- Das Europäische Semester dient der Überwachung, Koordinierung und Abstimmung der Haushalts-, Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik auf Ebene der Europäischen Union. Jedes Jahr analysiert die Europäische Kommission u. a. im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) und des Verfahrens zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte eingehend die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Mitgliedstaaten, welche dann im Vorfeld ihrer nationalen Haushaltsverfahren Empfehlungen erhalten.
- Zentrale Themen im diesjährigen Zyklus stellten die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, die Eröffnung von Defizitverfahren und insbesondere beim Frühjahrspaket die Einstufung der Mitgliedstaaten im makroökonomischen Ungleichgewichteverfahren dar.
- Beeinflusst wurde der Semesterzyklus durch das Inkrafttreten des reformierten SWP am 30. April 2024.
Das Europäische Semester
Beim Europäischen Semester handelt es sich um das Kerninstrument der finanz-, wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Koordinierung auf Ebene der Europäischen Union (EU). Es soll dazu beitragen, die Konvergenz und Stabilität in der EU sicherzustellen, solide öffentliche Finanzen zu gewährleisten, übermäßige makroökonomische Ungleichgewichte in der EU zu verhindern und Strukturreformen zur Schaffung von Arbeitsplätzen und nachhaltigem Wirtschaftswachstum zu fördern. In dem jährlichen Zyklus befassen sich der Rat für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN) und die vorgelagerten Gremien mit der haushaltspolitischen Überwachung im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) sowie der wirtschaftspolitischen Koordinierung. Zudem ist temporär auch die Überwachung der Umsetzung der Aufbau- und Resilienzfazilität (Recovery and Resilience Facility, RRF) in das Europäische Semester integriert. Sie ist das zentrale Element des zeitlich begrenzten Aufbauinstruments „Next Generation EU“ in Reaktion auf die COVID-19-Pandemie. Die Umsetzung erfolgt parallel zum Semesterprozess und setzt auf einzelnen Semesterelementen auf.
Der jährliche Semesterzyklus besteht aus den aufeinander aufbauenden Herbst- und Frühjahrspaketen, die von der Europäischen Kommission erstellt werden. Das Herbstpaket, das am 21. November 2023 veröffentlicht worden ist und den neuen Zyklus für das Semester 2024 eingeläutet hat, beinhaltet u. a. EU-weite Analysen der Lage bei Haushalts-, Wirtschafts- und Strukturpolitik sowie zu makroökonomischen Ungleichgewichten. Das Frühjahrspaket vom 19. Juni 2024 hatte aus Analysen und Empfehlungen mit länderspezifischem Fokus bestanden. Dabei waren für jeden Mitgliedstaat individuell zugeschnittene Empfehlungen, sogenannte länderspezifische Empfehlungen, formuliert worden. Diese dienen als politische Leitlinien für die einzelnen Mitgliedstaaten im Vorfeld ihrer nationalen Haushaltsaufstellungsverfahren und unterbreiten den Mitgliedstaaten Empfehlungen für eine nachhaltige und wachstumsorientierte Politik.
Den länderübergreifenden inhaltlichen Schwerpunkt des diesjährigen Zyklus bildete die Stärkung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit durch Identifizierung der Herausforderungen und auf den jeweiligen Mitgliedstaat zugeschnittene Empfehlungen. Auch wirkte sich die Einigung über die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaketes (SWP) inklusive Inkrafttreten der geänderten Verordnungen am 30. April 2024 auf die Ausgestaltung des diesjährigen Semesterprozesses aus. Zudem führten die Wahlen für das Europäische Parlament Anfang Juni zu einer späteren Veröffentlichung des Frühjahrspakets am 19. Juni anstelle, wie sonst üblich, Mitte Mai.
Das Herbstpaket der Europäischen Kommission
Das Herbstpaket der Europäischen Kommission vom 21. November 2023 bildete den Auftakt des Europäischen Semesterzyklus 2024. Das Paket umfasste insbesondere
- die jährliche Strategie für nachhaltiges Wachstum,
- den Warnmechanismusbericht,
- Informationen zur Anwendung des SWP,
- die Bewertung der Haushaltspläne der Euro-Mitgliedstaaten für das Jahr 2024 und
- den Vorschlag für Eurozonenempfehlungen.
