entwicklung seiner Bemessungsgrundlagen an.

Bei den Ländersteuern stiegen die Einnahmen im Berichtsmonat leicht um rund 1 Prozent gegenüber April 2023. Der Trend der vergangenen Monate zu einer Stabilisierung des Aufkommens setzte sich dabei bei der Grunderwerbsteuer fort: Das Aufkommen lag weiterhin in einer Größenordnung von rund 1 Mrd. Euro. Aufgrund der nunmehr bereits ähnlich niedrigen Vergleichsbasis im Jahr 2023 sind keine starken Einnahmerückgänge mehr zu erwarten. Für den Berichtsmonat war sogar ein Plus von rund 12 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen. Dies wird allerdings durch ein Minus bei der Erbschaftsteuer, der zweiten aufkommensstarken Ländersteuer, in weiten Teilen kompensiert. Bei dieser Steuerart treten regelmäßig spürbare Schwankungen gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf.

Verteilung auf die Gebietskörperschaften

Bei den Steuereinnahmen des Bundes nach Bundesergänzungszuweisungen war im Berichtsmonat April 2024 ein Zuwachs gegenüber dem Vorjahr um rund 9 ½ Prozent zu verzeichnen. Der Zuwachs fällt etwas höher aus als der Anstieg der Einnahmen des Bundes aus den gemeinschaftlichen Steuern und den Bundessteuern. Dies liegt an den Eigenmittelzahlungen an die Europäische Union, die aus dem Steueraufkommen des Bundes abgeführt werden und im April 2024 niedriger lagen als im Vorjahresmonat.

Trotz des nur leichten Anstiegs des Aufkommens aus den Ländersteuern stiegen die Steuereinnahmen der Länder nach Bundesergänzungszuweisungen im April 2024 ebenfalls spürbar (9 Prozent). Dahinter stand erstens der Anstieg bei den Einnahmen aus den gemeinschaftlichen Steuern, wobei für die Länder ein leicht überproportionaler Anstieg bei den Einnahmen aus den Steuern vom Umsatz nach Berücksichtigung von Festbeträgen zu verzeichnen war. Die Festbeträge werden gemäß § 1 Abs. 2, 2a und 5 Finanzausgleichsgesetz (FAG) aus dem gemäß § 1 Abs. 1 FAG festgelegten Anteil des Bundes am Umsatzsteueraufkommen vom Bund an die Länder übertragen (s. a. zur aktuellen Verteilung Tabelle „Umsatzsteuerverteilung im April 2024“). Zweitens lagen die vom Bund an die Länder gezahlten Regionalisierungsmittel in diesem Jahr um fast 17 Prozent höher als im April des Vorjahres. Dies war auf die monatliche Rate für die Unterstützung der Länder bei der Umsetzung des Deutschlandtickets nach § 9 Regionalisierungsgesetz (RegG) sowie die in § 5 RegG festgeschriebene Dynamisierung der Regionalisierungsmittelzahlungen um 3 Prozent pro Jahr zurückzuführen. Drittens lagen die Bundesergänzungszuweisungen an die Länder im Berichtsmonat um knapp 16 Prozent höher als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

Der Gemeindeanteil an den Gemeinschaftsteuern stieg in absoluten Zahlen, analog zu den Einnahmen von Bund und Ländern aus den Gemeinschaftsteuern, ebenfalls, und zwar um etwas über 8 Prozent gegenüber April 2023.

