- Gemäß § 7 Abs. 1 Artikel 115-Gesetz wurde turnusgemäß zum 1. September 2024 die Einhaltung der grundgesetzlichen Regel zur Begrenzung der Neuverschuldung des Bundes (Schuldenbremse) im Haushaltsvollzug 2023 abschließend geprüft.
- Die strukturelle Nettokreditaufnahme (NKA) in Abgrenzung der Schuldenbremse belief sich im Jahr 2023 auf 1,40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die strukturelle Obergrenze von 0,35 Prozent des BIP wurde damit überschritten.
- Als Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 (BVerfG-Urteil) wurden für das Jahr 2023 ein Nachtragshaushalt mit Inanspruchnahme der Notfallklausel für die Kreditaufnahme des Wirtschaftsstabilisierungsfonds-Energie (WSF-E) und zur Finanzierung der Ausgaben des Sondervermögens Aufbauhilfe 2021 vom Deutschen Bundestag verabschiedet und entsprechende Tilgungspläne beschlossen.
- Gemäß Tilgungsplan sind aus der Kreditaufnahme für das Sondervermögen Aufbauhilfe 2021 ab dem Jahr 2028 rund 0,044 Mrd. Euro und aus der Kreditaufnahme des WSF-E ab dem Jahr 2031 rund 1,339 Mrd. Euro jährlich über einen Zeitraum von jeweils 31 Jahren zurückzuführen.
- Infolge des BVerfG-Urteils waren auch die Abrechnungen der Schuldenbremse für die Jahre 2020 bis 2022 anzupassen.
Einleitung
Nach Art. 115 Abs. 2 Satz 1 bis 3 Grundgesetz (GG) sind Einnahmen und Ausgaben des Bundes grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Dem wird entsprochen, wenn die strukturelle Nettokreditaufnahme (NKA) 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht überschreitet. In Art. 115 Abs. 2 Satz 6 und 7 GG ist geregelt, dass im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staats entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, diese Kreditobergrenze auf Grundlage eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestags überschritten werden darf und ein Tilgungsplan zu beschließen ist.
Die abschließende Berechnung, aus der sich die endgültige Höhe der Tilgungsverpflichtung beziehungsweise die Buchung auf dem Kontrollkonto ergibt, orientiert sich an den rechtlichen Vorschriften über die jährliche Abrechnung für die Buchung auf dem Kontrollkonto (§ 7 Abs. 1 Artikel 115-Gesetz und § 3 Verordnung über das Verfahren zur Bestimmung der Konjunkturkomponente nach § 5 des Artikel 115-Gesetzes – Artikel 115-Verordnung). Demnach wird der endgültige Rückführungsbetrag beziehungsweise – allgemein formuliert – die endgültige Abweichung der tatsächlichen NKA von der Obergrenze jeweils zum 1. September des Folgejahres festgestellt.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit seinem Urteil vom 15. November 2023 das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 für nichtig erklärt. Das BVerfG hat u. a. entschieden, dass die Haushaltsgrundsätze der Jährlichkeit, Jährigkeit und Fälligkeit grundsätzlich auch für Sondervermögen (SV) gelten. Notlagen-Kreditermächtigungen stehen insoweit lediglich für Notlagenjahre zur Verfügung und verfallen anschließend. Es dürfen also keine Kredite auf Vorrat aufgenommen werden. Das Urteil betrifft unmittelbar den Klima- und Transformationsfonds (KTF) und mittelbar – bei Übertragung der Maßstäbe aus den Entscheidungsgründen – auch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds-Energie (WSF-E) und das SV Aufbauhilfe 2021 zur Unterstützung der von der Flutkatastrophe des Sommers 2021 Betroffenen, das SV Digitale Infrastruktur sowie das SV Ganztagsbetreuung. Auch die beiden letztgenannten SV haben zum Teil Zuweisungen aus dem Bundeshaushalt aus Notlagenkrediten erhalten und sind daher für diesen Teil vom BVerfG-Urteil betroffen.