In der jährlichen Strategie für nachhaltiges Wachstum benennt die Europäische Kommission die wichtigsten finanz-, wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Herausforderungen für die EU im laufenden Zyklus. Die Europäische Kommission sieht die Mitgliedstaaten und damit auch die EU vor langfristigen strukturellen Herausforderungen wie u. a. einem geringen Produktivitätswachstum, der grünen und digitalen Transformation und dem demografischen Wandel. Zur Stärkung der damit verbundenen Wettbewerbsfähigkeit leitet die Europäische Kommission entlang der vier zentralen Zielsetzungen – makroökonomische Stabilität, ökologische Nachhaltigkeit, Produktivität und soziale Gerechtigkeit – verschiedene Maßnahmen ab, wie beispielsweise den Abbau von Hürden für private und öffentliche Investitionen, Etablierung unternehmensfreundlicher Rahmenbedingungen oder auch die Förderung des Erwerbs von auf den digitalen beziehungsweise grünen Wandel abgestimmten Qualifikationen. Die Europäische Kommission fordert die Mitgliedstaaten auf, die Geldpolitik bei der Inflationsbekämpfung und der finanzpolitischen Stabilität zu unterstützen; jedoch müsse ausreichend Spielraum für zusätzliche Investitionen und die Förderung langfristigen Wachstums vorhanden sein. Für den Zyklus plant die Europäische Kommission eine Bestandsaufnahme der laufenden Umsetzung der RRF und der Programme der Kohäsionspolitik mit Schwerpunkt darauf, wie Synergien und Komplementarität zwischen beiden Instrumenten sichergestellt und ausgebaut werden können.
Im Warnmechanismusbericht 2024 als Beobachtungsinstrument zur Früherkennung potenzieller makroökonomischer Ungleichgewichte wurden zwölf Mitgliedstaaten (u. a. Deutschland) identifiziert. Diese Mitgliedstaaten werden im nächsten Schritt als Element des Frühjahrspakets eingehenden Überprüfungen unterzogen. Anhand dieser Überprüfungen wird beurteilt, ob die ausgewählten Mitgliedstaaten von makroökonomischen Ungleichgewichten betroffen sind, die politische Maßnahmen erfordern. Bei elf der ausgewählten Mitgliedstaaten (Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, den Niederlanden, Ungarn, Rumänien, Portugal, Spanien, Schweden und Zypern) hatte die Europäische Kommission im vorigen Zyklus makroökonomische Ungleichgewichte beziehungsweise übermäßige Ungleichgewichte festgestellt. Zusätzlich soll die Slowakei vertieft überprüft werden, da die wirtschaftliche Entwicklung auf ein anhaltendes Risiko möglicher Ungleichgewichte hindeutet, u. a. bei der Wettbewerbsfähigkeit. Deutschland soll wieder vertieft überprüft werden, um die Persistenz der im Vorjahr festgestellten makroökonomischen Ungleichgewichte zu untersuchen. Für Deutschland deuten dem Bericht nach der Leistungsbilanzüberschuss und gesunkene Exportmarktanteile auf ein makroökonomisches Ungleichgewicht hin.
Mit Blick auf die Anwendung des SWP verwies die Europäische Kommission im Herbstpaket lediglich auf ihre Ankündigung, im Frühjahr 2024 Defizitverfahren vorzuschlagen, und legt keinen Bericht zur Prüfung einer Eröffnung von Defizitverfahren vor. Im einzigen aktuell laufenden Defizitverfahren gegen Rumänien, welches im April 2020 wegen der Überschreitung der Drei-Prozent-Defizitgrenze im Jahr 2019 eröffnet worden war, schlug die Europäische Kommission zudem keine weiteren Schritte vor.
Defizitverfahren
Wesentlicher Kern des korrektiven Arms des SWP sind die Regelungen zum Defizitverfahren. Hier gibt es mit dem sogenannten defizitbasierten und schuldenstandbasierten Verfahren zwei Elemente, über die ein Defizitverfahren eingeleitet werden kann.
