- Die Statistiken über die Einspruchsbearbeitung in den Finanzämtern bestätigen nach wie vor, dass das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren nach der Abgabenordnung eine hohe Filterwirkung entfaltet.
- Nur 12 Prozent der im Kalenderjahr 2023 erledigten Einsprüche mussten durch förmliche Einspruchsentscheidung entschieden werden. Lediglich 1,3 Prozent der erledigten Einsprüche führten zu einer Klage.
- Die Einspruchsstatistik im Kalenderjahr 2023 ist stark geprägt von Einsprüchen im Zusammenhang mit der Grundsteuerreform. Diese wirken sich sowohl sehr stark auf die Eingangs- als auch auf die Bestandswerte zum 31. Dezember 2023 aus.
Rechtsweg in Steuersachen
Nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes steht allen Steuerpflichtigen der Weg zu den Gerichten offen, die geltend machen möchten, durch den Staat in ihren Rechten verletzt worden zu sein, z. B. durch einen fehlerhaften Steuerbescheid.
Grundsätzlich können die Finanzgerichte nicht unmittelbar angerufen werden. Vielmehr müssen die Steuerpflichtigen im Regelfall zunächst Einspruch bei der Finanzbehörde einlegen. Hierdurch wird der Verwaltung Gelegenheit gegeben, den Steuerfall noch einmal zu überprüfen, bevor sich das Gericht mit der Angelegenheit befasst. Die meisten Rechtsstreitigkeiten erledigen sich bereits im Einspruchsverfahren, das somit eine hohe „Filterwirkung“ entfaltet und die Finanzgerichte entlastet (mehr s. u. „Statistik zur Klageerhebung“).
Einspruch
Die gesetzlichen Grundlagen für das Einspruchsverfahren ergeben sich aus den §§ 347 bis 367 der Abgabenordnung (AO). Darüber hinaus enthält der Anwendungserlass zur AO hierzu entsprechende Verwaltungsanweisungen, die die Finanzbehörden binden.
Statistiken zur Einspruchsbearbeitung
Gegenstand der Einspruchsstatistiken
Das BMF erstellt jährlich eine Einspruchsstatistik und veröffentlicht diese auf seiner Internetseite. Darüber hinaus hat das BMF in verschiedenen Monatsberichten die Statistikdaten für die Jahre 2009 bis 2022 veröffentlicht.1 Diese Statistiken erfassen allerdings nur die bei den Finanzämtern eingegangenen Einsprüche, nicht aber Einsprüche, die bei anderen Finanzbehörden erhoben werden, insbesondere
- beim Bundeszentralamt für Steuern,
- bei den Familienkassen und
- bei den Behörden der Zollverwaltung.
Einspruchsstatistiken der Jahre 2019 bis 2023
Für die vergangenen fünf Jahre hat das BMF die in Tabelle 1 ersichtlichen Daten zusammengestellt.
Eingegangene Einsprüche
Nachdem die Zahl der jährlich eingelegten Einsprüche in den vergangenen Jahren rückläufig gewesen ist, ist sie im Kalenderjahr 2023 deutlich gestiegen. Dies ist im Wesentlichen auf die im Zusammenhang mit der Grundsteuerreform eingelegten Einsprüche zurückzuführen. Die Steigerung auf 9,9 Mio. Einsprüche im Jahr 2023 entspricht dabei einer Zunahme um 233,5 Prozent.
Da dem BMF keine Daten über die Gesamtzahl der durch die Finanzämter erlassenen Verwaltungsakte vorliegen, ist nicht bekannt, wie häufig gegen die von den Finanzämtern erlassenen Steuerbescheide Einspruch eingelegt wird. Grund ist, dass mit dem Einspruch nicht nur Steuerbescheide angefochten werden können, sondern auch sonstige Verwaltungsakte wie z. B. die Ablehnung einer Stundung, eines Steuererlasses oder einer Aussetzung der Vollziehung, die Anordnung einer Außenprüfung, die Festsetzung eines Verspätungszuschlags oder eine Pfändung. Daten zur Anzahl der insoweit erlassenen Verwaltungsakte liegen dem BMF ebenfalls nicht vor.