Umsatzsteuerverteilung im April 2024
 BundLänderGemeinden
USt-Anteil gemäß § 1 FAG52,8 Prozent45,2 Prozent2,0 Prozent
am Aufkommen (22.567 Mio. Euro)11.918 Mio. Euro10.198 Mio. Euro450 Mio. Euro
Hinzu (+)/ab (-):
1/12 der Festbeträge gemäß § 1 Abs. 2, 2a und 5 FAG (12.740 Mio. Euro)
-1.062 Mio. Euro+862 Mio. Euro+200 Mio. Euro
Anteil nach Festbeträgen:48,1 Prozent49,0 Prozent2,9 Prozent
10.857 Mio. Euro11.060 Mio. Euro650 Mio. Euro

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Konjunkturelles Umfeld

Laut erster Schätzung des Statistischen Bundesamts stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im 1. Quartal 2024 in preis-, saison- und kalenderbereinigter Rechnung um 0,2 Prozent an. Während verwendungsseitig Bauinvestitionen und Exporte zum Wachstum beitrugen, waren die privaten Konsumausgaben rückläufig.

Aktuelle Konjunkturindikatoren

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Die Konjunkturdaten für den Berichtsmonat März spiegeln insgesamt die leichte Aufwärtsbewegung im BIP wider. So hatten die Einzelhandelsunternehmen nach Rücksetzern zu Jahresbeginn ihren preisbereinigten Umsatz zum Quartalsende wieder spürbar gesteigert. Auch beim Außenhandel gab es leichte Zuwächse, dabei stiegen die nominalen Warenexporte etwas mehr als die Importe. Die Dynamik im Produzierenden Gewerbe war von gegenläufigen Entwicklungen in den Wirtschaftsbereichen geprägt: Dem Zuwachs bei der Bauproduktion stand ein leichter Rückgang der Industrieproduktion gegenüber.

Die Inflationsrate lag im April unverändert bei etwas über 2 Prozent. Weiterhin dämpfend auf die Inflationsrate wirkte die Preisentwicklung bei Energie, wenn auch weniger stark als in den Vormonaten. Der spürbare Anstieg des Preisniveaus bei Energie gegenüber dem Vormonat um 0,5 Prozent dürfte dabei weitgehend auf das Auslaufen der temporären Umsatzsteuersatzsenkung bei Erdgas und Fernwärme zurückzuführen gewesen sein. Mit weiteren Rückgängen der Inflationsrate ist kurzfristig eher nicht zu rechnen. Dies liegt einerseits an Basiseffekten (u. a. aus der Einführung des 49-Euro-Tickets im Mai 2023 oder Energiepreisschwankungen im Vorjahr). Zudem deuten Umfragen unter Firmen darauf hin, dass insbesondere bei den Dienstleistungen weiterhin mit Preiserhöhungen zu rechnen ist.

Am Arbeitsmarkt setzten sich die Trends der vergangenen Monate am aktuellen Rand fort: Die Arbeitslosigkeit stieg weiter moderat an, während der Beschäftigungsaufbau abflachte. Die Frühindikatoren zum Arbeitsmarkt zeichneten im April ein gemischtes Bild. Laut Umfragen des ifo Instituts nahm die Einstellungsbereitschaft der Firmen insgesamt erneut etwas ab. Die Entwicklungen sind zwischen den Bereichen aber weiter heterogen. Die Dienstleister planen einen Personalaufbau, wohingegen Industrie, Bau und Handel von Beschäftigungsrückgängen ausgehen. Die Erwartungen der Arbeitsagenturen hinsichtlich der Beschäftigungsentwicklung verblieben dagegen positiv, zudem wird der Ausblick der Arbeitslosigkeit weniger pessimistisch gesehen.

Bei den Konjunkturaussichten haben sich die Geschäftserwartungen der Unternehmen laut ifo Institut im April erneut aufgehellt. Auch das Konsumklima der Gesellschaft für Konsumforschung verbesserte sich etwas. Die Frühindikatoren zum Außenhandel deuten insgesamt darauf hin, dass sich mit der allmählichen Belebung des Welthandels auch die Absatzperspektiven der deutschen Exporteure verbessern dürften. Insgesamt mehren sich so die Anzeichen für eine allmähliche konjunkturelle Belebung.