Das defizitbasierte Defizitverfahren setzt bei Überschreitung des Referenzwerts für das Haushaltsdefizit von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) an und hat sich in der Vergangenheit als eines der zentralen Elemente des europäischen Regelwerks erwiesen. Wird ein übermäßiges Defizit festgestellt, sollen die Mitgliedstaaten dieses mit jährlichen Abbauschritten von strukturell mindestens 0,5 Prozent des BIP als Richtwert reduzieren. Für eine Übergangszeit bis 2027 kann die Europäische Kommission bei der Berechnung der jährlichen Abbauschritte die gestiegenen Zinszahlungen berücksichtigen.
Beim schuldenstandbasierten Defizitverfahren spielt ein neu eingeführtes Kontrollkonto eine zentrale Rolle, auf dem Abweichungen von einem vereinbarten mittelfristigen Ausgabenpfad, der Teil des präventiven Arms ist und den Schuldenabbau sicherstellen soll, festgehalten werden. Der Ausgabenpfad dient im reformierten Regelwerk als Hauptindikator der europäischen Haushaltsüberwachung. Weicht ein Mitgliedstaat, gemessen am Kontrollkonto, deutlich von den Vorgaben des Ausgabenpfads ab und übersteigt das Haushaltsdefizit 0,5 Prozent des BIP, ist von der Europäischen Kommission die Eröffnung eines schuldenstandbasierten Defizitverfahrens zu prüfen.
Die Bewertung der im Oktober 2023 vorgelegten Haushaltspläne der Euro-Mitgliedstaaten erfolgte von der Europäischen Kommission anhand der länderspezifischen Empfehlungen des ECOFIN-Rats vom Juli 2023. Die Empfehlungen sehen für alle Euro-Mitgliedstaaten, die ihr mittelfristiges Haushaltsziel 2023 voraussichtlich nicht einhalten werden, quantitative Empfehlungen hinsichtlich des maximalen Ausgabenwachstums (d. h. der national finanzierten Nettoprimärausgaben) im Jahr 2024 vor, die je nach Land einer Verbesserung des strukturellen Finanzierungssaldos zwischen 0,3 und 0,7 Prozentpunkten entsprechen sollen. Weiterhin sollen die Entlastungsmaßnahmen im Energiebereich zurückgefahren und die dadurch erzielten Einsparungen in den Jahren 2023 und 2024 zum Abbau des öffentlichen Defizits genutzt werden. National finanzierte öffentliche Investitionen sollten zudem aufrechterhalten werden. Die Europäische Kommission schlussfolgert aus ihrer Analyse, dass für vier Haushaltspläne (Belgien, Finnland, Frankreich und Ungarn) das Risiko bestehe, dass diese nicht mit den fiskalischen Vorgaben vereinbar seien, da das bereinigte Ausgabenwachstum über dem maximal zulässigen Ausgabenwachstum liege. Für acht Mitgliedstaaten (Österreich, Deutschland, Italien, Luxemburg, Lettland, Malta, die Niederlande, Portugal und die Slowakei) sieht die Europäische Kommission die Empfehlungen nur teilweise als erfüllt an. Deutschland, Malta und Portugal werden aufgefordert, ihre Unterstützungsmaßnahmen in Reaktion auf die Energiepreiskrise so bald wie möglich in den Jahren 2023 und 2024 auslaufen zu lassen. Die Haushaltspläne von sieben Mitgliedstaaten (Zypern, Estland, Griechenland, Spanien, Irland, Litauen, Slowenien) stünden im Einklang mit den fiskalischen Empfehlungen.
Der Vorschlag für Ratsempfehlungen zur Wirtschaftspolitik des Euroraums umfasst die Themenbereiche Strukturreformen, Fiskal-, Arbeitsmarkt- und Finanzmarktpolitik sowie die Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion, der sich explizit an die Euro-Mitgliedstaaten richtet. Neben Maßnahmen zur Bekämpfung von Inflation (insbesondere restriktive Fiskalpolitik und Abbau krisenbedingter Energiemaßnahmen) sowie der Rückführung der Schuldenstandsquoten wird u. a. ein hohes Niveau an öffentlichen Investitionen sowie Reformen zur Unterstützung des grünen und digitalen Wandels empfohlen. Zur Abmilderung von Kaufkraftverlusten wird vorgeschlagen, die Lohnentwicklung insbesondere bei niedrigen Einkommen zu unterstützen, die Weiterqualifizierung und Umschulung zu fördern sowie die Produktivität zu steigern und Migration von Arbeitskräften aus Drittstaaten zu steuern, um Fachkräftemangel zu beheben. Hindernisse für grüne und digitale Investitionen sollen beseitigt werden, die Arbeiten zur Einführung des digitalen Euro fortgeführt und die Kapitalmarktunion vorangetrieben werden. Zudem wird empfohlen, Risiken auf den Finanzmärkten (und dem Immobilienmarkt) zu überwachen und die Bankenunion zu vervollständigen.
