Rückblick auf die Sitzung der Eurogruppe und die informelle Tagung des ECOFIN-Rats am 13. und 14. September 2024 in Budapest/Ungarn
Eurogruppe
Das Treffen der Eurogruppe begann mit einem Austausch über die makroökonomische Entwicklung im Euroraum. Die Europäische Kommission gab den Mitgliedstaaten zunächst einen Überblick über die aktuelle Wirtschaftslage im Euroraum. Sie erwarte ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im Euroraum in Höhe von rund 0,8 Prozent für das Jahr 2024 auf Basis einer unterjährigen Abschätzung. Allerdings habe sich die Zusammensetzung des Wachstums im Euroraum im Vergleich zur Frühjahrsprognose leicht verändert. Während sich einige Volkswirtschaften wie die spanische oder französische Wirtschaft im 1. Halbjahr etwas besser als erwartet entwickelt hätten, sei das Wachstum in anderen Mitgliedstaaten, wie z. B. Deutschland, niedriger als erwartet ausgefallen. Die Inflationsrate werde sich nach Einschätzung der Europäischen Kommission weiter rückläufig entwickeln. Für 2024 erwarte die Europäische Kommission weiterhin ein Wachstum der Verbraucherpreise in Höhe von 2,5 Prozent. Die Europäische Zentralbank (EZB) zeichnete ein ähnliches Bild von Wachstum und Inflation. Den Arbeitsmarkt bezeichneten beide Institutionen als robust.
Die Europäische Kommission berichtete ferner über den Stand der Umsetzung des reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakts. Der technische Dialog mit den Mitgliedstaaten im Rahmen der Erstellung der mittelfristigen finanzpolitisch-strukturellen Pläne verlaufe zufriedenstellend. Der Präsident der Eurogruppe Paschal Donohoe erklärte in diesem Zusammenhang, dass die finanzpolitisch-strukturellen Pläne glaubwürdig und umfassend sein müssten, um dem Anspruch des überarbeiteten Fiskalregelwerks der Europäischen Union (EU) gerecht zu werden: Wachstum ermöglichen und gleichzeitig nachhaltige, sichere und gesunde öffentliche Finanzen gewährleisten. Das überarbeitete Regelwerk müsse daher konsequent und zügig umgesetzt werden.
Anschließend befasste sich die Eurogruppe mit der Umsetzung der G7-Kredite für die Ukraine. Die G7-Staats- und Regierungschefinnen und -chefs hatten sich beim G7-Gipfel vom 13. bis 15. Juni 2024 in Apulien auf die Extraordinary Revenue Acceleration Loans in Höhe von rund 50 Mrd. US-Dollar verständigt. Der italienische Finanzminister Giancarlo Giorgetti berichtete als G7-Präsidentschaft über den aktuellen Stand der Arbeiten. Ziel sei es, die Arbeiten zum 25. Oktober 2024 abzuschließen, damit die Ukraine die Kredite rechtzeitig in Anspruch nehmen könne.
Die Mitgliedstaaten signalisierten im Anschluss ihre hohe Bereitschaft für eine zügige und pragmatische Einigung, damit die nötigen finanziellen Mittel die Ukraine rechtzeitig erreichen. Der deutsche Sitzungsvertreter dankte der italienischen G7-Präsidentschaft und der Europäischen Kommission für ihre bisherigen Arbeiten und machte deutlich, dass diese weiter zügig voranschreiten müssten.
Informelle Tagung des ECOFIN-Rats
Die informelle Tagung des Rats für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN) begann am 13. September mit einem Arbeitsessen. Thema waren dabei neue Finanzierungsmöglichkeiten zur Unterstützung von Niedrigeinkommensländern bei der Bewältigung globaler Herausforderungen. Die geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF) Kristalina Georgieva war anwesend und trug zu der aktuell laufenden Überprüfung des für Niedrigeinkommensländer bestimmten Poverty Reduction and Growth Trusts (PRGT) des IWF vor. Diese soll bis zur Jahrestagung des IWF im Oktober abgeschlossen werden. Die Überprüfung befasse sich im Wesentlichen mit den Finanzierungsbedarfen, den Kreditbedingungen wie den Zinssätzen, Zugangshöhen und Laufzeiten sowie mit möglichen Finanzierungsoptionen des PRGT. Ziel sei es, eine sich selbst tragende Finanzierungsbasis für den PRGT zu erreichen.