Für das Jahr 2023 wurden mit einem Nachtragshaushalt die Auswirkungen der Nichtigkeit des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 geheilt. Außerdem wurden die Maßstäbe dieses Urteils auf den Bundeshaushalt 2023 beziehungsweise auf die mit diesem Haushalt festgestellten Wirtschaftspläne der oben genannten SV übertragen. Damit wurde Rechtssicherheit geschaffen.
Das BVerfG-Urteil vom 15. November 2023 hat damit Auswirkungen auf die Abrechnungen der Schuldenbremse für die Jahre 2020 bis 2022.
Abweichung der zulässigen von der tatsächlichen NKA
Im Rahmen des Nachtragshaushalts 2023 wurden zusätzliche Kredite aufgenommen, um eine Zuführung an das SV Aufbauhilfe 2021 zu finanzieren. Außerdem wurde der WSF-E im Haushaltsfinanzierungsgesetz 2023 ermächtigt, im Jahr 2023 Kredite in Höhe von 43,2 Mrd. Euro aufzunehmen. Beide Maßnahmen mussten bei der Feststellung der Kreditaufnahme nach Art. 115 GG im Rahmen der Schuldenbremse für das Jahr 2023 berücksichtigt werden. Darüber hinaus wurde im Haushaltsfinanzierungsgesetz geregelt, den WSF-E zum 31. Dezember 2023 aufzulösen.
Der Deutsche Bundestag hatte für die beiden oben genannten Maßnahmen am 7. Dezember 2023 (Drucksache 20/9676) eine außergewöhnliche Notsituation festgestellt, die sich der Kontrolle des Staats entzieht und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt. Der Deutsche Bundestag hatte gleichzeitig für die notsituationsbedingten Kredite Tilgungspläne über jeweils 31 Jahre beschlossen.
Im Rahmen der Überprüfung der Einhaltung der Schuldenbremse im Haushaltsvollzug wird die tatsächliche strukturelle NKA mit der maximal zulässigen strukturellen NKA (beziehungsweise die tatsächliche NKA mit der zulässigen NKA) verglichen. Die NKA des Bundes im Sinne der Schuldenbremse betrug am Ende des Jahres 2023 rund 68,7 Mrd. Euro. Davon entfielen rund 27,2 Mrd. Euro auf den Bundeshaushalt und rund 41,5 Mrd. Euro auf den WSF-E. Zur Berechnung der tatsächlichen strukturellen NKA sind der Saldo finanzieller Transaktionen und die Konjunkturkomponente zu berücksichtigen. Ausgangspunkt ist die NKA in Höhe von rund 68,7 Mrd. Euro (Tabelle 1 Zeile 8). Hinzu kommen der Saldo der finanziellen Transaktionen von -7,7 Mrd. Euro (Tabelle 1 Zeile 6) und die Konjunkturkomponente von -10,5 Mrd. Euro (Tabelle 1 Zeile 5). Letztere wurde auf Basis der Veröffentlichung des Statistischen Bundesamts vom 27. August 2024 an die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung angepasst. Im Ergebnis belief sich die tatsächliche strukturelle NKA des Bundes auf rund 50,6 Mrd. Euro beziehungsweise 1,40 Prozent des BIP. Damit wurde die Obergrenze für die strukturelle NKA (0,35 Prozent des BIP = rund 12,6 Mrd. Euro) um rund 38 Mrd. Euro überschritten.
Bei der Abrechnung der Schuldenbremse ist bei Inanspruchnahme der Ausnahmeregel gemäß § 7 Artikel 115-Gesetz der auf dem Kontrollkonto zu buchende Betrag um die erhöhte NKA zu bereinigen. Demnach wird das Kontrollkonto mit dem Betrag, der die Obergrenze überschreitet (rund 38 Mrd. Euro) belastet. Entlastet wird das Kontrollkonto durch die NKA, die unter die Ausnahmeklausel fällt, d. h. rund 1,4 Mrd. Euro Kreditaufnahme für Finanzierung einer Zuweisung an das SV Aufbauhilfe 2021 und die um finanzielle Transaktionen bereinigte NKA des WSF-E in Höhe von 41,5 Mrd. Euro. Insgesamt wird damit das Kontrollkonto um rund 4,9 Mrd. Euro entlastet (Tabelle 1 Zeile 12). Der Saldo auf dem Kontrollkonto erhöht sich von 47,7 Mrd. Euro auf rund 52,6 Mrd. Euro. Das Kontrollkonto ist fiktiv; es wird kein Geld angesammelt. Daher stellt ein positiver Saldo kein Guthaben dar, das in zukünftigen Haushaltsjahren als Erweiterung des Kreditspielraums genutzt werden kann.