Das Frühjahrspaket der Europäischen Kommission
Am 19. Juni 2024 veröffentlichte die Europäische Kommission das Frühjahrspaket, auf das sich das Inkrafttreten des reformierten SWP am 30. April 2024 u. a. bei der Eröffnung von Defizitverfahren auswirkte. Auch entfiel dadurch die bisherige Vorgabe für die Mitgliedstaaten, ein nationales Reformprogramm sowie ein Stabilitäts- beziehungsweise Konvergenzprogramm bis Ende April einzureichen, die durch sogenannte Fortschrittsberichte ab dem nächsten Jahr ersetzt werden würden. Dabei umfasste das diesjährige Paket u. a.
- Vorschläge für länderspezifische Empfehlungen für alle 27 Mitgliedstaaten inklusive Länderberichte,
- Vorschlag zur Eröffnung von Defizitverfahren basierend auf einem Bericht nach Art. 126 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV),
- Ergebnisse der vertieften Überprüfungen im Rahmen des Verfahrens bei makroökonomischen Ungleichgewichten.
Bei den länderspezifischen Empfehlungen handelt es sich um spezifische Leitvorgaben, wie die einzelnen Mitgliedstaaten Beschäftigung, Wachstum und Investitionen fördern können, ohne die Solidität ihrer öffentlichen Finanzen zu beeinträchtigen. Dabei bleiben die nationalen Zuständigkeiten für die Finanz-, Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik gewahrt. Analytische Grundlage bilden hierfür die Länderberichte 2024 mit einer umfassenden Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung und damit verbundenen zentralen Herausforderungen des jeweiligen Mitgliedstaats, die auch einen Überblick über dessen Wettbewerbsfähigkeit geben. Auch ist in den Länderberichten ein Überblick der Umsetzung früherer länderspezifischer Empfehlungen und Bestandsaufnahmen der laufenden Umsetzung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne (ARP), einschließlich ihrer REPowerEU-Kapitel, und der kohäsionspolitischen Programme enthalten. Die diesjährigen Vorschläge für länderspezifische Empfehlungen sind in drei grundlegende Bereiche unterteilt, die jedoch nicht für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen Anwendung finden:
- Bei den fiskalischen Empfehlungen wird den meisten Mitgliedstaaten empfohlen, dass das Wachstum der Nettoprimärausgaben im Jahr 2025 in Einklang mit den Anforderungen des reformierten SWP stehen soll. Eine Quantifizierung der Anforderungen ist im Rahmen des nächsten Herbstpakets des Europäischen Semesters geplant. Auch erhalten einzelne Mitgliedstaaten spezifische qualitative fiskalische Empfehlungen, die z. B. die Qualität der öffentlichen Finanzen, öffentliche Investitionen sowie das Steuer- und Sozialversicherungssystem im jeweiligen Mitgliedstaat betreffen.
- Empfehlung zur weiteren Umsetzung der ARP und der kohäsionspolitischen Programme. Basierend auf dem individuellen Umsetzungsstand sehen die Empfehlungen abgestufte Implementierungsaufforderungen für die nationalen ARP und die kohäsionspolitischen Programme vor und empfehlen einigen Mitgliedstaaten u. a. die Stärkung der Verwaltungskapazitäten.