Der IWF habe im Rahmen der laufenden Überprüfung des PRGT eine Finanzierungslücke identifiziert. IWF-Direktorin Kristalina Georgieva stellte die vom IWF vorgeschlagene Finanzierungsoption vor, um den PRGT mit ausreichend Kapital auszustatten. Sie bezifferte in ihrem Beitrag die Finanzierungslücke auf rund 5,9 Mrd. Sonderziehungsrechte. Der europäische Anteil liege dabei entsprechend den Quotenanteilen bei rund 25 Prozent. Für die Zuführung der Beiträge der Mitgliedstaaten veranschlagte die IWF-Direktorin einen möglichen Zeitraum von fünf Jahren. Die Finanzierungslücke sei durch gestiegene Zinskosten und höhere Bedarfe von Niedriglohneinkommensländern im Zuge der globalen Schocks der vergangenen Jahre entstanden.
Die EZB erklärte gemäß ihrem Ratsbeschluss vom 12. September 2024, dass eine vom IWF vorgeschlagene Finanzierungsoption den Tatbestand der monetären Staatsfinanzierung erfüllen würde und daher vonseiten der nationalen Zentralbanken der EU nicht durchführbar sei. Demnach könnten interne IWF-Ressourcen aus dem General Resources Account nicht an die nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten ausgeschüttet werden, damit diese die Mittel dann an den PRGT in Form eines „Schütt-aus-hol-zurück“ weiterleiten.
Der deutsche Sitzungsvertreter erklärte, dass sich die Bundesregierung an die Rechtsmeinung der EZB halten werde. Der IWF-Vorschlag sei demnach für Deutschland nicht gangbar. Gleichzeitig betonte der deutsche Sitzungsvertreter die Notwendigkeit einer ausreichenden Unterstützung von Niedrigeinkommensländern. Der PRGT sei hier aber nicht das einzige Mittel und nicht als dauerhafte Unterstützung gedacht. Die betreffenden Länder müssten mittelfristig unabhängig von den Hilfen werden. Der deutsche Sitzungsvertreter verwies in diesem Zusammenhang auf die bereits sehr hohe deutsche Unterstützung dieser Länder. Die wortnehmenden Mitgliedstaaten sprachen sich mehrheitlich für eine ausreichende Unterstützung von Niedrigeinkommensländern aus und zeigten sich offen gegenüber einer pragmatischen Lösung.
Nach dem Mittagessen tauschten sich die Mitgliedstaaten im Rahmen einer Arbeitssitzung über die nachhaltige Finanzierung der grünen Transformation aus. Die nationalen Zentralbanken der EU nahmen an dieser Sitzung teil. Eingeladen waren der Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Mathias Cormann und der Vorstandsvorsitzende der ungarischen Agentur für Staatsschuldenmanagement Zoltán Kuráli. Beide führten mit jeweils einem Vortrag in die Thematik ein.
Mathias Cormann wies in seinem Vortrag auf den hohen Investitionsbedarf zur Erreichung der Klima- und Energieziele hin. Gleichzeitig seien die fiskalischen Spielräume aufgrund der bereits hohen Staatsverschuldung und einer langfristig herausfordernden Ausgabensituation u. a. durch die Alterung der europäischen Gesellschaft begrenzt. Insbesondere private Investitionen müssten daher noch stärker mobilisiert werden. Öffentliche Investitionen sollten sich in erster Linie auf Projekte konzentrieren, die risikoreich und für Privatinvestorinnen und -investoren weniger attraktiv seien, wie z. B. die Bereitstellung von Stromnetzen, Stromspeicheranlagen, Ladestationen für Elektrofahrzeuge und grenzüberschreitende Energieverbundnetze zur Erhöhung der Resilienz der Energieversorgung.
Darüber hinaus seien stabile Zielvorgaben und die richtigen Strukturreformen wichtig, um die EU für potenzielle Investoren attraktiver zu machen. Mathias Cormann nannte in diesem Zusammenhang u. a. die Vollendung des Binnenmarkts, die Vertiefung der Kapitalmarktunion und Fortschritte auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Energiemarkt. Auf nationaler Ebene sollten insbesondere der Wettbewerb gefördert und Markteintrittsbarrieren gesenkt werden.