Die Tabelle 1 zeigt die endgültige Feststellung der Abweichung der zulässigen NKA von der tatsächlichen NKA im Sinne der Schuldenbremse des Bundes für das Jahr 2023.
Im Beschluss des Deutschen Bundestags vom 7. Dezember 2023 ist geregelt, dass die aufgenommenen Kredite zur Finanzierung einer Zuweisung an das SV Aufbauhilfe 2021 zurückzuführen sind, also unabhängig von der Abweichung der tatsächlichen NKA von der zulässigen NKA für den Bundeshaushalt. Die notsituationsbedingte Kreditaufnahme für das SV Aufbauhilfe 2021 betrug im Ist rund 1,4 Mrd. Euro. Ein 1/31 davon entspricht einem Rückführungsbetrag von rund 44,0 Mio. Euro pro Jahr für den Zeitraum 2028 bis 2058.
Die notlagenbedingte Kreditaufnahme für den WSF-E betrug, bereinigt um finanzielle Transaktionen von 29.000 Euro, insgesamt 41,5 Mrd. Euro. Ein 1/31 davon ergibt einen Rückführungsbetrag von rund 1,3 Mrd. Euro pro Jahr für den Zeitraum 2031 bis 2061.
Aufstellung und Abrechnung des Haushalts des Bundes gemäß Artikel 115 GG für das Jahr 2023
Tabelle vergrößernAuswirkungen des BVerfG-Urteils
Infolge des BVerfG-Urteils vom 15. November 2023 dürfen Rücklagen, die Sondervermögen aus sogenannten Notlagenkreditermächtigungen gebildet haben, unter Berücksichtigung von in Notlagenjahren bereits abgeflossenen Mitteln nicht mehr verwendet werden. Um diese Beträge reduzierte sich die NKA nach BVerfG-Urteil für die Jahre 2020 bis 2022. Entsprechend wurden die Überschreitung der regulären Obergrenze und die Höhe der Tilgungsbeträge abgesenkt.
Darstellung der Korrektur der Abrechnung der Schuldenbremse für die Jahre 2020 bis 2022
Tabelle vergrößernDie Korrektur der Abrechnungen der Schuldenbremse für die Jahre 2020 bis 2022 machte auch eine Anpassung der Tilgungspläne für diese Jahre erforderlich. Diese sind zusammen mit den Tilgungsbeträgen aus der Abrechnung der Schuldenbremse für das Jahr 2023 in Tabelle 3 dargestellt.
Die Bundesregierung schlägt mit der am 17. Juli 2024 beschlossenen Finanzplanung vor, die Tilgung abzusenken, solange die gesamtstaatliche Schuldenstandsquote, wie derzeit erwartet, im Jahr 2028 nahe der Obergrenze des Stabilitäts- und Wachstumspakts von 60 Prozent des BIP liegt. Zu gegebener Zeit wird die Bundesregierung eine Formulierungshilfe zur Änderung des vom Deutschen Bundestag beschlossenen Tilgungsplans vorschlagen.
Die Tilgungsverpflichtungen des SV Bundeswehr sind in obiger Betrachtung nicht enthalten, da sie nicht auf Notlagenbeschlüssen basieren. Die Kredite des SV Bundeswehr sind gemäß § 8 Bundeswehrfinanzierungs- und -sondervermögensgesetz nach vollständiger Inanspruchnahme der Kreditermächtigung (100 Mrd. Euro), spätestens ab 1. Januar 2031, innerhalb eines angemessenen Zeitraums zurückzuführen. Diese Rückführungsverpflichtungen kommen dann zu den in Tabelle 3 aufgeführten beziehungsweise im Ergebnis des oben genannten Vorschlags zu ändernden Tilgungsbeträgen pro Jahr noch hinzu.