In der am 24. April 2024 veröffentlichten Frühjahrsprojektion geht die Bundesregierung davon aus, dass sich die Wirtschaft im Jahresverlauf 2024 zu erholen beginnt. Wesentliche Wachstumsimpulse dürften dabei vom privaten Konsum ausgehen: Im Zuge deutlich höherer Reallöhne in Verbindung mit einer insgesamt robusten Beschäftigungsentwicklung dürften die inflationsbedingten Kaufkraftverluste der privaten Haushalte sukzessive überwunden werden. Insgesamt wird ein Wachstum des preisbereinigten BIP von 0,3 Prozent in diesem und 1,0 Prozent im nächsten Jahr erwartet. Am Arbeitsmarkt ist davon auszugehen, dass sich im Zuge der schrittweisen konjunkturellen Belebung der Beschäftigungsaufbau wieder etwas deutlicher fortsetzt und auch die Arbeitslosigkeit wieder allmählich zurückgeht.

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Anmerkungen zu einzelnen Steuerarten

Entwicklung der Steuereinnahmen (ohne reine Gemeindesteuern) im laufenden Jahr

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Lohnsteuer

Das Bruttoaufkommen der Lohnsteuer lag im April 2024 um knapp 5 Prozent höher als im Vorjahresmonat. Damit machen sich die unterjährigen Lohn- und Gehaltssteigerungen, z. B. aus den abgeschlossenen Tarifverträgen, im Aufkommen bemerkbar. Zudem setzte sich am Arbeitsmarkt der Beschäftigungsaufbau zuletzt weiter fort, wenn auch in deutlich abgeflachter Form (s. o.). Gegenüber dem Vorjahr lag die Beschäftigung leicht höher, was für sich genommen stützend für die Aufkommensentwicklung ist. Diesen Faktoren wirken allerdings die Tarifanpassungen durch das Inflationsausgleichsgesetz zum Ausgleich der kalten Progression entgegen, durch welche die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer spürbar entlastet werden. Zudem lag die Kurzarbeit zuletzt auf gegenüber dem Vorjahr wieder etwas erhöhtem Niveau. Die Summe des aus dem Lohnsteueraufkommen gezahlten Kindergelds stieg im April 2024 – bei unveränderten Kindergeldsätzen im Vergleich zum Vorjahr – leicht um knapp 1 Prozent. Für das Kassenaufkommen der Lohnsteuer war so unter Berücksichtigung der Kindergeldzahlungen ein Anstieg um 5 ½ Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat zu verzeichnen.

Ertragsteuern

Bei der veranlagten Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer war das Kassenaufkommen im Berichtsmonat durch die Ergebnisse der Veranlagungstätigkeit der Finanzverwaltung für vergangene Zeiträume bestimmt. Bei der veranlagten Einkommensteuer lag dabei im April 2024 das Niveau sowohl der aus den Veranlagungen resultierenden Nachzahlungen und Erstattungen als auch der nachträglichen Vorauszahlungen oberhalb des Niveaus im Vorjahresmonat. Der Anstieg gegenüber dem April 2023 fiel dabei sowohl bei Nachzahlungen als auch bei Erstattungen mit über 30 Prozent beträchtlich aus. Quantitativ lagen die Erstattungen im Berichtsmonat höher, weshalb sich im Saldo aus Nachzahlungen und Erstattungen für den April 2024 ein Aufkommensrückgang ergab, der – unter Berücksichtigung nachträglicher Vorauszahlungen – zu einem Rückgang des Kassenaufkommens um rund 250 Mio. Euro gegenüber April 2023 führte. Die Auszahlungen von Forschungszulage aus dem Aufkommen der veranlagten Einkommensteuer liegen weiterhin deutlich über dem Vorjahresniveau, sind allerdings weiterhin für das Kassenergebnis kaum relevant.