- Weitere reformpolitische Empfehlungen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Dabei soll die Wettbewerbsfähigkeit durch eine Steigerung der Produktivität mittels nationaler Maßnahmen in vier Themenfeldern erhöht werden:
I. Sicherstellung eines wettbewerbsfördernden Unternehmensumfelds,
II. Verbesserung der Bildungs- und Weiterbildungssysteme,
III. verbesserter Zugang zur Finanzierung sowie Förderung des Kapitalmarkts und alternativer Finanzierungsmöglichkeiten, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, und
IV. Beschleunigung des grünen und digitalen Wandels.
Diesjährige länderspezifische Empfehlungen für Deutschland
Der Rat der Europäischen Union […] empfiehlt, dass Deutschland für 2024 und 2025 Maßnahmen ergreift, um
- den mittelfristigen strukturellen finanzpolitischen Plan rechtzeitig zu übermitteln; das Wachstum der Nettoausgaben den Anforderungen des reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakts entsprechend im Jahr 2025 auf eine Rate zu beschränken, die unter anderem damit vereinbar ist, den gesamtstaatlichen Schuldenstand mittelfristig auf einen plausibel rückläufigen Pfad zu bringen und das gesamtstaatliche Defizit unter dem im Vertrag festgelegten Referenzwert von 3 Prozent des BIP zu halten; die öffentlichen Investitionen zu stärken und Hemmnisse für private Investitionen zu beseitigen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern; den haushaltspolitischen Spielraum für produktive Ausgaben zu vergrößern, unter anderem indem die Finanzierung der ersten Säule des Rentensystems reformiert wird; den Steuermix zugunsten eines inklusiveren Wachstums und einer nachhaltigeren Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, unter anderem indem Negativanreize für die Leistung von mehr Arbeitsstunden, insbesondere für Zweitverdienende, verringert werden;
- die Umsetzung des Aufbau- und Resilienzplans, einschließlich des REPowerEU-Kapitels nach dessen Annahme, erheblich zu beschleunigen, damit die Reformen und Investitionen bis August 2026 abgeschlossen werden, und die Durchführung der kohäsionspolitischen Programme zu beschleunigen, unter anderem durch Bereitstellung ausreichender Mittel für die Verwaltung des Aufbau- und Resilienzplans und der kohäsionspolitischen Programme; im Rahmen der Halbzeitüberprüfung der kohäsionspolitischen Programme die vereinbarten Prioritäten im Blick zu behalten und zugleich die Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen, die die Initiative „Plattform für strategische Technologien für Europa“ zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit eröffnet;
- dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, insbesondere durch die Förderung grundlegender und digitaler Kompetenzen und die Verbesserung der Bildungsergebnisse, unter anderem durch die Verbesserung gezielter Unterstützung benachteiligter Gruppen; die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung zu beschleunigen, unter anderem durch eine bessere geografische Abdeckung bei digitalen öffentlichen Dienstleistungen; den Ausbau digitaler Kommunikationsnetze mit sehr hoher Kapazität weiter voranzubringen, indem unter anderem die notwendige Durchführung privater Investitionsvorhaben erleichtert wird und öffentliche Mittel mobilisiert werden, sofern dies erforderlich ist;
- die Dekarbonisierung des Verkehrssektors zu beschleunigen, unter anderem durch die Modernisierung des Schienennetzes.
Quelle: Entwurf einer Empfehlung des Rates vom 9. Juli 2024, der auf dem Kommissionsvorschlag COM(2024) 605 final beruht, in der vom Wirtschafts- und Finanzausschuss abschließend überarbeiteten Fassung
Als ersten Schritt zur Eröffnung von Defizitverfahren hat die Europäische Kommission einen Bericht für zwölf Mitgliedstaaten nach Art. 126 Abs. 3 AEUV vorgelegt. Mit dem Bericht überprüft die Europäische Kommission die Einhaltung der Obergrenze für das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit von 3 Prozent des BIP in den Jahren 2023 und 2024. Deutschland ist nicht betroffen. Verstöße gegen das Defizitkriterium auf Basis der notifizierten Zahlen in 2023 beziehungsweise den Planzahlen für 2024 werden bei sieben Mitgliedstaaten festgestellt (Belgien, Frankreich, Italien, Ungarn, Malta, Polen, der Slowakei). Die Europäische Kommission schlägt dem Rat daher die Annahme eines Beschlusses nach Art. 126 Abs. 6 AEUV zur Feststellung eines übermäßigen Defizits in den genannten sieben Mitgliedstaaten vor, der Ratsbeschluss erfolgte im Juli 2024. Die Empfehlungen des Rats zur Beseitigung der übermäßigen Defizite (Art. 126 Abs. 7 AEUV) soll dann im Kontext der Verabschiedung der Nettoausgabenpfade des reformierten präventiven Arms des SWP im weiteren Jahresverlauf erfolgen. Hinsichtlich des 2020 gegen Rumänien eröffneten Defizitverfahrens kommt die Europäische Kommission zu dem Ergebnis, dass Rumänien keine wirksamen Maßnahmen zur Rückführung des übermäßigen Defizits ergriffen habe, und legt einen Vorschlag für einen entsprechenden Ratsbeschluss nach Art. 126 Abs. 8 AEUV vor. Der entsprechende Beschluss des Rats erfolgte im Juli 2024. Der Folgebeschluss nach Art. 126 Abs. 9 AEUV zur Festlegung der Konsolidierungsvorgaben wird ebenfalls im Kontext der Verabschiedung der Nettoausgabenpfade im weiteren Jahresverlauf erfolgen.