Der Vorsitzende der ungarischen Agentur für Staatsschuldenmanagement Zoltán Kuráli betonte in seinem Vortrag ebenfalls die hohe Bedeutung privater Investitionen für den grünen Wandel und die Notwendigkeit einer effizienteren Verwendung öffentlicher Mittel. Er bezifferte die notwendige Summe für die EU auf 900 Mrd. Euro bis 1.600 Mrd. Euro pro Jahr, um das Netto-Null-Emissionsziel bis 2050 zu erreichen. In diesem Zusammenhang stellte er ein ungarisches Kleinsparerprogramm vor, das privaten Kleinanlegerinnen und -anlegern einen erleichterten Zugang zum Sparen in Staatspapieren ermögliche.
In der anschließenden Aussprache waren sich die Mitgliedstaaten einig, dass der grüne Wandel eine zentrale Aufgabe in den kommenden Jahrzehnten sei. Um die notwendigen Investitionsbedarfe zu decken, sei eine stärkere Mobilisierung privater Investitionen notwendig. Öffentliche Mittel sollten insbesondere dafür genutzt werden, attraktive Bedingungen für private Investitionen und Geschäftsmodelle im Bereich des grünen Wandels zu schaffen. Die Deutsche Bundesbank meldete sich für Deutschland zu Wort und verwies u. a. auf die besondere Bedeutung privater Investitionen bei der Bewältigung des grünen Wandels und auf die analytischen Arbeiten der Zentralbanken zum Klimawandel.
Die zweite Arbeitssitzung des informellen Treffens des ECOFIN-Rats fand am Vormittag des 14. September 2024 statt. Thema der Arbeitssitzung waren die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Tragfähigkeit der öffentlichen Verschuldung der EU-Mitgliedstaaten. Als externe Referenten waren Jeromin Zettelmeyer, Direktor beim Brüsseler Think Tank Bruegel, und Zsolt Darvas, Senior Fellow bei Bruegel, eingeladen. Die Teilnahme der nationalen Zentralbanken an dieser Sitzung war nicht vorgesehen.
In ihrem Vortrag erklärten die beiden Referenten von Bruegel, dass ohne positive Netto-Zuwanderung die Bevölkerung der EU bis zum Jahr 2050 um 10 Prozent und die erwerbstätige Bevölkerung im selben Zeitraum um 21 Prozent zurückgehen werde. Die Kosten einer alternden Gesellschaft dürften dabei zu einer entsprechend großen Herausforderung für die öffentlichen Haushalte werden. Die Bruegel-Ökonomen kamen zu dem Ergebnis, dass notwendige Reformen und Maßnahmen zur Abfederung des demografischen Wandels deutlich entschiedener auf europäischer und nationaler Ebene angegangen werden müssten, auch wegen des engeren fiskalischen Spielraums. Die länderspezifischen Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters würden zwar durchaus Bereiche wie Erwerbsbeteiligung, Kinderbetreuung, Gesundheitsfürsorge, Rente und totale Faktorproduktivität beinhalten, allerdings sei die Umsetzung der Empfehlungen bisher kaum zufriedenstellend. Auch fehlten bislang Empfehlungen in den Bereichen Migration und Geburtenraten.
Die Mitgliedstaaten waren sich im Anschluss einig, dass dem Thema eine sehr hohe Priorität eingeräumt werden müsse. Dabei müssten auf verschiedenen Ebenen die Auswirkungen der Alterung der Gesellschaft und die Ursachen des demografischen Wandels mit geeigneten Maßnahmen angegangen werden. Die wortnehmenden Mitgliedstaaten nannten in diesem Zusammenhang insbesondere Maßnahmen zur Steigerung von Produktivität und Wachstum, nachhaltige Renten- und Gesundheitssysteme, höhere Geburtenraten und ein höheres Renteneintrittsalter. Einige Mitgliedstaaten begrüßten auch die Berücksichtigung der Alterung der Bevölkerung im Rahmen der reformierten Fiskalregeln.
Der deutsche Sitzungsvertreter verwies in seinem Beitrag auf die Notwendigkeit, die Erwerbsquoten von Frauen und Menschen über 50 Jahre zu erhöhen und Gesundheitssysteme auch im Hinblick auf ältere Arbeitnehmerinnen und -nehmer zu verbessern. Darüber hinaus bleibe die qualifizierte Migration nach wie vor ein wichtiger Baustein zur Bewältigung des demografischen Wandels. In der Diskussion sei es wichtig, zwischen unkontrollierter und kontrollierter Migration zu unterscheiden.