Auch bei der Körperschaftsteuer waren sowohl bei Nachzahlungen als auch bei Erstattungen aus der Veranlagungstätigkeit Anstiege gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen, die hier allerdings bei den Erstattungen (über 80 Prozent gegenüber April 2023) deutlich stärker ausgefallen sind. Dazu ergab sich im Niveau der nachträglichen Vorauszahlungen für das (jeweils) vergangene Jahr im Berichtsmonat ein sehr erheblicher Rückgang gegenüber dem Vorjahresmonat. Dies deutet darauf hin, dass die schwache konjunkturelle Entwicklung die Dynamik der steuerlichen Gewinne der körperschaftsteuerpflichtigen Unternehmen gebremst hat. Unter dem Strich lag das Kassenaufkommen aus der Körperschaftsteuer im April 2024 um mehr als 1,2 Mrd. Euro niedriger als im Vorjahresmonat. In quantitativ geringem Umfang trug dazu auch bei, dass die Auszahlungen von Forschungszulage aus dem Aufkommen – wie in den Vormonaten – spürbar höher lagen als im Vergleichszeitraum.

Bei der Abgeltungsteuer auf Zins- und Veräußerungserträge war im April 2024 – wie in den bisherigen Monaten des Jahres – eine Steigerungsrate von weit über 100 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu verbuchen. Dies ist wohl maßgeblich auf Zinserträge zurückzuführen. In Deutschland dürften derzeit wesentlich mehr Zinserträge bei Sparerinnen und Sparern anfallen als in der Vergangenheit, vor allem als in der Phase der Niedrigzinsen der vergangenen Jahre. Einerseits liegt dies an den deutlich gestiegenen Zinsen selbst. Andererseits haben aufgrund des stark gestiegenen kurzfristigen Zinsniveaus wohl auch zahlreiche Sparerinnen und Sparer die Entscheidung getroffen, Einlagen von Girokonten in kurzfristige Anlageklassen wie Festgeld oder Tagesgeld umzuschichten. Diese Investitionsentscheidungen verstärken den Anstieg der Zinserträge, was sich auch im Aufkommen der Abgeltungsteuer bemerkbar macht. Veräußerungserträge dürften dagegen aktuell eine geringere Rolle spielen und deren Schwankungen angesichts der Zinserträge weniger für das Gesamtaufkommen der Abgeltungsteuer ins Gewicht fallen.

Die Einnahmen aus den nicht veranlagten Steuern vom Ertrag wiesen im April 2024 gegenüber dem Vorjahresmonat einen kräftigen Anstieg um rund 27 Prozent aus. Im bisherigen Jahresverlauf ergibt sich damit allerdings noch ein kumuliertes Minus von rund 8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Rückschlüsse für das Jahresergebnis dürften bei dieser Steuerart vor allem die nächsten Monate bringen, die das Jahresergebnis üblicherweise wesentlich bestimmen.

Steuern vom Umsatz

Bei den Steuern vom Umsatz ergab sich im April 2024 ein deutlicher Anstieg der Einnahmen gegenüber dem Vorjahresmonat von 14 Prozent. Dabei verzeichnete die Einfuhrumsatzsteuer einen leichten Anstieg von rund 2 Prozent. Eine Trendwende kann daraus jedoch für die Einnahmen aus dieser Steuerart noch nicht abgeleitet werden. Im grundsätzlichen Einklang mit der Entwicklung der nominalen Importe ergab sich insgesamt im Jahr 2024 bei der Einfuhrumsatzsteuer bislang ein kumuliertes Minus von fast 15 Prozent. Nach neusten Zahlen aus dem März lagen die Warenimporte immer noch gut 3 Prozent unterhalb des Vorjahresniveaus. Ein Überschreiten des Vorjahresniveaus ist bei den Importen – auch preisbedingt – erst im weiteren Jahresverlauf zu erwarten.