Erledigte Einsprüche
Nachdem sich die Zahl der erledigten Einsprüche im Berichtszeitraum bis 2021 konstant weiter verringert hatte, ist sie seit dem Kalenderjahr 2022 wieder deutlich gestiegen. Dieser Trend hat sich im Jahr 2023 fortgesetzt. Die Steigerung auf 3,7 Mio. Einspruchserledigungen entspricht dabei einer Steigerung von 12,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Die Verteilung auf die Erledigungsarten „Rücknahme“, „Abhilfe“, „Einspruchsentscheidung“, „Teil-Einspruchsentscheidung“ und „Auf andere Weise“ ist weitgehend konstant. Eine geringfügige Verschiebung zeichnet sich lediglich zwischen den Erledigungen durch Abhilfe (Zunahme) und Einspruchsentscheidung (Rückgang) ab. Die Erledigungsarten lassen aber nur bedingt Rückschlüsse darauf zu, wie häufig die mit dem Einspruch angefochtenen Bescheide fehlerhaft waren.
Circa zwei Drittel der erledigten Einsprüche im Kalenderjahr 2023 entfallen auf Abhilfen. Diese Abhilfen beruhen häufig darauf, dass erst im Einspruchsverfahren Steuererklärungen abgegeben oder steuerlich begünstigte Aufwendungen geltend gemacht oder belegt werden. Des Weiteren kann einem Einspruch abgeholfen werden, wenn der Steuerpflichtige seinen ursprünglichen Einspruchsantrag nach einer Erörterung mit dem Finanzamt eingeschränkt hat und das Finanzamt dem noch aufrecht erhaltenen Antrag stattgeben kann. Einsprüchen, die im Hinblick auf anhängige gerichtliche Musterverfahren eingelegt wurden, kann auch durch Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks in den angefochtenen Steuerbescheid abgeholfen worden sein.
Circa ein Sechstel der Einsprüche im Kalenderjahr 2023 wurde durch Rücknahme des Einspruchs durch die Steuerpflichtigen erledigt. Die Rücknahme des Einspruchs deutet zunächst darauf hin, dass der angefochtene Bescheid fehlerfrei war und das Finanzamt Fragen zum Steuerbescheid mit den Steuerpflichtigen im Einspruchsverfahren geklärt hat. Einer Einspruchsrücknahme kann aber auch ein Änderungsbescheid vorausgegangen sein, der dem Antrag der Steuerpflichtigen teilweise entsprochen hat.
Auch in einer Einspruchsentscheidung (circa ein Sechstel der erledigten Einsprüche) kann den Anträgen der Steuerpflichtigen teilweise entsprochen worden sein.
Teil-Einspruchsentscheidungen (§ 367 Abs. 2a AO) werden ebenfalls in der Statistik als Erledigungsfall behandelt. Die Verwaltung geht in diesen Fällen davon aus, dass über den durch die Teil-Einspruchsentscheidung nicht entschiedenen Teil des Einspruchs durch eine Allgemeinverfügung nach § 367 Abs. 2b AO entschieden werden kann. Dies ist dann kein Erledigungsfall im Sinne der Statistik. Diese Zählweise ändert jedoch nichts daran, dass nach Erlass einer Teil-Einspruchsentscheidung das Einspruchsverfahren weiter anhängig bleibt; wenn auch in beschränktem Umfang.
Unter der Erledigungsart „Auf andere Weise“ werden z. B. Verfahren erfasst, in denen sich eine angefochtene Außenprüfungsanordnung vor einer Entscheidung über den Einspruch mit Beendigung der Außenprüfung erledigt hat, sowie Fälle, in denen sich ein mit einem Einspruch beantragter Lohnsteuer-Freibetrag (§ 39a Einkommensteuergesetz) im Lohnsteuerabzugsverfahren nicht mehr auswirken kann.