In der jährlichen Einstufung der Mitgliedstaaten im Rahmen des makroökonomischen Ungleichgewichteverfahrens wurden zwölf Mitgliedstaaten basierend auf der Auswahl des Frühwarnberichts vertieft überprüft. Anlässlich der Reform des SWP hat die Europäische Kommission die Anwendung des makroökonomischen Ungleichgewichteverfahrens verändert und berücksichtigt hohe Staatsschulden nicht mehr als eigenständiges makroökonomisches Ungleichgewicht. Sie sieht den reformierten SWP hierfür als besser geeignetes Überwachungsinstrument an, sofern sie ausschließlich ein Risiko für die fiskalische Nachhaltigkeit darstellen. Nur wenn es darüberhinausgehende makroökonomische Risiken gibt, will sie das makroökonomische Ungleichgewichteverfahren nutzen. Diese Abgrenzung ist überraschend, da die Verordnung zum makroökonomischen Ungleichgewichteverfahren unverändert ist. Deutschland hat in den Ratsgremien gemeinsam mit anderen Mitgliedstaaten die Position vertreten, dass hohe öffentliche Schulden ein eigenständiges makroökonomisches Ungleichgewicht darstellen, welches auch weiterhin in der Einstufung zu berücksichtigen sei. Die Diskussion hierüber dauert an. Nach Einschätzung der Europäischen Kommission weist Deutschland erneut ein makroökonomisches Ungleichgewicht auf, das sich in einem persistent hohen Leistungsbilanzüberschuss äußere. Wesentliche Treiber des persistenten Leistungsbilanzüberschusses seien – die auch im Zuge der schwachen Konjunktur – schwache Binnennachfrage und die gedämpften Investitionen, die nach Einschätzung der Europäischen Kommission auch trotz perspektivisch steigender Kaufkraft und der von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen (u. a. erfolgte Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren) weiterhin bestehen werden.
Die Tabelle „Klassifizierung im makroökonomischen Ungleichgewichteverfahren“ zeigt die dies- und letztjährigen Einstufungen der Mitgliedstaaten und kontrastiert damit die Ergebnisse der Überprüfungen.
Ausblick
Das Europäische Semester nimmt eine zentrale Funktion im Bereich der finanz-, wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Koordinierung auf EU-Ebene ein, wie der diesjährige Zyklus wieder demonstriert hat. Es bietet eine analytische Grundlage, um wirtschaftspolitische Prioritäten konsistent auf EU-Ebene und auch in Verbindung mit EU-Programmen zu verfolgen. Auch hat das Semester seine Konstanz und zugleich auch Flexibilität wie beispielweise Schwerpunktsetzung auf aktuelle, zentrale Herausforderungen wie die Wettbewerbsfähigkeit bewiesen. Durch das Inkrafttreten des reformierten SWP ist 2024 ein Übergangsjahr für die haushaltspolitische Überwachung, die auch Neuerungen für die wirtschaftspolitische Koordinierung mit sich bringt. Beispielweise sollen die diesjährigen länderspezifischen Empfehlungen in den mittelfristigen finanzpolitisch-strukturellen Plänen des reformierten SWP adressiert werden, die im Herbst 2024 erstmals von den Mitgliedstaaten zu erstellen sind. Abzuwarten ist auch, welche Akzente die neue Europäische Kommission setzen wird. Aus Sicht des BMF sollte der bisherige Schwerpunkt auf Finanz-, Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik im Semester aufrechterhalten und eine inhaltliche Überfrachtung des Semesters vermieden werden.