Die schwachen Zuwachsraten der Einfuhrumsatzsteuer wirken für sich genommen über eine Verringerung des Vorsteuerabzugs erhöhend auf das Aufkommen der (Binnen-)Umsatzsteuer, welches im Vorjahresvergleich im April 2024 um über 19 Prozent zulegte. Beim Einzelhandel war am aktuellen Rand eine leichte Erholung der Umsätze zu verzeichnen, was das Umsatzsteueraufkommen stützen dürfte. Daneben ist die kräftige Steigerungsrate auch auf größere Einnahmen aus dem sogenannten One-Stop-Shop-Verfahren (OSS) zurückzuführen, die im Vergleichsmonat aufgrund von Schwierigkeiten bei der Einführung des Verfahrens im Aufkommen fehlten (s. a. Artikel „Steuereinnahmen und konjunkturelles Umfeld im Juli 2023“ aus dem BMF-Monatsbericht im August vergangenen Jahres).

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Im Fokus: Diskrepanz zwischen Produktionsindex und Bruttowertschöpfung in der Industrie

Hintergrund

Der monatlich und sehr zeitnah – nur etwas mehr als einen Monat nach Ablauf des Berichtszeitraums – durch das Statistische Bundesamt veröffentlichte Produktionsindex des Verarbeitenden Gewerbes steht häufig im Zentrum der Konjunkturberichterstattung zur Industrie. So ist er auch üblicherweise Teil der Beschreibung des konjunkturellen Umfelds im Rahmen der Berichterstattung zu den monatlichen Steuereinnahmen im BMF-Monatsbericht.

Der Produktionsindex ist seit 2018 tendenziell abwärtsgerichtet (s. a. Abbildung „Industrieentwicklung“). Belastet u. a. durch Lieferkettenprobleme und Energiepreisanstiege lag die Produktion merklich unterhalb des Vorpandemieniveaus und sank im vergangenen Jahr spürbar. Für die Einschätzung struktureller Trends in der Industrie sollte der Index allerdings nicht isoliert betrachtet werden. Im selben Zeitraum zeichnet die Entwicklung der Bruttowertschöpfung (BWS) in der Industrie nämlich ein ganz anderes Bild. Die BWS misst den im Produktionsprozess geschaffenen Mehrwert, also den Produktionswert abzüglich der von anderen in- oder ausländischen Produzenten bezogenen Vorleistungen, und wird – mit größerer Verzögerung als der Produktionsindex – quartalsweise sowie als Jahreswert veröffentlicht und, wenn nötig, nachträglich revidiert. Nachdem die BWS sich in der Vergangenheit zumeist gleichlaufend mit dem Produktionsindex bewegt hatte, erholte sie sich nach dem Corona-Einbruch ungleich dynamischer und ging auch 2023 weniger deutlich zurück. Sie lag zuletzt nur geringfügig unter dem Vorpandemieniveau und stieg gegenüber dem Jahr 2015. Damit hat sich in den vergangenen Jahren ein deutlicher Niveauunterschied zwischen beiden Indizes ausgebildet.

Abbildung: Industrieentwicklung (mehr in der Langbeschreibung) BildVergroessern
Quelle:  Statistisches Bundesamt, Produktionsindex zum Vergleichszweck auf das Jahr 2015 umbasiert

Gründe für die Diskrepanz

Verschiedene Faktoren können zur Erklärung dieser Diskrepanz herangezogen werden und sind für die Interpretation der Daten relevant. Zunächst könnte sogenanntes Reshoring eine Rolle spielen, d. h. eine Verringerung der internationalen Arbeitsteilung in den Wertschöpfungsketten. Unternehmen griffen dann weniger auf importierte Vorleistungsgüter zurück, z. B., weil eigene Produktion durch Automatisierung günstiger wurde, oder zur Risikokontrolle. Die reale Vorleistungsquote (der preisbereinigte Anteil der extern bezogenen Vorleistungen am Produktionswert) ist nach kräftigen Anstiegen im Zuge der Globalisierung zwischen 1990 und 2009 seit über zehn Jahren wieder rückläufig, auch der reale Anteil der Vorleistungsgüter an den Gesamtimporten (ohne Energie) hat sich verringert. Dies erhöht bei gleichbleibender Produktion rechnerisch die Wertschöpfung.