Die Einspruchsstatistik enthält ferner den Posten „Saldo aus Übernahmen, Abgaben, Storni und sonstigen Bestandskorrekturen“. Darin sind die Abgaben und Übernahmen von Einsprüchen zwischen den Ländern sowie sonstige Bestandskorrekturen enthalten, z. B. nach Aufdecken fehlerhafter Einträge in den Rechtsbehelfslisten. „Abgaben“ können nicht nur darauf beruhen, dass sich die örtliche Zuständigkeit des Finanzamts wegen eines Wohnsitzwechsels oder der Verlagerung des Orts der Geschäftsleitung geändert hat, sondern auch auf einem Wechsel der sachlichen Zuständigkeit.
Anfangsbestand und Endbestand
Der Bestand der zum Ende des Jahres 2023 anhängigen Einspruchsverfahren ist gegenüber den Vorjahren deutlich gestiegen, was im Wesentlichen auf die im Zusammenhang mit der Grundsteuerreform eingelegten Einsprüche zurückzuführen ist. Viele dieser Einsprüche waren jedoch nicht „bearbeitungsreif“. Vielmehr waren von den vorgenannten zum Jahreswechsel anhängigen Einsprüchen
- zum 31. Dezember 2023 insgesamt 4.821.274 Einspruchsverfahren,
- zum 31. Dezember 2022 insgesamt 1.151.261 Einspruchsverfahren,
- zum 31. Dezember 2021 insgesamt 1.634.223 Einspruchsverfahren,
- zum 31. Dezember 2020 insgesamt 1.543.711 Einspruchsverfahren und
- zum 31. Dezember 2019 insgesamt 1.424.325 Einspruchsverfahren
nach § 363 Abs. 1 AO ausgesetzt oder ruhten gemäß § 363 Abs. 2 AO. Die steigende Zahl der ruhenden oder ausgesetzten Verfahren ist häufig darauf zurückzuführen, dass wegen einer für den einzelnen Steuerfall rechtserheblichen Frage noch ein Gerichtsverfahren geführt wird. Bis zur abschließenden Klärung der Rechtsfrage im Gerichtsverfahren kann die Entscheidung über den Einspruch dann zurückgestellt werden.
Statistik zur Klageerhebung
Die Zahl der gegen die Finanzämter erhobenen Klagen ist im Jahr 2023 weiterhin rückläufig. Gegenüber den Vorjahren ist sie erneut deutlich um 7,6 Prozent auf 47.309 Klagen gesunken. Im Vergleich zu den im Jahr 2023 insgesamt durch die Finanzämter erledigten Einsprüchen entspricht dies einer gegenüber den Vorjahren ebenfalls gesunkenen Klagequote von nur etwa 1,3 Prozent.
Bei einem Vergleich mit der vom Statistischen Bundesamt erstellten Statistik der Finanzgerichte2 ist zu beachten, dass diese auch Klagen erfasst, die nicht gegen die Finanzämter, sondern gegen andere Finanzbehörden gerichtet sind (s. o.). Außerdem sind die Zählweisen nicht identisch. Für die Einspruchs- und Klagestatistik der Finanzämter ist maßgebend, wie viele Verwaltungsakte ein Einspruch betrifft. In der Statistik der Finanzgerichte wird eine Klage, die sich gegen mehrere Verwaltungsakte richtet, dagegen nur als ein Fall gezählt. Beispielsweise können Änderungsbescheide für mehrere Veranlagungszeiträume, die aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, mit einem Klageverfahren erledigt werden.
Fußnoten
- 1
- Zuletzt im Monatsbericht September 2023 für das Jahr 2022. Der Monatsbericht ist hier abrufbar.
- 2
- Abrufbar unter www.destatis.de