Umgekehrt könnte die abnehmende Vorleistungsquote in Deutschland auch dadurch zustande kommen, dass Unternehmen die vorleistungsintensive Endproduktion (die „Werkbank“) ins Ausland verlagert haben, z. B. aus Kostengründen. Die im Inland verbliebenen Unternehmenssparten, beispielsweise Forschung und Entwicklung, tragen dann relativ gesehen mehr zur Wertschöpfung bei, was ein Auseinanderlaufen mit der Produktion erklären kann. Dies kann in Ländern, in welche die Produktion verlagert wird, dazu führen, dass dort reziprok die Produktion stärker steigt als die BWS.

Weiterhin war vor allem im Zuge der Corona-Pandemie, als zeitweise massive Lieferengpässe die Produktionsmöglichkeiten angebotsseitig begrenzten, zu beobachten, dass einige Unternehmen ihre Produktion auf die besonders margenstarken Produkte fokussierten. Die Produktionsmenge entwickelte sich dadurch schwächer als Umsatz und BWS.

Auch die Erfassungsmethodik der beiden Reihen spielt eine Rolle: Produktionsindex (Konjunkturstatistik) und BWS (Strukturstatistik) gehen von unterschiedlichen Unternehmensdefinitionen aus und werden aus unterschiedlichen Stichproben errechnet. Die Konjunkturstatistik basiert auf einzelnen Betrieben, die Strukturstatistik auf Unternehmen. Dies kann bereits zu Unterschieden führen.

Zudem ist die Gewichtung der Industriebereiche in beiden Reihen unterschiedlich. Die Anteile der einzelnen Industriezweige an der BWS werden jährlich angepasst, während die Gewichtung innerhalb des Produktionsindex gegenüber einem Basisjahr für in der Regel fünf Jahre konstant gehalten wird. Daher kann der Produktionsindex die Produktion gegenüber der BWS mit zunehmendem Zeitablauf zwischen den Umstellungen unterzeichnen, weil zwischenzeitlich expandierende Bereiche mit zu geringem Gewicht einfließen, während umgekehrt weniger gut laufende Bereiche zu stark gewichtet sind. Das Wägungsschema für den Produktionsindex wurde Anfang 2024 auf das neue Basisjahr 2021 umgestellt und ist somit relativ aktuell. Allerdings berücksichtigt die neue Gewichtung damit noch nicht mögliche Effekte der Energiepreiskrise.

Fazit

Für die konjunkturelle Betrachtung ist der monatliche Produktionsindex eine wichtige Größe, da er monatsweise verfügbar ist und zeitnah die kurzfristigen Veränderungen im Output der Industrie anzeigt. Für strukturelle Analysen ist dagegen grundsätzlich die zusätzliche Betrachtung der BWS, die über die Entstehungsrechnung unmittelbar Eingang in die Berechnung des BIP findet, notwendig. Allerdings sind die oben genannten Daten der Strukturstatistik für die Berechnung der BWS mit deutlich größerem Zeitverzug verfügbar, als das BIP veröffentlicht wird. Hierzu schreibt das Statistische Bundesamt kurzfristig die BWS mithilfe des Produktionsindex fort, sodass sich später spürbare Datenrevisionen ergeben können. Dies unterstreicht, dass derzeit die Entwicklung der BWS am aktuellen Rand mit Vorsicht zu interpretieren ist.

Interessant ist daher insbesondere die Betrachtung der BWS über einen längeren Zeitraum: Der Anteil der Industrie an der gesamtwirtschaftlichen BWS lag 2023 in etwa auf dem Vorkrisenniveau von 2019 und ist im langjährigen Vergleich stabil (s. a. Abbildung „Strukturelle Industrieentwicklung in Deutschland“). Der Anteil der in der Industrie Beschäftigten ist seit dem Jahr 2000 allerdings stetig gesunken, was eine höhere Produktivität in diesem Sektor impliziert.

Abbildung: Strukturelle Industrieentwicklung in Deutschland (mehr in der Langbeschreibung) BildVergroessern
Quelle:  Statistisches Bundesamt